ZWEITE LESUNG
Wer in der Liebe bleibt, bleibt
in Gott, und Gott bleibt in ihm
Lesung aus dem ersten Brief
des Johannes
In jenen Tagen,
11Liebe
Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.
12Niemand hat
Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe
ist in uns vollendet.
13Daran
erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt: Er hat uns von
seinem Geist gegeben.
14Wir
haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter
der Welt.
15Wer
bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in
Gott.
16aWir
haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen.
16bGott
ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in
ihm.
In der zweiten Lesung aus
dem ersten Johannesbrief haben wir einen Satz gehört, der zu den
zentralsten Aussagen in der Bibel gehört und zum Kern unseres Glaubens:
„Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe
bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“
Hier ist – wie in einem
Brennpunkt – die ganze frohe Botschaft enthalten. Hier leuchtet die
Mitte unseres Glaubens.
Hat Gott sich nicht in
der Tat immer wieder den Menschen so gezeigt und so sich ihnen
zugewandt, voll Liebe und Erbarmen?
Ist er ihnen nicht immer
wieder entgegengekommen?
Hat er nicht immer wieder
seine Hand ausgestreckt?
Und das Faszinierende,
das Großartige dabei: Gottes Liebe ist bedingungslos. Sie hängt nicht –
wie bei uns Menschen oft – von Voraussetzungen und Umständen ab. Gott
liebt uns nicht wegen irgendwelcher Qualitäten oder Tätigkeiten oder
Tüchtigkeiten.
Seine Liebe ist vor
allem, was wir bringen, leisten und vorweisen können. Sie ist
vollkommene Überraschung, reines Geschenk.
Niemand kann sie sich
verdienen. Keiner braucht es auch.
Niemand kann sie machen.
Sie kommt nicht aus uns. Sie kommt zu uns. Und Gott hat
nicht nur Liebe. Gott ist Liebe. Sein Wesen ist Liebe.
In einem Märchen wird
von einem Hahn erzählt, der glaubt, mit seinem Krähen die Sonne
hervorzurufen. Er bildet sich ein, dass die Sonne nicht aufgehen würde,
wenn er eines Tages vergessen sollte zu krähen.
Es gibt tatsächlich
Leute, die meinen, dass sie durch ihre guten Taten und ihr anständiges
Verhalten die Liebe Gottes heraufbeschwören oder zumindest erhalten. –
Aber es sind die ersten Strahlen der Sonne, die den Hahn krähen lassen.
Und es ist der Glanz der Liebe Gottes, die den Menschen atmen und singen
und ihn zur Entfaltung bringt.
Der tiefste Grund meines
Daseins ist, dass ich geliebt bin, geliebt und gewollt seit Ewigkeit.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Oft fällt es uns leichter
an Gottes Gerechtigkeit und sein Gericht zu glauben, als an seine
grenzenlose Liebe, wirklich glauben und sie auch anzunehmen und daraus
zu leben. Wie unglaublich scheint uns das! Oft zweifeln wir daran, ohne
Vorleistung und Bedingung, ja selbst im Versagen, geliebt zu sein.
Vielfach ist das
Gottesbild verzerrt zum Aufpassergott, Gebote- und Verbotegott. Ängste
vor Höllenstrafen sind auch heute gar nicht so selten und plagen gerade
sensible Seelen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Die Menschen, die Jesus
begegnet sind, haben etwas gespürt von der rettenden, heilenden, Leben
spendenden Kraft und Liebe Gottes: der blinde Bartimäus, der Zöllner
Zachäus, Maria von Magdala, die Ehebrecherin, der reumütige Schächer und
viele andere.
Jesu ausgestreckte Arme
am Kreuz sind Zeichen seiner Liebe! Sein durchbohrtes Herz ist Zeichen
seiner Liebe!
Das einzige, was Gott von
uns will, liebe Schwestern und Brüder,
ist die Bereitschaft,
seine Liebe aufzunehmen, sich ihr zu öffnen, sie hereinzulassen in unser
Leben und IHM zu vertrauen.
Doch Gott zwingt sich
nicht auf. Er geht nicht mit Gewalt vor.
Der Mensch kann sich
verhärten, sich verschließen. Er kann sich verweigern. Er kann die
ausgestreckte Hand Gottes übersehen oder auch zurückweisen. Er kann das
Rufen Gottes überhören. Er kann blind und taub sein für Gottes Werben
und Einladen.
Und er kann es auch ganz
bewusst ignorieren und ausschlagen.
In einem Lied heißt es:
„Gottes Liebe ist wie die Sonne … Streck dich ihr
entgegen … Nimm sie in dich auf!“
Was nützt aber der
schönste Sonnenschein, wenn die Fensterläden zu sind? Was nützt eine
Liebeszusage, wenn sich jemand sperrt, wenn jemand zumacht und sich
verschließt?
Liebe Schwestern und
Brüder!
Bei einem Kreuzweg in der
Nähe von Luzern heißt es bei der 12. Station: „Jesus am Kreuz. Mein Gott stirbt für mich. Und ich, dein Erlöster, wie
liebe ich dich?“
Ja, wie weit bin ich –
angesichts der großen Liebe Gottes – bereit zu gehen in meiner Liebe?
Bin ich mir bewusst, dass Gottes Liebe Gegenliebe will? Höre ich, wie
seine Liebe meine Liebe ruft? Erwidere ich seine Liebe? Bin ich bereit,
Antwort zu geben?
Auf einem Flurkreuz habe
ich einmal gelesen: „Das tat ich für dich. Was tust du für mich?“
Liebe will Gegenliebe.
Wie könnte das aussehen,
Gottes Liebe aus ganzem Herzen und mit all meiner Kraft erwidern?
In Portiunkula bei Assisi
gibt es die Tränenkapelle. Franziskus war betroffen und überwältigt vom
der Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Es wird erzählt: Eines Tages sei er
weinend vom Gebet gekommen. Da ist ihm ein Bauer begegnet. „Bruder
Franz“, fragte er, „warum weinst du?“ Franziskus erwiderte: „Die Liebe
Gottes wird nicht geliebt.“ Die Geschichte sagt, da habe auch der Bauer
angefangen zu weinen.
„So sehr hat Gott die
Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für uns dahingab.“
An einer anderen Stelle heißt es:
„Wenn Gott uns so
geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.“
„Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe!“
Nicht mehr: Wie du mir, so ich dir! Sondern: Wie ich
euch, so ihr einander!
Dazu, liebe Schwestern und Brüder, muss man nicht in die
Ferne schweifen. Liebe üben! Damit fängt man am besten dort an, wo man
buchstäblich zu Hause ist, im oft zermürbenden Alltag, im täglichen
Miteinander, da, wo’s die Reibungen und Spannungen gibt, da, wo die
Konflikte entstehen, da, wo’s manchmal knistert und funkt und vielleicht
auch mal kracht, da, wo der andere einem aufregt und nervt...
Auf einem Abreißkalender
habe ich einmal folgenden Spruch gelesen: „Geduld ist die Alltagsform der Liebe, Verzeihen die Höchstform.“
Wo wir Geduld haben und
einander ertragen, wo wir verzeihen und barmherzig sind, da erfüllen wir
den Auftrag Jesu:
„Liebt einander!“
Wo wir das versuchen und
uns täglich darum mühen, da fallen Strahlen der Liebe Gottes in unsere
Lebenswelt.
Vergessen wir es nicht:
Es ist Liebe zu Gott, wenn wir die Schwester, den Bruder lieben! Und
noch etwas: Wir sollen nicht nur mit dem Wort und mit der Zunge lieben,
sondern in Tat und Wahrheit.
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