So kennen wir Jesus gar nicht,
so
zornig, so draufgängerisch.
Mit der Peitsche in der Hand. – Er, der
sonst von Liebe und Vergebung spricht. Er, der von sich selbst einmal
sagt:
„Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und
demütig von Herzen.“
Von Sanftmut keine Spur! Jesus provoziert,
er schockiert.
Niemand hat erwartet, dass er so aufräumt. Tumult
im Tempel!
Was ist der Sinn dieser eigentümlichen Aktion?
Eine erste Antwort gibt Jesus selbst:
„Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer
Markthalle!“
Er verurteilt den Missbrauch, den veräußerlichten Gottesdienst.
Hier befindet sich Jesus in der
Tradition der großen Propheten.
Er selbst sagt einmal: „Sie verehren
mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit weg von mir.“ Und: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“
Aber es geht Jesus nicht nur um Kritik am Gottesdienst und Opferbetrieb.
Er stellt mit seiner Aktion den
Tempelkult selbst in Frage.
Es geht ihm nicht nur um die Reinheit des
Tempels, dass alles Gefeilsche, aller Lärm, alle Geldmacherei und alle falsche
Betriebsamkeit dort, im Haus Gottes, das ein Haus des Gebetes sein soll, keinen
Platz hat - Wucherpreis und Betrug an heiliger Stätte - sondern Jesus
landet einen Generalangriff gegen den Kult, den Tempelkult, der aus Tieropfern
bestand, die Heil vermitteln und Sühne für Sünden gewährleisten sollen.
Jesus missbilligt also nicht nur dieses
oder jenes, was mit dem Opferkult einherging, gewisse Geschäftspraktiken, die
damit verbunden waren. Es geht ihm um etwas Grundsätzliches.
Die Tempelreinigung
ist eine Zeichenhandlung hinter der mehr steckt. Gott ist an keinen Ort -
und sei er noch so heilig - gebunden und an keine rituellen Handlungen.
„Schluss mit eurem Kuhhandel zwischen Menschen
und Gott.
Schluss mit eurem Kaufmanns-Gott!“
Gott schenkt sich aus Liebe. Er ist doch der Abba, der gute Vater.
„Wenn schon
ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr euer
Vater im Himmel?“
Gott
muss nicht erst gnädig gestimmt werden. „Er ist“, wie der Psalmist
bekennt, „gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte.“ Und:
„Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich unser der Herr.“
Er ist sogar noch gut gegenüber den Undankbaren und Bösen. Seine Liebe kommt vor
allem, was wir tun.
Es geht um die Entscheidung: Vertraue ich meiner persönlichen Leistung, meinen Opfern, meinen
Kasteiungen und asketischen Klimmzügen, meinem religiösen und moralischen
Perfektionismus – und meine: Gott muss dann spuren, mich belohnen?
Meine ich: ich muss mir oder kann mir
den Himmel verdienen? Oder vertraue ich auf Gott? Erwarte ich alles von mir?
Oder erwarte ich alles von ihm? Glaube ich, dass Gott mich liebt und führt? Wie schwer fällt uns das oft, an seine Güte und Liebe zu glauben, wirklich
zu glauben, zu glauben, dass wir nicht nur Gottes Kinder heißen, sondern es auch
sind und darauf zu vertrauen, dass er uns beschenken will mit der Fülle des
Lebens?
Es geht noch um etwas anderes bei der
Tempelreinigung.
Jesus spricht es an, wenn er sagt:
„Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich
ihn wieder aufrichten!“
Für die Ohren der Juden war dieses Wort
skandalös, eine Gotteslästerung. Für sie war der Tempel das Symbol ihrer
Identifikation. Die Zerstörung des Tempels bedeutete eine Katastrophe. Für
sie war Gott im Tempel gegenwärtig.
Jesus beansprucht eine neue Form der
Gottesbegegnung:
In seiner eigenen Person, in ihm,
dem Sohn Gottes, kann man Gott finden.
Und so sagt Jesus zur Frau am Jakobsbrunnen:
„Es kommt die Stunde, wo die Menschen weder auf diesem Berg noch in Jerusalem
anbeten werden, sondern im Geist und in der Wahrheit.“ - Die Wahrheit
aber ist Christus, der gekreuzigte und auferstandene Herr.
Jesus selbst ist der Ort der Gegenwart
Gottes. Es braucht nicht mehr blutige Opfer von Tieren. Jesus selbst wird
das wahre Opfer sein. - Er wird sein Leben hingeben als Lösegeld für
viele.
„Jesus aber meinte den Tempel seines Leibes.“
Jesus
ist der neue und wahre Tempel. „Niemand kommt zum Vater
außer durch mich.“ „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Und so singen wir in einem bekannten Lied mit Recht:
„Die Kirche ist erbauet auf Jesus Christ allein.
Wenn sie auf ihn nur schauet, wird sie im Frieden sein.“
Der wahre Tempel,
der wahre Ort der Anbetung, der wahre Gottesdienst findet auch heute weder in
Rom, noch in Lourdes, nicht in Zell und nicht in Altötting statt, auch nicht in Medjogorie oder in Taize, nicht in Latein und nicht in deutsch, nicht mit dem
Rücken zum Volk oder dem Volk zugewandt. – Wahrer Gottesdienst geschieht
dort, wo Menschen ganz konkret in der Nachfolge Christi leben und versuchen ihr
Leben aus dem Glauben zu gestalten.
Der Apostel Paulus schreibt an die Römer:
„Angesichts des Erbarmens Gottes, ermahne ich euch:
bringt euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer dar; das ist für euch der
wahre und angemessene Gottesdienst.“
Der neue Tempel ist ein Bau aus lebendigen
Steinen.
Wenn wir ein bewusstes Leben mit dem
auferstandenen Christus in unserer Mitte führen und wirkliche Gemeinschaft
untereinander pflegen in herzlicher Liebe und geschwisterlichem Erbarmen, dann sind wir der neue, lebendige Tempel.
„Wisst ihr nicht, dass ihr ein
Tempel Gottes seid und dass Gottes Geist in euch wohnt?“
Es stimmt und ist wahr, was wir im gleichen Lied singen:
„Seht Gottes Zelt auf Erden verborgen
ist er da. In menschlichen Gebärden bleibt er den Menschen nah.“
Ubi Caritas et amor, deus ibi ist.
Wo die Güte und die Liebe, da ist Gott.
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