Exerzitien mit P. Pius

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Wer bin ich? Unkraut oder Weizen?

16. Sonntag im Lesejahr A; Mt 13, 24 - 30

 

EVANGELIUM                                                                                                   

Lasst beides wachsen bis zur Ernte

 

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus

In jener Zeit

24erzählte Jesus der Menge folgendes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.

25Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg.

26Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein.

27Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut?

28Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen?

29Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt.

30Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!

 

 

 

Ist es Ihnen schon so ergangen, dass Sie den Eindruck hatten: das Bild, das andere von Ihnen haben, ihre Kollegen etwa oder ihre Stammtischfreunde, Verwandte oder Nachbarn …, dass dieses Bild erheblich von dem Bild abweicht, das Sie selbst von sich haben? Wie oft klaffen Fremdwahrnehmung und eigene Wahrnehmung auseinander!

 

Man schiebt Ihnen z.B. ein schäbiges Motiv unter, wo Sie es ganz ehrlich gemeint haben. Oder man traut Ihnen etwas Schlechtes zu, wo Sie in bester Absicht gehandelt haben. Ihre Mitmenschen haben dann einen ganz anderen Eindruck, ein ganz anderes Bild von Ihnen als Sie von sich selbst. Dann sagen Sie vielleicht:

Die sehen mich verkehrt. So wie die meinen, dass ich bin, so bin ich ja gar nicht. Die machen sich ein ganz falsches Bild von mir.

 

Manchmal ist es umgekehrt: Sie spielen sich als edel, selbstlos oder großzügig auf und Ihre Umgebung fällt darauf rein und zollt Ihnen Anerkennung: Was ist das doch für ein guter, edler, hilfsbereiter Mensch! – Dann sagen Sie im stillen Kämmerlein zu sich selbst: Das Bild, das sich die Leute von mir machen, stimmt gar nicht. Wenn die wüssten! In Wahrheit bin ich ganz anders. Hinter der Maske meiner Freundlichkeit und Zuvorkommenheit steckt ein ganz anderes Gesicht. Ich entspreche nicht dem Ausweis, den ich anderen Leuten vorzeige.

Wer bin ich nun eigentlich? Bin ich das, was andere von mir denken? Oder bin ich das, was ich selbst von mir wahrnehme?

Oder bin ich beides zugleich: Unkraut und Weizen?

 

Ein Pfarrer hat einmal folgendes erlebt: In einer vornehmen Familie, die er besuchte, war gerade auch der 25-jährige Sohn anwesend. Er stand im Ruf, das zu sein, was man einen „missratenen Kerl“ nennt. Er hatte ziemlich üble Sachen angestellt, einige Male auch mit der Polizei zu tun bekommen und seiner Mutter fast das Herz gebrochen. – Der setzte sich nun plötzlich ans Klavier und spielte einen Choral aus der Matthäus-Passion. Er spielte voller Ergriffenheit und Beteiligung. Und das rührte den Pfarrer an. Seine Schwester aber zischte ihm ins Ohr: „Dieser Heuchler!“ – Sie deutete das Spiel offenbar so, dass ihr Bruder dem Pfarrer etwas vormachte, was gar nicht stimmt, dass er einen guten Eindruck machen wollte.

 

Ja, war er nun wirklich ein Heuchler? Wer oder was war er nun eigentlich und letztlich? War er im Kern seines Wesens der, der immer wieder in fremde Kassen gegriffen und ein ziemlich übles Leben geführt hatte? Oder war er im Kern seines Wesens der Mensch, der mit Inbrunst diesen Choral spielte und darin vielleicht nach Erlösung schrie, in dem eine ungeheure Heils-Sehnsucht steckte, der sich im tiefsten Grunde selbst verachtete und den Dreck aus seiner Seele fortzuspülen suchte?

 

Christa Weiß schreibt: Seit Jahren schon laufe ich mit einer Maske umher. Die ist mein zweites Gesicht geworden. Ich habe gelernt, wie man es macht, seine Schwächen zuzudecken und die Gefühle zu verbergen. Ich lächle verbindlich, aber mein Lachen ist nicht echt. Ich lege Sicherheit an den Tag, aber in Wirklichkeit spiele ich Theater. Ich tue so, als fiele mir alles in den Schoß, als irrte ich niemals, als hätte ich weder Sehnsucht noch Heimweh. – Warum bin ich nicht so, wie ich wirklich bin? Wenn ich für mich und allein bin, fällt mir die Maske vom Gesicht. Wenn dann einer käme und sagte: Ich mag dich trotzdem. Ich will dich so wie du bist. Ich brauche dich …

 

Wer bin ich?

Kein Mensch kann beurteilen, wer der andere eigentlich ist.

Ob Gott allein es vielleicht weiß? Ob der nicht möglicherweise sagt: Dieser hat Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit in sich. Er weiß auch um seine dunklen Flecken. Darum ist er mir lieber als mancher Selbstsichere und Selbstgerechte, der in seiner vermeintlich weißen bürgerlichen Weste auf andere herabschaut.

 

In den letzten Tagen des Krieges wurde der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer durch die Gestapo erhängt.

Er musste sterben, weil sein Glaube ihn zu bekennendem Widerstand gegen das Nazi-Regime gedrängt hatte.

Seine Bewacher und Mitgefangenen schätzten ihn sehr, weil er sich nicht unterkriegen ließ und selbst in Ketten ein souveräner Mann blieb. Er strahlte viel Mut und Zuversicht aus.

 

Aber Bonhoeffer kannte auch Stunden der Mutlosigkeit und der Unruhe. Doch diese hielt er vor fremden Augen verborgen.

 

Ein Gedicht von ihm lautet:

„Wer bin ich? – Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig…, müde und leer zum Beten, zum Denken, zu, Schaffen? – Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich beides zugleich: vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling? –Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott.“

 

Was bedeutet es, dass Gott mich kennt und dass ich sein bin?

Das bedeutet, dass wir Menschen weder uns selbst noch unsere Mitmenschen ganz und restlos verstehen. Wir durchschauen und kennen weder uns selbst ganz, viel weniger den anderen und seine Motive des Handelns und Denkens, was bei ihm vorgeht und wie es bei ihm auf dem Grund, in der Tiefe seines Herzens aussieht.

Jeder Mensch ist ein Geheimnis. Die Konsequenz daraus:

Wir sollten deshalb viel zurückhaltender sein und viel vorsichtiger, wenn wir urteilen und uns ein Bild vom anderen machen.

Wie schnell haben wir jemanden festgelegt, ihn in ein bestimmtes Schema gepresst, mit Vorurteilen belegt, abgestempelt, abgeschrieben. Wie schnell sind wir bei der Hand, zu kritisieren und zu richten, Mitmenschen schlecht zu machen, nichts, aber auch gar nichts Gutes an ihnen zu lassen? Beim anderen sehen wir oft nur noch das Unkraut wachsen.

 

Das Unterscheiden, Richten und Verurteilen steht nicht uns Menschen zu. Wir können es ruhig Gott überlassen, der uns besser kennt als wir uns selbst. Uns steht es nicht zu auszureißen, auszumerzen, zuzuschlagen, wenn uns das Böse begegnet, sondern einander zu ertragen, auch wenn uns nicht alles an am anderen passt, auch wenn uns manches an ihm aufregt und wir manches auszusetzen haben.

 

Kein Mensch kann beurteilen, wer der andere eigentlich ist.

Ob Gott allein es vielleicht weiß? Ob der nicht sagt: „Ich mag dich trotzdem. Ich will dich so, wie du bist. Ich brauche dich …?“

Ob Gott nicht möglicherweise sagt: Dieser kennt seine Schwächen und sein Versagen. Er weiß, dass es neben dem Guten auch das Böse in seinem Herzen gibt. Er ist sich bewusst, dass auf dem Ackerfeld seines Lebens neben dem Weizen auch Unkraut wuchert. Aber er hat ein großes Vertrauen in meine Barmherzigkeit. Er glaubt ganz fest an meine Geduld und Güte. Und darum ist er mir lieber als jener Scheinheilige, Rechtschaffene mit seinen Verdiensten, der meint, bei ihm gäbe es nur gute Früchte, der Acker seines Lebens sei aufs Beste bestellt.

 

„Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!“

Der Gedanke, das Gott uns durch und durch kennt, dass er um uns weiß, könnte etwas Erschreckendes an sich haben. Von jemandem bis in die letzte Falte der Seele durchschaut zu sein, gleichsam durch und durch geröntgt zu werden, ist ein schockierender Gedanke. – Wenn aber das stimmt, was Jesus uns von seinem Vater gesagt hat, dann ist es nicht mehr schockierend und furchtbar. Dann ist es auf einmal geradezu tröstlich, so durchschaut zu werden. Denn Gott schaut voll Liebe und Güte auf uns. Er versteht uns und nimmt uns an und sagt ja zu uns. Er sagt: „Ich mag dich trotzdem. Ich will dich so wie du bist.“ Denn seine Liebe und sein Erbarmen ist größer als alle Sünde und seine Gnade ist stärker als alle Schuld.

 

Von Gott verstanden zu werden, das ist deshalb eine mitreißende Nachricht, wirklich frohe Botschaft. Ich werde dann von jemandem gekannt und verstanden, dem es um mich geht, der mich bei meinem Namen ruft und der es gut mit mir meint. Das meint Bonhoeffer mit dem Wort: „Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!“ – Es gibt einen der sich zu mir bekennt und der zu mir hält, wer immer ich auch bin, wie immer es mir geht und was immer ich auch getan habe.

 

 

Beachten Sie auch meine beiden Predigten "Was machen wir mit dem Unkraut" bzw. "Blinder Eifer schadet nur" zur gleichen Bibelstelle

 

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