Wenn wir am Ende sind mit unsrer Kraft,
mit unsrer Hoffnung, dass ein neuer
Morgen kommt,
wenn wir enttäuscht die Hände sinken
lassen
und meinen, alle Mühe war vergebens,
wenn unsre Netze leer sind, leer wie
unsre Hände,
dann stehst du, Herr, am Ufer.
Wenn etwas uns gelingt, womit wir nicht
gerechnet,
wenn etwas uns geschenkt wird,
unverdient,
wenn es so viele Gründe gibt zum
Dankesagen,
dann stehst du, Herr, am Ufer.
Wenn wir an Menschen denken, die der
Hunger quält,
denen der Reis fehlt und der Fisch, ihr
täglich Brot,
wenn wir an jene denken, die nach Liebe
hungern,
nach Anerkennung, Zärtlichkeit,
Gerechtigkeit,
wenn wir an unsre eigene unerfüllte
Sehnsucht denken,
dann stehst du, Herr, am Ufer.
Wenn uns die Schuld bedrückt, weil wir
verleugnet haben
oder verraten oder einfach nur vergessen,
wenn uns ein Name einfällt, den wir
schwer enttäuscht,
den wir zu wenig liebten, dem wir Unrecht
taten,
wenn wir uns fragen, ob wir dich wohl
lieben, Gott,
dann stehst du, Herr, am Ufer.
Wenn wir zurück an unsre Jugend denken,
an unsre Pläne, die Begeisterung, den
Schwung von einst,
wenn wir uns heute sehen und bedenken,
was denn die Früchte sind aus allen
diesen Knospen,
wenn wir versuchen, mühsam das zu lernen
jetzt:
mich führen lassen, wohin ich nicht will,
und trotzdem dieser Führung zu vertrauen,
dann stehst du, Herr, am Ufer.
Wenn wir uns sammeln, jetzt um einen
schlichten Tisch,
auf dem nichts steht als etwas Brot und
Wein,
ein Bissen nur, ein Schluck zum
Überleben,
wenn wir das alles, was sich angesammelt
hat in uns
an Hoffnung und Enttäuschung der
vergangenen Woche,
zusammenfassen in die knappe Bitte:
„Herr, bleibe bei uns!“ – jetzt in dieser
Stunde,
und gleich, wenn wir hinausgehen,
und morgen, wenn der graue Alltag
wiederkommt,
dann stehst du, Herr, am Ufer.
Hermann Josef Coenen |