Jesus,
willst Du das wirklich?
Willst Du hineinziehen nach Jerusalem?
Oh ja, ich liebe Jerusalem – eine
wunderbare Stadt!
Aber wie sie Dich dort begrüßen …
Ja, sie jubeln – viel zu euphorisch …
Spürst Du nicht, wie das umschlagen kann?
All ihre Erwartungen… Das ist doch nicht
das, was Du ihnen geben willst:
Sie suchen einen irdischen Herrscher…
Einen, der durchregiert, der eine ungewollte Besatzung vertreibt … So
wollen sie Dir folgen … Aber Du: Willst Du so einer sein?
Konntest Du nicht ahnen, was passieren
wird?
Gehst Du sehenden Auges denen entgegen,
die Dich geißeln und töten werden?
Willst Du wirklich freiwillig da
hineingehen – in diese Stadt, die Dir den Tod bringen wird?
Ahnst Du das? Ahnst Du, was alles
passieren wird?
Dass aus dem Hosianna ein Kreuzige-Ihn
werden wird? Das Dir gilt …
Du könntest weggehen.
Du musst Dir all das Elend, das wir Dir
und uns gegenseitig bieten, gar nicht antun …
Gehst Du etwa auch hinein in unsere
Kriegs- und Folterstädte?
Ebenso aufrecht und stark – und
friedvoll?
Dorthin, wo sie Dich auch heute wieder
umjubeln, missbrauchen; ihren Krieg gar mit Religion – mit Dir –
rechtfertigen …
Was tun wir Dir da bis heute an?
Und Du?
Tust Du Dir das auch heute noch
freiwillig an?
Erträgst Du weiterhin uns
– und alles, was wir so verbocken,
uns
– so wie wir Dich missbrauchen,
wie wir Dich verkennen und quälen?
Ist es naiv von Dir? Oder ist es Liebe?
So, wie Du den Petrus anschaust, nachdem
er Dich dreimal verleugnet hat,
wie Du niemandem widersprichst, der Dir
Unrecht tut,
wie Du nicht einfach abhaust, als es doch
noch möglich gewesen wäre…
Ist das Naivität? Oder Liebe?
Ja, ich sehe Deinen Blick vor meinem
inneren Auge.
Ich glaube, er gilt auch mir …
Auch heute …
So will ich versuchen, bei Dir zu bleiben
…
Nicht jubelnd, nicht schreiend – aber
bleiben …
Und versuchen zu verstehen …
Kerstin Rehberg-Schroth |