Der Monat Mai ist der Monat,
in dem die Kirche die Gottesmutter besonders ehrt.
Religions- und kulturgeschichtlich ist es ein
bemerkenswertes Phänomen, dass mit Maria eine Frau eine so
prominente Stellung in einer der drei großen
monotheistischen Religionen erhielt.
Maria verkörpert in der
Frömmigkeitsgeschichte und auch heute immer den Zugang des
Volkes, gleichsam von unten, zu ihrem Sohn. Die Quellen über
sie sind spärlich. Sie sprechen von dem unfassbaren
Abenteuer eines jüdischen Mädchens, das abseits der großen
Welt den Sohn Jesus zur Welt brachte. Ihn, der einmal die
Welt verändern sollte, zog sie gemeinsam mit Josef auf.
Sie war wohl eine Mutter, wie
sie uns allen aus dem normalen Leben auch vertraut ist. Mit
gelegentlichen Ermahnungen, mit einem Lächeln, mit den
mütterlichen Erwartungen an ihren Sohn, mit Unverständnis
für seine Handlungen, die manche Regeln und Traditionen
verletzten, die ihr selbstverständlich und heilig waren.
Wohl auch eine Frau, die Angst hatte und weinte, vermutlich
mehr mit sich selbst geredet hat als mit ihrem Sohn. Sie
bedachte alles in ihrem Herzen, wie es in der Bibel heißt.
All das bringt sie uns nahe,
und doch spiegelt sich ihr Schicksal im großen Weg ihres
Sohnes. Eine außergewöhnliche Frau, die doch Frau unter
Frauen ist, die in allem an der conditio humana von
Menschen teilhatte und die Lebensreise ihres Sohnes bis zum
Ende mitging.
So bündelt sich in ihr und
ihrem Schicksal das ganze Spektrum menschlicher Gefühle und
Beziehungen: die Freude, die Tränen, der Schmerz, die
Fürbitte für andere und auch die bleibende Rätselhaftigkeit
eines Glaubens- und Lebensweges, den zu gehen ihr das
Schicksal ihres Sohnes auferlegt hat.
In Maria ehren wir die Mutter
Jesu, aber in ihr auch die uns begleitenden Menschen und
Umstände, die unser Leben formen und prägen. Wir verstehen,
weshalb viele Menschen in Freude und Leid, in Gesundheit und
Krankheit und in guten und schlechten Tagen den Weg zu ihr
suchen und finden.
Hermann Breulmann SJ
|