Im
Heiligen Land, in Kanaan, lebte Ophorus, ein sehr starker und recht
großer Mann. Eines Tages sprach zu sich: „Ich will in die Fremde gehen
und nach dem mächtigsten Herrn fragen, dem will ich dann dienen.“ Andere
Reisende wiesen ihn zu einem König, der über ein großes Land mit vielen
Leute herrschte. Der König empfing ihn und nahm den kräftigen Ophorus
gern in seinen Dienst auf. Nach einiger Zeit horchte er auf, als des
Königs Spielmann ein Lied vom Teufel sang. Während dessen schlug der
König ein Kreuzzeichen vor sich, denn er war ein Christ. Ophorus
wunderte sich darüber
und fragte den König: „Herr, was meinst du damit, dass du ein Kreuz
schlägst?“ Der König beantwortete die Frage jedoch nicht. Daher sprach
Ophorus: „Herr, ich bleibe nicht länger bei dir.“ Da antwortete der
König doch noch: „Du
sollst die Wahrheit wissen. Ich segne mich mit dem Kreuz, wenn man vor
mir den Teufel nennt. Mit dem Kreuz kann er mir nichts anhaben.“ Darauf
sprach Ophorus: „Du fürchtest dich vor ihm, daher ist des Teufels Macht
wohl so groß, dass er dir schaden mag. Deshalb habe ich dir genug
gedient. Ich will den Teufel suchen und
wenn ich ihn finde, will ihm
dienen, weil er offenbar gewaltiger ist als du.“ Also machte er sich auf
und suchte den Teufel überall. Wen er auch danach fragte, niemand konnte
ihm den Weg zeigen.
Eines
Tages kam Ophorus zunächst in eine große Wildnis und dann auf eine weite
Ebene. Er sah eine Gruppe von Rittern, ihre Helme und Rüstungen glänzten
im Sonnenschein. Einer von denen war schwarz gekleidet und ganz
gruselich anzusehen. Dieser kam nun in scharfem Ritt direkt auf Ophorus
zu und sprach ihn an: „Was willst du hier, wen suchst du?“ So
angesprochen antwortete er: „Ich suche den Teufel, denn ich wäre gern
sein Knecht.“ Die Antwort des Ritters „Ich bin der Teufel.“ überraschte
Ophorus. Doch da er schon seinen Dienst angeboten hatte, nahm ihn der
Teufel mit.
Irgendwann kamen sie einen Weg entlang, neben dem ein Kreuz stand. Als
der Teufel das Kreuz sah, zuckte er zusammen und bog vom Weg ab. Ophorus
wunderte sich darüber und sprach zu ihm: „Herr, sage mir, warum biegst
du vom Weg ab?“ Der Teufel hätte es ihm gern verschwiegen, aber Ophorus
ließ nicht nach: „Du sollst mir die Wahrheit sagen, oder aber ich diene
dir keinen Tag länger!“ Da zögern sprach der Teufel: „Ein Kreuz, dort an
dem Weg. - Das Kreuz, an das Christus geschlagen wurde! Das Kreuz
fürchte ich sehr und muss immer vor ihm fliehen.“ Darauf sprach Ophorus:
„Wenn du vor dem Kreuz, dem Christus-Zeichen, fliehen musst, so steht
Christus offenbar über dir. Daher habe ich dir vergeblich gedient. Leb
wohl. Ich muss nun Christus suchen, den mächtigen Herrn.“ So vom Teufel
weggegangen, suchte er nach Christus. Wen er auch überall fragte,
niemand konnte ihm den Weg weisen.
Endlich
kam Ophorus zu einem Einsiedler und erzählte, dass er Christus suche und
ihm dienen wolle. Der Einsiedler, offenbar ein Christ, äußerte:
„Christus ist groß und mächtig, wie ein König - ein Herr über alle
Dinge. Er will, dass du rein und tugendlich lebst, nicht in Sünde. Darum
sollst du fasten und wachen.“ Ophorus antwortete: „Ich mag weder wachen
noch fasten.“ Der Einsiedler gab einen weiteren Hinweis: „Christus, dein
Herr, wünscht, dass du viel betest.“ Ophorus antwortete darauf: „Das
kann ich nicht. Weise mich etwas anderes, damit ich ihm dienen kann.“
Der Einsiedler hatte auch darauf eine Antwort: „Nicht weit von hier
kommst du an einen Fluss, dort gibt es weder Brücke noch Steg. - Willst
du die Menschen da hinüber tragen, um Gotteslohn, so wirst du deinem
Herrn mit dem Dienst wohl gefallen. Du bist groß und stark und kannst
den Dienst gut tun.“ Ophorus versprach: „Das will ich tun. Er baute sich
eine Hütte am Fluss. Viele Menschen kamen zu ihm, sie trug er alle, für
Gotteslohn, durch das Wasser. Dabei hatte er immer eine große Stange in
seiner Hand, um sich darauf abzustützen.
In
einer Nachts war Ophorus müde, legte sich nieder und schlief ein. Als er
ein Kind seinen Namen rufen hörte, wurde er wach, stand auf, und suchte
das Kind. Da er niemand am Wasser fand, legte er sich erneut schlafen.
Doch wieder hörte er das Kind rufen, und lief wieder hinaus und fand es
wieder nicht. Abermals legte er sich schlafen. Zum dritten Mal hörte er
das Kind rufen. Er ging hinaus. Das Kind stand dort und sprach: „Trag
mich hinüber.“ Ophorus nahm das Kind auf seine Schulter, ergriff seinen
Stab und ging in das Wasser. Aber das Wasser wuchs, und das Kind war so
schwer wie Blei, und es wurde ihm immer schwerer und schwerer. Auch das
Wasser wurde so tief, dass er fürchtete, er müsse ertrinken. Als er die
Mitte des Wassers erreicht hatte, sprach Ophorus zu dem Kind auf seinen
Schultern: „Kind, Kind, wie schwer du bist. Mir ist, als ob die ganze
Welt auf meinen Schultern lastet.“ Das Kind hatte bislang geschwiegen,
sagt aber nun: „Du trägst nicht allein die ganze Welt. Du trägst den,
der Himmel und Erde geschaffen hat.“ Dann drückte das Kind den starken,
großen Ophorus unter Wasser und sprach: „Ich bin Jesus Christus, dein
König und dein Gott, dem du gedient hast. Ich taufe dich in meinem Vater
und in mir, seinem Sohn, und in dem heiligen Geist. Bis jetzt hattest du
Ophorus als Namen, nun sollst du ‚Christ-Ophorus‘ heißen nach mir,
deinem Herrn. Und zum Zeichen, dass ich wahr rede, nimm deine Stange und
stecke sie in die Erde, so wird sie morgen blühen und auch Früchte
tragen.“ Nach diesen Worten verschwand das Kind. -
Christophorus, so hieß er nun, war froh und dankte Gott für die Gnade,
die er ihm erwiesen hatte. Er pflanzte den dürren Stab in die Erde.
Daraus wurde in einer Nacht ein Baum, der blühte und Früchte brachte.
Als Christophorus das Wunder sah, entwickelte sich in ihm eine große
Liebe und Treue zu Gott. Seinen Dienst am Fluss verließ er nun, um noch
Besseres zu tun.
Der
gute Geist führte ihn in eine Stadt, wo die Christen viel unter ihrem
Glauben zu leiden hatten. Christophorus ging auf den Gerichtsplatz, wo
man sie marterte und tötete. Er tröstete sie und bat, dass sie geduldig
leiden - für das ewige Leben,. Das erzürnte die Heiden und einer wurde
so kühn, dass er herankam und auf ihn einschlug. Christophorus sprach
dennoch: „Glaubst du nicht, dass ich stark genug wäre, dich mit meinen
Füßen zu treten? Wenn ich es nicht um Gottes Willen lassen würde?“
Christophorus steckte seinen Stab in die Erde und bat Gott, dass er das
Wunder tue. Und in der Tat, der Stab brachte Blätter und Frucht, und
viele Heiden wurden durch das Zeichen bekehrt.
Als der
König davon hörte, schickte er zweihundert Krieger aus, um Christophorus
zu fangen: Sie fanden ihn ins Gebet vertieft, daher wagte es keiner, ihn
anzurühren. Da sandte der König nochmals zweihundert Krieger, die fielen
ebenfalls die Knie, da sie ihn beten sahen. Christophorus erhob sich und
sprach: „Wenn es mir gefällt, so komme ich mit euch. Will ich aber
nicht, so könnt ihr mich weder frei noch gefesselt mitnehmen.“ Da
erschraken sie alle und sprachen: „Wenn du nicht mit uns gehen willst,
so gehe, wohin du willst. Wir werden dem König sagen, dass wir dich
nirgends gefunden haben.“ Christophorus entgegnete: „Das liegt mir fern.
Ich will gern mit euch kommen. Bindet mir die Hände auf den Rücken, ich
will es erleiden um Gottes Willen.“
Auf dem
weiten Weg erzählte Christophorus den Kriegern so viel vom
Christenglauben, dass viele von ihnen bekehrt wurden. - Gefesselt
führten ihn die Krieger zum König. Als er Christophorus erblickte,
erschrak er so sehr, dass er von seinem Thron fiel, und seine Diener
mussten ihn wieder aufheben. Dann befahl der König, dass man
Christophorus in den Kerker führte; und ließ zwei schöne Jungfrauen zu
ihm bringen, die sollten ihn zur Sünde verleiten. Christophorus aber
wandte sich ab und vertiefte sich ins Gebet. Die Frauen traten zu ihm
und wollten ihn umarmen, er aber stand auf und sprach: „Was wollt ihr
und warum seid ihr hierher gekommen?' Da erschreckten sie sich sehr vor
der Klarheit seines Blickes. Sie fielen ihm zu Füßen und riefen:
„Erbarme dich unser, du Heiliger des Herrn, und mache, dass auch wir an
deinen Gott glauben.“ Als das der König hörte, ließ er sie sich
vorführen und sprach: „Ich schwöre euch bei allen Göttern, opfert ihr
unseren Göttern nicht, so müsst ihr eines jämmerlichen Todes sterben.“
Da gingen die Jungfrauen in den Tempel, lösten ihre Gürtel, legten sie
um den Hals der Götzenbilder und rissen sie so herab, dass sie
zerbrachen. Daraufhin ließ der König die Frauen töten.
Für
Christophorus jedoch wurde ein eiserner Thron errichtet. Er musste sich
darauf setzen und auf seinen Kopf bekam er einen feurigen Eisenhelm.
Unter dem Thron wurde ein großes Feuer angezündet, aber wie weiches
Wachs fiel der zusammen, Christophorus stand unversehrt da. Nun banden
sie ihn an eine Säule und schossen mit Pfeilen auf ihn. Aber die Pfeile
blieben alle in der Luft stehen und trafen ihn nicht. Der König meinte,
die Pfeile hätten getroffen und Christophorus würde sterben. Daher
sprach er spottend zu ihm: „Du verlierst nun dein Leben und deinen
Glauben.“ Da sauste ein Pfeil dem König ins Auge, so dass er erblindete.
Christophorus aber sprach: „Morgen, o König, bin ich tot, dann nimm von
meinem Blut und bestreiche damit dein Auge, dann wirst du wieder sehen
können.“ Am anderen Tag wurde Christophorus enthauptet. Der König nahm
von dem Blut, bestrich sein Auge damit und konnte wieder sehen. Da wurde
auch er gläubig und ließ sich taufen.
|