Es gibt
Bilder, die prägen sich ganz tief ein. Und dann tauchen sie ab und zu in
unserer Erinnerung auf, beschäftigen und bewegen uns, wühlen uns noch
nach langer Zeit auf, lösen wieder neu Entsetzen und Fassungslosigkeit
aus.
Für
mich gehören dazu die Bilder von den beiden Flugzeugen, die am 11.
September 2001 in die Türme des World Trade Center in New York rasen;
die Bilder von den brennenden und in sich zusammenstürzenden
Hochhäusern, von Menschen, die sich in Panik aus dem Fenster stürzen;
die Bilder von müden und erschöpften Feuerwehrleuten und Helfern, von
verzweifelten Angehörigen; die Bilder vom zerstörten Flügel des Pentagon
in Washington.
„Nichts wird mehr so sein, wie es war“
– hat man zwar unmittelbar nach den verheerenden Terroranschlägen
gesagt. „Nine Eleven hat die Welt verändert“. Aber der Alltag ist
doch wieder eingekehrt, und seine Anforderungen haben uns schnell in
Beschlag genommen. Die Kirchen, die sich kurz nach den furchtbaren
Ereignissen gefüllt hatten, sind so leer wie zuvor. Zumindest
diejenigen, die nicht unmittelbar vom Leid getroffen waren, sind
inzwischen zur Tagesordnung übergegangen. Es wäre ja auch gar nicht
gesund, in permanenter Trauer oder in ständigem Zorn über das Unrecht zu
leben, das vielen damals angetan wurde.
Umso
wichtiger ist es, den 11. September bewusst als Gedenktag zu begehen –
damit wir dem Vergessen vorbeugen und die Bilder wieder lebendig werden
lassen. Damit wir durch sie aufgerüttelt und gewarnt werden vor Hass und
Gewalt. Dass wir neu spüren, dass gesundes und glückliches Leben alles
andere als selbstverständlich ist. Damit wir die Vision vom Frieden und
den Wunsch nach einem respektvollen und toleranten Zusammenleben der
Völker und Religionen wachhalten. Damit wir wieder den Impuls bekommen,
in unserer Umgebung einen verständnisvollen Umgang zu pflegen und
wenigstens kleine Schritte des Friedens zu gehen.
Wolfgang Raible
in: Die Botschaft heute
7/2017 S. 274 |