Exerzitien mit P. Pius

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Jesus und die Ehebrecherin

(Sieger Köder)

Beim Betrachten des Bildes fällt der Blick sofort auf die Frau, die in der Mitte am Boden kniet.

Ihr Gesicht ist nach oben gerichtet. Auch ihre rechte Hand weist nach oben.

Mit den Augen schaut sie jemanden an, der nicht sichtbar ist, jemanden, der sich außerhalb des Bildes befindet.

Von dort strömt Licht auf die Frau. Ein Lichtkreis umschließt die Frau wie ein unsichtbarer Schutz.

 

Im Hintergrund eine Wand dunkel aufragender Gestalten. Nur schemenhaft sind ihre Gesichter zu erkennen.

Alle wirken ernst, streng, grimmig. Voller Verachtung und Empörung schauen sie auf die Frau oder munkeln im Dunkeln.

Zwei am rechten Bildrand tuscheln miteinander. Darunter ist eine Hand zu sehen, die einen Stein umfasst. Links deutet einer mit dem Zeigefinger. Der neben ihm hat die Arme verschränkt. Er macht zu, ist sich seiner Sache sicher. Einer hält entsetzt seine Hand vor den Mund.

 

„Auf frischer Tat ertappt“ und damit nach dem Gesetz schuldig. Das Urteil steht fest. Die Ankläger haben es in heiligem Zorn schon gesprochen: Tod durch Steinigung, eine geile Bestrafung!

 

Die Frau steht auf verlorenem Posten. Nein, sie kniet schon. Bald wird sie vom Steinhagel der Gerechten im Staub verröcheln.

Es gibt keinen Ausweg. Flucht ist unmöglich. Dafür haben die Gesetzestreuen gesorgt. – In ihrer Selbstgerechtigkeit stehen die Wächter der öffentlichen Moral wie eine Mauer, unbarmherzig, gnadenlos, eine verhärtete Front, härter als Stein.

 

Die kalten Gesichter, die herablassenden Blicke sagen eindeutig: dieses Weibsbild hat den Tod verdient.

Von dem Mann, der auch beteiligt war – zum Ehebruch gehören bekanntlich ja zwei – ist nichts zu sehen. Ist er entkommen? Haben sie ihn laufen lassen?

 

Von rechts fährt diagonal eine überdimensionale Hand in den Bildvordergrund und ragt in die Szene hinein.

Diese Hand schreibt mit dem ausgestreckten Zeigefinger in den Sand am Boden.

Es ist ein hebräisches Wort. Die Anfangsbuchstaben lassen sich zu „schalom – Frieden“ ergänzen.

Nicht schuldig, sondern Erbarmen; nicht Verurteilung, sondern Gnade; nicht Verdammung, sondern Heil und Leben, „schalom“.

 

Die Frau kniet bereits im Licht und wendet sich Jesus zu.

Die Lichtbahn unter der schreibenden Hand verbindet sich mit dem Lichtkreis um ihre Gestalt.

So steht die Frau im Kontrast zu den Gesetzeskennern und gnadenlosen Gesetzesvollstreckern.

Sie drängen und wollen eine Antwort. Jesus lässt sich Zeit und gibt auch ihnen Zeit, sich zu besinnen. Er schafft einen Raum der Stille, einen Raum des Schweigens. Er gibt Gelegenheit, bei sich selbst zu schauen und an die eigene Brust zu klopfen.

 

Jesus macht der Frau keine Vorwürfe. Er bricht nicht den Stab über sie. – Er ist ja gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist. – Er ist der Heiland der Armen, der Retter der Sünder. – Er zerbricht nicht das geknickte Rohr und den glimmenden Docht löscht er nicht aus. – Er ist der gute Hirt. Er ist der, der von Schuld befreit und alle Gebrechen heilt.

 

Den Anklägern der Frau macht er deutlich: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Ihre Finger sinken, die Steine fallen zu Boden, der Wortschwall verstummt. Einer nach dem andern geht weg.

Und die Gefallene kann aufstehen, darf neu anfangen, darf leben.

 

Das Wort „schalom“ auf dem Bild ist noch nicht zu Ende geschrieben. Ein Buchstabe fehlt noch. Es ist der, den wir selber noch schreiben müssen.

 

 

Wo bin ich auf diesem Bild? Wo finde ich mich wieder?

  • Bin ich bei denen, die wie eine dunkle Mauer zusammenstehen, sich entrüsten, urteilen und verurteilen, gnadenlos, unbarmherzig?

  • Bin ich bei denen, die einer nach dem anderen weggehen, weil sie einsehen, dass sie selber Dreck am Stecken haben, selber nicht ohne Fehler und Sünden sind und deshalb an ihre eigene Brust zu klopfen haben?

  • Kann ich mich in die Frau in der Mitte hineinversetzen – auch wenn ihre Sünde nicht meine Sünde ist – und mich mit ihr identifizieren, die hilflos und voll Angst den Vollstreckern des Gesetzes ausgeliefert ist, die aber (auf dem Bild von Sieger Köder) doch im Lichtkreis der Liebe Gottes kniet und ihr Gesicht zu ihm erhebt?

  • Finde ich mich vielleicht auch in Jesus wieder, der die Geset­zestreuen mit sich selbst konfrontiert, der nicht moralisiert und urteilt, sondern Gnade vor Recht walten lässt, dessen Liebe größer ist als alle Schuld und der den neuen Anfang schenkt?

 

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