Vier Menschen sind zu
sehen. Und ein Weg, der sich von der Bildmitte oben
her weitet und nach unten zum Betrachter hin immer
breiter wird.
Zwei Personen – im
Vordergrund groß dargestellt – befinden sich auf dem
Weg, schreiten aus, gehen ihrem Ziel entgegen.
Die beiden anderen –
kleiner dargestellt – befinden sich abseits des
Weges.
Der
eine der beiden bückt sich zum anderen, der auf dem
Boden liegt und Hände und Beine von sich streckt.
Links und rechts vom
Weg: Dunkelheit.
Die beiden in der
Dunkelheit aber sind ganz hell. Hell ist auch der
Weg.
Die beiden auf dem
Weg aber sind dunkel.
Das ist nicht nur
wegen der Holzschnitt-Technik so.
Ein Holzschnitt lebt
ja von dem Gegensatz hell-dunkel.
Der Kontrast ist auch
begründet von der Geschichte, die das Bild erzählt.
Es handelt sich um
das Gleichnis Jesu vom barmherzigen Samariter.
Der Weg ist der von
Jerusalem nach Jericho.
Ein Mensch ist auf
diesem Weg von Räubern überfallen, ausgeplündert und
ganz übel zugerichtet worden.
Zwei gehen an dem
halbtot Daliegenden vorbei.
Ein Dritter
unterbricht seine Reise, wendet sich ihm zu und
leistet erste Hilfe.
Von den beiden im
Vordergrund, die den Halbtoten bereits passiert
haben, kommt der Hintere direkt auf uns zu, der
andere biegt gerade ab.
Finstere Gestalten
sind es. Ohne Arme und Hände. Die Gesichter und
Beine sind nur angedeutet.
Jeder geht für sich
allein, jeder ist mit sich beschäftigt, jeder nur
auf sich bedacht.
Sie haben den unter
die Räuber Gefallenen – so sagt es das Gleichnis
ausdrücklich – liegen sehen – und sind an ihm
vorbeigegangen.
Was geht in den
beiden vor sich?
Ihre Haltung verrät
ihre Gesinnung.
Untereinander ohne
Kontakt und ohne Beziehung gehen die beiden am Elend
vorbei.
Sie verlassen die
Mitte des Weges und weichen zur Seite hin aus.
Der Priester und der
Levit – so werden sie im Gleichnis bezeichnet –
zwei Kleriker also, die schon von Berufs wegen Gott
sehr nahe sein müssten – sie sehen nur das, worauf
sie zulaufen.
Mit starren Gliedern
und ausdrucklosen Gesichtern sind sie an dem
Schwerverletzten vorbeigegangen. Gleichgültig
trotten sie hintereinander her.
Ob sie nicht daran
gedacht haben zu helfen? Was hindert sie?
Denken sie an
„verlorene Zeit“? Wollen oder müssen sie unbedingt
pünktlich sein?
Dürfen sie als
„Amtsträger“ und „Gesetzesdiener“ sich nicht unrein
machen?
Ist den beiden
„Gottesmännern“ der Gottesdienst wichtiger als der
Dienst am Nächsten, das „Opfer“, die Liturgie,
wichtiger als Barmherzigkeit?
Ob ihnen nicht der
Gedanke kam, wie es wäre, wenn sie selbst unter die
Räuber gefallen wären?
Zwischen den beiden
im Hintergrund besteht Beziehung. Sie sehen sich
gegenseitig.
Der Samariter beugt
sich zum halbtot Daliegenden hinab und streckt seine
Arme nach ihm aus. Der Schwerverletzte am Boden hebt
leicht seinen Kopf.
Fremde Hilfe kommt
ihm entgegen. Er darf auf Rettung hoffen. Er ist
nicht verloren.
Die beiden im
Vordergrund haben das „Lästige“ und „Peinliche“
bereits hinter sich gelassen, abgehakt.
Oder rumort und gärt
es noch in ihnen? Plagt sie das schlechte Gewissen?
Beide Gestalten sind
„Typen“ die es zu allen Zeiten und an allen Orten
gibt.
Können wir in ihnen
unserer eigenen Hartherzigkeit ins Gesicht schauen?
Begegnen wir in ihnen
unserem eigenen Egoismus, unserer Härte und Kälte,
unserer eigenen Mitleidlosigkeit?
Der Vordere steht
groß und breitbeinig auf der Straße.
Das Schicksal des
unter die Räuber Gefallenen berührt ihn nicht.
Im Übrigen ist er
gerade dabei, sich wieder in die Mitte der Straße
einzuordnen. Lächelt er sogar?
Vermutlich würde er
nochmals bis an den äußersten Straßenrand
ausweichen, wenn er sich dadurch den sauberen Anzug
und die weiße Weste bewahren könnte.
Sich ja nicht die
Hände schmutzig machen! Ja keine Scherereien! Bloß
keine Zeit verlieren!
Der Hintere der
Beiden läuft immer noch an der Außenkante des Weges.
Die Schultern hat er
hochgezogen. Er wirkt verkrampft und steif.
Verschlossen und
schuldbewusst schleicht er hinter dem anderen her.
Seine Beine sind nur
angedeutet. Die Füße fehlen ganz.
Ist es ein Mann ohne
Charakter, ohne eigenen Standpunkt? Fehlt ihm die
Bodenhaftung, die Standfestigkeit?
Beruft er sich auf
seinen Vorgänger? Denkt er (der Levit): „Der hat’s
auch so gemacht? Wenn er (der Priester) vorbeigeht,
warum nicht auch ich“?
Keiner der beiden
schaut nach rechts oder links.
Versuchen sie das
Gesehene, das Geschehene zu verdrängen?
Das Gesicht des
Hinteren ist zweigeteilt. Drückt es einen inneren
Zwiespalt aus?
Ist er innerlich noch
stärker als sein Vordermann mit dem Erlebten
beschäftigt?
Sein Blick geht nach
unten. Schämt er sich vielleicht doch?
Würde er ein zweites
Mal anders handeln?
Auch er war unfähig
den Nächsten als Nächster zu sehen.
Vor allem war er
unfähig, selbst Nächster zu sein.
Ausgerechnet der
Samariter, ein Ausländer, ein halber Heide, ein
Ketzer, lässt sich von fremder Not berühren, wendet
sich dem, der Hilfe braucht zu, tut, was er kann,
investiert Zeit und Geld, handelt selbstlos und
barmherzig und wird so zum Nächsten für den, der
gelyncht und zur Strecke gebracht wurde und der in
seinem erbärmlichem Zustand nichts mehr braucht als
Hilfe und Rettung.
Nirgends steht, dass
der unter die Räuber Gefallene ein besonders
liebenswerter Mensch war.
Es gibt Menschen, die
sind gar nicht sympathisch, ja geradezu
unausstehlich.
Es wird nicht einmal
erwähnt, ob der Überfallene, Ausgeraubte,
Schwerverletzte, dem Hilfe zuteilwurde, sich bedankt
hat.
Seine menschlichen
Eigenschaften stehen für Jesus nicht im Vordergrund.
Nur das ist von
Bedeutung, dass er ein Mensch war, der aus eigener
Kraft nicht mehr hoch- und davonkam.
Und nirgends steht,
dass der Samariter begeistert war, als er den
Hilflosen sah.
Er war ja unterwegs.
Er hatte etwas vor. Er wollte auch ein Ziel
erreichen.
Dass er jetzt
aufgehalten wurde, sich um einen anderen kümmern
musste, kam ihm durchaus quer.
Das war ihm
wahrscheinlich gar nicht recht. Das kostete Zeit –
und wie sich dann herausstellte – auch Geld.
Vielleicht hat er
sich sogar geärgert, hat bei sich gedacht:
So ein Mist! Dass das
ausgerechnet mir wieder passiert! Wäre ich doch zwei
Stunden früher gekommen, dann hätte er noch nicht
dagelegen (aber vielleicht er selber?), oder zwei
Stunden später, dann hätte sich jemand anders um
diesen da kümmern müssen (aber vielleicht wäre dann
alle Hilfe zu spät gekommen?).
Auch dieses Mannes
Empfindungen stehen nicht im Vordergrund.
Für Jesus ist an ihm
wichtig, wie er reagiert, dass er reagiert auf das,
was ihm begegnet, was er sieht, in dem Moment, wo er
zufällig des Weges kommt und auf einen stößt, der
ohne eigene Schuld grausam zugerichtet wurde.
Die Frage Jesu am
Schluss des Gleichnisses klingt unerwartet.
Der
Gesetzeslehrer wollte wissen:
„Wer ist mein Nächster?“
Jesus formt die
Frage um und sagt: „Wer von
den Dreien hat sich als Nächster dessen erwiesen,
der von den Räubern überfallen wurde?“
Mit anderen
Worten: Für Jesus geht es nicht darum den „Nächsten“
zu definieren und theoretisch darüber zu
diskutieren, sondern im entscheidenden Augenblick
selber Nächster zu sein und als Nächster zu handeln.
Das „Handeln“ steht im Vordergrund.
„Handle so wie der Samariter
gehandelt hat und du wirst leben!“
Die christliche
Tradition hat sehr früh den Samariter mit Jesus
identifiziert. Das hat einen guten Sinn.
Immer wieder lesen
wir von Jesus, dass er Mitleid hatte mit Kranken und
Leidenden, dass er sich – wie auf unserem Bild –
hinabbeugte, sie berührte und aufrichtete.
So kniet Jesus vor
uns als Heiland aller Menschen, als der „Nächste
schlechthin“, der jedem nahe ist, der seine Hilfe
braucht, der uns geliebt und sich für uns hingegeben
hat.
Und er kniet vor uns
als unser Lehrer und Meister, der uns zeigt, was
Liebe ist, der uns beibringt, wann und wie man
Barmherzigkeit praktisch lebt und konkrete Liebe
übt.
Und er sagt uns: Lass
dich einfach von der Not anderer ansprechen! Lass
dich von ihrem Leid berühren! Hab Mitleid mit denen,
die ganz unten sind, am Ende und die von allein
nicht mehr hochkommen! Hilf, wo Hilfe nötig ist!
Schau über die beiden herzlosen Kirchenmänner im
Vordergrund hinweg! Hefte deinen Blick auf den
Samariter, auf mich, Christus! Und dann geh und
handle genauso! |