Exerzitien mit P. Pius

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"Halt an! Wo läufst du hin?"

(Bildmeditation zu einer Lithografie von Max Hunziger) 

Ein wohl Älterer in der Bildhälfte begegnet einem Jüngeren, der vom rechten Bildrand kommt.

 

Der Ältere trägt ein dunkles Gewand mit roten Sternen darauf. Der Weg des Mannes im Sterngewand ist zielgerichtet. Der Zeigefinger seiner rechten Hand weist die Richtung.

Hat er es eilig? Stürmt er voran? Der Halskragen seines Gewandes ist aufgerichtet.

 

Eine jüngere Gestalt beugt sich von rechts bzw. von oben dem Älteren entgegen. Sie kommt aus dem Unsichtbaren. Ist es vielleicht ein Engel?

 

Diese Gestalt unterfängt (mit der rechten Hand) die Zielstrebigkeit des Vorwärtseilenden. Zugleich legt er seine linke Hand auf die Schulter des Älteren: ein erster Berührungskreis.

Der Kopf des Jüngeren neigt sich auf die Stirn des Älteren. Sacht wird dessen Vorwärtsbewegung abgebremst. Ein zweiter Berührungskreis.

 

Eine Brücke, über den Händen unten führt über einen Fluss und verbindet Ufer mit Ufer. Sie unterstreicht die Bewegung der sich Begegnenden. Im Hintergrund links eine Stadt, Türme und Häuser.

 

Der Ältere wendet der Stadt (der Welt?) den Rücken zu. Hat er genug davon? Flieht er? Sucht er sein Glück anderswo? Was treibt ihn so vorwärts? Wo will er hin? Was ist sein Ziel?

 

Das Auge des Mannes ist weit aufgetan. Aber Auge und Antlitz sind nicht nach außen gerichtet. Er ist wie in sich gekehrt, wie in Gedanken versunken.

 

Nimmt er den Engel wahr? Es ist kein Blickkontakt, aber Berührung! Spürbar. Und ein Innehalten. Die Hand scheint noch zu sagen: Ich will, ich muss dorthin. Aber schon ist er nicht mehr so sicher. Weg und Ziel sind ihm zur Frage geworden.

 

Von großer Stille ist die Bewegung des Engels, der die Stirn des Mannes mit seiner Stirn zart berührt. Fest ist die linke Hand auf die vorwärtseilende Schulter des Mannes gelegt und gebietet: Langsam! Halt an!

Das Antlitz des Engels ist ganz in sich gekehrt, ganz versunken, ganz innerlich. Darum sind die Gebärden so vielsagend, mächtig, den anderen bezwingend.

 

Die rechte Hand des Engels stellt sich nicht direkt der Hand des Mannes entgegen. Sie ist wie aufnehmend, nicht Widerstand, sondern behutsames Hinweisen auf das „In dir“.

 

Oder ist es gar kein Engel? Ist es die wahre Seele dieses Menschen, sein wahres Selbst, der Seelengrund, der sich erinnert, vom Künstler als Gestalt aus dem Unsichtbaren kommend dargestellt?

 

Ist dieser Mann in der Gefahr, ins Äußere zu laufen und sich selbst zu verlieren? Und sein Glück, seinen Himmel? Ist er in Gefahr, auch den nicht zu spüren und zu verfehlen, der ihm näher ist als er sich selbst?

Beginnt er, in diesem Moment – so angerührt - sich zu besinnen, sich zu erinnern, zu lauschen und in sich hinein zu horchen?

 

Etwas leuchtet in diesem Antlitz, aus der Seele dieses Mannes.

Hildegard von Bingen sagt: „Der Seele Leuchten ist das Sehnen.“

Eine Ahnung ist aufgekommen in dieser Seele. Sie ist angerührt.

Ein großer Augenblick im Leben dieses Menschen. Und vielleicht, wenn er wirklich fühlig ist und nicht abgestumpft und tatsächlich innehält, Einkehr hält, sich be-sinnt, um-sinnt, da mag der Augenblick kommen, wo er erkennt, was auch Augustinus nach langem Suchen und Fragen, nach vielen Umwegen und Irrwegen aufgegangen und eingeleuchtet ist: „Spät habe ich dich geliebt, spät... Siehe, du warst drinnen und ich war draußen. Und dort draußen suchte ich dich. Du warst mit mir und ich war nicht bei dir. Du hast gerufen und meine Taubheit mir zerrissen. Ich habe dich gekostet und ich hungere und dürste. Du hast mich angerührt. Da bin ich entbrannt nach deinem Frieden.“

 

Unter dem Bild steht - aus dem Cherubinischen Wandersmann von Angelus Silesius – der Vers, zu dem Max Hunziker dieses Bild gemalt hat. Er lautet:

„Halt an, wo läufst du hin. Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo. Du fehlst ihn für und für.“

 

„Halt an, wo läufst du hin?“ Deine Bestimmung, deinen Himmel, wo suchst du ihn? Wo Gott? Er ist nicht „anderswo“. Er ist in dir! Suche Gott in dir!

 

Mag es auch uns geschehen, dass wir nicht taub sind und fühllos und abgestumpft,  sondern spürig und fühlig, achtsam und aufmerksam für die leisen Impulse und Lebenszeichen Gottes.

Mag es auch uns geschehen, dass sich aus dem un­endlichen Himmel Gottes eine Hand entgegenstreckt, uns sachte bremst und stoppt, wenn wir nur noch im „Draußen“ sind, dass eine Stirn uns sanft berührt, wenn wir uns zu verlieren drohen.

Mag es auch uns geschehen, dass der gesternte Himmel – wie auf dem Bild – ein wenig seinen Glanz zurücknimmt, sich sozusagen verkleidet, damit das Licht in uns zu strahlen beginnt und der Himmel in uns mit seinen Sternen zum Leuchten kommt.

 

Ohne Zeiten

des Innehaltens und Verweilens

werde ich kaum

die Impulse wahrnehmen können,

die mein Leben weiterbringen.

 

Ohne Zeiten

der Einsamkeit, des Schweigens und der Stille können diese Impulse

nicht die Kraft über mich gewinnen,

die ich brauche,

um möglicherweise einen Weg einzuschlagen,

den ich noch nicht gegangen bin.

 

Ohne dieses Zeiten

werde ich zu einem Menschen

ohne Geheimnis.

 

 

Besinnungsfragen

 

1. In welche Richtung bin ich unterwegs?

Wie heißt mein Ziel?

 

2. Wofür will ich leben?

Was wäre für mich erfülltes Leben?

Was steht dem im Weg?

 

3. Kenne ich auch ein Weglaufen - vor mir selbst?

 

4. Nehme ich die sanften, leisen Berührungen in meinem Leben wahr? Was macht es schwer?

 

5. Bin ich offen für die „Hand“, die sich mir entgegenstreckt? Was hindert mich?

 

6. Was ist meine Stimme in mir (der „Engel“)?

Was sagt sie mir? Vermag ich darin Lebenszeichen Gottes zu erkennen?

 

7. Was ist meine allerinnerste Berufung?

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