Ein
wohl Älterer in der Bildhälfte begegnet einem Jüngeren, der vom rechten
Bildrand kommt.
Der Ältere
trägt ein dunkles Gewand mit roten Sternen darauf. Der Weg des Mannes im
Sterngewand ist zielgerichtet. Der Zeigefinger seiner rechten Hand weist
die Richtung.
Hat er
es eilig? Stürmt er voran? Der Halskragen seines Gewandes ist
aufgerichtet.
Eine jüngere Gestalt
beugt sich von rechts bzw. von oben dem Älteren entgegen. Sie kommt aus
dem Unsichtbaren. Ist es vielleicht ein Engel?
Diese Gestalt unterfängt (mit der rechten Hand) die Zielstrebigkeit des
Vorwärtseilenden. Zugleich legt er seine linke Hand auf die Schulter des
Älteren: ein erster Berührungskreis.
Der Kopf des Jüngeren neigt sich auf die Stirn des Älteren. Sacht wird
dessen Vorwärtsbewegung abgebremst. Ein
zweiter Berührungskreis.
Eine
Brücke, über den Händen unten führt über einen Fluss und verbindet Ufer
mit Ufer. Sie unterstreicht die Bewegung der sich Begegnenden. Im
Hintergrund links eine Stadt, Türme und Häuser.
Der Ältere wendet der
Stadt (der Welt?) den Rücken zu. Hat er genug davon? Flieht er? Sucht er
sein Glück anderswo? Was treibt ihn so vorwärts? Wo will er hin? Was ist
sein Ziel?
Das
Auge des Mannes ist weit aufgetan. Aber Auge und Antlitz sind nicht nach
außen gerichtet. Er ist wie in sich gekehrt, wie in Gedanken versunken.
Nimmt
er den Engel wahr? Es ist kein Blickkontakt,
aber Berührung! Spürbar. Und ein Innehalten.
Die
Hand scheint noch zu sagen: Ich will, ich muss dorthin. Aber schon ist
er nicht mehr so sicher. Weg und Ziel sind ihm zur Frage geworden.
Von
großer Stille ist die Bewegung des Engels, der die Stirn des Mannes mit
seiner Stirn zart berührt.
Fest ist die linke
Hand auf die vorwärtseilende Schulter des Mannes gelegt und gebietet:
Langsam! Halt an!
Das
Antlitz des Engels ist ganz in sich gekehrt, ganz versunken, ganz
innerlich. Darum sind die Gebärden so vielsagend, mächtig, den anderen
bezwingend.
Die
rechte Hand des Engels stellt sich nicht direkt der Hand des Mannes
entgegen. Sie ist wie aufnehmend, nicht Widerstand, sondern behutsames
Hinweisen auf das „In dir“.
Oder
ist es gar kein Engel? Ist es die wahre Seele dieses Menschen, sein
wahres Selbst, der Seelengrund, der sich erinnert, vom Künstler als
Gestalt aus dem Unsichtbaren kommend dargestellt?
Ist
dieser Mann in der Gefahr, ins Äußere zu laufen und sich selbst zu
verlieren? Und sein Glück, seinen Himmel? Ist er in Gefahr, auch den
nicht zu spüren und zu verfehlen, der ihm näher ist als er sich selbst?
Beginnt er, in diesem Moment – so angerührt - sich zu besinnen, sich zu
erinnern, zu lauschen und in sich hinein zu horchen?
Etwas
leuchtet in diesem Antlitz, aus der Seele dieses Mannes.
Hildegard von Bingen sagt: „Der Seele Leuchten ist das Sehnen.“
Eine
Ahnung ist aufgekommen in dieser Seele. Sie ist angerührt.
Ein
großer Augenblick im Leben dieses Menschen. Und vielleicht, wenn er
wirklich fühlig ist und nicht abgestumpft und tatsächlich innehält,
Einkehr hält, sich be-sinnt, um-sinnt, da mag der Augenblick kommen, wo
er erkennt, was auch Augustinus nach langem Suchen und Fragen, nach
vielen Umwegen und Irrwegen aufgegangen und eingeleuchtet ist:
„Spät habe ich dich geliebt, spät... Siehe, du warst drinnen und ich war
draußen. Und dort draußen suchte ich dich. Du warst mit mir und ich war
nicht bei dir. Du hast gerufen und meine Taubheit mir zerrissen. Ich
habe dich gekostet und ich hungere und dürste. Du hast mich angerührt.
Da bin ich entbrannt nach deinem Frieden.“
Unter
dem Bild steht - aus dem Cherubinischen Wandersmann von Angelus Silesius
– der Vers, zu dem Max Hunziker dieses Bild gemalt hat. Er lautet:
„Halt an, wo läufst du
hin. Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo. Du fehlst ihn für
und für.“
„Halt an, wo läufst du hin?“
Deine Bestimmung, deinen Himmel, wo suchst du ihn? Wo Gott? Er ist nicht
„anderswo“. Er ist in dir! Suche Gott in dir!
Mag es
auch uns geschehen, dass wir nicht taub sind und fühllos und
abgestumpft, sondern spürig und fühlig, achtsam und aufmerksam für die
leisen Impulse und Lebenszeichen Gottes.
Mag es
auch uns geschehen, dass sich aus dem unendlichen Himmel Gottes eine
Hand entgegenstreckt, uns sachte bremst und stoppt, wenn wir nur noch im
„Draußen“ sind, dass eine Stirn uns sanft berührt, wenn wir uns zu
verlieren drohen.
Mag es
auch uns geschehen, dass der gesternte Himmel – wie auf dem Bild – ein
wenig seinen Glanz zurücknimmt, sich sozusagen verkleidet, damit das
Licht in uns zu strahlen beginnt und der Himmel in uns mit seinen
Sternen zum Leuchten kommt.
Ohne
Zeiten
des Innehaltens und Verweilens
werde
ich kaum
die
Impulse wahrnehmen können,
die
mein Leben weiterbringen.
Ohne
Zeiten
der
Einsamkeit, des Schweigens und der Stille können diese Impulse
nicht
die Kraft über mich gewinnen,
die
ich brauche,
um
möglicherweise einen Weg einzuschlagen,
den
ich noch nicht gegangen bin.
Ohne
dieses Zeiten
werde
ich zu einem Menschen
ohne
Geheimnis.
Besinnungsfragen
1. In welche Richtung
bin ich unterwegs?
Wie
heißt mein Ziel?
2.
Wofür will ich leben?
Was wäre für mich erfülltes Leben?
Was steht dem im Weg?
3. Kenne ich auch ein Weglaufen - vor mir selbst?
4. Nehme ich die sanften, leisen Berührungen in meinem Leben wahr? Was
macht es schwer?
5. Bin
ich offen für die „Hand“, die sich mir entgegenstreckt? Was hindert
mich?
6. Was
ist meine Stimme in mir (der „Engel“)?
Was
sagt sie mir? Vermag ich darin Lebenszeichen Gottes zu erkennen?
7. Was
ist meine allerinnerste Berufung?
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