„Ruhe auf der Flucht“. Diesen
Titel hat die Skulptur von Ernst Barlach. Wer das jedoch nicht weiß,
sieht einen
Mann,
der einen Mantel über eine Frau mit einem Kind auf dem Schoß ausbreitet.
Dieser Mann ist der heilige Josef. „Josef mit dem Schutzmantel“,
so könnte der Titel dieser Skulptur auch lauten.
Wir kennen sonst Bilder von Maria, die
ihren Mantel weitmacht, ihn ausbreitet und Schutzsuchenden darunter
Zuflucht und Sicherheit gewährt: die Schutzmantel-Madonna. Bei Maria
flüchten sich Frauen und Männer, Kinder und Greise, Bettler, Bürger und
Adlige, Kleriker und Laien unter ihren Mantel und suchen Schutz und
Geborgenheit. Hier bei Josef sind es nur die Mutter und das Kind, Maria
und Jesus.
Ein außergewöhnliches Bild, aber ein
anrührendes. Es bringt die väterliche Fürsorge des Josef zum Ausdruck.
Mit beiden Füßen steht er auf dem Boden. Schwung- und kraftvoll, in
hohem Bogen und behutsam zugleich legt er einen Mantel um die sitzende
Maria und das Kind, das sie in ihren Armen hält. Er deckt sie liebevoll
zu. Der Schutzmantel als Schutzdach. Mutter und Kind sollen sich sicher
und behütet fühlen. Das Gesicht des Josef zeigt Hingabe, Willenskraft
und Entschlossenheit. Josef: ein umsichtiger und zugleich vorsichtiger
Mann. – Und das
alles
nicht zu Hause im trauten Heim, sondern auf der Flucht. Auf der Flucht
vor Machthabern und Mördern. Ruhe auf der Flucht. Eine wohltuende
Verschnaufpause.
Von fern betrachtet, erinnert die ganze
Gruppe an ein Herz. Die drei sind ein Herz und eine Seele. Eine
Liebesgemeinschaft, nicht nur eine Schicksalsgemeinschaft. Ein Ort des
Vertrauens und der Geborgenheit.
Interessant: Josef trägt die Züge des
Künstlers dieser Plastik: Ernst Barlach. Er, der selbst in tyrannischer
Zeit von den Nazis verfolgt und dessen Lebenswerk von ihnen verfemt
wurde, hat sich möglicherweise in Josef als Hüter und Bewahrer (des
Glaubens und der Menschlichkeit) wiedergesehen.
Maria ist jugendlich dargestellt, zart,
mit langen Haaren, ruhig und
gesammelt,
die Augen fast verschlossen dem schlafenden Kind in ihrem Schoß
zugewandt. Liebevoll umschließt sie mit beiden Händen den winzigen
Säugling. Ihre nackten Brüste zeigen, dass sie das Kind soeben gestillt
hat. So wird dem Kind durch Vater und Mutter doppelter Schutz und
vermehrte Zuwendung zuteil.
Wenn man das Kind so sieht, die Ärmchen
überkreuzt und die Beinchen ausgestreckt, kann einem ein anderes Bild in
den Sinn kommen: die Pieta. Der tote Jesu, wundenübersät auf dem Schoß
seiner Mutter, von ihr betrauert und beweint. Hier noch geborgen im
Schoß der Mutter. Am Ende begraben im Schoß der Erde.
Auffällig die nackten Füße von Josef und
Maria. Sind sie äußerliches Zeichen ihrer
Armut
und Bedürftigkeit? Oder Hinweis auf ihre Demut? Aber vielleicht gehört
es zu einer Pause beim Unterwegssein einfach auch einmal dazu, die
Schuhe auszuziehen und auch den strapazierten Füßen Erfrischung und
Erholung zu gönnen.
Für dieses Kind jedenfalls gilt: „Er
war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt
erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn
nicht auf“ (Joh 1, 10 - 11). Am Anfang Verfolgung und Flucht, am
Ende die Vernichtung!
Auf unserem Bild ist für einen Augenblick
Ruhe, Pause. Atempause. – Trotz aller Widerwärtigkeiten und
Feindseligkeiten, denen die drei ausgesetzt sind, ist hier so etwas wie
Harmonie, Geborgenheit und Frieden zu spüren. Liebe zueinander und
Verantwortung füreinander. Gehalten und getragen vom Vertrauen in Gottes
Nähe, seine Führung und seinen Schutz.
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