Exerzitien mit P. Pius

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Ruhe auf der Flucht

Meditation zu einer Bronzeskulptur von Ernst Barlach, 1924

„Ruhe auf der Flucht“. Diesen Titel hat die Skulptur von Ernst Barlach. Wer das jedoch nicht weiß, sieht einen Mann, der einen Mantel über eine Frau mit einem Kind auf dem Schoß ausbreitet. Dieser Mann ist der heilige Josef. „Josef mit dem Schutzmantel“, so könnte der Titel dieser Skulptur auch lauten.

 

Wir kennen sonst Bilder von Maria, die ihren Mantel weitmacht, ihn ausbreitet und Schutzsuchenden darunter Zuflucht und Sicherheit gewährt: die Schutzmantel-Madonna. Bei Maria flüchten sich Frauen und Männer, Kinder und Greise, Bettler, Bürger und Adlige, Kleriker und Laien unter ihren Mantel und suchen Schutz und Geborgenheit. Hier bei Josef sind es nur die Mutter und das Kind, Maria und Jesus.

 

Ein außergewöhnliches Bild, aber ein anrührendes. Es bringt die väterliche Fürsorge des Josef zum Ausdruck. Mit beiden Füßen steht er auf dem Boden. Schwung- und kraftvoll, in hohem Bogen und behutsam zugleich legt er einen Mantel um die sitzende Maria und das Kind, das sie in ihren Armen hält. Er deckt sie liebevoll zu. Der Schutzmantel als Schutzdach. Mutter und Kind sollen sich sicher und behütet fühlen. Das Gesicht des Josef zeigt Hingabe, Willenskraft und Entschlossenheit. Josef: ein umsichtiger und zugleich vorsichtiger Mann. – Und das alles nicht zu Hause im trauten Heim, sondern auf der Flucht. Auf der Flucht vor Machthabern und Mördern. Ruhe auf der Flucht. Eine wohltuende Verschnaufpause.

 

Von fern betrachtet, erinnert die ganze Gruppe an ein Herz. Die drei sind ein Herz und eine Seele. Eine Liebesgemeinschaft, nicht nur eine Schicksalsgemeinschaft. Ein Ort des Vertrauens und der Geborgenheit.

 

Interessant: Josef trägt die Züge des Künstlers dieser Plastik: Ernst Barlach. Er, der selbst in tyrannischer Zeit von den Nazis verfolgt und dessen Lebenswerk von ihnen verfemt wurde, hat sich möglicherweise in Josef als Hüter und Bewahrer (des Glaubens und der Menschlichkeit) wiedergesehen.

 

Maria ist jugendlich dargestellt, zart, mit langen Haaren, ruhig und gesammelt, die Augen fast verschlossen dem schlafenden Kind in ihrem Schoß zugewandt. Liebevoll umschließt sie mit beiden Händen den winzigen Säugling. Ihre nackten Brüste zeigen, dass sie das Kind soeben gestillt hat. So wird dem Kind durch Vater und Mutter doppelter Schutz und vermehrte Zuwendung zuteil.

 

Wenn man das Kind so sieht, die Ärmchen überkreuzt und die Beinchen ausgestreckt, kann einem ein anderes Bild in den Sinn kommen: die Pieta. Der tote Jesu, wundenübersät auf dem Schoß seiner Mutter, von ihr betrauert und beweint. Hier noch geborgen im Schoß der Mutter. Am Ende begraben im Schoß der Erde.

 

Auffällig die nackten Füße von Josef und Maria. Sind sie äußerliches Zeichen ihrer Armut und Bedürftigkeit? Oder Hinweis auf ihre Demut? Aber vielleicht gehört es zu einer Pause beim Unterwegssein einfach auch einmal dazu, die Schuhe auszuziehen und auch den strapazierten Füßen Erfrischung und Erholung zu gönnen.

 

Für dieses Kind jedenfalls gilt: „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 10 - 11). Am Anfang Verfolgung und Flucht, am Ende die Vernichtung!

 

Auf unserem Bild ist für einen Augenblick Ruhe, Pause. Atempause. – Trotz aller Widerwärtigkeiten und Feindseligkeiten, denen die drei ausgesetzt sind, ist hier so etwas wie Harmonie, Geborgenheit und Frieden zu spüren. Liebe zueinander und Verantwortung füreinander. Gehalten und getragen vom Vertrauen in Gottes Nähe, seine Führung und seinen Schutz.

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