Bei diesem Engel handelt es sich um eine
Skulptur im gotischen Stil, entstanden um 1250. Sie befindet sich am
der
Westfassade der Kathedrale von Reims, in der im Mittelalter viele
französische Herrscher zu Königen gekrönt wurden.
Was zunächst auffällt an dem Engel:
Er zeigt ein leichtes, heiteres Lächeln. Dieser lächelnde Engel ist Teil
eines Ensembles aus drei überlebensgroßen Figuren: Je ein Engel zur
Rechten und Linken begleiten eine männliche Figur in langem Gewand, der
die Schädeldecke fehlt. Um wen es sich dabei handelt ist ungewiss,
wahrscheinlich um einen früh-christlichen Märtyrer-Bischof.
Der lächelnde Engel steht zur Linken des
Mannes und wendet ihm nach rechts hin sein Gesicht zu. Sein Umhang ist
über der Brust mit einer Brosche zusammengehalten. Die rechte Hand ist
erhoben und hat wohl einst einen Gegenstand gehalten. Die linke Hand ist
verloren. Zwei weitausgebreitete Flügel entspringen am Rücken des
Engels.
Ein Zweites fällt auf an diesem Engel
von Reims: Seine
Wunden,
seine Narben. Die rechte Hand fehlt ganz, die Finger der anderen sind
zerstückelt.
Nicht nur der Zahn der Zeit hat über
Jahrhunderte an der Figur genagt, vor allem hat am Beginn des Ersten
Weltkrieges ein heftiger Artilleriebeschuss der Deutschen die
weltberühmte Kathedrale heimgesucht und auch diese Engelsfigur schwer
beschädigt. Sie fiel von etwa 4,50 m Höhe in die Tiefe und zerbarst beim
Aufprall in mehrere Teile. Der Kopf des Engels wurde abgeschlagen.
Abbildungen des lächelnden Engels vor und nach der Beschädigung
verbreiteten sich. Die zerstörte Skulptur wurde zur Ikone der
kriegerischen Verwüstung und als Kriegspropaganda gegen die deutsche
Barbarei genutzt.
Die Fragmente der
Fassadenskulpturen wurden am Tag nach der Zerstörung in Sicherheit
gebracht. 1915 fand man unter den angesammelten Trümmern den Kopf des
Engels. Teile davon blieben jedoch endgültig verloren. 1925 begann die
Restaurierung. Das Gesicht wurde nach einem – vor dem Krieg entstandenen
– Gipsabguss ergänzt und wiederhergestellt. Im Februar 1926 erhielt der
Engel seinen Kopf zurück.
Aber das Erstaunliche an diesem Engel:
ER LÄCHELT
Er lächelt allen Verletzungen und
Verwundungen zum Trotz. Er lächelt den
Beschauer
und Betrachter an. (Vielleicht hat dieser auch seine Verletzungen und
Verwundungen!) – Und er lächelt in die Zeit hinein – in die Gegenwart
und Zukunft. (Und die erscheinen ja auch nicht immer rosig, sondern oft
krisenhaft, düster, trostlos, voll von Unglück, Gewalt und Zerstörung.)
Der lächelnde Engel von Reims. Was
hat er nicht schon alles erlebt, wieviel hat er mitgemacht! ABER ER
LÄCHELT. Welch ein Signal der Zuversicht, des Trostes und der
Ermutigung!
Lächeln steckt an. Die Menschen,
die diesen Engel aufmerksam betrachten, fangen auf einmal selbst an zu
lächeln. Probieren Sie es einmal aus! Einer lächelt dem andern zu.
Von Schülern und Schülerinnen einer
achten Klasse habe ich gelesen, dass sie die Menschen in ihrer Stadt
einmal in ihrem Alltag ganz bewusst wahrnehmen und beobachten sollten …
auf der Straße, … am Bahnhof, … an der Bushaltestelle … - Auf die Frage,
was ihnen aufgefallen sei, meinten sie: „Wir haben niemand lachen
sehen …“ Alle waren so richtig angespannt, verspannt, ernst, viele
in Eile, manche auch gelangweilt.
Haben wir nichts mehr zu lachen?
Haben wir das Lachen verlernt?
Oder ist es uns vergangen?
Die Probleme, Sorgen und Nöte
müssen zahlreich und niederdrückend sein, sieht man die bekümmerten
Gesichter der Menschen. Viele scheinen dauernd unterwegs zu sein, zu
etwas, zu jemand, haben viel zu viel „im Kopf“ und darum „am Hals“.
Oft genügt ein kleines Lächeln, und das
Eis der Gleichgültigkeit zerbricht, Kummer und Ärger schwinden, Hoffnung
keimt, Der lächelnde Engel von Reims beweist es jeden Tag aufs Neue.
Warum lächelt er?
Was ist der Grund für seine Heiterkeit
und seine Freude?
Engel sind Boten und Diener Gottes.
Vielleicht lächelt der Engel von Reims, weil er eine – im wahrsten Sinn
des Wortes – gute Nachricht zu künden hat, eine Botschaft, die Rettung
und Heil verheißt? Die frohe Botschaft vom Kommen Gottes in diese Welt,
die tröstende Botschaft von Gottes rettender Nähe in der Ankunft seines
Sohnes, dem Immanuel, dem Gott-mit-uns.
Alfred Delp, der Jesuitenpater,
der am 2. Februar 1945 von den Nazis hingerichtet wurde, weil er sich
dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen hatte, berichtet von einem
Engel, den er von einem lieben Menschen im Advent 1941 geschenkt bekam.
In den Bombennächten in München wurde dieser Engel beschädigt. Aber
eines war noch heil, das Spruchband. Darauf stand: „Freut euch, denn
der Herr ist nahe!“ – Diese Botschaft hat Alfred Delp ins Gefängnis
begleitet.
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