Das Bild „Abendmahl“ von Emil Nolde (geb. 1867, gest.
1956) entstand im Jahr 1909. Es ist mit Ölfarben auf
Leinwand gemalt, 86 x 107 cm groß und befindet sich
im staatlichen Kunstmuseum in Kopenhagen.
Auf den ersten Blick
gefällt einem diese Bild nicht unbedingt.
Mir ist es jedenfalls
so gegangen. Es hat etwas Ungewöhnliches und
Befremdliches an sich, vor allem was die
grellgelben, grünlichen Gesichter betrifft. Keine
schönen Gesichter, eher kantig und grobschlächtig.
Als erstes fällt
einem Jesus ins Auge mit roten Haaren, mit seinem
hellen, nach innen gekehrten Gesicht, seinem
hellroten Gewandt und dem weißen Unterkleid – dem
einzigen Weiß auf dem Bild.
Um
ihn herum dicht an dicht, Gesicht an Gesicht die
Apostel.
Im ersten Band seiner
Lebenserinnerungen „Jahre der Kämpfe“ erzählt Nolde,
wie es zum Bild „Abendmahl“ kam:
„Mit dünnen
Bleistiftstrichen zeichnete ich hart und spitz
dreizehn Menschen auf ein Leinen hin, den Heiland
und seine zwölf Apostel, um einen Tisch sitzend in
der lauen Frühlingsnacht, in der Nacht bevor das
große Leiden Christi kam. Es waren die Stunden,
während denen Christus sich in seinen großen
Erlösergedanken den geliebten Jüngern offenbarte.
Einem
unwiderstehlichen Verlangen nach Darstellung von
tiefer Geistigkeit, Religion und Innigkeit war ich
gefolgt, doch ohne viel Wollen und Wissen und
Überlegung. – Fast erschrocken stand ich vor dem
aufgezeichneten Entwurf…Und nun sollte ich malen das
geheimnisvollste, tiefinnerlichste Geschehen der
christlichen Religion! – Ich malte und malte, kaum
wissend, ob es Tag oder Nacht sei, ob ich Mensch
oder nur Maler war. Falls ich am Bibelbuchstaben
oder am Dogma gebunden gewesen wäre, ich habe den
Glauben, dass ich dann dieses tiefsinnige Bild
„Abendmahl“ nicht hätte so stark malen können. Ich
musste künstlerisch frei sein, spürte Gott in mir,
heiß und heilig wie die Liebe Christi.“
Emil Nolde malte
dieses Bild auf Ruttebüll, einem Gehöft in
Westschleswig. Die Menschen, die bei Nolde um den
Tisch versammelt sind, sind Menschen wie sie der
Maler damals auf der Insel Alsen oder in der
Umgebung von Ruttebüll treffen konnte. Sie haben die
harten, kantigen, vom Schicksal gegerbten Gesichter
von Fischern und Bauern, die ein Leben lang Wind und
Wetter ausgesetzt waren.
Dicht drängen sich
die Apostel um einen grünen Tisch.
Manche sind
halbfigürlich dargestellt, von anderen sieht man nur
die Gesichter, die aber zum Teil auch nur
verschwommen zu erkennen sind. Die Apostel füllen
den gesamten Bildrahmen aus.
In der Mitte des
Bildes – hinter dem Tisch sitzend – ist Jesus zu
sehen. Er ist die einzige Person, die frontal
dargestellt ist. Sein Gesicht strahlt gelb und ist
leicht nach oben gewandt, die Augen sind
geschlossen. Mit den Händen, die auf dem Tisch
ruhen, hält er einen Kelch fest.
Um Jesus herum
scharen sich die zwölf Apostel. Ihre Gesichtszüge
wirken zumeist angespannt, ernst, eher verschlossen
als offen. Die Gesichter sind in einem Gelbgrün, das
sich zunehmend aufhellt, je näher die Jünger bei
Jesus sind.
Von der
Bildaufteilung her befindet sich der Großteil der
Gruppe – einschließlich Jesus – in der oberen
Bildhälfte, sozusagen hinten im Bild.
Im vorderen
Bildbereich sind nur drei Apostel zu sehen.
Einer davon, der
zweite von rechts im schwarzen Überwurf, wendet dem
Betrachter den Rücken zu. Von seinem Gesicht ist nur
Nase und Mund sichtbar, der Rest wird vom mächtigen
Haarschopf verdeckt.
Die drei lassen eine
Lücke zwischen sich. So wird der direkte Blick auf
Jesus ermöglicht. Trotz der Lücke wird der Kreis
nicht unterbrochen, weil die vorderen Apostel durch
bestimmte Handhaltungen miteinander verbunden sind
und auf diese Weise die räumliche Distanz
überwinden.
Der Apostel am linken
vorderen Bildrand wendet sich nach rechts in
Richtung der Zweiergruppe und reicht ihnen seinen
Arm entgegen.
Der in Rückansicht
gezeigte Apostel umschließt und hält diese zu ihm
ausgestreckte Hand mit seiner linken Hand.
Gleichzeitig wird ihm von seinem Gefährten rechts,
der ein rotes Gewandt trägt, die linke Hand auf die
Schulter gelegt.
Links in der oberen
Ecke, leicht zu übersehen, ist gerade noch der
Ausschnitt eines Gesichtes zu erkennen, das sich als
einziges von der Mahlszene abzuwenden scheint.
Handelt es sich um Judas?
Nur ein Auge ist zu
sehen, darüber eine Braue, der Ansatz von Nase,
Stirn und Wange. Mehr ist vom Verräter Christi nicht
dargestellt.
Nolde malt Jesus mit
geschlossenen Augen. Es ist als ob er schon nicht
mehr real da wäre, sondern schon unterwegs auf dem
Weg durch Leiden, Sterben und Auferstehen. Dieser
Christus wirkt wie entrückt, vergeistigt, verklärt,
schon fast im Jenseits?
Wie in einer Vision
sind die Augen geschlossen, schauen nach innen, nach
vorne, in die Zukunft, in die Ewigkeit?
Dieser Christus
leuchtet von innen heraus und wirkt so, als sei er
schon selbst zum Licht geworden.
Jesu Hände ergreifen
und umfassen fest den Kelch.
Aus
den Evangelien wissen wir, dass er darüber ein Dank-
und Segensgebet sprach und dann den Jüngern
weiterreichte mit den Worten: „Nehmt und trinkt alle daraus! Das
ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein
Blut, das für euch und für alle vergossen wird, zur
Vergebung der Sünden.“
Der Wein ist in der
Bibel ein uraltes, ausdruckstarkes Symbol: eine Gabe
Gottes, ein Lebens-mittel, ein Ausdruck der Freude
und des Miteinanders, ein Symbol für die Liebe
Gottes zu uns Menschen.
Bei Messfeiern in
kleineren Gruppen und auch am Gründonnerstag sind
wir eingeladen – wie die Jünger – den Kelch in
unsere Hand zu nehmen, ihn zum Mund zu führen, den
Wein auf der Zunge zu spüren, ihn zu schmecken und
zu trinken.
Die
Abendmahlsgemeinschaft – auch heute – versammelt
alle um einen Tisch. Alle essen von dem einen Brot,
alle trinken aus dem einen Kelch. Es geht dabei auch
um die Verbundenheit miteinander, um Versöhnung und
Frieden.
Emil Nolde hat diese
Nähe und Gemeinschaft auf dem Bild versucht zu
vermitteln: Die Jünger stehen ganz dicht gedrängt
(abgesehen von der Lücke vorne) um den Tisch, Körper
an Körper, fast Gesicht an Gesicht.
Viel Zuwendung ist
vor allem bei den drei Jüngern vorne ins Bild
gebracht, wo der eine ganz rechts im roten Gewand
sich seinem Nachbarn zudreht, sich fast an ihn
herandrängt und ihm den Arm um den Rücken und auf
die Schulter legt.
Welch eine Geste! Er
lässt den Nachbarn spüren: Ich bin da. Du bist nicht
allein, egal wie es dir geht. Ich bin bei dir. Ich
steh dir zur Seite.
Auch der Jünger im
grün-blau-dunklen Gewand links greift – wie wir
schon gesehen haben – mit langem, ja fast überlangem
Arm nach dem gleichen Jünger, greift nach dessen
linker Hand und lässt sich selbst von dieser Hand
umschließen, verbindet sich somit mit seinem
Nachbarn und überbrückt die Lücke, überwindet die
Distanz.
Noldes Bild fragt
mich: Wo bleibt mein Arm, meine Hand?
Wie kann ich Lücken,
Distanzierungen und Gräben überwinden?
Wo braucht jemand
Trost, Ermutigung, ein Zeichen der Hoffnung?
Wo ist vielleicht
auch eine Geste des Friedens und der Versöhnung
angesagt, notwendig, Not wendend?
Auch
bei unserer Feier des Abendmahles heute lädt uns der
Zelebrant, bevor wir die Kommunion empfangen, ein:
„Gebt einander ein Zeichen
und Wort des Friedens und der Versöhnung!“
Zum Schluss:
Wenn
ich dieses Bild von Emil Nolde so betrachte und auch
mit meinem inneren Auge, mit dem Herzen in mich
aufnehme, dann werde ich immer dankbarer: Im
Abendmahl gibt es nicht nur etwas verbal, nicht nur
Worte, die wir hören, aufnehmen und zu Herzen nehmen
sollen. Es gibt nicht nur etwas zu verstehen für den
Kopf, das Gehirn, den Verstand. Nein, hier gibt es
eine ganz praktische Hilfe zum Glauben, körperlich,
leib-haftig, spürbar, sichtbar, greifbar, zum
In-mich-Aufnehmen, zum Internalisieren, zum davon
Durchdrungen- und Erfüllterden. Ja, wir nehmen
Christus selbst in uns auf. Er gibt sich uns im Brot
des Lebens und im Kelch des Segens. „Du in mir – und ich in dir.“
Mit dem Apostel
Paulus können wir sagen:
„Nun lebe nicht mehr
ich, sondern Christus lebt in mir.“
Und so wahr und
wirklich wie ich Brot und Wein schmecke und in mich
aufnehme, genauso gewiss schenkt Gott mir im Zeichen
des Heils sein Erbarmen und seine verzeihende Liebe.
Gabe wird zu Aufgabe,
Sammlung zur Sendung:
Der Herr beauftragt,
ermutigt und befähigt mich, die Hand nach dem
Nachbarn, dem Bruder, der Schwester, nach dem
Hilfsbedürftigen und Notleidenden auszustrecken und
Lücken zu überwinden – zur Versöhnung, zum
Zusammenhalt und zu wirklicher Gemeinschaft.
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