Grünewald und Isenheim – das
ist ein Begriff.
Für das Antoniterkloster in Isenheim, 20 km
südlich von Colmar, schuf Mathias
Grünewald in den Jahren zwischen 1512 und 1516 den berühmten
Isenheimer
Altar, einen spätgotischen Flügelaltar. 1794 wurde er nach
Colmar gebracht, wo er sich heute im Museum Unterlinden
befindet.
Wenn der Altar verschlossen
ist, zeigt er in der Mitte ein Bild des Karfreitags.
Riesig ragt vor einer
dunklen, leeren Landschaft ein Kreuz auf, an das der
entstellte Leib Christi geschlagen ist.
Grünewald malt kein
Historienbild, keine Wiedergabe der Geschehnisse von Golgota,
sondern er malt Heilsgeschichte, Glaubensgeschichte.
Darum kann zur Rechten des
Kreuzes die mächtige, athletische Gestalt Johannes des
Täufers stehen, obwohl nach biblischer Überlieferung der
Vorläufer zum Zeitpunkt der Kreuzigung Christi bereits
enthauptet war.
Barfuss ist er dargestellt,
schriftkundig (das aufgeschlagene Alte Testament in der
linken Hand), im härenen, aber leuchtenden Gewand, fest
gegürtet, zu seinen Füßen das Opferlamm mit Kreuz und Kelch,
in den das Herzblut des Lammes fließt.
Mit ausgestrecktem Arm und
einer Hand, deren Zeigefinger expressiv verlängert ist,
weist der Wegbereiter hin auf den Gekreuzigten.
Auf dem Hintergrund hat der
Maler in lateinischer Sprache ein Wort des Täufers aus dem
Johannesevangelium geschrieben:
„Illum oportet crescere, me autem minui“ Im Deutschen wird es meistens wiedergegeben
mit: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“
(Joh 3, 30).
Dieses biblische Zitat
umschreibt das Selbstverständnis des Täufers, seine Sendung,
worin er seinen Auftrag sieht.
Die Evangelien schildern
Johannes als Vorläufer Jesu, als jemanden, der seine Aufgabe
darin sah, dem Herrn den Weg zu bereiten.
Johannes versteht sich selbst
als einen, der ganz auf den Messias ausgerichtet ist.
In der großen Gebärde des
Von-sich-weg-Weisens und auf Jesus Hinweisens offenbart sich
das Wesen des Täufers.
Er ist der letzte der
Propheten in der Zeit des Alten Bundes.
Er tritt auf am Ende der
langen Zeit des alttestamentlichen Advents, vor dem Kommen
des Messias, vor der Geburt Jesu Christi. Johannes steht an
der Schwelle vor einer Zeitenwende.
Der vorchristliche Advent ist
zu Ende. Christus ist da. Wir brauchen im Advent der
Geschichte bis zu seiner Wiederkunft auf keinen anderen zu
warten.
Man geht davon aus, dass
Grünewald in der Gestalt des Täufers auf dem Isenheimer
Passionsbild sich selbst dargestellt hat.
Der Bibelvers, welcher in
lateinischer Sprache hinter seiner Hand am nachtdunklen
Himmel aufleuchtet, gibt uns einen Hinweis, worin er als
Künstler seinen Auftrag sah: „Jener muss wachsen, ich
aber muss abnehmen“ (Joh 3, 30).
Meister Grünewald wollte, so
darf man annehmen, nichts sein als Fingerzeig auf seinen
Herrn, den Mensch gewordenen Gottessohn, der zum Heiland
aller wird, indem er die Schuld der Welt auf sich nimmt und
ans Kreuz trägt.
Es gibt Experten, die
behaupten, der überlange Finger Johannes des Täufers gehöre,
was seine Größe angeht, zum Körper Jesu. In dessen
Proportionen füge er sich genau ein.
Wenn das stimmt, wird dadurch
etwas sehr Tiefes gesagt:
Überall, wo Christus bezeugt
wird, überall, wo unsere Worte und unser Verhalten auf ihn
hinweisen, ist er selbst gegenwärtig.
Der große Theologe Hans Urs
von Balthasar hat von sich gesagt, sein Werk solle nichts
anderes sein als ein Johannesfinger, der auf Christus
hinweist.
Auf Christus zeigen in Wort
und Tat, wie Johannes der Täufer, das ist die Berufung jedes
Christen.
Interessant ist auch noch,
dass der Tag der Geburt Christi der kürzeste und dunkelste
Tag des Jahres ist. Ab dann werden die Tage wieder länger
und das Licht „wächst“.
Der Tag der Geburt Johannes
des Täufers, der 24. Juni, gilt als einer der längsten Tage
im Jahr. Ab diesem Zeitpunkt „nimmt“ das Licht langsam
wieder „ab“.
„Jener muss wachsen, ich aber
abnehmen.“ |