VORBEMERKUNG
Rogier van der Weyden, 1399
oder 1400 in Tournai geboren und 1464 in Brüssel gestorben,
gehört zu den großen Meistern der niederländischen Kunst.
Bei dem Gemälde „die
Anbetung der Könige“ handelt es sich um den Mittelteil
des Columba-Altares, der seinen Namen von seinem
Herkunftsort hat, der Kirche St. Columba in Köln.
Dort, ganz in der Nähe des
Domes, wo seit dem 12. Jahrhundert die Reliquien der Heiligen Drei
Könige aufbewahrt und verehrt werden, befand sich das
Altarbild bis zur Säkularisation am Beginn des 19.
Jahrhunderts. Heute wird es als eine der Hauptattraktionen
in der Alten Pinakothek in München gezeigt.
Beim Columba-Altar handelt es
sich um ein Triptychon.
Auf dem linken Flügel ist die
Verkündigung an Maria zu sehen.
Rechts ist die Darbringung
Jesu im Tempel dargestellt.
Die Mitteltafel zeigt die
Anbetung der Könige, weswegen der Columba-Altar auch oft als
„Dreikönigsaltar“ bezeichnet wird.
Die strahlende Farbigkeit,
die mikroskopisch genaue Erfassung der Details, der tiefe
Ernst, den die Figuren ausstrahlen, hat bereits Goethe
beeindruckt, als er das Werk 1814 und 1815 in Heidelberg
besichtigte. Lange saß er schweigend davor.
Damals (bis 1841) hat man den
Columba-Altar allerdings noch für ein Werk von Jan van Eyck
gehalten. „Da habe ich in meinem Leben viele Verse
gemacht, darunter sind ein paar gute und viele mittelmäßige,
da macht der Eyck ein solches Bild, das mehr wert ist, als
alles, was ich gemacht habe.“ Der hochverehrte und viel
bewunderte Dichterfürst wurde selbst zum Bewunderer.
Die ungeheure Genauigkeit,
mit der Gegenstände und Menschen, Natur und Architektur
erfasst und wirklichkeitsgetreu dargestellt werden, war in
der Malerei des 15. Jahrhunderts ein entscheidender
Fortschritt und ermöglichte den Betrachtern die Erfahrung,
Bild und Wirklichkeit miteinander zu verbinden und die
dargestellte Geschichte als „wirklich“ zu erleben und
nachzuvollziehen.
BILDBETRACHTUNG UND
THEOLOGISCHE DEUTUNG
In der Mitte sehen wir
Maria.
Sie (die
einzige Frau auf dem Bild) ist gehüllt in ein Gewand
tiefblau wie der Nachthimmel. Am Kopf schaut ein weißer
Schleier hervor. (Blau ist die Farbe der Treue und des
Vertrauens, weiß die Farbe der Reinheit und der Unschuld).
Maria sitzt, ja thront
(Maria: Sitz der Weisheit) und hält das nackte Kind auf dem
Arm. Ihre linke Hand weist demutsvoll auf ihre Brust. Eine
Geste, die daran erinnern mag, dass sie all die Worte und
Geschehnisse in ihrem Herzen bedachte und erwägte, ja, dass
sie das Wort, das nun Fleisch geworden ist, selbst unter
ihrem Herzen getragen, es aufgenommen und angenommen hat.
Maria hat gläubig ja gesagt. Nun zeigt sie uns Jesus, die
gebenedeite Frucht ihre Leibes.
Nur diese beiden, die Mutter
und das Kind, haben einen Nimbus von goldenen Strahlen um
ihr Haupt.
Links steht Josef im
roten Gewand. Er wirkt ruhig und gelassen.
Er ist – wie so oft – als
älterer Mann dargestellt. In den Händen hält er Stab und
Hut.
Wo schaut er hin? Macht er
sich seine Gedanken?
Muss ihm das, was sich hier
vor seinen Augen abspielt, nicht verwundern?
Aber er tut, was Gott ihm
sagt. Er geht, wohin Gott ihn schickt.
Josef hört, horcht und
gehorcht, auch wenn er nicht alles begreift und vieles für
ihn geheimnisvoll bleibt.
Von rechts kommen die
prächtig gekleideten „Könige“.
Keiner
aber hat eine Krone auf. Sie stellen drei verschiedene
Lebensalter dar, oft auch verschiedene Weltgegenden.
Hier auf dem Bild sind es
Herrscher der damaligen Zeit.
Der König in der Mitte trägt
die Gesichtszüge des burgundischen Herzog Philipp des Guten
(+ 1467), der junge König rechts im Bild das Antlitz von
dessen Sohn, Karl dem Kühnen (+ 1477).
Beim König auf der linken
Seite handelt es sich wohl um den burgundischen Herzog
Johann Ohnefurcht, der im Jahr 1419 ermordet wurde.
Ihre Kleidung entspricht der
prunkvollen burgundischen Hoftracht des 15. Jahrhunderts.
Alle tragen das Feinste vom Feinen.
Kräftig schillernde Farben,
schönste Brokatstoffe und Accessoire wie prunkvolle Gürtel,
kostbare Schwerter und ausgefallene Kopfbedeckungen
demonstrieren Macht und Reichtum.
Durch einen Torbogen drängen
sich weitere Besucher.
Oder
sind es Neugierige, Zuschauer? Sie scheinen zu zögern.
Manche schauen eher fragend und skeptisch drein. Einer davon
trägt einen Turban. Es ist als würden sie sich nicht trauen,
ganz einzutreten (um im wahrsten Sinne des Wortes im Bild zu
sein).
Durch ein kleines Fenster
über dem Kopf des zweiten Königs wird eine ganze
Prozession von Menschen in unterschiedlicher
Kleidung und Hautfarbe erkennbar. Sie „stehen Schlange“ an
der Krippe. Und am Torbogen bildet sich ein „Stau“.
Die Szene erinnert an die
prophetische Weissagung von der „Völkerwallfahrt“:
„Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker. Hoch
über dir geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit
erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und
Könige zu deinem strahlenden Glanz“ (Jes 60, 2f).
In Jesus ist das Heil für
alle Menschen gekommen.
Der erste „König“,
der älteste, hat seinen vornehmen roten Hut abgenommen und
neben sich auf die Erde gelegt. Sein Goldgefäß hat er
bereits überreicht. Es steht auf einem dreibeinigen Hocker
vor der Krippe.
Der weißhaarige Mann ist an
der Seite Mariens in die Knie gegangen. Hingebungsvoll beugt
er sich vor. Sehr behutsam und ehrfürchtig widmet er sich
voller Andacht dem Kind, das Maria ihm hinhält und
darbietet.
Er scheint es kaum zu wagen,
seine Händchen zu berühren.
Und kommuniziert doch mit
Augen und Fingerspitzen auf intime, liebevolle Weise mit
ihm, dem fleischgewordenen Wort.
Ein ganz inniger Moment.
Der zweite „König“
ist mittleren Alters. Sein roter Mantel korrespondiert
farblich mit der Oberkleidung Josefs. Ein purpurroter
Kontrast zum Blau des Mantels der Madonna.
Er naht sich andächtig.
Seinen standesgemäßen Hut hält er zwischen den Armen vor
seiner Brust. Ehrfürchtig, mit beiden Händen, die wie zum
Gebet gefaltet sind, trägt und bringt er ein Goldgefäß, das
einem Kelch gleicht. Er hat den Kopf geneigt und schaut auf
das Kind. Was er wahrnimmt, drängt ihn offensichtlich sein
Knie zu beugen.
Der dritte „König“,
der jüngste, in feinem brokatenem Gewand, nimmt gerade von
einem Diener einen Goldpokal entgegen.
Dieser König wirkt wie ein
Star. Er weiß sich in Szene zu setzen. Seinen Kronenhut
(Barett) hat er abgenommen. Mit eleganter Geste erhebt er
ihn zum Gruß und schwenkt ihn mit der rechten Hand samt
flatterndem Band. Dadurch und durch die Drehung seines
Körpers und die Wendung seines Gesichtes zur Mitte macht er
den Eindruck, als ob er den Zug der Ankommenden leite und
die Prozession dirigiere. Es ist als rufe er: Bleibt nicht
stehen! Macht voran! Kommt näher! Tretet ein!
Hinter Maria, zwischen ihr
und Josef, sind Ochs und Esel zu sehen (die aus Jes
1, 3 in die Krippenszene hineingeraten sind). Der Ochs schaut
neugierig und interessiert. Der Esel sucht eher unbeteiligt
im Futtertrog nach Nahrung.
Hinter Josef kniet am linken
Bildrand an einer Mauer der Stifter des Bildes und
betet (die Augen niedergeschlagen, die Hände gefaltet) in
Andacht versunken den Rosenkranz. Man nimmt an, dass es sich
um den damaligen Bürgermeister von Köln handelt, Goddert von
dem Wasserfaß, der den Altar in Auftrag gegeben und bezahlt
hat.
Der „Stall von Bethlehem“
ist halb zerfallen. Die Überreste lassen auf ein sakrales
Gebäude schließen, die Ruinen einer Kapelle oder einer
Synagoge. (Die Stallruine wird gern als Zeichen für den
zerfallenden und zu Ende gehenden alten Bund gedeutet.) Das
Dach ist notdürftig mit Stroh bedeckt.
Aus den Mauern wachsen
bereits Sträucher und Büsche. Vielleicht auch Hinweis
darauf, dass aus Zerfall und Zerstörung neues Leben wächst.
Man muss sich den Stall auf
einem Felsen oder einer Art Terrasse denken. Zwischen dem
Stifter und Josef ist eine Steintreppe zu erkennen, die wohl
zu einer Höhle führt und an den ursprünglichen
Geburtsort Jesu Christi erinnert.
Josef steht auf der letzten
schmalen Stufe der Treppe.
Über Maria formt der Stall
mit seinen Bögen den Buchstaben M, während der Mantel
der Muttergottes mit dem Jesuskind und zusammen mit dem
knienden König ein A bildet: „Ave Maria“.
Die lateinischen Grußworte
des Engels (nach Lk 1, 18) deuten das Ende des Erbes Evas (in
Gen 3, 20) an, der Stammmutter der Menschheit, die (nach der
Sündenfallerzählung in Gen 3, 1 - 7) den Fluch der Vertreibung
über sich und all ihre Kinder gebracht hat.
Hinter dem „Stall“ öffnet
sich eine weite Landschaft.
Mit allen Einzelheiten der
Architektur ist eine hell erleuchtete Stadt zu
erkennen, die sich am linken Bildrand am Hang eines Berges
hinaufzieht, hinten quer in der Talsenke weiter läuft und
sich auf einen Hügel rechts erstreckt. Die Türme, Kirchen,
Häuser sind niederländisch-flandrischer Bauart.
Am rechten Bildrand sieht man
über eine Mauer hinweg die hohe Außenwand eines Domes mit
Bogenfenstern und Strebepfeilern.
Die Stadt symbolisiert wohl
das „neue Jerusalem“ (vgl. Apk 21), überstrahlt vom
Licht, das von der Geburt Jesu her in die Welt dringt und
den noch dunklen Nachthimmel aufhellt.
Auf der linken Seite oben –
in direkter Diagonale vom älteren König über Maria – scheint
am tiefblauen Nachthimmel – vom Gemäuer der Stallruine halb
verdeckt – hell und groß ein Stern hervor.
Diesen Stern haben die Magier
der biblischen Erzählung zufolge aufgehen sehen (Mt 2, 2). Er
hat ihnen den Weg gewiesen. Zugleich war er ihnen Zeichen
für den „neugeborenen König der Juden“ entsprechend
der Weissagung Bileams: „ein Stern geht in Jakob auf“
(Numeri 24, 17).
Nicht von ungefähr hat der
Stern eine optische Parallele in den zarten, kreuzförmigen
Strahlen um das Köpfchen des Jesuskindes. In diesem Kind
bricht der Tag der Erlösung an. Die Heilszeit des Neuen
Bundes beginnt.
Eine Besonderheit dieses
Gemäldes von Rogier van der Weyden ist das kleine Kruzifix
am mittleren Pfeiler des Stalles. Auf den ersten Blick
scheint es nicht so recht zu Weihnachten zu passen und mutet
genauso anachronistisch an wie Johannes der Täufer auf dem
Kreuzigungsbild des Isenheimer Altares von Matthias
Grünewald. Im Stall von Bethlehem kann es noch nicht
gehangen haben. Das wusste auch Rogier van der Weyden.
Mich aber fasziniert das
Bild, seitdem ich dieses tiefsinnige Detail entdeckt habe.
Hintergründig deutet es bereits auf das Schicksal des Kindes
hin. Krippe und Kreuz gehören zusammen. Sie sind
sozusagen „aus demselben Holz“.
Was im Stall von Bethlehem
begonnen hat, wird am Kreuz auf Golgatha vollendet werden.
Gott geht in das Elend dieser Welt ein, um sie wieder heil
zu machen. Nicht zu übersehen ist auch der kreuzförmige
Heiligenschein des Kindes.
Das völlig nackte Kind führt
uns nicht nur mit allen Konsequenzen vor Augen, was
Inkarnation, „Fleischwerdung“ bedeutet, es verweist auch
schon auf den bis aufs Leinentuch entblößten Gekreuzigten.
Und umgekehrt: der nur mit einem Leinentuch versehene
Gekreuzigte entspricht dem nackten Kind auf dem weißen Tuch
auf dem Schoß der Gottesmutter.
Maria aber ist mit ihrem
geneigten Haupt und dem liebevoll traurigen Blick
tatsächlich auch eine „Maria unter dem Kreuz“.
So erinnert schon das
Weihnachtsbild an das Karfreitagsmotiv der Pieta: an Maria,
die den toten Sohn auf ihrem Schoß hält.
Zugleich zeichnen die
Konturen von Maria und dem knienden König die Umrisse des
Berges Golgatha ab, der schon das Kreuz über sich trägt.
Darunter liegt der Legende nach Adam, der erste Mensch
begraben, so dass Jesus hier als der zweite Adam erscheint,
der als wahrer Mensch und wahrer Gott Heil und Leben bringt.
NACHBEMERKUNGEN
1. Übersetzung ins Heute
Rogier van der Weyden hat die
biblische Szene der Geburt Christi bzw. die Anbetung der
Könige ganz in seine Zeit und in seine Heimat geholt.
Landschaft, Orte, Gebäude,
Personen, Kleidung usw., nichts lässt ahnen, dass das
Geschehen der Geburt Christi zur Zeit des Künstlers schon
mehr als 1400 Jahre zurückliegt. Es ist vielmehr als habe
das Dargestellte sich gerade erst ereignet und zwar vor der
eigenen Tür.
Rogier van der Weyden hat das
Geschehen von damals gläubig ins heute und aus dem einst ins
jetzt „übersetzt“.
Nach dem Motto:
Christus will auch heute für uns Mensch werden. Oder
entsprechend dem berühmten und viel zitierten Wort von
Angelus Silesius: „Wäre Christus
tausend Mal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst
noch ewiglich verloren.“
Es kommt darauf an, dass wir
uns aufmachen zu ihm, uns bereiten für sein Kommen, uns
öffnen für seine Gegenwart, uns anrühren lassen von seinem
Geist und uns ihm schenken, der sich uns geschenkt hat, ihn
lieben, der uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat.
2. Gegensätze
Rogier van der Weyden scheint
viel Sinn für Gegensätze gehabt zu haben:
-
Oben im Bild Nachthimmel
– unten heller Tag
-
Ruine einerseits –
unbeschädigte Kirche andererseits
-
Vielfältige, kostbare
Gewänder – und das völlig nackte Kind
-
Das Krummschwert des
jungen Königs – und der schlichte Wanderstock des hl.
Josef
-
Die goldenen Gefäße – und
der steinerne Futtertrog
-
Die eher plumpen Tiere im
Stall – und der schlanke, edle Jagdhund rechts unten am
Bildrand
3. Epiphanie und
Eucharistie, Krippe und Altar
Das Bild stand ursprünglich
auf einem Altar, an dem Jahrhunderte lang Eucharistie
gefeiert wurde.
Die Gabengefäße der Könige
entsprechen den Messgeräten: Speisekelch, Ziborium, Pyxis.
Alle drei Könige – wie auch
der heilige Josef – haben ihre Kopfbedeckung abgenommen, eine
Geste der Ehrfurcht vor dem Altarsakrament – bis heute.
Der älteste kniende König
vollzieht den Handkuss wie einen Kommunionempfang.
Die Menschen, die vor diesem
Altarbild die heilige Messe mitgefeiert und kommuniziert, also
den Leib Christi empfangen haben, wurden – sehr anschaulich
und eindringlich, aber nicht platt – daran erinnert, dass
die Hostie viel mehr ist als ein Stück Brot: wirklich
Christus, der Sohn Gottes, der für uns Mensch geworden ist.
In jeder Eucharistiefeier
geschieht Epiphanie. Gott kommt zu den Menschen. Er schenkt
sich uns in seinem Sohn.
So gesehen ist jeder Altar
eine Krippe. Für beide gilt:
„Seht die Demut
Gottes!“ Und: „Demütigt auch
ihr euch, damit euch ganz aufnehme, der sich euch ganz
hingibt!“ (Franz v. Assisi)
AKTUALISIERUNG UND
POSITIONIERUNG
Wir können uns fragen:
Wo befinde ich mich auf
diesem Gemälde?
Sehe ich mich auf dem Weg zu
Christus?
Gehöre ich zu denen, die auf
der Straße (über dem Stifter) flanieren und ihren
Alltagsgeschäften nachgehen?
Ob die Leute in der Stadt,
der Reiter auf dem Weg, die Menschen auf der Straße den
Stern wahrnehmen, der hell und groß über der Stall steht? Ob
sie überhaupt etwas ahnen und mitbekommen vom Heilsgeschehen
ganz in ihrer Nähe? Oder wollen sie es gar nicht wissen? Und
geht darum ihr Leben unbeeindruckt weiter wie bisher und wie
immer?
Ist diese Darstellung eine
Art Spiegelbild für unsere Situation an und nach
Weihnachten? Da war doch was! Das hatte auch was! Aber
letztlich holt uns der Alltag wieder ein. Alles wie gehabt.
Alles bleibt beim Alten. Der Stern der Weihnacht, kurz ist
er aufgeleuchtet, aber schon ist er wieder halb und sogar
schon ganz verdeckt?
An welcher Stelle auf dem
Bild könnte ich mich sonst einordnen?
In welcher Figur finde ich
mich am ehesten wieder?
Gefalle ich mir in dem jungen
König?
Oder sehe ich mich eher als
jemand, der hinzutritt, aber auf der Schwelle noch zögert,
abwartet, die Lage beobachtet – wie der Turbanträger im
gelben Gewand unter dem Torbogen?
Oder bin ich derjenige, der
ganz rechts über dessen linke Schulter schaut?
(Man nimmt an, dass sich
Rogier van der Weyden in diesem Gesicht selbst dargestellt
hat).
Oder soll ich auf der anderen
Seite zwischen Ochs und Esel wählen, zwischen dem, der sich
anscheinend nur für den Futtertrog interessiert und dem, der
sich der Huldigungsszene lebhaft und neugierig zuwendet?
Oder sehe ich mich lieber als
„Messdiener“ in dem Pagen, der dem dritten König den Kelch
nachträgt.
Was habe ich überhaupt
mitgebracht für den Heilsbringer?
Die Gaben der Weisen waren
Gold für den König, Weihrauch für Gott, Myrre für den
Heiland. Mehr noch als diese Gaben waren es ihre Herzen, die
sie durch ihre gläubige Huldigung und ehrfurchtsvolle
Anbetung dargebracht haben.
Kann ich singen, wirklich,
ehrlich:
„Mein Herz will ich
dir schenken und alles, was ich hab“?
Noch einmal:
Wo könnte ein Platz für
mich sein auf diesem Gemälde?
Wäre ich vielleicht gern der
älteste und vorderste der Könige?
Möchte ich mich wie er
andächtig, ehrfürchtig, innerlich ergriffen und angerührt
IHM nahen, IHM begegnen, IHN verehren, IHN anbeten, IHN
empfangen mit klopfendem Herzen und demütigem Sinn?
Im Blick auf Maria, die das
Jesuskind hält, es hinstreckt, darreicht, es uns zeigt, mag
ich mit einem Vers aus dem „Salve Regina“ vielleicht auch
meine Hoffnung für die Todesstunde gläubig ins Wort bringen:
„Und nach diesem Elend
zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes, o
gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.“ |