Es gibt
Worte, die einen treffen. Sie gehen nicht aus dem Sinn.
Eine
Zeile aus einem Lied kann einen den ganzen Tag begleiten.
Aber
tiefer treffen Worte, die einer uns sagt – im Guten oder Bösen. Ein
verletzendes Wort oder ein beglückendes Wort eines lieben Menschen, ein
Abschiedswort oder Worte auf dem Sterbebett. Diese Worte gehen nach.
Manchmal begleiten sie einen ein ganzes Leben lang.
Solche
Worte gibt es auch in der Heiligen Schrift.
Ein
solches Wort ist für mich ein Satz aus der ersten Lesung am Fest der
Taufe Jesu.
Beim Propheten Jesaja heißt es da: „Das geknickte Rohr
zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“
Ein Wort,
das mich nicht loslässt. Es ist immer wieder da und gewinnt für mich
Bedeutung bei der Begegnung mit Menschen, sei es im Sprechzimmer, im
Beichtstuhl, in der geistlichen Begleitung, bei Exerzitien.
Es gibt
so viele Menschen, die sich elend, schwach, erschöpft, bedrückt,
ausgebrannt, kraftlos, in Schuld verstrickt oder am Ende fühlen.
Das
geknickte Rohr brechen, den glimmenden Docht löschen.
Das sind
Ausdrücke aus der Gerichtssprache. Es bedeutet immer Schuldspruch,
manchmal sogar Todesurteil.
Wir
kennen entsprechende Redewendungen auch in unserer Sprache. „Den Stab
über jemandem brechen“. Das heißt, ihn verurteilen, ihn abschreiben,
mit ihm fertig sein.
In der
Lesung verzichtet derjenige, der die Vollmacht hat, das geknickte Rohr
zu brechen und den glimmenden Docht zu löschen, auf sein Recht. Obwohl
er es könnte, bricht er nicht den Stab. Er urteilt und verurteilt nicht.
Es ist
der Gottesknecht, es ist der von Gott Gerufene und Erwählte, von dem
Jesaja das sagt.
Das Neue
Testament sieht in Jesus die eigentliche Erfüllung des verheißenen
Gottesknechtes. Er macht die prophetische Heilszusage wahr. Er erfüllt,
ja er übertrifft die alttestamentliche Verheißung in ungeahnter Weise.
Jesus
Christus ist der, der nicht kam, um die Welt zu richten, sondern um sie
zu retten. Er ist derjenige, der die Liebe des Vaters, die treue, ewige,
schranken- und grenzenlose Liebe gegenwärtig werden lässt. Er ist der,
der das geknickte Rohr nicht bricht und den glimmenden Docht nicht
auslöscht.
Es gibt
wohl kaum ein Wort, das so sehr auf der Linie Jesu liegt wie dieses. Es
passt hundertprozentig zu ihm und seiner Sendung.
Das
geknickte Rohr nicht brechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen.
In diesem Wort ist gleichsam der Herzschlag Jesu zu hören.
Es
gibt viele Stellen in den Evangelien, die das belegen.
Zunächst ist da die große Einladung Jesus an die Mühseligen und
Beladenen, an alle Bedrückten und Bedrängten. Jesus ruft diesen Menschen
zu: „Kommt alle, ihr Übermüdeten und
Überbürdeten! Ich will euch erquicken, trösten, stärken. Bei mir sollt
ihr Ruhe finden, aufatmen können, Zuversicht schöpfen.“
Weiter
fallen mir die Seligpreisungen der Bergpredigt ein, in denen Jesus das
Heil den Armen zusagt, denen, die nach Gerechtigkeit hungern und
dürsten, den Barmherzigen und all denen, die keine Gewalt anwenden.
Besonders
kommen mir in den Sinn die vielen Begegnungen Jesu mit Außenseitern der
Gesellschaft, mit Ausgestoßenen und Verachteten, Gestrauchelten und
Gestrandeten, Erniedrigten und Hoffnungslosen.
Jesus
sucht ganz bewusst ihre Gemeinschaft. Und erregt damit den hellen Zorn
des religiösen Establishments. Er hält sogar Mahl mit Zöllnern und
Sündern. Unerhört ist das in den Augen derer, die sich für gut und
fromm, für recht und untadelig halten.
Jesus
wendet sich gerade den Menschen zu, über die andere bereits den Stab
gebrochen und das Urteil gefällt haben.
„Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“
rufen sie empört, als Jesus bei Zachäus einkehrt. Jesu Antwort: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!“
Er beruft
einen Zöllner in seine Jüngerschar. Seine Begründung: „Nicht die
Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ Und: „Ich bin
nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“,
sagt Jesus zu denen, die die Ehebrecherin vor ihn hinschleppen.
Als er
mit der Frau allein ist, fragt er sie: „Hat dich niemand verurteilt?
– Auch ich verurteile dich nicht.“
„Das
geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er
nicht aus.“
Das gilt
auch für die Sünderin im Haus des Pharisäers Simon. Jesus rümpft nicht
wie die anderen die Nase. Er lässt sie gewähren. Er schickt sie nicht
fort. Er schenkt ihr den neuen Anfang.
Und noch
etwas. Liebe Schwestern und Brüder, halte ich für ganz wichtig und
bedeutsam:
Nie
begnügt sich Jesus damit, das geknickte Rohr nicht zu brechen. Stets
geht es ihm darum, den Menschen ihre verlorene Würde zurückzugeben, ihr
Selbst- und Gottvertrauen zu stärken und ihnen so Kraft und Halt zu
geben.
Nie
begnügt sich Jesus damit, den glimmenden Docht nicht auszulöschen. Stets
geht es ihm darum, das fast schon erlöschende Lebenslicht durch die Glut
seines Herzens, durch seine Zuwendung, seine Liebe, sein Solidarischsein
neu zu entfachen.
„Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was
verwundet ist“,
so umschreibt Jesus selbst seine Sendung.
Wo
Menschen sagen: verloren, da sagt er: gefunden.
Wo
Menschen sagen: gerichtet, da sagt er gerettet.
Wo alle
„nein“ sagen, sagt er doch „ja“.
Das ist
Frohe Botschaft.
Denn sind
wir nicht auch manchmal geknickt, bedrückt, ganz unten? Fühlen wir uns
nicht auch manchmal arm und schwach, leer und ausgebrannt, wie ein
Docht, der kaum noch glimmt?
Oft
gestehen wir es nicht ein, uns selbst nicht und vor anderen gleich
zweimal nicht, wie mühsam wir uns durchs Leben schleppen und wie sehr es
manchmal Fassaden sind, die wir mit letzter Kraft aufrechterhalten.
Wie viel
wird gelitten, ausgehalten, erduldet!
Wie übel
spielt das Leben manchmal mit!
Wie viele
Hoffnungen zerbrechen! Wie viele Beziehungen, Freundschaften, Ehen gehen
in Brüche! Ganz zu schweigen von den anderen Schicksalsschlägen wie z.
B. unheilbare Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, Einsamkeit.
Und ein
Unglück kommt selten allein. Manchmal kommt es knüppeldick.
Es gibt
keine heile Welt. Weithin geht es da ganz hart zu, sehr grausam, oft
gnadenlos.
Wer
fällt, bekommt noch einen Schubs. Wer nicht mehr kann, wird ausrangiert.
Wie schnell ist man abserviert und weg vom Fenster.
Gott sei
Dank, ist es bei Gott anders. Er ist nicht der Halsabschneider und
strenge Richter als den viele ihn sehen.
Das
geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er
nicht aus.
Sogar zum Schächer am Kreuz sagt Jesus noch:
„Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“
Er
spricht Rettung zu, Erlösung und Heil bis zum letzten Atemzug.
Wir aber,
liebe Schwestern und Brüder, sind aufgerufen, auf Jesus zuschauen, von
ihm zu lernen, uns seine Gesinnung zueigen zu machen, nach seinem
Beispiel zu leben und aus seinem Geist zu handeln.
Das
geknickte Rohr nicht brechen, den glimmenden Docht nicht auslöschen.
Gabe wird
zur Aufgabe. Gottes Liebe ruft unsere Liebe.
Nicht „wie du mir, so ich dir“, lautet die Devise, sondern nach Jesu Wort
und Beispiel: „Wie ich euch, so ihr einander“!
Bitten
wir darum, dass wir mehr und mehr Menschen werden nach dem Bild und
Gleichnis Jesu, Menschen, die das Geknickte nicht brechen und das
Schwache nicht auslöschen weder bei anderen, noch bei uns selbst.
Das eine
ist nämlich, nachsichtig, behutsam und barmherzig zu sein mit den
Schwachen, einfühlend mit den Leidenden. Und wo immer wir können,
aufzurichten und zu trösten, zu teilen und zu heilen, gütig zu sein und
hilfsbereit, zu schützen und zu stützen.
Das
andere ist, mit uns selbst barmherzig zu sein, mit uns selbst
fürsorglich umzugehen, uns selbst nicht nieder und kaputt zu machen,
sondern uns selbst anzunehmen, wie und weil Gott uns annimmt, trotz und
mitsamt unserer Schwachheit, trotz und mitsamt unserer Schuld. Seine
Liebe ist größer. Über unserem Leben steht ein großes Ja!
Wie bei
der Taufe im Jordan zu Jesus, so sagt Gott auch zu uns, zu einem jeden:
„Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter!“ – Wir
heißen nicht nur Kinder Gottes, wir sind es!
Ich finde
es großartig, ja fast unglaublich, dass wir armseligen Menschen von Gott
als seine Kinder angenommen sind, dass wir zu ihm „Vater“ sagen dürfen.
Darum ruft der heilige Papst Leo der Große uns zu:
„Christ, erkenne deine Würde!“
Wir
müssen nicht nur an Gott glauben. Als Christen dürfen und sollen wir
auch an uns selber glauben, an das, was wir durch die Taufe geworden
sind.
Und
dieses Bewusstsein, Sohn/Tochter Gottes zu sein, darf und soll uns immer
mehr durchdringen. Mit diesem Bewusstsein, von Gott bedingungslos
geliebt und angenommen zu sein, dürfen wir in das neue Jahr gehen,
hoffnungsfroh, vertrauensvoll, mutig und zuversichtlich. |