Evangelium
Ihr alle werdet ebenso
umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Lukas
1Zu
jener Zeit kamen einige Leute und berichteten Jesus von den Galiläern,
deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfertiere vermischt hatte.
2Und
er antwortete ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren
als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist?
3Nein,
sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht
umkehrt.
4Oder
jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms am Schilóach
erschlagen wurden – meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen
hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem?
5Nein,
sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht
umkehrt.
6Und
er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg
einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte
trug, fand er keine.
7Da
sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und
sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn
um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?
8Der
Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den
Boden um ihn herum aufgraben und düngen.
9Vielleicht
trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wie geht es Ihnen mit
diesem Evangelium? In meinen Ohren klingt es – zumindest im ersten Teil
– sehr hart. Seine Botschaft erschreckt mich fast. Der Tenor, auf den
alles hinausläuft, die Quintessenz: Wenn du dich nicht bekehrst, wirst
du umkommen – so wie es dem Feigenbaum ergehen soll, der schon drei
Jahre lang keine Früchte bringt. „Hau ihn um!“ sagt der Besitzer
des Weinbergs.
Ist das Gott, der die
Geduld verliert? Hat seine Liebe und sein Erbarmen ein Ende? Ist Gott
nicht „langmütig, reich an Huld und Treue“, wie es in einem Psalm
heißt? Ist seine Liebe nicht größer als alles Versagen und alle Schuld?
Und schenkt er nicht nur einmal, sondern immer wieder einen neuen
Anfang? Liebt er uns nicht bedingungslos?
Doch der Feigenbaum hat
einen Fürsprecher, den Winzer. Dieser ist ihm zugetan. Er tritt für ihn
ein. Ist das Jesus? Unser Mittler und Fürsprecher beim Vater (vgl. Röm
8, 26; Hebr 4, 15 - 16)? Der Winzer erbittet noch mal eine Schonfrist
für den Baum. Er hat Hoffnung für ihn. Und nichts ist ihm zuviel, alles
will er tun, sich selbst einsetzen – den Boden aufgraben, düngen… –
damit der Baum, vielleicht doch noch Früchte bringt. Christus hat uns
geliebt und sich für uns hingegeben, „für uns und um unseres Heiles
willen“.
Doch zurück zu dem, was
uns die Worte des Evangeliums so hart und fast unerträglich erscheinen
lässt.
Im ersten Teil des
Evangeliums – heißt es gleich zweimal: Wenn ihr nicht umkehrt, werdet
ihr alle (genauso) umkommen.
Ist das noch
Froh-Botschaft oder nicht doch Droh-Botschaft?
Schauen wir mal genauer
hin! Worum geht es?
Die Frage ist, ob es
Strafe Gottes ist, wenn Menschen etwas Schlimmes zustößt, wenn ihnen
Schreckliches widerfährt, wenn sie z. B. schwer verunglücken oder sogar
zu Tode kommen.
Für gläubige Juden damals
gab es da keinen Zweifel. Solche Menschen müssen schwer gesündigt haben.
Sie haben es wohl nicht anders verdient. Selbst schuld!
So ganz ist dieser
Zusammenhang und Gedankengang „Schuld – Strafe“ auch heute noch nicht
aus unseren Köpfen und Herzen. Er spukt immer noch darin herum. Immer
wieder erlebe ich Menschen, die glauben: Wer nach dem Willen Gottes
lebt, dem wird Segen zuteil. Wer nicht nach den Gesetzen Gottes lebt und
handelt, den holt die gerechte Strafe ein. „Was habe ich verbrochen,
dass mich dieses schlimme Unglück ereilt hat? Was habe ich getan, dass
ich ein solch schweres Schicksal zu tragen habe?“ Eine Frage, die
mir immer wieder einmal begegnet.
Im Evangelium
kommen Menschen zu Jesu und erzählen von einem Massaker, das sich
aktuell im Tempel ereignet hat. Eine Pilgergruppe aus Galiläa wurden im
Heiligtum im Auftrag des Pilatus niedergemetzelt – warum wird nicht
gesagt. Jedenfalls: das Entsetzen ist groß, denn ihr Blut wurde auch
noch mit dem Blut von Opfertieren vermischt. Ein ungeheurer Frevel, eine
abscheuliche Tat! – Die Schlussfolgerung: Wem so etwas widerfährt, der
muss wohl eine immense Schuld auf sich geladen haben. Und jetzt hat ihn
dafür die Strafe ereilt. Also: Nicht anders verdient. Selbst schuld?!
Wie reagiert Jesus?
Ganz entschieden weist er die These zurück, diese Menschen seien größere
Sünder gewesen als alle anderen Galiläer. Im Gegenteil! Er setzt noch
eins drauf: Meint ihr, ihr seid besser als die Erschlagenen? „Ihr
alle werdet genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt.“ Wiegt euch
nicht in falscher Sicherheit! Lehnt euch nicht bequem zurück! Zeigt
nicht mit dem Finger auf andere! Seid ihr nicht auch Sünder? Wer ist
keiner?
Es gibt kein Leben ohne
Schuld. Niemand ist perfekt. Jeder Mensch hat Umkehr, hat Umdenken
nötig. Mitleidig oder schadenfroh zu sagen: „geschieht ihnen recht“, ist
völlig unangebracht. Es geht um euch. Schaut auf euch!
Und dann bringt
Jesus selbst noch ein Beispiel, ebenfalls ein ganz aktuelles Ereignis,
ein spektakuläres Unglück, das sich am Teich Schiloach zugetragen hat. –
Ein Turm ist eingestürzt. Und achtzehn Menschen sind dabei ums Leben
gekommen. In den Augen vieler Zeitgenossen ebenfalls eine Strafe Gottes.
Was für schlimme Sünder müssen das gewesen sein, dass ihnen so etwas
Schreckliches widerfahren ist!
Wie reagiert Jesus?
Genauso wie beim ersten Mal: provokativ, schonungslos. Anstatt zu
beruhigen, setzt er erneut eins drauf: Meint nicht, dass ihr besser seid
als diese tödlich Verunglückten. „Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr
genauso umkommen.“ Auch hier wieder: Seid nicht zu selbstsicher!
Wascht eure Hände nicht in Unschuld. Macht ernst mit der Umkehr! Denn
euch alle wird der Tod überraschen, wann auch immer, wie auch immer.
Niemand bleibt davor bewahrt.
Worum geht es Jesus?
Ganz eindeutig um Umkehr. Dazu will er animieren, aufrufen, ja
aufrütteln. Dass die Menschen damals – und wir heute – aufwachen aus
falscher Sicherheit, aus Lethargie und Gleichgültigkeit. Dass wir
erkennen, was dran ist, wozu es Zeit ist, nämlich umzukehren, das eigene
Denken und Handeln zu überprüfen, die falschen Wege zu verlassen und
Wege Gottes zu gehen, die eigenmächtigen Gedanken aufzugeben und Gottes
Gedanken zu denken.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Das Evangelium, ist keine
„Schönwetter-Botschaft“, kein liebliches Gesäusel. Das Wort Gottes passt
sich nicht immer kuschelweich unserem Leben an. Es will unruhig machen,
heilsam unruhig. Es will uns wach machen.
In einem Kirchenlied
singen wir: „Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der
Sicherheit, dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt.“
Genau darum geht es! Singen wir das nur? Oder versuchen wir es auch zu
tun, zu vollziehen: seine Stimme hören, uns zu seinem Wort bekehren?
„Metanoia“
heißt – aus dem Griechischen übersetzt – wörtlich „Umdenken“ oder
„Umsinnen“ und meint einen inneren Prozess der Hinwendung zum
Gott des Lebens, der sich in Taten ausrückt.
Beispiel:
Fastenzeit – österliche Bußzeit. Nehmen wir sie wirklich ernst? Ist uns
bewusst, dass es wirklich und ehrlich um Umkehr geht, echte Umkehr,
jetzt und sofort und von Grund auf? Vielleicht geht’s um den einen oder
anderen Vorsatz, den wir gefasst haben, aber doch nicht ums Ganze. Für
so erlösungsbedürftig halten wir uns nun auch wieder nicht, oder?
Beispiel: Fasten.
Fasten heißt, so der Prophet Jesaja, die Fesseln des Unrechts lösen,
sein Brot mit den Armen teilen, die Obdachlosen ins Haus aufnehmen… (Jes
58) – nicht Wellness, Fitsein, ein paar Kilo abnehmen, sich wohlfühlen.
Mit seiner Rede stellt
sich Jesus in die Tradition der Propheten, eines Jesaja z. B., eines
Jona, der in Ninive die Umkehr predigt, eines Amos, der kein Blatt vor
den Mund nimmt und als Sprachrohr und im Auftrag Gottes vehemente
Gesellschaftskritik übt oder eines Johannes des Täufers, der sein
Fähnlein nicht in den Wind hängt, der vielmehr sagt, was Sache ist und
was die Stunde geschlagen hat. Auch da hören wir ähnlich drastische
Aufrufe zur Umkehr.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Dem Feigenbaum wird ein
Jahr Zeit gegeben. Er bekommt eine Schonfrist, gleichsam eine
Gnadenzeit. Allerdings, die Zeit der Umkehr ist begrenzt. Das gilt auch
für uns. Unsere Lebenszeit ist begrenzt. Schon heute oder morgen kann
die Uhr abgelaufen sein.
Das, was wir dann an Gutem
getan haben, das haben wir getan. Die Früchte, die wir dann erbracht
haben, sind erbracht. Was wir versäumt und unterlassen haben, das bleibt
ungetan.
Ein Lied bringt es auf den
Punkt: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan
oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt.“
Die beiden Sätze zur
Austeilung der Asche am Beginn der Fastenzeit machen den Spannungsbogen
deutlich, in dem wir uns bewegen: „Bedenke, Mensch, das du Staub bist
und wieder zum Staub zurückkehren wirst“ und „Bekehrt euch und
glaubt an das Evangelium.“ – Die Erinnerung an das Ende des Lebens
stellt uns unsere begrenzte Zeit vor Augen. Sie ist zwar begrenzt, es
ist aber auch immer noch Zeit, sich zu bekehren und dem Evangelium zu
folgen – wieviel Zeit, das wissen wir nicht.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wenn das Leben insgesamt
und das Ende so deutlich in den Blick kommen, stellt sich die Frage: Wie
möchte ich, wenn ich einmal auf mein Leben zurückblicke, gelebt haben?
Habe ich die Chancen und Möglichkeiten genutzt, die sich mir boten? War
ich ein Mensch, der die Welt ein wenig besser hinterlässt, als er sie
vorgefunden hat? Habe ich anderen gedient oder doch eher geschadet? War
ich ein Mensch der Umkehr, der sich immer wieder um das Gute bemühte,
ein Mensch auf der Suche nach dem Willen Gottes, auch wenn dieser nicht
immer einfach zu erkennen ist? – Oder eine andere Frage: Wenn mir heute
ein Unglück zustoßen würde, wie stünde ich dann vor Gott? Wo würde ich
im Blick auf mein Leben den tiefsten Schmerz, das größte Versagen, die
größte Gottesferne spüren?
Christliche Spiritualität,
Verwurzelung im Evangelium ruft zur Verantwortung. Wann, wenn nicht
jetzt? Wer, wenn nicht diejenigen, die sich nach dem Auferstandenen
Christen nennen?
Der Anruf an uns aus
diesem Evangelium und dem Gleichnis vom Feigenbaum ist eindeutig: Lasst
all das Leblose, Lähmende, nicht Frucht bringende in eurem Leben los und
schaut nach dem, was dem Leben dient, eurem und dem der anderen.
Ich weiß: Generationen vor
uns haben in Angst und Furcht vor der Hölle gelebt. Oft wurde ihnen
diese Angst mit Höllenpredigten auch noch eingejagt und verstärkt. Je
nachdem, wie die Bilanz eines Lebens wohl aussähe in den Augen Gottes,
war die Angst vor der Hölle doch oft größer als die Verheißung auf sein
Erbarmen und die Hoffnung auf den Himmel. Heute, so scheint mir, ist
diese Angst eher einer Gleichgültigkeit gewichen: „Gott ist nicht so“.
Er ist lieb, nett, harmlos und wird es schon gut mit uns meinen…“
Ja, Gott meint es gut mit
mir, aber er nimmt mich auch in die Verantwortung für mein Leben. Und
dazu kann gehören, auch mit den Bruchstücken meines Lebens zu ihm zu
kommen. Von Blaise Pascal stammt das Wort: „Es ist nicht auszudenken,
was Gott aus den Bruchstücken unseres Lebens machen kann, wenn ich sie
ihm ganz überlasse.“
Der Feigenbaum bekommt
noch eine Chance. Der Weingärtner will sich sogar besonders intensiv um
ihn kümmern, will ihn hegen und pflegen und alles tun, was ihn wachsen,
reifen lassen kann und sein Früchtetragen fördern. Er gibt nicht auf. Er
schreibt den Baum nicht ab. „Vielleicht trägt er doch noch Frucht.“
Wie viel Vertrauen, wie viel Hoffnung, wie viel Geduld, wie viel innere
Kraft stecken in diesem „Vielleicht“!
Wir sind also nicht allein
gelassen, sondern haben in Jesus einen „Gärtner“, einen Freund, einen,
der uns zu uns hält, einen, der ganz, ganz weit geht in seiner Fürsorge
und Liebe und dem nichts zuviel ist. Wie weit und wie groß muss das Herz
Jesu sein und in ihm die Liebe Gottes, wenn er sich so um uns bemüht?
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