„Sich positionieren“
und „sich profilieren“ sind Worte, die ich seit einiger Zeit
immer wieder höre.
Wer sich
nicht positioniert und profiliert, wer nicht selbstbewusst auftritt und
sich ins rechte Licht rückt, wer nicht glänzt und hervorragt, fällt
durch das Leistungsraster. Er oder sie kommt nicht weiter, man/frau
bringt´s zu nichts, sie oder er bleibt in der grauen Alltagsmasse
stecken.
Auch das
heutige Evangelium berichtet von einem Versuch, sich zu positionieren
und zu profilieren.
Es
handelt sich um Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus. Sie
gehören zusammen mit Petrus und Andreas, dem anderen Brüderpaar, zu den
Ersten, die Jesus in seine Nachfolge gerufen hat (Mk 1, 19 - 20).
Zusammen
mit Petrus gehören Jakobus und Johannes auch zu den drei Aposteln, die
Jesus bei verschiedenen Gelegenheiten mehr als die anderen mit sich nahm
und näher an sich heranließ, z.B. bei der Erweckung der Tochter des
Jairus (Mk 5, 37), bei der Verklärung auf dem Berg (Mk 9, 2) oder im
Garten von Getsamini (Mk 14, 33).
Jesus gab
den beiden auch den Beinamen „Donnersöhne“ (Mk 3, 17). Es müssen
wohl besonders temperamentvolle und draufgängerische, vielleicht auch
hitzköpfige Typen gewesen sein.
Bei der
Berufung am See von Galiläa sind die beiden sofort bereit, diesem Jesus
nachzufolgen und den Vater im Boot zurückzulassen. Und als man Jesus und
die Seinen in einem samaritischen Dorf nicht aufnehmen will, möchten sie
Feuer vom Himmel fallen lassen.
Die
Situation im heutigen Evangelium ist folgende:
Jesu
Einzug in Jerusalem steht bevor. Seine Jünger rechnen damit, dass dann
die Stunde des großen Triumphes schlägt, die Stunde, in der Jesus in
Macht und Herrlichkeit erscheint, seine Königsherrschaft antritt und das
Reich Gottes anbricht.
Und da
wollen die beiden Brüder sich schon mal die besten Plätze, die
einflussreichsten Posten, sichern. Ihr sehnlichster Wunsch: im
Königreich Jesu die Ehrenplätze rechts und links von ihm einnehmen zu
dürfen.
Anders
als in der Fassung des Matthäus, wo sich die Mutter bittend für ihre
Söhne einsetzt, tragen im Evangelium heute Jakobus und Johannes ihr
kühnes Anliegen selber vor Jesus.
Kann man
den beiden böse sein? Ist es nicht legitim nach vorne zu streben? Ist
der Wille zur Macht nicht ein Urtrieb des Menschen? Wer sitzt nicht
gerne in der ersten Reihe?
Wer
versucht nicht, Einfluss zu gewinnen, nach oben zu kommen und die Nase
vorn zu haben? Wer möchte nicht top sein, spitze?
Wer freut
sich in Büros und Verwaltungen, in Firmen und Betrieben nicht, wenn er
das Ohr des Chefs, Einfluss und was zu sagen hat? Wer wünscht sich nicht
befördert zu werden und auf der Karriereleiter bzw. Gehaltsstufe ein
Stück hinaufzusteigen?
Auch das
Verhalten der anderen Jünger ist verständlich.
Sie sind
sauer auf die beiden Brüder. Deren forscher Drang, sich in Position zu
bringen, ärgert sie gewaltig.
Wer kennt
das von uns nicht? Reagieren wir nicht oft ähnlich?
Wahrscheinlich erwarten sie auch von Jesus ein Machtwort, eine
Zurechtweisung der beiden Wichtigtuer und Vordrängler, vor allem auch
deswegen, weil sie in ihnen Konkurrenten sehen, die ihnen wegschnappen,
was sie für sich selbst gern reserviert und gesichert hätten. Sie sind
ja nicht weniger ehrgeizig wie die beiden Brüder, nicht weniger
geltungssüchtig und machtgierig.
Übertriebener Ehrgeiz, Geltungsdrang und Machtstreben einerseits –
Missgunst, Neid und Eifersucht andererseits.
Wie
menschlich es doch schon bei denen zuging, die wir als Apostel, Märtyrer
und große Heilige verehren!
Und
Jesus? Wie reagiert der Meister auf das Erfolgsstreben und
Karrieredenken seiner Jünger?
Wenn
einer Grund hätte, ärgerlich zu sein, dann er.
Wie oft
musste er sich fragen, ob denn seine Botschaft bei seinen engsten
Freunden gar nicht ankommt. Wie oft musste er schmerzlich erfahren, dass
die Seinen wie blind sind für seine messianische Sendung, nichts
verstehen und nichts begreifen!
Doch
Jesus tadelt die beiden Brüder nicht. Er macht keine Vorwürfe. Er sagt
nur: „Ihr wisst nicht, worum ihr bittet.“
Dann stellt er eine Frage: „Könnt ihr den Kelch
trinken, den ich trinke und die Taufe auf euch nehmen, mit der ich
getauft werde?“
Statt von
Ehrenplätzen in seinem Reich, statt von Rang und Würden, spricht Jesus
vom „Kelch“ und von der „Taufe“.
Im
Brustton der Überzeugung beteuern Jakobus und Johannes, dass sie das
können. Überaus selbstsicher antworten sie „Yes, we can“ bzw. „Wir schaffen das“.
Aber
haben die beiden verstanden, was Jesus meint?
Haben die
anderen Jünger verstanden, worum es Jesus geht?
Jesu Weg
führt hinauf nach Jerusalem. Und schon dreimal hat Jesus vorausgesagt,
was ihn dort erwartet.
„Kelch“
und „Taufe“ sind Inbegriff für sein bevorstehendes
Todesschicksal.
Nicht mit
Ehrenplätzen müssen diejenigen rechnen, die sich in die Nachfolge Jesu
begeben und sich auf das Reich Gottes einlassen, sondern damit,
untergetaucht zu werden wie bei der Taufe, mithineingenommen zu werden
in die Passion und den Kelch des Opfers und des Leidens zu trinken, ein
Bild für das Martyrium.
Das
Profil des Christen ist nicht gekennzeichnet durch äußere Macht und
Stärke. Das Profil des Christen bildet sich in der Nachfolge dessen, der
für uns gelitten hat und gekreuzigt worden ist, der uns bis zum
Äußersten geliebt und sein Leben für uns hingeben hat.
Dem
Profilierungsversuch von Jakobus und Johannes schließt sich eine
einschneidende und programmatische Jüngerbelehrung an. Nicht nur die
Zebedäussöhne, sondern alle Zwölf werden von Jesus ins Gebet genommen.
Alle bekommen eine Lektion erteilt.
Diese
beginnt mit einer scharfen Absage an alle Formen des Herrschaftsstrebens
und mit der Verwerfung jeglicher Gewalt:
„Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken
und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen.“
Eine
uralte Erfahrung und gleichzeitig brandaktuell! Man muss nur die
Tagesschau einschalten, Nachrichten hören oder die Zeitung aufschlagen.
Und dann
fordert Jesus die große Alternative, den Gegenentwurf. Er nennt in
scharfem Gegensatz zur Menschenherrschaft das neue Gesetz der
Gottesherrschaft: „Bei euch soll es nicht so sein!“
Wörtlich
übersetzt heißt es sogar: „Bei euch aber ist es nicht so!“ Ein
Kernsatz des heutigen Evangeliums!
Jesus
zeigt den Seinen auf, wie es in der Welt zugeht und wie ganz anders ihr
Miteinander aussehen soll.
Jesus
zeichnete das Bild einer Kontrastgesellschaft.
Nicht
Machtspiele, nicht Herrschsucht und Unterdrückung, wie sie in der Welt
an der Tagesordnung sind, soll das Miteinander der Jünger und
Jüngerinnen Jesu prägen, sondern: „Wer bei euch groß sein will, der
soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erster sein will, soll der
Sklave aller sein“. (Mk 10, 42f.)
Damit
tadelt Jesus nicht nur das Prestigedenken seiner Jünger, sondern gibt
ihnen – und auch uns – eine Richtschnur in die Hand, einen Maßstab,
woran wir unser Leben ausrichten können.
Jesus
mahnt eine diakonische Gemeinschaft an, in der das Wohl des Anderen mehr
zählt als die Angst um sich selbst, eine Liebesgesellschaft, in der man
im Anderen Gottes Ebenbild sieht, einander auf Augenhöhe begegnet,
einander Ansehen schenkt und dem Anderen liebend und vertrauend, heilsam
und hilfreich begegnet.
„Wer
bei euch groß sein will, der soll der Diener aller sein, und wer bei
euch der Erster sein will, soll der Sklave aller sein.“
Diese
Ermahnung hören die Jünger – und wir mit ihnen – nicht zum ersten Mal
(siehe Mk 8, 34f. und Mk 9, 35).
Insgesamt
kommt dieses Wort Jesu in den Evangelien – mit kleinen Variationen –
fünf Mal vor. Ein Hinweis darauf, wie wichtig, wie zentral bereits der
Urkirche diese Weisung Jesu war.
Und
wieder ist es nicht Ziel Jesu, dass sich die Menschen klein machen um
des bloßen Klein-Seins-Willen.
Vielmehr
sollen die Jünger Jesu – und wir wiederum mit ihnen – bereit sein zum
Dienst, so wie Jesus selbst sich als Diener verstanden hat, bereit zur
Hingabe, so wie er selbst sein Leben hingegeben hat.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Das
Profil eines Jüngers und einer Jüngerin Jesu, das Profil des Christen –
und auch das einer christlichen Gemeinde bzw. Gemeinschaft – zeigt sich
nicht im hohen Rang, nicht in Ehrentiteln und Machtpositionen, nicht in
Ruhm und Herrschaft, sondern im Dasein für andere, im Mut zum Dienen, in
Hilfsbereitschaft und Solidarität, in Fürsorge und selbstlosem
Engagement zum Wohle anderer.
Mit einem
Wort: Das Profil des Christen zeigt sich in dienender Liebe und
liebender Hingabe.
In einem
Lied, das junge Christen gern singen, heißt es:
„Der
Herr wird nicht fragen: Was hast du beherrscht, was hast du dir
unterworfen? Seine Frage wird lauten: Wem hast du gedient, wen hast du
umarmt um meinetwillen?“
An
unserem Verhalten, an unserem Umgang miteinander, vor allem an unserer
Liebe wird man erkennen, wes Geistes Kind wir sind, ob wir Kinder des
Lichtes sind oder nicht, ob wir zu Jesus gehören oder nicht.
ER
hat uns ein Beispiel gegeben, ER ist uns den Weg vorausgegangen. ER ruft
uns, ihm zu folgen, IHM, „der nicht gekommen
ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben
hinzugeben als Lösegeld für viele“.
Mit
diesem Satz schließt unser Evangelium. Er fast alles zusammen und bringt
sowohl das Selbstverständnis Jesu als auch sein Sendungsbewusstsein für
alle Zeiten gültig zum Ausdruck.
Er, der
wie kein anderer der „Kyrios“ ist, der Herr, er, der wie kein
anderer Grund hätte, sich bedienen zu lassen, er ist wie niemand sonst
zum Diener geworden.
Das
Johannesevangelium unterstreicht das durch eine erschütternde
Zeichenhandlung, die Jesus den Seinen während des letzten Abendmahles
tut, wenn er seinen Jüngern den Sklavendienst der Fußwaschung erweist.
„Wer
bei euch groß sein will, der soll der Diener aller sein, und wer bei
euch der Erster sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der
Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu
dienen.“
Aber
bleiben wir nicht immer wieder hinter dem ungeheuren Anspruch des
Evangeliums zurück? Ist diese Latte nicht viel zu hoch? Fühlen wir uns
nicht immer wieder überfordert?
Und Mut
zum Dienen?
Wirkt das
nicht reichlich weltfremd?
Stellt
das nicht die gängigen Werte auf den Kopf?
Geht uns
das nicht immer wieder gegen den Strich?
Wie
schwer fällt uns das oft!
Und wird
auf den, der so lebt, nicht mitleidig herabgeschaut?
Wird so
jemand nicht für dumm, einfältig oder idealistisch gehalten?
Aber hat
Jesus den Seinen, die sich nicht der Welt anpassen, die nicht mitmachen,
was man macht, die anders leben, Beifall, Lob und Ehre versprochen?
Mut zum
Dienen! Ich bin überzeugt: Wer sich tief bücken will, braucht eine tiefe
Verwurzelung, einen tragenden Grund. Und er muss ein Rückgrat haben.
Dienen,
Lieben, Sich-Hingeben im Sinne Jesu und des Evangeliums kann nur, wer
sich von Grund auf geliebt und angenommen weiß.
Dienen,
Lieben, Sich-Hingeben speist sich aus der unverlierbaren Würde, die uns
als geliebte Töchter und Söhne Gottes zukommt.
Dienende
Liebe und liebende Hingabe ist nur dem möglich, der seine Identität aus
der unbedingten Liebe Gottes bezieht, so wie es Jesus getan hat.
Bei allem
Unvermögen aber, das wir spüren, bei aller Schwachheit, die wir
erfahren, bei allem Zurückschrecken und Zurückbleiben hinter der
Botschaft Jesu kann uns die zweite Lesung des heutigen Sonntags aus dem
Hebräerbrief (4, 14 - 16) Trost und Ermutigung sein:
Jesus
steht uns bei. Er ist uns nahe. Er fühlt mit uns. Er weiß um unsere
Schwächen und Grenzen. Er kennt unseren guten Willen und unser Versagen.
Und er hat Geduld mit uns. Er erbarmt sich unser. Er nimmt uns an. Er
schenkt uns jeden Tag einen neuen Anfang.
Möge sein
Wort uns die Richtung zeigen,
möge sein
Beispiel uns animieren und ermutigen,
möge sein
Geist uns beleben und beseelen,
möge sein
Licht uns erleuchten und seine Kraft uns stärken,
damit wir
uns nicht in der Weise der Gesellschaft und der Welt positionieren und
profilieren – „bei euch soll es nicht so sein“ (wie bei den
Mächtigen, die ihre Macht missbrauchen und andere unterdrücken) –
sondern uns als Freunde Jesu, als Jünger Christi erweisen in
Barmherzigkeit und Liebe, in Fürsorge und Geduld, in Hilfsbereitschaft
und Güte, in dienender Liebe und liebender Hingabe.
Ein hohes
Ziel. Nicht immer erreichen wir es. Wir sind noch auf dem Weg. Wir
stoßen an Grenzen. Und Umkehr ist immer wieder notwendig.
Doch Gott
sieht auf unser Bemühen. Und er vermag zu ergänzen, auszufüllen und zu
vollenden, was noch fehlt.
Mit
seiner Gnade und Hilfe dürfen wir zuversichtlich sein, den „Ehrenplatz“
zu erhalten, den der Vater im Himmel für uns bereithält. |