Schon die Nähe eines
Menschen kann aufrichten und niederdrücken. Sie kann Vertrauen wecken
oder ängstigen. Sie kann dazu beitragen, dass sich jemand mitteilt oder
verschließt.
Von Jesus bezeugen
die Evangelien, dass Menschen immer wieder seine Nähe suchten. Leute,
die sich sonst eher zurückgesetzt, ausgegrenzt und entmutigt empfanden,
fühlten sich von ihm angezogen. Von einer solchen Begegnung berichtet
Markus am Beginn des zweiten Kapitels.
"Und nach einigen Tagen ging er wieder
nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und
es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht
draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige zu
ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn
nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf,
wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der
Gelähmte lag. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem
Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Es saßen da aber
einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er
lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus
erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten,
und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist
leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben,
oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber
wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden
- sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und
geh heim! Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor
aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und
sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen."
Die Geschichte ist allein schon durch ihre Szenerie reizvoll.
Es geschieht etwas kaum
Vorstellbares: das Durchgraben eines Hausdaches. Der spektakuläre
Dachdurchbruch ist eine ungewöhnliche Aktion und gehört zu den
farbigsten Episoden der Evangelien. Man versucht nicht, sich doch noch
einen Weg zu bahnen oder eine Bresche durch die Menge zu schlagen,
sondern man versucht, vom Dach her, in den Innenraum zu gelangen, in
dem Jesus lehrt.
Die Schilderung kann durchaus realistisch sein. Die Mehrzahl der
Häuser in Palästina damals waren eingeschossig und umfassten nur einen
Raum. Im Kommentar von Schmithals zum Markusevangelium findet sich
folgende Anmerkung:
„Das Dach hat man sich als flache Abdeckung des
orientalischen Hauses vorzustellen; ein Geflecht zwischen Balken bildet
die Grundlage für eine aufgetragene Lehmschicht, die möglicherweise mit
Platten belegt war, die zuerst abgetragen wurden. Eine Treppe führte von
außen auf das Dach, das bei kühlem Wetter und nach Sonnenuntergang als
Aufenthaltsort dient.“
Der Evangelist begründet den Einstieg
über das Dach mit dem Gedränge der Zuhörer vor der Tür. Wahrscheinlich
aber wählten die Träger diesen Weg, um den Krankheitsdämon zu täuschen.
Man glaubte nämlich damals, die Krankheit sei von einem bösen Geist
verursacht und dieser dürfe nicht den normalen Hauseingang kennenlernen,
weil er sonst sein Opfer bald wieder heimsuchen werde.
Wie
auch immer,
Jesus ist jedenfalls überwältigt. Kein Kopfschütteln über das
merkwürdige Vorgehen und das ungewöhnliche Verhalten der vier Männer,
keine Rüge wegen des Schadens am Haus, den sie anrichten. Jesus sieht in
ihrem phantasievollen und entschlossenen Tun Glauben. Für ihn drückt
sich darin großes Vertrauen aus.
„Als
er ihren Glauben sah...!“
Jesus ist beeindruckt über den Glauben derer, die den Gelähmten allen
Hindernissen zum Trotz zu ihm tragen.
Sie tragen einen
Menschen, vor dessen Elend sie machtlos sind. Sie vermögen den Gelähmten
nicht selbst aus seinem Elend herauszuholen. Sie können „nur“ mit
ihm sein. Aber das lässt sie nicht in Tatenlosigkeit verharren. Im
Gegenteil, sie ergreifen die Initiative, sie gehen bis an die Grenze
dessen, was sie tun können.
Sie hatten wohl von den
Wunderheilungen Jesu gehört, von Tauben, deren Ohren geöffnet wurden,
von Stummen, die wieder sprechen konnten, von Aussätzigen, die rein
wurden, von Besessenen, aus denen Dämonen ausfuhren. Das hat sie
zuversichtlich gemacht, dass neues Leben auch in die Glieder ihres
Freundes zurückkehren würde, weil ganz offensichtlich in diesem Jesus
von Nazareth Gottes Kraft am Werk ist. Ungeniert gegenüber allem, was
sich ihnen in den Weg stellt, tragen sie den Gelähmten zu Jesus, damit
er ihn aus seiner Lebensstarre befreie. Ihr Glaube und ihr Vertrauen
lässt sich durch nichts aufhalten. Einfallsreich und hartnäckig
überwinden sie in ihrem Glauben alle Hindernisse. Nun liegt der Gelähmte
Jesus zu Füßen, unabweisbar, unübersehbar und voll Erwartung. Alle sind
gespannt. Wie wird Jesus reagieren? Was wird er sagen?
Und was ist Jesu
erstes Wort ? „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“
Das hatten sie nicht
erwartet! Da mühen sie sich ab, die vier gestandene Männer, um den
Gelähmten zu Jesus zu bringen.
Da steigen sie sogar
aufs Dach des Hauses, decken es ab und schlagen ein Loch in die Decke.
Selbst bei der damaligen Bauweise in Israel war das keine Kleinigkeit.
Sie setzen alles auf eine Karte, damit dieser kranke Mensch in die Nähe
Jesu kommt. Sie tun alles Erdenkliche, damit der Gelähmte geheilt wird.
Und dann sagt Jesus nur: „Deine Sünden sind dir vergeben!“
Anstelle der erwarteten Heilung - Vergebung der Sünden!
Ja, wozu denn der
ganze Aufwand? Laufen soll er wieder, der Gelähmte, seine Gelenke
bewegen, seine Hände und Füße gebrauchen. Was soll da das Wort von der
Sündenvergebung?
Es ist ja gar keine
Rede davon, dass der Kranke ein Sünder war. Und er selbst bittet auch
nicht um Vergebung der Sünden.
Auch er
wollte seine schrecklichen Lähmung los werden. Die hat ihn ja total in
Abhängigkeit von anderen Menschen gebracht. Er wollte frei sein, nicht
immer jemand anderen brauchen müssen, nicht ständig bitten und danken
müssen. Er wollte sich selbst - ohne fremde Hilfe - bewegen können. Er
wollte nicht länger abgeschnitten sein vom Leben. Ein Zustand und eine
Befindlichkeit, die einen Menschen hoffnungslos, mutlos machen und auch
seelisch lähmen kann.
Doch wie wäre die
Sache weitergegangen, wenn Jesus nur gesagt hätte: „Steh auf, nimm
deine Tragbahre und geh!“ Und nicht dazu: „Deine Sünden sind dir
vergeben!“?
Sicher, jener Mann
wäre aufgestanden und wäre - äußerlich geheilt - nach Hause gegangen. Er
hätte Hände und Füße, Glieder und Gelenke wieder gebrauchen können. Er
hätte seinen Beruf wieder ausüben können. Er hätte seinen
Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten können.
Sicher, die äußere Lähmung wäre vorbei. Aber was ist mit der inneren
Lähmung? Was ist mit all den Dingen, die einem Menschen den Lebenswillen
und die Lebenskraft rauben können, obwohl er äußerlich kerngesund ist?
Wenn uns plötzlich
ein Schicksalsschlag trifft, wenn ein Unglück unversehens in unser Leben
bricht, ein Schreck uns in die Glieder fährt, kann sich alles
verkrampfen. Es ist wie ein Erstarren.
„Ich
bin wie gelähmt!“
sagen wir, wenn wir eine Erfahrung machen müssen, die uns aus der Bahn
wirft.
Es sind viele
Erfahrungen, die einen lähmen können:
Vielfach ist es
Angst, die den Menschen bis zum Kranksein lähmen kann, Angst, den
Erwartungen anderer oder den eigenen nicht zu entsprechen, - Angst vor
Versagen, Angst vor Verletzlichkeit, - Angst vor möglichen
Schuldgefühlen, Angst vor der Zukunft, Existenzangst. Angst hat viele
Gesichter. Angst ist der heimliche oder unheimliche Begleiter vieler
Menschen.
Es kann auch lähmend
wirken, wenn vergangene Schuld versteckt gehalten werden muss, weil sie
der innersten Haltung des Perfektionismus widerspricht, - eine
Lebenseinstellung, die bis zur Abwertung und Vernichtung des eigenen
Menschseins führen kann und Lähmung und Starre bis in die Glieder des
Leibes bewirken kann.
Lähmen kann einen das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden,
übergangen zu werden. Lähmen kann einen das Gefühl, überfordert zu sein
oder mangelndes Selbstvertrauen.
Lähmen kann einen eine tiefe Enttäuschung, die Enttäuschung über
einen anderen Menschen, - die Enttäuschung aber vor allem über sich
selbst: schon wieder dieser Fehltritt, dieses Versagen? Es ist wie
verhext. Ich kann mich anstrengen wie ich will, es ändert sich nichts!
Oder: dass ich zu so etwas fähig bin, zu so etwas Schlimmem! Ich kenne
mich selbst nicht mehr!
Lähmen kann die Erfahrung, Fehler zu machen, schuldig zu werden. Und
diese Schuld ist eine schwere Last. Allein wird man damit nicht fertig.
Sie kann einen aber ganz schön fertig machen.
So
gesehen, kann ich es gut verstehen, warum es Jesus dem Gelähmten
gegenüber nicht nur sagt: „Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh
nach Hause!“, - sondern auch und zuerst: „Deine Sünden sind dir
vergeben!“ Jesus sieht tiefer. Leib, Seele, Geist bilden ja
eine Einheit. Leibliche und seelische Gesundheit hängen aufs engste
zusammen. Wir nennen das heute Psychosomatik. Aber es ist eine alte
Binsenweisheit.
Bei vielen Anlässen
wünschen wir uns gegenseitig Gesundheit. Gesund zu sein ist die
Sehnsucht jedes Menschen. Hauptsache gesund! Ob Gesundheit wirklich das
allergrößte Glück dieser Welt ist und somit die Hauptsache und das
Allerwichtigste? Gesundheit ist gewiss ein hohes Gut, aber das höchste?
Dann müssten ja die Gesunden, die schmerz- und leidfreien Menschen die
glücklichsten sein. Aber das stimmt nicht. Im Alltag und in der
Begegnung mit Menschen erfahre ich das immer wieder anders.
Was nutzt einem
Menschen alle Gesundung des Körpers, falls diese überhaupt anhält, wenn
die inneren Wunden und Verletzungen nicht geheilt sind, wenn einer
schwer an der Last seiner Sünden trägt und schier an seiner Schuld
zerbricht?
Und umgekehrt: Erst wenn ich von Schuld befreit bin, versöhnt mit
Gott und den Mitmenschen, versöhnt mit meiner Vergangenheit und mit mir
selber im Einklang, erst dann werde ich meine Gesundheit und mein Leben
genießen können. Jesus geht es um Befreiung zu einem glücklichen,
gelingenden Leben.
Das hatten sie nicht erwartet, jene Männer, als sie den Gelähmten zu
Jesus trugen, damit er ihn von seinen Gebrechen befreie,
das hatten sie nicht erwartet - und er selber wohl auch nicht -, dass
Jesus auf diese Weise offen legt, wie eng äußere Lähmung mit innerer
Lähmung zu tun hat und wie sehr eine äußere Heilung das innere
Heilwerden voraussetzt.
Ja, was nutzt es
einem Menschen, Hände und Füße gebrauchen zu können, wenn er innerlich
wie gelähmt und versteift ist!
Und umgekehrt: Wo ein Mensch innerlich beweglich bleibt, versöhnt
mit sich, mit seinen Fehlern und Schwächen, voll Vertrauen, dass auch er
wichtig ist und wertvoll, von Gott getragen und gehalten, so angenommen,
wie er ist, da wird er auch die Kraft in sich spüren, die er braucht, um
mit den Lähmungen und Einschränkungen des Lebens zurechtzukommen, z.B.
mit einer chronischen Krankheit oder unheilbaren Behinderung.
Ich kenne
Behinderte, z. B. unser blinder Bruder Monald in Koblenz war so einer,
von dessen Zufriedenheit und Ausgeglichenheit hat man sich eine Scheibe
abschneiden können. Er hatte gelernt, mit seiner Krankheit zu leben und
hoffnungsvoll auf Gott zu vertrauen. Er war äußerlich nicht gesund, aber
in der Mitte seines Herzens „heil“, versöhnt mit Gott, im Frieden
mit den Mitmenschen und mit sich selbst identisch. Er strahlte eine
große Ruhe aus und war die Seele des Hauses.
Und mehr als einmal ist es mir schon passiert, dass ich Bammel hatte
vor einem Krankenbesuch, weil ich nicht wusste, wie sollst du den Mann
oder die Frau in ihrem Leid trösten. Und ich selber empfing Trost und
ging gestärkt nach Hause.
„Deine Sünden sind dir vergeben!“
sagt Jesus und bricht damit die innere Lähmung auf. Das kann jeder
sagen, denken die einen und die Schriftgelehrten regen sich auf, weil er
sich Göttliches anmaßt. Sündenvergebung war ausschließlich Recht Gottes.
Wer sich dieses
Recht anmaßte, beging Gotteslästerung. Jesu Verhalten erfüllte diesen
Tatbestand. Dazu kommt noch: Gottes Vergebung, so war man überzeugt,
folgt stets und ausschließlich der nachweislichen Bekehrung und einer
langen Zeit strenger Buße. Und da kommt dieser Jesus daher und sagt ohne
ersichtlichen Grund und ohne nach Reue zu fragen, ohne eine Buße
aufzuerlegen und ohne Wiedergutmachung zu fordern: „Mein Sohn, deine
Sünden dir vergeben!“
Jesu Anmaßung muss
in den Augen der Schriftgelehrten grenzenlos und unerhört gewesen sein,
gotteslästerlich! Und sie haben recht. Niemand kann Sünden vergeben als
Gott allein. Jesus bestreitet das nicht. Aber er sagt auch das
vermeintlich Schwerere: „Nimm deine Bahre und geh!“ Die sichtbare
Heilung bestätigt seinen Anspruch, als Sachwalter Gottes aufzutreten.
Durch die Krankenheilung beweist er seine göttliche Vollmacht. Die
Schriftgelehrten ahnen nicht, dass sie Jesu wahre Identität entdeckt
haben.
Nach der inneren
Lähmung befreit Jesus den Mann auch von der äußeren Lähmung. Heilung
geschieht ganzheitlich. Der Gelähmte kann gehen und es ist ihm vergeben.
Jesus erweist sich als der Heiland im umfassenden Sinn, als der
göttliche Arzt für Seele und Leib. Und alle (auch die Schriftgelehrten?)
sind außer sich und preisen Gott.
„Deine Sünden sind dir vergeben!“
- Es fragt sich nur, habe ich den Mut, mir gegenüber so barmherzig zu
sein, wie Jesus es ist?
Kann ich vor den
Spiegel treten und zu mir sprechen: „Du, hör auf mit deinen
Selbstvorwürfen und Selbstbeschuldigungen! Vergib dir! Sei liebevoller
zu dir. Sei barmherzig mit dir selbst!“? Und das nicht, weil ich
meine Schuld verharmlose oder weil ich mich selbst erlösen möchte,
sondern weil ich auf jene größere Barmherzigkeit Gottes vertraue, die zu
jedem von Schuld und Selbstvorwürfen gelähmten Menschen sagt: Deine
Sünden sind dir vergeben! - Und weil ich von dieser Barmherzigkeit nicht
nur mit den Lippen reden will, sondern sie innerlich, in meinem Herzen,
zulassen möchte, mich ihr anvertrauen, ohne Gegenleistung, sie empfangen
als reines Geschenk, als Gnade?!
Es
geht im Grunde um die Frage:
Lasse ich Gottes
Barmherzigkeit bei mir zu, auch dort, wo meine Selbstvorwürfe mich etwas
anderes spüren lassen? - Vertraue ich auf Gottes Erbarmen, auch da, wo
ich nicht auf eigene Leistung, auf meine Verdienste verweisen kann? -
Wage ich es, mein eigenes strenges Richteramt über mich aufzugeben und
mich auch in meinen Schwächen, Fehlern und Sünden anzunehmen? Gott hat
es ja schon längst getan, mich angenommen!
Nochmals:
Wer hat mehr Einfluss auf mich?
Meine Enttäuschungen
über mich selbst, meine Selbstvorwürfe, die mich lähmen? - Oder Gott,
der in seiner Barmherzigkeit und übergroßen Liebe zu mir sagt: „Deine
Sünden sind dir vergeben!“
Heilung beginnt dort, wo ich
zu mir selber stehe, auch zu meinen Fehlern und meinem Versagen. Heilung
beginnt dort, wo ich mich selbst annehme. Heilung beginnt dort, wo ich
auf die Barmherzigkeit Gottes vertraue, allen inneren Ängsten und
Bedenken zum Trotz.
„Deine Sünden sind die vergeben!“
Dieses Wort wird auch heute noch vom Priester bei jeder Beichte
gesprochen.
„Wem
ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“,
sagt der Auferstandene zu seinen Jüngern und vertraut damit die
Vollmacht Sünden zu vergeben der Kirche an. Seit dem gibt es das
Bußsakrament, die Feier der Versöhnung. Da spricht Gott das Wort das
aufrichtet und befreit, das tröstet und den inneren Frieden schenkt. Wie
alle Sakramente ist die Beichte Ort des Heiles und der Heilung. Sie ist
ein Fest der Auferstehung.
Wie oft schon durfte ich in vielen Situationen, im Beichtstuhl, im
Sprechzimmer, bei Besinnungstagen und Exerzitien das aufrichtende,
befreiende und den neuen Anfang schenkende Wort der Vergebung
zusprechen, den Stein der Schuld, der vielleicht schon Jahre und
Jahrzehnte einen Menschen bedrückte, helfen, von ihm zu nehmen. Ich muss
sagen: Es ist etwas vom Schönsten in meinem Leben als Priester.
Ob
wir uns diese Zusage nicht wieder einmal schenken lassen sollten, die
Jesus heute im Evangelium dem Gelähmten gibt: „Deine Sünden sind dir
vergeben“?
Jeden Tag waschen wir uns, reinigen uns, wenn wir dreckig geworden
sind, bringen unsere Haare in Ordnung. Was aber ist mit dem Schmutz der
Seele? Wie ist es um die Innenreinigung bestellt? Für unsere Abfälle
haben wir die Müllabfuhr. Was aber ist mit unserem Seelenmüll? Wohin
damit? Unter den Teppich kehren? Verdrängen? Anderen in die Schuhe
schieben? Verharmlosen? Schönreden?
Der Herr will auch uns
Vergebung, Heil und Heilung schenken. Gott trägt uns unser Vergehen
nicht nach. Er rechnet uns unsere Schuld nicht auf. Seine Liebe ist
größer als alle Schuld.
Der Gelähmte im
Evangelium, der Vergebung empfangen hat, kann sich auf das Machtwort
Jesu hin „vor aller Augen“ erheben, seine Bahre aufnehmen und in
sein Haus zurückkehren, dorthin wo er vorher dem Leben gelähmt
gegenüberstand.
Verständlich die Reaktion aller anderen: Sie geraten außer sich.
„So etwas“, sagen sie, „haben wir noch nie gesehen“.
Hier bricht die Geschichte
ab. Wir können uns fragen: Hat das Erleben die Leute zum wirklichen
Glauben geführt, wie ihn zuvor die vier Männer dem Herrn
entgegenbrachten, Tat gewordener Glaube, der nicht enttäuscht wurde?
Oder blieb das Volk nur im Sensationellen hängen? Aber sie loben Gott.
Sie spüren seine Nähe. Ein heiliger Schauder erfasst sie. Es ist
deutlich: hier ist Gott am Werk!
Täglich geschieht in
unserer Mitte Unglaubliches. Wir begegnen Jesus in seinem Wort und
Sakrament. Täglich schenkt er sich uns im Brot des Lebens und im Kelch
des Segens. Er spricht uns frei von Schuld und Sünde.
Ob wir noch merken,
wo Gott am Werk ist? Ob wir noch darüber staunen können? Und danken? Und
Gott loben? Ihn loben für seine großen Taten, ihn preisen für seine Huld
und Treue, für alles, was er uns Gutes tut.
„Lobe den Herrn,
meine Seele..., der dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen
heilt.“
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