geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Der Gelähmte

(Mk 2, 1 - 12 - 7. Sonntag Lesejahr B)

 

Schon die Nähe eines Menschen kann aufrichten und niederdrücken. Sie kann Vertrauen wecken oder ängstigen. Sie kann dazu beitragen, dass sich jemand mitteilt oder verschließt.

Von Jesus bezeugen die Evangelien, dass Menschen immer wieder seine Nähe suchten. Leute, die sich sonst eher zurückgesetzt, ausgegrenzt und entmutigt empfanden, fühlten sich von ihm angezogen. Von einer solchen Begegnung berichtet Markus am Beginn des zweiten Kapitels.

 

"Und nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden - sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen."

 

Die Geschichte ist allein schon durch ihre Szenerie reizvoll.

Es geschieht etwas kaum Vorstellbares: das Durchgraben eines Hausdaches. Der spektakuläre Dachdurchbruch ist eine ungewöhnliche Aktion und gehört zu den farbigsten Episoden der Evangelien. Man versucht nicht, sich doch noch einen Weg zu bahnen oder eine Bresche durch die Menge zu schlagen, sondern man versucht, vom Dach her, in den Innenraum zu gelangen, in dem Jesus lehrt.

Die Schilderung kann durchaus realistisch sein. Die Mehrzahl der Häuser in Palästina damals waren eingeschossig und umfassten nur einen Raum. Im Kommentar von Schmithals zum Markusevangelium findet sich folgende Anmerkung:

„Das Dach hat man sich als flache Abdeckung des orientalischen Hauses vorzustellen; ein Geflecht zwischen Balken bildet die Grundlage für eine aufgetragene Lehmschicht, die möglicherweise mit Platten belegt war, die zuerst abgetragen wurden. Eine Treppe führte von außen auf das Dach, das bei kühlem Wetter und nach Sonnenuntergang als Aufenthaltsort dient.“

Der Evangelist begründet den Einstieg über das Dach mit dem Gedränge der Zuhörer vor der Tür. Wahrscheinlich aber wählten die Träger diesen Weg, um den Krankheitsdämon zu täuschen. Man glaubte nämlich damals, die Krankheit sei von einem bösen Geist verursacht und dieser dürfe nicht den normalen Hauseingang kennenlernen, weil er sonst sein Opfer bald wieder heimsuchen werde.

Wie auch immer, Jesus ist jedenfalls überwältigt. Kein Kopfschütteln über das merkwürdige Vorgehen und das ungewöhnliche Verhalten der vier Männer, keine Rüge wegen des Schadens am Haus, den sie anrichten. Jesus sieht in ihrem phantasievollen und entschlossenen Tun Glauben. Für ihn drückt sich darin großes Vertrauen aus.

„Als er ihren Glauben sah...!“ Jesus ist beeindruckt über den Glauben derer, die den Gelähmten allen Hindernissen zum Trotz zu ihm tragen.

Sie tragen einen Menschen, vor dessen Elend sie machtlos sind. Sie vermögen den Gelähmten nicht selbst aus seinem Elend herauszuholen. Sie können „nur“ mit ihm sein. Aber das lässt sie nicht in Tatenlosigkeit verharren. Im Gegenteil, sie ergreifen die Initiative, sie gehen bis an die Grenze dessen, was sie tun können.

 

Sie hatten wohl von den Wunderheilungen Jesu gehört, von Tauben, deren Ohren geöffnet wurden, von Stummen, die wieder sprechen konnten, von Aussätzigen, die rein wurden, von Besessenen, aus denen Dämonen ausfuhren. Das hat sie zuversichtlich gemacht, dass neues Leben auch in die Glieder ihres Freundes zurückkehren würde, weil ganz offensichtlich in diesem Jesus von Nazareth Gottes Kraft am Werk ist. Ungeniert gegenüber allem, was sich ihnen in den Weg stellt, tragen sie den Gelähmten zu Jesus, damit er ihn aus seiner Lebensstarre befreie. Ihr Glaube und ihr Vertrauen lässt sich durch nichts aufhalten. Einfallsreich und hartnäckig überwinden sie in ihrem Glauben alle Hindernisse. Nun liegt der Gelähmte Jesus zu Füßen, unabweisbar, unübersehbar und voll Erwartung. Alle sind gespannt. Wie wird Jesus reagieren? Was wird er sagen?

Und was ist Jesu erstes Wort ? „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“

 

Das hatten sie nicht erwartet! Da mühen sie sich ab, die vier gestandene Männer, um den Gelähmten zu Jesus zu bringen.

Da steigen sie sogar aufs Dach des Hauses, decken es ab und schlagen ein Loch in die Decke. Selbst bei der damaligen Bauweise in Israel war das keine Kleinigkeit. Sie setzen alles auf eine Karte, damit dieser kranke Mensch in die Nähe Jesu kommt. Sie tun alles Erdenkliche, damit der Gelähmte geheilt wird. Und dann sagt Jesus nur: „Deine Sünden sind dir vergeben!“ Anstelle der erwarteten Heilung - Vergebung der Sünden!

Ja, wozu denn der ganze Aufwand? Laufen soll er wieder, der Gelähmte, seine Gelenke bewegen, seine Hände und Füße gebrauchen. Was soll da das Wort von der Sündenvergebung?

Es ist ja gar keine Rede davon, dass der Kranke ein Sünder war. Und er selbst bittet auch nicht um Vergebung der Sünden.

Auch er wollte seine schrecklichen Lähmung los werden. Die hat ihn ja total in Abhängigkeit von anderen Menschen gebracht. Er wollte frei sein, nicht immer jemand anderen brauchen müssen, nicht ständig bitten und danken müssen. Er wollte sich selbst - ohne fremde Hilfe - bewegen können. Er wollte nicht länger abgeschnitten sein vom Leben. Ein Zustand und eine Befindlichkeit, die einen Menschen hoffnungslos, mutlos machen und auch seelisch lähmen kann.

Doch wie wäre die Sache weitergegangen, wenn Jesus nur ge­sagt hätte: „Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh!“ Und nicht dazu: „Deine Sünden sind dir vergeben!“?

Sicher, jener Mann wäre aufgestanden und wäre - äußerlich geheilt - nach Hause gegangen. Er hätte Hände und Füße, Glieder und Gelenke wieder gebrauchen können. Er hätte seinen Beruf wieder ausüben können. Er hätte seinen Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten können.

Sicher, die äußere Lähmung wäre vorbei. Aber was ist mit der inneren Lähmung? Was ist mit all den Dingen, die einem Menschen den Lebenswillen und die Lebenskraft rauben können, obwohl er äußerlich kerngesund ist?

Wenn uns plötzlich ein Schicksalsschlag trifft, wenn ein Unglück unversehens in unser Leben bricht, ein Schreck uns in die Glieder fährt, kann sich alles verkrampfen. Es ist wie ein Erstarren.

„Ich bin wie gelähmt!“ sagen wir, wenn wir eine Erfahrung machen müssen, die uns aus der Bahn wirft.

 

Es sind viele Erfahrungen, die einen lähmen können:

Vielfach ist es Angst, die den Menschen bis zum Kranksein lähmen kann, Angst, den Erwartungen anderer oder den eigenen nicht zu entsprechen, - Angst vor Versagen, Angst vor Verletzlichkeit, - Angst vor möglichen Schuldgefühlen, Angst vor der Zukunft, Existenzangst. Angst hat viele Gesichter. Angst ist der heimliche oder unheimliche Begleiter vieler Menschen.

 

Es kann auch lähmend wirken, wenn vergangene Schuld versteckt gehalten werden muss, weil sie der innersten Haltung des Perfektionismus widerspricht, - eine Lebenseinstellung, die bis zur Abwertung und Vernichtung des eigenen Menschseins führen kann und Lähmung und Starre bis in die Glieder des Leibes bewirken kann.

Lähmen kann einen das Gefühl, nicht ernst genommen zu wer­den, übergangen zu werden. Lähmen kann einen das Gefühl, überfordert zu sein oder mangelndes Selbstvertrauen.

Lähmen kann einen eine tiefe Enttäuschung, die Enttäuschung über einen anderen Menschen, - die Enttäuschung aber vor allem über sich selbst: schon wieder dieser Fehltritt, dieses Versagen? Es ist wie verhext. Ich kann mich anstrengen wie ich will, es ändert sich nichts! Oder: dass ich zu so etwas fähig bin, zu so etwas Schlimmem! Ich kenne mich selbst nicht mehr!

Lähmen kann die Erfahrung, Fehler zu machen, schuldig zu werden. Und diese Schuld ist eine schwere Last. Allein wird man damit nicht fertig. Sie kann einen aber ganz schön fertig machen.

 

So gesehen, kann ich es gut verstehen, warum es Jesus dem Gelähmten gegenüber nicht nur sagt: „Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!“, - sondern auch und zuerst: „Deine Sünden sind dir vergeben!“ Jesus sieht tiefer. Leib, Seele, Geist bilden ja eine Einheit. Leibliche und seelische Gesundheit hängen aufs engste zusammen. Wir nennen das heute Psychosomatik. Aber es ist eine alte Binsenweisheit.

 

Bei vielen Anlässen wünschen wir uns gegenseitig Gesundheit. Gesund zu sein ist die Sehnsucht jedes Menschen. Hauptsache gesund! Ob Gesundheit wirklich das allergrößte Glück dieser Welt ist und somit die Hauptsache und das Allerwichtigste? Gesundheit ist gewiss ein hohes Gut, aber das höchste? Dann müssten ja die Gesunden, die schmerz- und leidfreien Menschen die glücklichsten sein. Aber das stimmt nicht. Im Alltag und in der Begegnung mit Menschen erfahre ich das immer wieder anders.

 

Was nutzt einem Menschen alle Gesundung des Körpers, falls diese überhaupt anhält, wenn die inneren Wunden und Verletzungen nicht geheilt sind, wenn einer schwer an der Last seiner Sünden trägt und schier an seiner Schuld zerbricht?

Und umgekehrt: Erst wenn ich von Schuld befreit bin, versöhnt mit Gott und den Mitmenschen, versöhnt mit meiner Vergangenheit und mit mir selber im Einklang, erst dann werde ich meine Gesundheit und mein Leben genießen können. Jesus geht es um Befreiung zu einem glücklichen, gelingenden Leben.

 

Das hatten sie nicht erwartet, jene Männer, als sie den Gelähmten zu Jesus trugen, damit er ihn von seinen Gebrechen befreie, das hatten sie nicht erwartet - und er selber wohl auch nicht -, dass Jesus auf diese Weise offen legt, wie eng äußere Lähmung mit innerer Lähmung zu tun hat und wie sehr eine äußere Heilung das innere Heilwerden voraussetzt.

Ja, was nutzt es einem Menschen, Hände und Füße gebrauchen zu können, wenn er innerlich wie gelähmt und versteift ist!

Und umgekehrt: Wo ein Mensch innerlich beweglich bleibt, versöhnt mit sich, mit seinen Fehlern und Schwächen, voll Vertrauen, dass auch er wichtig ist und wertvoll, von Gott getragen und gehalten, so angenommen, wie er ist, da wird er auch die Kraft in sich spüren, die er braucht, um mit den Lähmungen und Einschränkungen des Lebens zurechtzukommen, z.B. mit einer chronischen Krankheit oder unheilbaren Behinderung.

 

Ich kenne Behinderte, z. B. unser blinder Bruder Monald in Koblenz war so einer, von dessen Zufriedenheit und Ausgeglichenheit hat man sich eine Scheibe abschneiden können. Er hatte gelernt, mit seiner Krankheit zu leben und hoffnungsvoll auf Gott zu vertrauen. Er war äußerlich nicht gesund, aber in der Mitte seines Herzens „heil“, versöhnt mit Gott, im Frieden mit den Mitmenschen und mit sich selbst identisch. Er strahlte eine große Ruhe aus und war die Seele des Hauses.

Und mehr als einmal ist es mir schon passiert, dass ich Bammel hatte vor einem Krankenbesuch, weil ich nicht wusste, wie sollst du den Mann oder die Frau in ihrem Leid trösten. Und ich selber empfing Trost und ging gestärkt nach Hause.

 

„Deine Sünden sind dir vergeben!“ sagt Jesus und bricht damit die innere Lähmung auf. Das kann jeder sagen, denken die einen und die Schriftgelehrten regen sich auf, weil er sich Göttliches anmaßt. Sündenvergebung war ausschließlich Recht Gottes.

Wer sich dieses Recht anmaßte, beging Gotteslästerung. Jesu Verhalten erfüllte diesen Tatbestand. Dazu kommt noch: Gottes Vergebung, so war man überzeugt, folgt stets und ausschließlich der nachweislichen Bekehrung und einer langen Zeit strenger Buße. Und da kommt dieser Jesus daher und sagt ohne ersichtlichen Grund und ohne nach Reue zu fragen, ohne eine Buße aufzuerlegen und ohne Wiedergutmachung zu fordern: „Mein Sohn, deine Sünden dir vergeben!“

Jesu Anmaßung muss in den Augen der Schriftgelehrten grenzenlos und unerhört gewesen sein, gotteslästerlich! Und sie haben recht. Niemand kann Sünden vergeben als Gott allein. Jesus bestreitet das nicht. Aber er sagt auch das vermeintlich Schwerere: „Nimm deine Bahre und geh!“ Die sichtbare Heilung bestätigt seinen Anspruch, als Sachwalter Gottes aufzutreten. Durch die Krankenheilung beweist er seine göttliche Vollmacht. Die Schriftgelehrten ahnen nicht, dass sie Jesu wahre Identität entdeckt haben.

Nach der inneren Lähmung befreit Jesus den Mann auch von der äußeren Lähmung. Heilung geschieht ganzheitlich. Der Gelähmte kann gehen und es ist ihm vergeben. Jesus erweist sich als der Heiland im umfassenden Sinn, als der göttliche Arzt für Seele und Leib. Und alle (auch die Schriftgelehrten?) sind außer sich und preisen Gott.

 

„Deine Sünden sind dir vergeben!“ - Es fragt sich nur, habe ich den Mut, mir gegenüber so barmherzig zu sein, wie Jesus es ist?

Kann ich vor den Spiegel treten und zu mir sprechen: „Du, hör auf mit deinen Selbstvorwürfen und Selbstbeschuldigungen! Vergib dir! Sei liebevoller zu dir. Sei barmherzig mit dir selbst!“? Und das nicht, weil ich meine Schuld verharmlose oder weil ich mich selbst erlösen möchte, sondern weil ich auf jene größere Barmherzigkeit Gottes vertraue, die zu jedem von Schuld und Selbstvorwürfen gelähmten Menschen sagt: Deine Sünden sind dir vergeben! - Und weil ich von dieser Barmherzigkeit nicht nur mit den Lippen reden will, sondern sie innerlich, in meinem Herzen, zulassen möchte, mich ihr anvertrauen, ohne Gegenleistung, sie empfangen als reines Geschenk, als Gnade?!

Es geht im Grunde um die Frage:

Lasse ich Gottes Barmherzigkeit bei mir zu, auch dort, wo meine Selbstvorwürfe mich etwas anderes spüren lassen? - Vertraue ich auf Gottes Erbarmen, auch da, wo ich nicht auf eigene Leistung, auf meine Verdienste verweisen kann? - Wage ich es, mein eigenes strenges Richteramt über mich aufzugeben und mich auch in meinen Schwächen, Fehlern und Sünden anzunehmen? Gott hat es ja schon längst getan, mich angenommen!

 

Nochmals: Wer hat mehr Einfluss auf mich?

Meine Enttäuschungen über mich selbst, meine Selbstvorwürfe, die mich lähmen? - Oder Gott, der in seiner Barmherzigkeit und übergroßen Liebe zu mir sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben!“

Heilung beginnt dort, wo ich zu mir selber stehe, auch zu meinen Fehlern und meinem Versagen. Heilung beginnt dort, wo ich mich selbst annehme. Heilung beginnt dort, wo ich auf die Barmherzigkeit Gottes vertraue, allen inneren Ängsten und Bedenken zum Trotz.

„Deine Sünden sind die vergeben!“ Dieses Wort wird auch heute noch vom Priester bei jeder Beichte gesprochen.

„Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“, sagt der Auferstandene zu seinen Jüngern und vertraut damit die Vollmacht Sünden zu vergeben der Kirche an. Seit dem gibt es das Bußsakrament, die Feier der Versöhnung. Da spricht Gott das Wort das aufrichtet und befreit, das tröstet und den inneren Frieden schenkt. Wie alle Sakramente ist die Beichte Ort des Heiles und der Heilung. Sie ist ein Fest der Auferstehung.

Wie oft schon durfte ich in vielen Situationen, im Beichtstuhl, im Sprechzimmer, bei Besinnungstagen und Exerzitien das aufrichtende, befreiende und den neuen Anfang schenkende Wort der Vergebung zusprechen, den Stein der Schuld, der vielleicht schon Jahre und Jahrzehnte einen Menschen bedrückte, helfen, von ihm zu nehmen. Ich muss sagen: Es ist etwas vom Schönsten in meinem Leben als Priester.

Ob wir uns diese Zusage nicht wieder einmal schenken lassen sollten, die Jesus heute im Evangelium dem Gelähmten gibt: „Deine Sünden sind dir vergeben“?

Jeden Tag waschen wir uns, reinigen uns, wenn wir dreckig geworden sind, bringen unsere Haare in Ordnung. Was aber ist mit dem Schmutz der Seele? Wie ist es um die Innenreinigung bestellt? Für unsere Abfälle haben wir die Müllabfuhr. Was aber ist mit unserem Seelenmüll? Wohin damit? Unter den Teppich kehren? Verdrängen? Anderen in die Schuhe schieben? Verharmlosen? Schönreden?

 

Der Herr will auch uns Vergebung, Heil und Heilung schenken. Gott trägt uns unser Vergehen nicht nach. Er rechnet uns unsere Schuld nicht auf. Seine Liebe ist größer als alle Schuld.

 

Der Gelähmte im Evangelium, der Vergebung empfangen hat, kann sich auf das Machtwort Jesu hin „vor aller Augen“ erheben, seine Bahre aufnehmen und in sein Haus zurückkehren, dorthin wo er vorher dem Leben gelähmt gegenüberstand.

Verständlich die Reaktion aller anderen: Sie geraten außer sich. „So etwas“, sagen sie, „haben wir noch nie gesehen“.

 

Hier bricht die Geschichte ab. Wir können uns fragen: Hat das Erleben die Leute zum wirklichen Glauben geführt, wie ihn zuvor die vier Männer dem Herrn entgegenbrachten, Tat gewordener Glaube, der nicht enttäuscht wurde? Oder blieb das Volk nur im Sensationellen hängen? Aber sie loben Gott. Sie spüren seine Nähe. Ein heiliger Schauder erfasst sie. Es ist deutlich: hier ist Gott am Werk!

 

Täglich geschieht in unserer Mitte Unglaubliches. Wir begegnen Jesus in seinem Wort und Sakrament. Täglich schenkt er sich uns im Brot des Lebens und im Kelch des Segens. Er spricht uns frei von Schuld und Sünde.

Ob wir noch merken, wo Gott am Werk ist? Ob wir noch darüber staunen können? Und danken? Und Gott loben? Ihn loben für seine großen Taten, ihn preisen für seine Huld und Treue, für alles, was er uns Gutes tut.

„Lobe den Herrn, meine Seele..., der dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt.“