In der
Osteroktav und in der gesamten 50-tägigen Osterzeit hören wir jeden Tag,
werktags wie sonntags, Lesungen aus der Apostelgeschichte.
Das Thema:
die Apostel, für die der Karfreitag die Katastrophe ihres Lebens
war, die völlig verwirrt und entmutigt waren, verkündigen Gottes
Heilstat an Jesus. Sie werden Zeugen des Auferstandenen.
Ein
Kernsatz ihrer Predigt lautet:
„Den
Urheber des Lebens habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten
auferweckt. Dafür sind wir Zeugen (3, 15).“
In Jesu Namen
wirken die Apostel Zeichen und Wunder. Petrus und Johannes heilen im
Tempel z.B. einen Gelähmten. Sie treten öffentlich auf. Sie reden zum
Volk. Sie sagen, dass sie das nicht aus eigener Kraft vollbracht haben,
sondern im Namen Jesu, des gekreuzigten und auferstandenen Herrn.
Das
Zeugnis der Apostel steckt an und eckt an.
Einerseits
weckt es den Glauben vieler Menschen. Scharen lassen sich taufen. Die
Gemeinschaft der Gläubigen wächst. Andererseits sind die Ältesten
und Schriftgelehrten zutiefst beunruhigt. Die Jerusalemer
Führungsschicht ist aufgebracht.
Die Apostel
werden festgenommen, inhaftiert, langen Verhören unterzogen. Diese
Vernehmungen nutzen die Apostel wiederum, um Christus als den
Auferstandenen zu verkündigen und Zeugnis für ihren Glauben abzulegen.
Man versucht es
mit Einschüchterungen, mit Redeverboten, mit autoritären Drohungen. Ja,
mit Polizeigewalt will man die Apostel davon abbringen, den Glauben an
Jesus Christus zu verkünden. Diese kümmern sich nicht darum. Keine Macht
der Welt vermag sie daran zu hindern, mit Freimut aufzutreten und das zu
bezeugen, was sie wissen und was in ihnen brennt.
Die Führer,
sowie die Ältesten und Schriftgelehrten wundern sich über den Freimut
der Apostel. Sie sehen auch, dass es ungelehrte und einfache Leute sind,
die so furchtlos, so kraftvoll, so wirksam auftreten.
Die Wirksamkeit des Zeugnisses
der Apostel ist in erster Linie getragen von der Kraft Gottes und nicht
von weltlicher Gelehrsamkeit, Redekunst oder bestandenen Pastoralexamen.
So wichtig das alles ist.
Die Wirksamkeit der Verkündigung
hängt nicht so sehr vom Bildungsstand ab, sondern vom eigenen Gepackt-
und Ergriffensein, also vom eigenen gläubigen, glühenden Herzen.
Nur
Entzündete entflammen. Nur Ergriffene ergreifen.
Den Aposteln
haben es die Menschen angemerkt, dass sie mit ganzem Herzen Gott
anhangen und fest an Jesus Christus glauben. Sie waren selber erfüllt
von der Botschaft, die sie weitergaben und weitersagten. Und so war ihr
Zeugnis glaubwürdig und fruchtbar.
Alfred Delp
hat diesbezüglich bohrende Fragen zu Papier gebracht, Fragen, die uns
auch heute noch bewegen und heilsam unruhig machen können. Er
schreibt: „Sind wir noch glühende Menschen?
Ist noch irgendeine Leidenschaft in unserer Seele, für die man sich
einsetzt? Oder ist alles nüchtern und dürftig und schön geordnet, dass
es kein Herz mehr entzündet? - Der glühende Mensch! Nicht der Fanatiker!
- Das ist der Mensch, auf den die Kirche gebaut hat.“
Und Franz Kamphaus,
der frühere Bischof von Limburg, sagte einmal:
„Kaum etwas kennzeichnet unsere Situation so sehr wie der Mangel an
Leidenschaft. Wir finden immer einen Grund, nicht radikal zu sein. - Was
bleibt? Ein Glaube ohne Ärgernis, eine kommode Religion.“
Aber wie ist es bei uns selbst?
Brennt in meinem Herzen die Leidenschaft für Gott, für sein Reich, für
das Evangelium? Oder ist meine Frömmigkeit eben Routine, Geschäft, Job,
business as usual? Leidenschaft für Gott und den Menschen: Müsste
das nicht unser Markenzeichen sein als Christen?
Bei den Aposteln
kommt noch etwas hinzu, was uns heute oft fehlt. Mehrfach heißt es in
der Apostelgeschichte, dass sie „mit Freimut“ auftraten und
redeten. – Das Wort „Freimut“ hat es mir angetan. Wie ist dieser
Freimut möglich trotz Verbot, trotz Drohung und Einschüchterung, trotz
erfahrener Kerkerhaft, trotz Verhören, Hieben, Foltern usw.?
Die
Antwort geben die Apostel selbst. Sie besteht in zwei Sätzen.
Der
erste lautet:
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Das
ermöglicht ihnen diesen frappierenden und faszinierenden Freimut:
Sie hören
mehr auf Gott und richten sich nach ihm aus und nicht nach dem, was
Menschen denken, sagen und wollen, und seien es die Führer und Ältesten,
also noch so angesehene Autoritäten.
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Das
ermöglicht es ihnen, sich nicht einschüchtern zu lassen, sich nicht
mundtot machen zu lassen, sondern unerschrocken für ihren Glauben
einzustehen, ihn furchtlos zu bekennen und entschieden für die Wahrheit
Zeugnis ab zulegen.
Man kann
es den Aposteln zig mal verbieten, im Namen Jesu zu predigen, und man
mag sie noch so sehr bedrohen und bestrafen, es drängt die Apostel zum
Bekenntnis, es drängt sie, Zeugnis zu geben von allem, was sie mit Jesus
erlebt und erfahren haben.
So
lautet der zweite Satz ihrer Antwort:
„Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen
und gehört haben.“
Sie sind Augen- und
Ohrenzeugen des Christusereignisses.
Als
solche richtet sich ihre Verkündigung nicht nach dem eigenen Gutdünken
und schon gar nicht nach dem Gefallen der Zuhörer oder dem Geschmack der
Stunde, sondern es drängt sie von innen her zum Weitersagen und
Weitergeben der Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Christus.
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Und: „Wir können unmöglich schweigen von dem,
was wir gesehen und gehört haben.“
Eine
wahre Geschichte:
Es
war zu kommunistischer Zeit in Moskau im Gefängnis der Geheimpolizei.
Eine Gefangene – eine Frau aus Arsanjeff – bezeugt, was sie an diesem
Ort erlebt hat. Sie erzählt: „Eines Abends
flüsterte mir meine junge Mitgefangene in der Zelle zu: Wissen Sie, was
morgen für ein Tag ist? Morgen ist Ostern! – War das Osterfest
tatsächlich schon so nahe? Ostern bedeutet doch die Freude für die ganze
Menschheit!
Nur wir waren von dieser Freude ausgeschlossen. Trostlos gingen wir am
nächsten Morgen den Korridor entlang. Bedrückende Stille! Plötzlich:
Durchdringend, laut und klar der Ruf: Christus ist auferstanden! - Wer
hat es gewagt, unseren Ostergruß zu rufen? Ich sehe meine Gefährtin an.
Die großen Augen leuchten in dem blassen Gesicht. Da erklingt schon die
Antwort; aus jeder Zelle ertönt mit freudiger Stimme: Ja, er ist
wahrhaft auferstanden! – Die Wächter sind sprachlos, vor Staunen
versteinert. Das ist ihnen noch nie vorgekommen. Dann stürzen sie sich
auf das junge Mädchen und schleppen es mit sich.“ – Nach vier Tagen
kehrte es zurück in die Zelle“,
erzählte die Mitgefangene weiter, „das Gesicht
sah elend und abgemagert aus. – Man hatte sie die Ostertage in einer
ungeheizten Strafzelle hungern und frieren lassen. Aber sie sagte mir
mit leuchtenden Augen: Und ich habe doch im Gefängnis die Osterbotschaft
verkündet. Alles andere ist gar nicht wichtig!“
Die ganze
Geschichte der Kirche über traten immer wieder solche Glaubenszeugen
auf, die mit Freimut den Glauben verkündeten und dabei Leib und Leben
riskierten.
Der Erstlingsmärtyrer
der Kirche ist der Diakon Stephanus, dann die Apostel selbst. Dazu kamen
Frauen wie Felicitas, Perpetua, Agatha, Luzia, Agnes, Cäcilia,
Anastasia, die sämtliche im ersten Hochgebet der Kirche genannt werden.
Schließlich Bonifatius, Kilian und seine Gefährten dann der Lordkanzler
und Familienvater Thomas Morus und viele, viele andere.
In unserer Zeit
z.B. die Jesuitenpatres Alfred Delp und Rupert Mayer, der Franziskaner
Maximilian Kolbe und die Karmelitin Edith Stein, aber auch evangelische
Christen, wie z. B. Dietrich Bonhoeffer und Sophie Scholl. – Mehr als
graue Theorie hilft mir der Blick auf solche Gestalten, solche Zeugen
des Glaubens.
Am 24. März 1980
wurde Oskar Romero in San Salvador von rechtsextremistischen Mördern am
Altar erschossen.
Ein
Junge, der bei der Messfeier dabei war, nahm seine Predigt auf Kassette
auf. Es sind auch die Schüsse zu hören, die den Bischof ins Herz trafen.
Die
letzten Worte seiner Predigt waren folgende:
„Möge
dieser Leib, der für die Menschen hingegeben und dieses Blut, das für
die Menschen vergossen wurde, uns die Kraft geben, unseren Leib und
unser Blut, wenn wir Leid und Schmerz erdulden, wie Christus nicht
einfach so, sondern als Zeichen von Frieden und Gerechtigkeit für unser
Volk hingeben.“
Keine
zehn Sekunden später fielen die tödlichen Schüsse. Der Mörder ließ
Erzbischof Romero nicht die Zeit, um die eucharistischen Gaben von Brot
und Wein als Opfergabe zum Himmel zu erheben. Er selbst wurde zur Hostie
seiner letzten Eucharistie.
In keinem Jahrhundert
seit Christi Geburt, auch nicht unter Kaiser Nero und Diokletian, ist so
viel Märtyrerblut geflossen wie im aufgeklärten, unaufhörlich von
Fortschritt und Humanität redenden 20. Jahrhundert. Und zu Beginn des
21. Jahrhunderts hat sich daran nichts geändert. Die Situation hat sich
eher noch, besonders in manchen arabischen Ländern, verschärft.
Wie viele Priester, Ordensleute und Laien
in Lateinamerika und sonst wo gelten auch heute politisch als
gefährlich, nur weil sie für die Armen Partei ergreifen, Unrecht beim
Namen nennen und den Schwachen eine Stimme geben? Viele sind es, die es
auch in Pakistan und Osttimor, in China und Vietnam und vielen Ländern
Arabiens und Afrikas in Kauf nehmen wegen ihres Glaubens diffamiert,
schikaniert, verfolgt, eingekerkert, grausam gefoltert, ja ermordet zu
werden.
„Ihr sollt meine Zeugen sein!“ Diesen
Auftrag gibt Jesus seinen Jüngern. Er verheimlicht ihnen aber auch
nicht, dass der Preis ihrer Zeugenschaft Mühen, Drangsale und Verfolgung
sein werde:
„Haben
sie mich verfolgt, werden sie auch euch verfolgen!“
Er
hat aber auch
den Verfolgten eine besondere Zuwendung in Aussicht gestellt: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und
verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und
jubelt! Euer Lohn im Himmel wird groß sein!“
Die Apostel
damals, unsere verfolgten Schwestern und Brüder heute, stellen an uns
Fragen: „Und ihr? Was ist mit euch?“ – Lassen wir uns anfragen,
wie es um unsere Zeugenschaft bestellt ist!
„Wissen Sie, da ist mir etwas passiert, über das ich mich furchtbar
schäme“,
bekannte mir ein Mann von der Pfälzer Weinstraße, der
hier in der Nähe eine Kur machte. „Im letzten
Oktober bekamen wir bei der Weinlese eine Hand voll Arbeiter aus Polen.
Einer davon konnte ein wenig deutsch. Als wir an einem Montag beim
Mittagessen waren, fragte er jeden am Tisch: Du gestern in Kirche? –
Während von den Deutschen alle abwinkten und einer von ihnen sagte: Was
heißt Kirche? Lass mich mit diesem Quatsch in Ruhe! - hätte ich etwas
sagen müssen. Ich hätte aufstehen sollen, hätte sagen sollen: Jawohl ich
war in der Kirche! Ich hätte sagen sollen, dass ich jeden Sonntag zum
Gottesdienst gehe, um Christus zu begegnen und mir Kraft für mein Leben
zu holen. Aber ich wagte es nicht. Ich schwieg, weil ich Angst hatte –
Angst davor, ausgelacht zu werden, nicht mehr ernst genommen zu werden.
– Ich kann Ihnen sagen, wie ich mich hinterher geschämt habe.“
Es braucht
das Zeugnis des Wortes. Mehr noch braucht es das Zeugnis unseres Lebens.
Es braucht heute mehr denn ja auch bei uns Kraft und Mut, Jesu Botschaft
in Wort und Tat zu verkünden, sich zum Glauben zu bekennen, Zeugen der
Wahrheit, Boten der Liebe und Werkzeuge des Friedens zu sein. Nachfolge Christi heißt nicht
„einen“ Weg gehen, sondern
„seinen“ Weg gehen.
Christlicher Glaube
hat sich seit den Tagen der Apostel nicht ausgebreitet durch
Leisetreterei, falsche Rücksichtnahme und scheue Zurückhaltung. – Wo
bleibt unser Profil als Christen? Warum fallen wir so wenig auf? Warum
unterscheiden wir uns so wenig?
Konsequentes, dem Evangelium gemäßes Leben
würde auch heute Widerspruch erregen. – Sind wir blutleere Zeugen? Leben
wir zu angepasst, zu konformistisch, oberflächlich, mittelmäßig? Wie
ernst nehmen wir unseren Glauben? Wie konsequent leben wir unser
Christsein? Funktionieren wir zu reibungslos? Haben wir die christliche
Botschaft so entschärft, dass sie nur noch Gebrauchsreligion ist,
Dekoration für Weihnachten, Hochzeit, Weißen Sonntag, aber nichts mehr
bewegt? Haben wir den Glauben in die Sakristei und hinter bunte
Kirchenfenster verbannt und tätscheln ihn höchstens noch an ein paar
Feiertagen?
Ich frage mich schon,
warum weht uns der Wind hierzulande so wenig ins Gesicht? Dass man uns
so in Ruhe lässt, spricht meines Erachtens nicht für uns, sondern eher
gegen uns.
Jetzt
denken vielleicht einige:
-
„Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird!“
– Gilt das aber auch für die Speise der Nachfolge?
-
„Die Wahrheit liegt in der Mitte!“
– Liegt auch die Wahrheit der Nachfolge in der Mitte, oder liegt sie
dort allenfalls begraben?
-
„Alles hat zwei Seiten!“ –
Doch Nachfolge hat
nur eine Seite, man mag sie drehen und wenden wie man will, die
nämlich, die Gott uns in Jesus Christus zugewendet hat, er, der von
sich sagt: „Ich bin der Weg und die
Wahrheit und das Leben.“
Ich glaube,
dass wir gar nicht so sehr Anpassungsschwierigkeiten haben an die
moderne Welt und den Geist der Zeit, sondern Anpassungsschwierigkeiten
gegenüber dem, auf den wir uns berufen und dessen Namen wir tragen:
Jesus Christus.
Lassen
Sie mich das einmal so deutlich sagen:
-
Es kann doch nicht sein, dass die
Frisur oder das Kleid einer Parteivorsitzenden wichtiger werden als
das, was sie zur ungerechten Einkommensverteilung sagt.
-
Es kann doch nicht sein, dass die
Menschen sich lieber über ein Grand-Prix-Lied ereifern als über den
Krieg in Syrien.
-
Es kann doch nicht sein, dass der
Nachbarschaftsstreit um einen Zaun und einen Knallerbsenstrauch
wochenlang die Medien füllt, aber vom Millionenhunger in Afrika hört
und sieht man kaum etwas.
Christus will gegenwärtig sein in unserer Zeit durch uns.
Er will,
dass sich in seinem Namen das Recht Gottes für die Menschen durchsetzt,
dass heute den Armen geholfen, den Hungernden das Brot gebrochen und den
Geschundenen und Verschuldeten ihre Lasten abgenommen werden.
An dieser Stelle
sei ein Ausspruch von Erich Kästner zitiert: „Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es.“ Denken wir auch an den alten Spruch: „Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große,
die man plant.“
Wir alle wissen:
„Christus hat keine Hände nur unsere Hände, um
seine Arbeit heute zu tun. Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um seine
Botschaft zu den Menschen zu bringen. Er hat keine Lippen, nur unsere
Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen...“
Auch wir
können und dürfen nicht schweigen von dem, was wir gesehen und gehört
haben, was unser Herz zutiefst erfüllt.
Wir können
unmöglich schweigen zum Wahnsinn der Rüstung, zum Skandal der
Abtreibungen, zum Egoismus der Industrienationen, zur Ausbeutung der
Armen auf Kosten der Reichen, zu Waffeneinsätzen, die keine Versöhnung
bringen, zur Ausbeutung der Schöpfung, zur drohenden Klimakatastrophe.
Auch wir
müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen, und seien es die
Allernächsten oder die Allerhöchsten.
In unserem Tun
dürfen wir uns nicht beirren lassen von Angriffen, von Häme und Spott,
sondern sollen entschieden und klar den eigenen Standort als Christen
einnehmen und behaupten.
Im 1.
Petrusbrief steht das Wort:
„Wenn
ihr wegen des Namens Jesu beschimpft werdet, seid ihr selig zu preisen;
denn der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes ruht auf euch.“ |