1. VORBEMERKUNGEN
Die Evangelisten Matthäus, Markus und
Lukas erwähnen ihn.
Beim Kreuzweg ist ihm eine eigene, die 5.
Station, gewidmet.
Der Kreuzweg Jesu war eigentlich nur
wenige hundert Meter lang.
Er verlief vom Prätorium zur Richtstätte
Golgota, die sich unweit außerhalb der Stadtmauer befand.
Ein Urteil war nach römischen Recht
sofort rechtskräftig und wurde in der Regel gleich nach seiner
Verkündigung vollstreckt.
So dürfte Pilatus nach seinem
Urteilsspruch Jesus unmittelbar einem Exekutionskommando übergeben
haben, das aus einem Trupp römischer Soldaten und einem Hauptmann
bestand.
Es war übrigens nur der Querbalken, den
die zum Tod am Kreuz Verurteilten selbst zu tragen hatten. Der
Hauptstamm des Kreuzes war auf Golgota bereits in den Boden gerammt.
Durch die vorausgehenden Foltern und
Qualen (Geißelung, Verspottung und Dornenkrönung) war Jesus so
geschunden und dermaßen geschwächt und entkräftet, dass er das
Kreuzesholz, das ihm auf die Schultern gelegt wurde, nicht mehr tragen
konnte. Er schaffte es nicht bis hinauf.
In dieser Situation zwingen die Soldaten
– vielleicht schon beim Verlassen des Prätoriums oder ein Stück später
irgendwo auf dem Weg durch die Stadt, vielleicht auch erst beim
Durchgang durch das Stadttor – einen Mann namens Simon an Stelle Jesu
den Querbalken zum Richtplatz zu tragen.
2. WER WAR SIMON VON ZYRENE,
der zufällig Jesus auf dem Weg zu seiner
Hinrichtung begegnete, ihm unfreiwillig einen Dienst erwies und so zum
Zeugen seines Kreuzweges und wohl auch der Kreuzigung wurde?
Der Evangelisten kennzeichnen diesen
Simon dreifach.
Erstens
mit dem Beinamen „von Zyrene“, was eine Ortsbezeichnung ist und seine
Herkunft angibt.
Zweitens
berichten sie, dass er gerade vom Feld kam,
also vom Acker, von der Arbeit und damit auf dem Weg nach Hause war.
Markus ergänzt – drittens –
noch, dass er der Vater zweier Söhne war, nämlich des Alexander und
Rufus.
Simon war ein Diasporajude.
In Zyrene, einer Stadt an der lybischen Küste in Nordafrika, gab es zur
Zeit Jesu eine bedeutende jüdische Diasporagemeinde. Wahrscheinlich war
er zu Vermögen gekommen und hatte sich – wie andere Diasporajuden auch –
in Jerusalem niedergelassen, um hier als Jude unter Juden nach dem
Gesetz zu leben und am Tempelgottesdienst teilnehmen zu können.
Möglicherweise
gehörte er zur Synagoge der Zyrenäer, in der sich griechisch sprechende
Diasporajuden zum Sabbatgottesdienst versammelten, die Heilige Schrift
in griechischer Sprache lasen und in griechischer Sprache beteten.
Zufällig
hat sein Weg sich mit den Weg Jesu gekreuzt und beide zusammengeführt,
Jesus und ihn.
Jesus war, mit dem schweren Kreuzbalken
beladen, auf dem Weg zur Stadt hinaus Richtung Schädelhöhe, nach Golgota.
Simon befand sich auf dem Heimweg in die Stadt hinein.
Die Evangelien berichten,
dass er gerade „vom Feld“ kam, gemeint ist wohl die Feldarbeit.
Er hat sein Tagewerk beendet. Nun hat er noch genügend Zeit, den
Feiertag vorzubereiten. Denn bei Sonnenuntergang beginnt der Sabbat.
Aber es kommt alles anders.
Ein römischer Hauptmann hält ihn an und befiehlt ihm, das Kreuzholz Jesu
auf sich zu nehmen und es für ihn zu schleppen. Gezwungenermaßen muss er
das Kreuz dessen tragen, der es freiwillig auf sich genommen hat, aber
am Ende seiner Kräfte ist.
Man kann sich vorstellen,
dass dies dem Simon total quer kam. Das passte ihm überhaupt nicht.
Warum ich, wird er gedacht haben? Es stehen doch so viele herum. Was
geht das mich an?
Wahrscheinlich
hat er sich gesträubt. Aber er musste. Er hatte keine andere Wahl.
Vielleicht war er groß und stark. Vielleicht hat man ihm auch angesehen,
dass er Ausländer ist, Afrikaner, und ihn deshalb ergriffen.
Freiwillig
hätte er das nie getan. Es war äußerst entehrend und diskriminierend
einem zum Tod am Kreuz verurteilten Verbrecher das Kreuz tragen zu
helfen.
Geschieht es nicht auch uns oft,
dass ein Unglück, ein Leid uns völlig unerwartet, ganz ohne Vorwarnung,
trifft?
Wenn ein Familienmitglied schwer
erkrankt, manchmal von heute auf morgen pflegebedürftig wird, wenn ein
Freund den Arbeitsplatz verliert, wenn in der Nachbarschaft ein
behindertes Kind zur Welt kommt, wenn die Ehe der besten Freundin in die
Brüche geht?
Doch
auch ein unvorhergesehener Zwischenfall wie der, der sich im Leben des
Simon von Zyrene ereignete, kann zu einer Begegnung mit Gott werden und
zum Anlass der Bekehrung, wie es wohl bei Simon der Fall war.
Denn
die schicksalhafte Begegnung mit Jesus von Nazareth auf seinem Weg ans
Kreuz, hat ihn wohl so entscheidend geprägt, dass er und seine ganze
Familie – dafür sprechen viele Gründe – Anhänger dieses Jesus, also
Christen geworden sind, die in der frühen Kirche bekannt waren.
Wir wissen nicht,
wie es Simon gegangen ist und was in ihm vorgegangen ist, als er Jesus
half, das Kreuz zu tragen und er ihm die Last, die ihn fast erdrückte
abnahm oder zumindest erleichterte.
Wir wissen nicht,
ob es zwischen Jesus und ihm einen Blickkontakt gab, einen Augenblick
der Freundlichkeit und des Dankes.
Wir wissen nicht,
ob auf dem Weg hinauf zur Richtstätte eine Beziehung entstanden ist
zwischen Simon und Jesus, ob Simon z. B. gemerkt hat, dieser zum Tod am
Kreuz Verurteilte ist kein Verbrecher, der macht nicht den Eindruck, ein
Übeltäter zu sein, ob er gespürt hat, dieser hier ist unschuldig.
Vielleicht
hat Simon schon vorher einiges von Jesus gehört, von seinen Worten,
seinen Taten oder von seinem triumphalen Einzug in Jerusalem erst vor
ein paar Tagen, der ja kaum jemandem verborgen bleiben konnte.
Vielleicht kannte er Anhänger Jesu oder auch erbitterte Gegner.
Jesus war ja in aller Munde und viele fragten sich, ob er wirklich der
Messias sei.
Möglicherweise
hat sich das, was ihm zunächst quer kam, wogegen er sich sträubte und
was ihm zuwider war, weil es nicht in seine Pläne und in seine Stimmung
passte. Möglicherweise hat sich das im Schauen auf Jesus, im
Mitgehen seines Weges und im Mittragen seiner Last gewandelt – von einer
erzwungenen Handlung, ihm befohlen und aufgebürdet, – zu einer mehr und
mehr freien und freiwilligen Tat, so dass ihm das Entehrende und
Widerwärtige gar nicht mehr so schlimm und abscheulich vorkam, sondern
sich in Mitleid und Erbarmen, in Dienstbereitschaft und Solidarität
kehrte und somit für ihn selbst einen anderen Charakter und einen
anderen Geschmack bekam, Sinnhaftigkeit und Wohltun.
Was zuerst Zufall zu sein schien, Simons
Begegnung mit Jesus auf dem Kreuzweg, wurde schließlich zur Fügung.
Geht es uns nicht manchmal auch
so, dass wir uns innerlich gegen etwas
auflehnen und wehren, dass uns – auf Deutsch gesagt – etwas stinkt,
zuwider ist, aber dann beißen wir doch in den sauren Apfel, vielleicht
auch weil uns nichts anderes übrig bleibt, wir sagen ja zum
unvermeidlich Schweren, wir nehmen es an, und wir erfahren, wie sich das
Harte und Widerwärtige verändert, wie Groll und Bitterkeit sich wandeln,
Zorn, Wut und Hass sich legen und die ganze Sache anders aussieht und
sich anders anfühlt und plötzlich Sinn macht und vielleicht sogar guttut.
3. SCHLUSSBEMERKUNGEN
Dadurch, dass Markus, Matthäus und Lukas,
den Namen des Kreuzträgers und Helfers Jesu kennen, auch seine Herkunft
aus Zyrene und das älteste Evangelium, das Markusevangelium, auch die
Söhne Simons, Alexander und Rufus, mit Namen nennt, ist davon
auszugehen, dass Simon und die Seinen dem Verfasser des Evangeliums
bekannt waren, dass sie Christen geworden waren und auch den Adressaten
des Markusevangelium bekannt waren.
Ja, als Zeuge des Kreuzwegs Jesu vom
Prätorium durch die Stadt zur Richtestätte Golgota und wohl auch der
Kreuzigung dürfte sich Simon wohl einer besonderen Wertschätzung in der
frühen Kirche erfreut haben.
Letztlich
stellen die Evangelisten Simon von Zyrene als den Jünger dar, der
„sein Kreuz“ auf sich nimmt und Jesus nachfolgt.
Im Lukasevangelium 9, 23
spricht Jesus – bereits in Galiläa das Wort:
„Wenn jemand mir nachfolgen will,
verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge
mir nach.“
Und ebenfalls bei Lukas 14, 17
heißt es – bereits auf dem Weg nach Jerusalem:
„Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachgeht, kann nicht mein Jünger
sein.“
Simon von Zyrene
ist der erste, der wörtlich tut, was Jesus meint, wenn er vom
„Kreuz-Tragen“ spricht. Er, der wirklich und buchstäblich das Kreuz
hinter Jesus hergetragen hat, ist somit Idealgestalt, Urbild und
lebendiges Vorbild eines dem Herrn auf dem Kreuzweg nachfolgenden
Jüngers.
Christliche Existenz
ist Jesus-Nachfolge, genauer Kreuzesnachfolge, ständiger Lebenseinsatz,
gegebenenfalls und in letzter Konsequenz bis zum Martyrium, aber auch im
Alltag Nachfolge Christi in der Annahme der unvermeidlichen Sorgen und
Nöte, der Lasten und Leiden des Lebens.
Simon von Zyrene
ist auch die Verkörperung zweier anderer Worte im Neuen Testament:
Das erste stammt aus dem Mund des
Weltenrichters:
„Was ihr einem meiner geringsten
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Es erinnert uns daran,
dass unser Leben dann gelingt und gut endet, sich „vollendet“, wenn wir
unseren Mitmenschen Hilfe und Stütze sind, wenn wir barmherzig und
solidarisch sind, wenn wir –wie der barmherzige Samariter – helfen, wo
Hilfe nötig ist.
Sehen wir und verstehen wir
immer wieder aufs Neue, dass der andere, dessen Kreuz wir mittragen oder
vielleicht auch mitzutragen haben, Christus ist und dass es Situationen
gibt, wo nichts wichtiger und auch für uns selbst nichts heilvoller ist,
als barmherzig, solidarisch und zur Hilfe bereit zu sein?
Das zweite Wort
stammt vom Apostel Paulus im Brief an die Galater (6, 3):
„Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz
Christi erfüllen.“
Gemeint ist das Gebot der Liebe. Danach
werden wir am Ende unseres Lebens einmal gefragt, nach der Liebe.
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