Wenn wir
in eine katholische Kirche eintreten, machen wir eine Kniebeuge. So
haben wir es als Kinder gelernt. Wir beugen die Knie vor dem Tabernakel,
vor dem Allerheiligsten, das darin aufbewahrt wird.
Das Knien
ist oder war zumindest einmal so etwas wie ein Markenzeichen
katholischer Christen, ein sichtbares Unterscheidungsmerkmal gegenüber
anderen christlichen Konfessionen.
Meistens
geschieht die Kniebeuge aber eher routinehaft und unbewusst, wie das
Weihwassernehmen und das Kreuzzeichen.
Es gibt
allerdings auch Situationen, da fühlen sich Menschen von innen her
gedrängt, die Knie zu beugen und niederzuknien, aus Ehrfurcht, vor
Rührung oder vor Erschütterung und innerer Erregung.
Es war
der erste Besuch eines deutschen Regierungschefs in Polen, 7. Dezember
1970. – Willi Brandt sank vor dem Mahnmal für die verfolgten Juden im
Warschauer Getto in die Knie. Ein Bild, das um die Welt ging. Ein Bild,
das – mitten im kalten Krieg – zum Symbol wurde für die Annäherung und
Aussöhnung zwischen beiden Staaten.
„Ich hatte plötzlich das Gefühl, stehen reicht nicht.“
So erklärte Willi Brandt, was ihn – zu seiner eigenen Überraschung – zu
dieser spontanen Geste, gedrängt hatte, die als „Kniefall von Warschau“
Geschichte schrieb.
Ich weiß
nicht, ob Sie es auch gelesen, gehört oder gesehen haben und sich noch
daran erinnern: Vor einigen Monaten knieten amerikanische Football
Spieler und andere Sportler in den USA zur Nationalhymne nieder und
schauten schweigend zu Boden, während die anderen stehend die Hymne
sangen, die rechte Hand auf der stolzgeschwellten Brust. Warum taten sie
das? Was ließ sie niederknien? Die immer noch rassistische Wirklichkeit
in den USA.
Das
bewusste und freiwillige Beugen der Knie ist keine harmlose Geste. Wo
alle stehen, kann Hinknien revolutionär sein – und brandgefährlich, wie
die wütenden Reaktionen bis hinauf zum Präsidenten der Vereinigten
Staaten zeigten.
Ein
anderes Beispiel: Wenn Papst Johannes Paul II. bei seinen Reisen ein
Land betrat, ging er – nach Verlassen des Flugzeugs – jedes Mal in die
Knie und küsste den Boden. Eine Zeichen der Hochachtung und Anerkennung
dem Land und seinen Bewohnern gegenüber.
In einem
Brief an einen ihr befreundeten Dominikanerpater berichtet die
französische Philosophin Simone Weil eine Begebenheit bei ihrer
Italienreise 1938:
„Als
ich in der kleinen romanischen Kapelle aus dem zwölften Jahrhundert von
Santa Maria degli Angeli, diesem unvergleichlichen Wunder an Reinheit,
wo der heilige Franziskus so oft gebetet hat, allein war, zwang mich etwas,
das stärker war als ich selbst, mich zum ersten Mal in meinem Leben auf
die Knie zu werfen.“
Man muss
wissen: Simone Weil verstand sich gar nicht als Christin, sondern als
Agnostikerin, war aber trotzdem eine große Verehrerin des heiligen
Franziskus. Die Demut des Poverello von Assisi, seine Bereitschaft,
klein zu sein, demütig, ein „Niedriger“, ein Bettler Gottes, und die
wunderbare Atmosphäre von Portiunkula waren es wohl, die Simone Weil
drängten, in die Knie zu gehen.
Mir steht
noch ein anderes Bild vor Augen, das wir alle aus dem Alltag kennen: Ein
Erwachsener, Frau oder Mann, geht voll Zärtlichkeit in die Knie, um auf
Augenhöhe mit einem Kind zu sein und sich ihm liebevoll zuzuwenden.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Bestimmt
fragen Sie sich, wie ich zu diesen Gedanken und auf dieses Thema komme
heute am Fest der Erscheinung des Herrn? Was hat das mit den Weisen aus
dem Morgenland zu tun?
Nun, von
den Weisen, die nach Bethlehem kommen, heißt es heute im Evangelium: „Sie sahen das Kind und Maria, seine Mutter. Da fielen sie nieder und
huldigten ihm.“
Sie
gingen in die Knie, sie beugten sich ganz tief, so weit und so tief,
dass sie mit dem Kopf bzw. der Stirn den Boden berührten. Und beteten
an. Das meint nämlich huldigen: anbeten, verehren, danken, lobpreisen.
„Wo ist der neugeborene König der Juden“,
fragten sie in Jerusalem. Und fügten Herodes gegenüber hinzu: „Wir
sind gekommen, um ihm zu huldigen“, ihn anzubeten. Das war das Ziel
ihrer Reise: die Anbetung.
Ihr
Wandern zum Herrn, Ihr Ankommen und Stehen vor dem Herrn, fand sein Ziel
im Knien vor dem Herrn, in der Anbetung, in tief empfundener Dankbarkeit
und Freude und in der Hingabe.
Was
auffällt, liebe Schwestern und Brüder: Das Huldigen, das Anbeten geschah
bei den Weisen nicht nur im Kopf, mit dem Verstand, es bestand nicht nur
in Worten und Sätzen, sondern es geschah mit dem ganzen Leib. Es war
ganzheitlich.
Sehen
Sie: Es gibt ein Beten, das nicht mehr in Worten geschieht, sondern mit
dem Leib. Der Leib betet. Ja, der Leib wird Gebet. So war es bei den
Weisen. Ihr ganzes Wesen war gesammelt in der Anbetung, in der adoratio,
in der devotio, in der Hingabe.
Das Knien
– und vor allem auch die Prostration, das Sich-Niederwerfen – ist eine
Gebetsgebärde, die es in vielen Religionen gibt. Häufig kommt sie auch
in der Bibel vor. Auch in der Liturgie der Kirche hat sie ihren Platz.
„Beuget die Knie“
singt z. B. der Diakon oder Priester bei den großen Fürbitten am
Karfreitag. Und alle knien zu einer kurzen Gebetsstille nieder. Zuvor –
nach dem stillen Einzug in die Kirche – legt sich der Priester lang
ausgestreckt vor dem Altar auf den Boden ähnlich wie die Neupriestern
bei der Priesterweihe.
Für mich
ist das immer eine sehr eindrückliche Gebärde, die mehr sagt als alle
Worte. – Und dann gehen am Karfreitag auch alle Gottesdienstbesucher in
Prozession nach vorne und verehren das Kreuz – wenn möglich – mit einer
Kniebeuge oder – wer keine Kniebeuge machen kann – mit einer tiefen,
ehrfürchtigen Verneigung.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Um
Weihnachten herum stieß ich auf ein Wort, das mich schon seit vielen
Jahren begleitet und das mir sehr wertvoll ist. Es stammt von Alfred
Delp, dem Jesuitenpater und Märtyrer, den die Nazis im Februar 1945
wegen seines Widerstands gegen das Regime hingerichtet haben. Es lautet:
„Das
gebeugte Knie und die hingehaltenen leeren Hände sind die beiden
Urgebärden des freien Menschen.“
Alfred
Delp hat dieses Wort zur Jahreswende 1944/45 in der Gestapohaft mit
gefesselten Händen auf ein Blatt Papier gekritzelt und jemand hat es aus
dem Gefängnis geschmuggelt.
Das Wort
ist meines Erachtens eine Summe all seiner Lebens- und Leiderfahrungen.
„Das
gebeugte Knie und die hingehaltenen leeren Hände sind die beiden
Urgebärden des freien Menschen.“
Das
gebeugte Knie als Bild für einen souveränen, freien Menschen? Das
scheint zunächst paradox. Dagegen sträubt sich das Lebensgefühl.
Doch
schauen wir auf Alfred Delp. Wir könnten auch auf Sophie Scholl, Willi
Graf oder Dietrich Bonhoeffer schauen.
Wie sehr
wurden sie gequält und erniedrigt und ihrer Würde beraubt.
Wie sehr
waren sie wehrlos, wie sehr brutaler Willkür ausgeliefert.
Und doch
stand Alfred Delp souverän und aufrecht vor Freisler, als er verhört
wurde. Souverän und aufrecht ging er in seinen gewaltsamen Tod.
Das vor
Gott – und sonst niemand – gebeugte Knie – in der Tat: ein Bild für
einen souveränen und freien Menschen.
Sehen
Sie: Wer vor Gott niederfällt und vor ihm sein Knie beugt, dem ist es
verwehrt, auch noch vor jemand anderem niederzufallen und in die Knie zu
gehen. Ein elementarer Herrschaftswechsel vollzieht sich!
Nicht die
Königsthrone in Jerusalem, auch nicht die Nazigewaltigen vor 70, 80
Jahren in Berlin, und auch nicht unsere heutigen Throne und Gewalten
sollen und dürfen unser Leben, unser Denken und Handeln bestimmen,
sondern allein Gott.
Wissen Sie, was Jesus nach der dritten Versuchung in der Wüste dem
Teufel erwiderte? „Vor dem Herrn deinem Gott
sollst du dich niederwerfen und ihn allein anbeten.“
Wenn wir
unser Geschöpf-Sein, unser Kind-Sein und damit auch unser Bedürftig-Sein
und unsere Armut vor Gott erkennen und anerkennen, dann ist das Knien
keine servile Unterwürfigkeitsgeste, sondern das Eingeständnis, dass wir
vor einem Größeren stehen, dem unendlich Großen, vor Gott.
Doch, liebe
Mitchristen, passt das Knien noch in unsere Zeit?
Der
moderne Mensch kniet nicht mehr gern. Knien scheint antiquiert,
altmodisch. Knien wird oft als Zumutung empfunden nicht nur von denen,
die es aus Altersgründen oder wegen körperlicher Gebrechen nicht können,
sondern auch von Jüngeren und Gesunden.
Und doch,
wovor beugt der nach Unabhängigkeit strebende und angeblich so mündig
gewordene Mensch nicht auch heute noch ständig die Knie? Wie viel
Götzendienerei, wie viel Anbetung falscher Götter in unserer, so
aufgeklärten Welt und Zeit?
Ist der
moderne Mensch zu stolz, zu selbstherrlich und selbstmächtig, so dass es
ihm schwerfällt in Demut vor Gott, vor seinem Schöpfer, das Knie zu
beugen, ihn groß sein zu lassen und ihm Ehre und Dank und Anerkennung zu
geben?
Bei der
Benediktinerin Kyrilla Spieker habe ich das Wort gefunden:
„Die drei Weisen knien vor dem Kind. Wir knien nicht mehr: wir
Unweisen.“
Das hat mir gefallen. Ich finde, da ist viel Wahres dran.
„Die
drei Weisen knien vor dem Kind. Wir knien nicht mehr: wir Unweisen.“
Vor Gott
in die Knie zu gehen und anzubeten – wie die Weisen – bedeutet keine
Minderung der Würde des Menschen. Das ist keine Schmälerung seiner Größe
und Freiheit. Johannes, dem XXIII. sagt: „Ein Mensch ist nie größer
als dann, wenn er kniet.“ In die Knie gehen kann auch nur, wer ein
starkes Rückgrat hat. Und nur wer kniet, kann auch wieder aufstehen, für
etwas oder jemanden einstehen, etwas durchstehen oder – wenn es sein
muss – auch widerstehen – wie das Beispiel von Alfred Delp zeigt.
„Kommt, lasst uns niederfallen und uns verneigen, lasst uns niederknien
vor dem Herrn, unserem Schöpfer“,
heißt es im Psalm 95, dem Invitatoriumspsalm, mit dem das Stundegebet
des Tages beginnt.
Ob wir
das Knien, das Hinknien und Niederknien nicht wieder erproben und
einüben und ganz bewusst vollziehen sollten?
Romano
Guardini sagt in seinem Büchlein „Heilige Zeichen“:
„Wenn
du die Knie beugst, lass es kein hastig leeres Geschäft sein. Gib ihm
eine Seele. Die Seele des Kniens aber ist, dass auch drinnen das Herz
sich in Ehrfurcht neigt, das das Herz anbetet.“
Dann fährt er fort:
„Wenn du in die Kirche kommst oder sie verlässt
oder am Altar vorbeigehst, (vor dem Tabernakel, der das
Allerheiligste birgt,) und niederkniest, tief,
langsam, dann soll dein ganzes Sein sprechen: ‚Mein großer Gott…!‘ Das
ist dann Demut und ist Wahrheit und ist Anbetung. Und jedes Mal wird es
deiner Seele gut tun.“
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