Die Wiege von Paul Josef Nardini stand in
der Pfalz. Er wurde am 25. Juli 1821 in Germersheim geboren. Die Pfalz
war zu Beginn des 19. Jahrhunderts einer der ärmsten Landstriche
Deutschlands.
Nardini selbst wächst in äußerst
einfachen und sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Noch während der
Schwangerschaft der Mutter macht sich der Vater auf und davon. Eine
Großtante und ihr Ehemann aus Vincenza (Italien) nehmen ihn bei sich
auf.
Von daher auch der Familienname „Nardini“.
In der Schule ist Paul Josef sehr
lernfreudig. Schon mit 12 Jahren hat er den Wunsch, Priester zu werden.
Nach langem Ringen gibt der Pflegevater die Zustimmung zur Berufung
seines Stiefsohnes.
Er darf die Lateinschule in Germersheim
besuchen. Als der Pflegevater gestorben war, bringen gute Menschen das
Schulgeld für das Gymnasium auf. Schließlich findet er Aufnahme im
bischöflichen Konvikt in Speyer. Danach studiert er an der Universität
in München und promoviert zum Doktor der Theologie.
Am 22. August 1846 erhält Nardini im
Speyerer Dom die Priesterweihe. Zwei Tage später wird er Stadtkaplan von
Frankenthal. Allerdings kann er die Stelle wegen gesundheitlicher
Probleme erst am 3. Oktober antreten. Nach nur zwei Monaten wird Nardini
zum Präfekt im bischöflichen Konvikt in Speyer ernannt. Man hoffte auch,
dass sich dort seine Gesundheit stabilisieren würde. Nardini besaß die
Gabe der Rede. Immer wieder wurde er in die umliegenden Pfarreien als
Prediger geholt.
Im April 1850 wird Nardini die Seelsorge
in der Pfarrei Geinsheim übertragen. Sein Vorgänger hatte die Pfarrei
völlig vernachlässigt. Schon nach wenigen Monaten hat Nardini – man weiß
nicht wie – die Pfarrei erneuert und völlig verwandelt. Als die
Pfarrstelle schließlich für vakant erklärt wird, bewirbt sich Nardini um
deren Verleihung.
Mit Schreiben vom 1. März 1851 wenden
sich alle 122 Mütter und weitere 170 Frauen von Geinsheim an den Bischof
mit der Bitte, „dass ihnen der Seelsorger Herr Nardini gelassen
werde“. Weiter heißt es in diesem Brief: „Wir haben ihn als einen
guten Hirten erkannt, und er kann wie der Heiland sagen: Ich kenne meine
Schafe und sie kennen mich. Ich rufe sie bei meinem Namen, und sie
folgen meiner Stimme. – Und wir sind ihr schon bisher gefolgt. Unsere
Männer sind ganz umgeändert, unsere Kinder sind neu geboren, wir alle
haben jetzt das rechte Licht erhalten. – Ein Samenkorn ist ausgestreut,
und damit dieses seiner himmlischen Ernte entgegen reife, bitten wir Sie
alle fußfällig, nicht um Gold und Silber, nur um uns den bisherigen
Sämann zu lassen.“
Die Bitte der Frauen blieb jedoch ohne
Erfolg, aus folgendem Grund: Der Pfarrer von Pirmasens war im Jahr zuvor
durch Revolutionäre schwer misshandelt worden und war nach Lothringen
geflohen. Während die Freischärler das Pfarrhaus stürmten, Türen und
Fenster einschlugen und die Möbel auf die Straße warfen, hatten sie
gerufen: „So müssen die Köpfe der Paffen fliegen!“
Dem Pfarrer war nach all diesen
Geschehnissen die Rückkehr nach Primasens nicht zuzumuten. Ihm wird nun
die Pfarrei Geinsheim verliehen. Deren bisheriger Seelsorger Paul Josef
Nardini kommt im Mai 1851 nach Pirmasens als Pfarrer einer
Diasporapfarrei. Hier findet der junge Priester schlimme seelsorgliche
und äußerst schwierige soziale Verhältnisse vor.
Nardini lernt vor allem die großen
sozialen Missstände der Bevölkerung kennen, deren Großteil seinen
Unterhalt in der Schuhfabrikation verdiente.
Es sind vor allem die Frauen und Mütter,
die als „fahrende Händler“ in den Sommermonaten hausierend die Produkte
zu verkaufen suchten, welche in den Wintermonaten in Handarbeit
angefertigt wurden.
Niedrige Löhne und vor allem die
Abwesenheit der Mütter von ihren Familien bewirken eine Auflösung der
Familienbande.
Alte und Kranke bleiben unversorgt. Die
Kinder, sich selbst überlassen, erhalten weder Schule noch Erziehung
noch das tägliche Brot und verwahrlosen zwangsläufig. Hinzu kommen immer
wieder Missernten, Hungersnöte und Epidemien.
Nardini erkennt mit scharfem Blick die
gesellschaftlichen und religiösen Probleme solcher sozialen Missstände,
zumal er selbst in seiner Kindheit Verlassenheit und Entbehrung erdulden
musste.
Er erkennt auch, dass die kommunalen und
staatlichen Stellen nicht organisiert und gerüstet waren, um Abhilfe zu
schaffen.
So wird Nardini zum Sozialreformer, dem
es darum geht, aus Liebe zu den Schwachen und Armen, Not zu lindern und
die schlimmen sozialen Verhältnisse zum Besseren zu wenden.
Schon zu Lebzeiten nennt man ihn
„Vater der Armen“.
Nardini will jedoch nicht einfach nur die
Lebensqualität der Menschen heben. Es geht ihm um den ganzen Menschen
mit Leib und Seele. Er sieht, dass die geistige Armut ebenso groß ist
wie die leibliche. Er sieht in den Armen Gottes Ebenbild und bekämpft
die Armut, damit die Armen sich selbst als Ebenbild Gottes erkennen
können.
Er spürt: In den Armen klopft Jesus
selbst an sein Herz. Er erkennt auch, dass es mit einer individuellen,
situationsorientierten Hilfe für die Armen nicht getan ist. Es geht ihm
auf, dass sich strukturell etwas ändern muss. Es braucht eine
gemeinschaftlich organisierte, kontinuierliche, stabile Hilfe, um nach
und nach – auch durch Schulbildung und landwirtschaftliche oder
handwerkliche Ausbildung – die Ursachen der Armut auszuräumen.
Da es Paul Josef Nardini besonders um die
Fürsorge für Arme, Kranke und Kinder geht, scheint es ihm hilfreich
Ordensschwestern hinzuzuziehen. Er bekommt auch vier Schwestern aus
Niederbronn im Elsass. Da diese jedoch von den Behörden als
„Französinnen“ behandelt werden und ständig von der Ausweisung
bedroht sind, reift in ihm der Plan, eine eigene Schwesternkongregation
zu gründen. Die drückende Not der Bevölkerung und besonders eine
gefährliche Typhusepidemie, die ausgebrochen war, forcieren die
Angelegenheit und drängen Nardini zu handeln.
Am 2. März 1855 ist es soweit: Nardini
kleidet zwei junge Frauen ein, gibt ihnen Schwesternnamen und nennt sie
„Arme Franziskanerinnen von der Heiligen Familie“. Am Ende des
Jahres sind es bereits 24 Schwestern. Als Nardini sieben Jahre später
stirbt, sind es 235 Schwestern.
Da die Mehrzahl der Schwestern aus dem
altbayrischen Raum stammte, verlegte die Ordensgemeinschaft 1869 ihren
Hauptsitz von Pirmasens nach Mallersdorf und wird seitdem „Mallersdorfer
Schwestern“ genannt. Sie wirken heute nicht nur in Deutschland,
sondern auch in Rumänien und Südafrika.
Nardini selbst führte ein Leben in
äußerster Armut und Bedürfnislosigkeit nach dem Vorbild des heiligen
Franz von Assisi, dessen Drittem Orden er beigetreten war. Seine Briefe
zeugen von einem unerschütterlichen Gottvertrauen auch in schwierigsten
Situationen, von Mut und vollem Einsatz, wo es um die Belange der
Kirche, der Gläubigen und seiner Ordensschwestern ging, und von Geduld
und demütiger Bescheidenheit, wenn es um ihn selbst ging.
Wenngleich sein soziales und karitative
Apostolat und die spirituelle Betreuung seiner Schwestern ihn täglich
bis zur Erschöpfung in Anspruch nahmen, widmete sich Nardini dennoch mit
gleichem Eifer und gleicher Unermüdlichkeit der Verkündigung des
Glaubens in Predigt, Katechese und Religionsunterricht.
Zu Beginn des Jahres 1862 war Nardini am
Ende seiner Kräfte.
Eine Schwester, die eines Abends vor
Müdigkeit in der Kapelle eingeschlafen und versehentlich eingeschlossen
worden war, berichtet kurz vor seinem Tod: „Eines Nachts, als alle im
Haus längst schliefen, ging Nardini in die Sakristei, zog Chorrock und
Stola an, schloss die Kapelle auf, schritt zum Altar, zündete die Kerzen
an und öffnete den Tabernakel. Dann warf er sich vor dem Tabernakel auf
die Knie, breitete die Arme aus und betete mit lauter Stimme: ‚Mein
Heiland, nimm mein Leben, nur schone meine kleine Herde‘. Immer wieder,
immer inniger betete er so. Lange verharrte er so vor dem
Allerheiligsten.“
Dieses nächtliche Ereignis lässt uns in
sein Innerstes schauen.
Nardini hatte die Gesinnung Jesu, des
guten Hirten, der sein Leben hingibt für seine Schafe (vgl. Joh 10, 11).
Er nannte Jesus einmal „Brennpunkt meines Herzens“. Und: „Es
mag mich anziehen, was da will, von IHM soll mich nichts ablenken.“
Das Geheimnis der Eucharistie nahm in
Nardinis persönlichen Leben wie in seiner Seelsorge den ersten Platz
ein. Er legte großen Wert auf die würdige Feier der heiligen Messe,
führte die Gläubigen zur eucharistischen Anbetung und holte sich bei
Jesus Weisung und Kraft für seinen aufopferungsvollen Dienst.
Die Feste des Kirchenjahres wurden bei
ihm mit einer spirituellen Intensität vorbereitet, die viele Menschen
zum Glauben zurückführte, und mit einer Feierlichkeit begangen, welche
die Gläubigen der ganzen Umgebung anzog.
In wenigen Jahren machte er aus einer
völlig daniederliegenden Pfarrei geradezu einen Wallfahrtsort, der in
der ganzen Diözese bekannt wurde durch die erhabene Festlichkeit der
Gottesdienste, die innige Frömmigkeit der eucharistischen Anbetung und
die heilende, einfühlsame und doch entschiedene Art, wie Nardini das
Bußsakrament spendete.
In allem war er durchdrungen von einer
tiefen, unerschütterlichen und geradezu mystischen Freundschaft und
Einheit mit Christus, von einer kindlichen Frömmigkeit zur Heiligen
Familie und von einer selbstverständlichen Liebe zur Kirche.
Mitte Januar 1862 erkrankte Nardini an
einer Lungenentzündung. Am 27. Januar starb er, noch keine 41 Jahre alt.
Er starb mit der Anrufung der Heiligen Familie auf den Lippen:
„Jesus, Maria, Josef“. Den letzten Namen vermochte er allerdings
nicht mehr zu Ende zu sprechen.
Als man ihn drei Tage später zu Grabe
trug, waren sich alle bewusst, dass sie einen heiligmäßigen Priester
bestatteten. Mit staatlicher und kirchlicher Genehmigung wurde deshalb
sein Leichnam nicht auf dem Friedhof, sondern in der Kapelle seiner
„Armen Franziskanerinnen von der Heiligen Familie“ vor dem Altar
beigesetzt.
Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung,
besonders der Mallersdorfer Schwestern und zahlreicher Priester des
Bistums Speyer hat Friedrich Kardinal Wetter, Erzbischof von München und
Freising, am 22. Oktober 2006 – im Auftrag von Papst Benedikt XVI. –
Paul Josef Nardini im Dom zu Speyer selig gesprochen.
Die Kirche kennt drei Grundvollzüge oder
Grunddienste: Martyria (Verkündigung), Liturgia (Gottesdienst) und
Diakonia (Caritas).
Paul Josef Nardini hat die drei
Grunddienste in einer nicht nur für die damalige Zeit einmaligen,
sondern in einer für alle Zeiten exemplarischen Weise ausgeübt,
miteinander verbunden und sich in ihnen aufgezehrt.
Sein priesterliches Wirken setzt Maßstäbe
und zeigt zugleich die Mittel und Wege auf für die auch in unserer Zeit
so dringliche Erneuerung unserer Pfarrgemeinden hinsichtlich Weitergabe
des Glaubens, Feier und Verehrung der Eucharistie und tätiger
Nächstenliebe.
Nardinis Lebenszeit war kurz. In allem
aber drängte ihn – als Pfarrer, Sozialreformen und Ordensgründer – die
Liebe Christi entsprechend dem Wort des heiligen Paulus „Caritas
Christi urget nos“. Zu Deutsch: „Die Liebe Christi drängt uns“
(vgl. 2 Kor 5, 14).
Dies ist heute noch der Leitspruch der
Mallersdorfer Schwestern.
Nardinis Spiritualität wurzelte in einer
personalen Liebe zu Christus. Schon als Zwanzigjähriger schrieb er in
sein Tagebuch: „Nichts soll mich von Jesus scheiden, weder Freude
noch Leid, weder Angst noch Qual. Ihm will ich anhangen in demütigem
Gehorsam, tiefer Selbstverleugnung und brennender Liebe.“
Ein anderes Wort von ihm lautet:
„Liebe ist unser Leben. Liebe ist unsere Bestimmung. Liebe ist das
Einzige, was Gott von uns fordert.“
|