Bernhard von Clairveaux ist eine der ganz großen Gestalten des
Mittelalters und wohl die bedeutendste und einflussreichste
Persönlichkeit des 12. Jahrhunderts. So sehr hat er seine Zeit geprägt
und ihr den Stempel aufgedrückt, dass man sogar vom „bernhardinischen
Zeitalter“ spricht.
Bernhard wurde um 1090 bei Dijon als 3. Kind einer burgundischen
Adelsfamilie geboren. Im Jahr 1112, vier Jahre nach dem Tod seiner
Mutter, trat er in das Zisterzienserkloster von Citeaux ein. Die
Zisterzienser sind ein Reformzweig – also eine strengere Variante – der
Benediktiner.
Sein
Vater versuchte vergeblich den hochbegabten 21-jährigen von diesem
Schritt abzuhalten. Stattdessen gelang es Bernhard 30 weitere
Gleichgesinnte aus seiner Familie, seiner Verwandtschaft und seinem
Freundeskreis zum Eintritt in das strenge, von asketischer Härte
bestimmte Reformkloster zu bewegen.
Nie,
auch nicht in den apostolischen Zeiten, war ein so zahlreicher und
geschlossener Auszug aus der Welt erlebt worden.
Nie,
auch nicht in den Zeiten der Verfolgung war gleichsam eine ganze Sippe
mit allen ihren Mitgliedern von einer Burg in ein Kloster übergesiedelt.
Citeaux, das bis dahin vor sich hindümpelte und auszusterben drohte,
erlebte einen neuen und ungeahnten Aufschwung.
Die
dreißig Novizen fanden Nachahmer. Bereits drei Jahre später konnten zwei
Neugründungen vorgenommen werden.
Bernhard wurde an der Spitze von 12 Mönchen zur Gründung von Clairveaux
ausgesandt, dessen erster Abt der 25-jährige wurde.
Clairveaux heißt übersetzt „Schöntal“, aber das Tal war erst noch
schön zu machen, zu roden und trocken zu legen. Behausungen waren zu
errichten, alles mit eigenen Händen, ein Gotteshaus und Häuser für die
Mönche, dazu Ställe und Scheunen und was sonst noch zu einem autarken
Kloster gehört.
Nachdem große Anfangsschwierigkeiten überwunden waren, blühte die Abtei
rasch auf, so dass schon im Jahre 1118 das erste Tochterkloster
gegründet werden konnte.
Bernhards Initiative sind bis zu seinem Tod weitere 68 Klostergründungen
mit z. T. hunderten von Mönchen in Europa zu verdanken, darunter auch
Himmerod in der Eifel und Eberbach im Rheingau. Deshalb wird Bernhard
auch als „zweiter Gründer des Ordens“ angesehen.
Wie
ist diese lawinenartige Ausbreitung der neuen Klosterreform zu
verstehen? Die Kirche war verweltlicht und wenig vom Geist Jesu Christi
beseelt und geprägt. Sie war überaus reich und mächtig. Auch die Klöster
waren reich geworden. Und die Mönche hatten sich in ihrem Lebensstil
weltlichen Herren angepasst. Deshalb wurde in der Kirche der Ruf nach
einem evangeliumsgemäßen Leben laut. Und religiös ergriffene Menschen
suchten – ganz in der Vorstellung der damaligen Zeit – die größere Treue
zu Jesus Christus in der Rückkehr des Mönchtums zur Einfachheit des
Lebens zu verwirklichen.
Die
Zisterzienser verwirklichten dieses Anliegen in einer lebensfähigen
Form. Die Mönche waren wieder selbst zur Handarbeit verpflichtet (die
Benediktiner hatten dafür ihre Angestellten oder ihre „Laienbrüder“).
Die Kirchen der neuen Klöster durften nur einen kleinen Dachreiter (und
keinen Turm) haben. Der Gottesdienst war betont schlicht und einfach.
Bernhard ist als Abt von Clairveaux die Seele dieser zisterziensischen
Bewegung, die bald über die Klöster hinausgreift und das gesamte
Abendland prägt.
Bernhard erwählte Maria zur Patronin, zur „Mutter“ von Clairveaux. Er
förderte die Marienverehrung. Er selbst pflegte eine innige Liebe zu
Maria und dichtete wunderbare Marienlieder.
Die
Muttergottes war für Bernhard das über allen Geschöpfen liebenswürdigste
Geschöpf, auf das sich die Liebe Gottes gleichsam mit größerem
Wohlgefallen herabgelassen hatte.
Wer
sie liebte, der liebte Gott selbst, der es nicht verschmäht hatte, „ihr
Geschöpf“, ihr Kind zu werden.
Als
wahrer Liebhaber der Madonna wurde er nie müde, sie zu grüßen und zu
preisen, mit unaufhörlichen Ave und immer wiederholten Salve Regina.
Im
Dom von Speyer betete er, vom Lob Mariens hingerissen, allein weiter,
während die anderen schwiegen, und fügte spontan jene dreifache Anrufung
hinzu, die das Salve Regina bis dahin noch nicht kannte: „O clemens,
o pia, o dulcis virgo Maria. O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria“.
Gleichzeitig war Bernhard ein von Jesus Christus und seiner Botschaft
ergriffener und von Gottes Geist erfüllter Mann, ein glühender Mensch
mit einem leidenschaftlichen Herzen, der andere wiederum ergreifen, in
seinen Bann ziehen, mitreißen und begeistern konnte.
Bernhard war ein begabter und begnadeter Prediger. Auch wo man seine
Sprache nicht verstand, war der Eindruck seiner Persönlichkeit gewaltig.
Bernhard vermochte mit seinen Predigten die Menschen zu treffen und für
Gott zu begeistern. Aus seinen Worten sprach eine große Liebe.
Man
hat die Predigten des heiligen Bernhard als „glühende Prosa“
bezeichnet. Sie verbreiteten eine Atmosphäre des Angenommenseins von
Gott, einen christlichen Optimismus, den Optimismus des Glaubens an die
schon geschehene Erlösung, an den Sieg Christi, an dessen Vollendung in
der Zukunft.
Bernhard verlässt immer wieder das Kloster, um in das Zeitgeschehen und
innerkirchliche Auseinadersetzungen einzugreifen.
Zu
Bernhards großen Fähigkeiten gehörte es, Streit zu schlichten.
Im
Papstschisma 1130 – 1138 warb er für Papst Innozenz II. in Frankreich,
England, Deutschland und Italien. Seinem Einfluss ist es zu verdanken,
dass das Schisma aufgehoben wurde.
Seine Meinung und Vermittlung wurden von den Mächtigen seiner Zeit
geschätzt. Papst und Kaiser, Bischöfe und Fürsten suchten seinen Rat.
Aber er redete niemandem nach dem Munde und hängte sein Fähnchen nicht
in den Wind.
Er
nimmt gegen häretische Strömungen im Volk und unter den Theologen
Stellung und spart auch nicht mit heftiger Kritik an den Zuständen am
päpstlichen Hof in Rom.
Etliche Zeitgenossen Bernhards, auch Zisterziensermönche, riefen zur
Unterdrückung, Verfolgung, manchmal auch Ermordung der Juden auf.
Bernhard stellte sich solchen Aufforderungen energisch entgegen. In
Mainz soll er mit seinem Einschreiten jüdische Bürger davor bewahrt
haben, verfolgt und ermordet zu werden.
Papst Eugen III., vorher Mönch von Clairveaux, schrieb Bernhard ein
eindringliches Mahnschreiben. Darin heißt es:
„Wenn du dein ganzes Leben und Erleben
völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für Besinnung
vorsiehst, soll ich dich da loben? Wie kannst du voll und echt Mensch
sein, wenn du dich selbst verloren hast?“
„Gönne dich dir selbst“, sagt er dem Papst, mahnt ihn zu rechtem Maß
in der Arbeit und warnt ihn, fürsorglich und barmherzig mit sich
umzugehen.
Papst Eugen III. beauftragte Bernhard, den (zweiten) Kreuzzug zu
predigen. So ist Bernhard von Clairveaux als Kreuzzugsprediger bekannt
und berühmt geworden.
1070
war Jerusalem von den Türken erobert und die Grabeskirche zerstört
worden. Das Heilige Land und seine christlichen Stätten waren für
Wallfahrer nicht mehr oder nur schwer zugänglich.
Aus
tiefer Liebe zum Christentum predigte Bernhard leidenschaftlich den
Kreuzzug. In Vezelay rief er einen wahren Begeisterungssturm für den
Kreuzzug hervor. Berühmt ist auch seine Predigt im Speyrer Dom an
Weihnachten 1146. Damals gelang es ihm den zunächst zögernden König
Konrad III. zur Teilnahme am Kreuzzug zu bewegen.
Doch
der Kreuzzug wurde ein Fiasko, eine Riesenenttäuschung und hat viel Leid
und großes Elend über die Menschen gebracht.
Die
Niederlage der Kreuzritter traf Bernhard sehr. Das Scheitern dieses
Unternehmens und die fatalen Nebenwirkungen gehören zu den
Schattenseiten in seinem Leben und Wirken. Aber es wäre unfair, ihn
darauf zu reduzieren. Das würde ihm nicht gerecht.
Doch
Bernhard wurde nach dem fehlgeschlagenen Kreuzzug heftig angefeindet. Er
musste sich bittere Vorwürfe anhören und schwere Angriffe aushalten. Er
verzichtete jedoch darauf, sich zu rechtfertigen und erfuhr in diesem
Nichtverstandenwerden die Gemeinschaft mit dem leidenden Jesus.
Am
20. August 1153 starb Bernhard im Kloster zu Clairveaux.
Zuvor war er, schon todkrank, auf Drängen des Bischofs von Trier nach
Metz gereist, um zwischen hadernden Parteien Frieden zu stiften. Seine
Mission hatte Erfolg.
Bernhard von Clairveaux hat viel bewegt in seinem Jahrhundert. Immer
wieder hat er Frieden gestiftet, doch auch zum Kreuzzug aufgerufen. Oft
genug hat er Erfolg gehabt und wurde bewundert. Das Kreuzzugsunternehmen
endete allerdings im Misserfolg und brachte ihm Feindschaft und ätzende
Kritik ein.
Kein
Mensch ist aus einem Guss. Jeder hat seine Licht- und Schattenseiten.
Und niemand kann es allen recht machen. Das gilt auch für die Heiligen
und besonders für den heiligen Bernhard.
Bernhard von Clairveaux: Ein Mann mit vielen Gesichtern.
Er
selbst nennt sich die Chimäre bzw. das Chamäleon seines Jahrhunderts.
„Chimäre“ ist ein mythisches Fabeltier, Feuer speiend, vorn Löwe, in der
Mitte Ziege, hinten ein Drache. Also verwirrend, unheimlich, gefährlich
– jedenfalls nicht auf eine Formel zu bringen.
Einerseits ein Intellektueller, vertraut mit den Geistesströmungen
seiner Zeit, von scharfem Urteil und Verstand, andererseits zugleich ein
tieffrommer Mensch, ein Mystiker, gefühlvoll, glühend vor Eifer,
hingerissen von Gott, von Jesus Christus und seiner Mutter Maria.
Einerseits viel unterwegs, verwickelt in Streitfälle und Händel der Welt
und seiner Zeit, andererseits zerknirscht darüber, dass seine
eigentliche Berufung als Mönch darunter leiden musste, seine Berufung zu
Gebet und Stille, zu Meditation und Kontemplation.
Anselm Grün schreibt:
„Er musste die
verschiedensten Rollen spielen. Als Mönch war er in die politischen
Auseinandersetzungen hineingezogen. Als Mystiker musste er für den
Kreuzzug werben. Als Besitzloser war er gezwungen, immer wieder in
Besitzstreitigkeiten als Schlichter zu wirken. Aber auch in sich selbst
verband er die die verschiedensten Charakterzüge und widersprüchliche
Eigenschaften: Zärtlichkeit und harte Askese, stille Zurückgezogenheit
und unruhiges Nachaußengehen.“
Trotz Widersprüchlichkeiten wurde Bernhard schon zu Lebzeiten als
Heiliger verehrt. Mit seiner eifernden Liebe und der fast
übermenschlichen Kraft seiner Hingabe ist er ein leuchtendes Vorbild bis
heute. Der Nachwelt hinterließ er 1.500 Handschriften, die von tiefer
Christus- und Marienfrömmigkeit geprägt sind.
1174
wurde Bernhard heiliggesprochen und 1830 zum Kirchenlehrer erhoben.
Ein
Wort von Bernhard – gleichsam sein Lebensmotto – lautet:
„Der Grund, Gott zu lieben ist Gott
selbst.
Das Maß der Liebe ist, ohne Maß zu
lieben.“
Mit
Bernhard von Clairveaux beginnt ein neues Zeitalter der Theologie. Im
12. Jahrhundert löst sich das Denken der Theologen von der bloßen
Berufung auf die bisherigen Autoritäten, nämlich die Kirchenväter. Es
weht ein neuer Wind. Es beginnt das Hin und Her der Argumente, der
Glaubensdisput. Damit beginnt die scholastische Theologie und mit ihr
die Universitätstheologie in Europa.
Bernhard nimmt das wahr. Notfalls streitet er mit. Aber dieser
intellektuelle Stil der Theologie behagt ihm persönlich nicht.
Mit
Bernhard kommt gleichzeitig eine alternative Art der Theologie zum Zuge:
statt Professorentheologie Erfahrungstheologie, Herzenstheologie.
Bernhard beruft sich auch die poetische Bildersprache der Bibel. Er hat
sie verschlungen und verinnerlicht. Er kannte die Bibel fast auswendig.
So
hat Bernhard einen neuen, persönlich-charmanten Ton in die Theologie
gebracht. „Doktor mellifluus“ hat man ihn genannt, den „honigfließenden
Lehrer“. Aus dem manchmal harten Gestein der Bibel, vor allem auch
des Alten Testaments, hat er Glaubenshonig zu ziehen gewusst,
wohlschmeckende hochwertige Nahrung für das geistliche Leben.
Statt über den Glauben endlos zu disputieren, sollte man Geschmack am
Glauben finden, seine Wahrheiten auskosten und genießen. Sehnsucht nach
Gott wollte Bernhard wecken, Freude an Gott vermitteln, und hier
besonders am Mensch gewordenen Gottessohn, an Jesus. Er wollte Menschen
dazu bewegen, sich mit aller Seelenkraft auf Jesus Christus hin zu
bewegen, statt nur über ihn zu informieren.
Am
schönsten lässt sich das erkennen an seinen Predigten zum „Hohen Lied
der Liebe“ aus dem Alten Testament: Fünf Seiten Liebeslieder,
orientalisch-erotisch, von Bernhard zugleich ungeniert in Beziehung
gesetzt zur Christusbeziehung des Gläubigen: Übertragung der bräutlichen
Liebe auf das Liebesverhältnis der Einzelseele zu Christus als ihrem
Bräutigam.
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Predigten wurden mitgeschrieben und sind erhalten. Sie wurden schon von
den Zeitgenossen bewundert und weitergereicht wie ein Fortsetzungsroman.
Beeindruckt und erschüttert war der heilige Bernhard besonders vom
Anblick des gekreuzigten Heilands.
Eine
beliebte Darstellung in der Kunst zeigt eine Vision Bernhards: Er steht
vor dem Kreuz. Christus löst einen Arm vom Kreuzesbalken, zieht Bernhard
an sich und umarmt ihn.
Dieses Bild könnte auch ein Bild für uns sein, wenn wir uns zum
Kreuzesopfer versammeln: Christus umarmt uns und nimmt uns hinein in
seinen Tod und seine Auferstehung.
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