„Vom Playboy zum Bischof“, so könnte das Leben von Aurelius
Augustinus überschrieben werden. Ein Leben mit allen Höhen und Tiefen,
die man sich vorstellen kann, facettenreich, spannend, leidenschaftlich.
In
seinen „Bekenntnissen“ breitet er seinen abenteuerlichen Lebensweg offen
und ohne Scheu vor uns aus: die stürmischen Empfindungen seiner Seele
und das geheimnisvolle, überwältigende Wirken der Gnade Gottes – eine
große, erschütternde Lebensbeichte, eine Tiefenschau seiner Seele.
Joseph Wittig (1879 - 1949) hat einmal gesagt: „Viele Wege führen zu
Gott, einer auch durch die Sünde und das ist vielleicht der kürzeste.“
Ein kühnes Wort. Doch für wohl kaum einen Heiligen trifft dieses Wort
mehr zu
als
für Augustinus, einen der vier großen lateinischen Kirchenlehrer.
Augustinus wurde 354 im nordafrikanischen Tagaste geboren, einer kleinen
Stadt in Numidien, dem heutigen Algerien, damals eine wohlhabende
römische Provinz. Er hatte noch einen älteren Bruder und eine jüngere
Schwester, von denen wir allerdings nicht viel wissen.
Augustinus trug ein doppeltes Erbgut in sich: das seines zügellosen und
aufbrausenden Vaters Patricius, der Heide war und erst auf dem
Sterbebett sich taufen ließ und Christ wurde und das Erbgut seiner
tiefgläubigen christlichen Mutter Monika. Augustinus wurde nicht
getauft, aber von der Mutter christlich erzogen.
Eine
Lebenserfahrung sagt: „Alles Erste im Kind ist ewig.“
Das
trifft auch auf Augustinus zu. Monika hat im Herzen ihres Kindes tiefe
Spuren gelegt, zu denen er nach vielen Abwegen und Irrwegen später
wieder zurückfand. Im ersten Abschnitt seines Lebens versuchte er zwar
das Vorbild seiner Mutter in sich auszulöschen und ihrem Einfluss zu
entfliehen. Aber das gelang ihm nur teilweise, jedenfalls nicht
dauerhaft und nicht wirklich.
Der
hochbegabte, sehr kluge und gescheite Augustinus erhielt eine gute
Ausbildung. Nach der Grundschule in Tagaste kam er nach Madaura an eine
höhere Schule für Rhetorik (Redekunst). In Madaura lebte er in einer
heidnischen Umwelt und seine Mutter hatte keinen Einfluss mehr auf ihn.
Später wechselte er an die Hochschule in Karthago, dem Mittelpunkt der
römisch-afrikanischen Welt.
Der
junge Augustinus war schulisch gesehen ein „Überflieger“.
Er
lernte und begriff sehr schnell. Er war äußerst intelligent, geistig
sehr rege, aber auch leicht erregbar, sehr sensibel, eitel, eingebildet,
triebhaft und führte ein ausschweifendes Leben. Statt zu studieren,
feierte er viele Feste mit seinen Freunden.
Er
erlebte die ungeheure Macht der Sinne und verfiel ihr, wurde dann aber
auch wieder von der Liebe zur Wahrheit und Weisheit heraus- und
emporgerissen. Einerseits konnte er unerbittlich und tagelang über die
letzten Fragen des Daseins grübeln, andererseits war er ein
liebeshungriger und erlebnisstarker Romantiker mit einem
begeisterungsfähigen, flammenden Herzen.
Den
Schönen seiner nordafrikanischen Heimat war er sichtlich zugetan. Mit 16
Jahren lachte er sich – zum Missfallen seiner frommen Mutter – eine
rassige Afrikanerin an, die, ohne sie zu heiraten, seine treue
„Lebensgefährtin“ wurde.
Augustinus hatte sein 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, da wurde er
Vater eines Kindes, dem er den Namen „Adeodatus“ (= von Gott geschenkt)
gab. Mutter Monika versuchte ihren Sohn von der Lebensgefährtin
wegzubekommen, jedoch vergeblich.
Mit
20 Jahren war Augustinus in Tagaste, später in Karthago Professor für
Rhetorik (Redekunst). In diesen Jahren entstand seine Freundschaft mit
Alypius, einem Landsmann, der mit Augustinus in den folgenden Jahren
alle inneren und äußeren Wandlungen und Wanderungen mitmachte.
Ein
Buch von Cicero, genannt „Hortensius“, weckte in Augustinus ein großes
Verlangen nach der Wahrheit. Die Leere und Ausgelassenheit des Studenten
wich einer Betrachtung der entscheidenden Fragen des Lebens. Er griff
auch nach dem Evangelium, aber es kam ihm zu simpel, zu einfach vor.
Sein
Suchen führte ihn vielmehr zu den Manichäern, die das Leben als ewigen
Kampf zwischen „Licht“ und „Finsternis“ deuten.
Aber
bald erkennt er die Oberflächlichkeit des Manichäismus und wendet sich
langsam innerlich von dieser Irrlehre ab. Als der Kaiser Zwangsnahmen
gegen die Sekte der Manichäer anordnete, flüchtete Augustinus mit seiner
Freundin und seinem Sohn Adeodatus 384 nach Rom. Es dauerte nicht lange,
da reiste auch seine sorgende Mutter ihm nach Italien nach, was
Augustinus gar nicht recht war.
Der
Aufenthalt in Rom war nur von kurzer Dauer. Schon bald wird ihm eine
Professur für Rhetorik in Mailand angeboten, der damaligen Hauptstadt
des römischen Reiches. Seine Geliebte, sein Sohn und seine Mutter
folgen ihm wiederum.
Die
Lehrtätigkeit in Mailand wurde für sein leidenschaftliches Herz und
seinen suchenden Geist entscheidend. Hier warf Gott das führerlose
Steuer seines Lebens herum. Augustinus erlebt in Mailand eine
fundamentale Wende seines Lebens, eine Kurskorrektur um 180 Grad. Er
lernte den berühmten Bischof Ambrosius kennen, dessen Persönlichkeit ihn
stark beeindruckte. Gern hörte er seinen Predigten zu und war
hingerissen vom Zauber einer Sprache. Zunächst interessierte ihn die
Redekunst des Bischofs, das „Wie“ seiner Predigten. Doch blieb es nicht
aus, dass seine eindrucksvollen Worte nicht nur an seine Ohren drangen,
sondern auch sein Herz berührten. Er selbst sagt: „Während ich darauf
aufmerkte, wie beredt er sprach, prägte sich mir auch ein, wie wahr er
sprach.“
Eines Tages entdeckt er die Schriften der Neuplatoniker, die in ihm eine
tiefe Sehnsucht nach Gott hervorrufen. Die Lektüre der Paulusbriefe
rüttelt ihn auf und lässt seinem Gewissen keine Ruhe mehr. Als er eines
Tages im Garten seines Hauses mit sich ringt, hört er eine Kinderstimme
rufen: „Nimm und lies! Nimm und lies!“ Unverzüglich greift er zur
heiligen Schrift, schlägt sie auf und trifft auf eine Stelle im
Römerbrief (Röm 13, 12 - 14): „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist
nahe. Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen
des Lichtes. Lasst uns ehrenhaft wandeln wie am Tage, nicht in
Schwelgerei und Gelagen, nicht in Wollust und Ausschweifung, nicht in
Streit und Eifersucht. Zieht vielmehr den Herrn Jesus Christus an und
pflegt das Fleisch nicht so, dass es lüstern wird.“ Augustinus
erkannt, dass diese Worte genau in seine Lebenssituation
hineingesprochen sind. Eine Art überirdisches Licht durchströmt ihn.
Gott selbst ist ihm mit seiner Gnade gewissermaßen auf den Versen
geblieben und hat ihn gestellt. Die unverdiente, allein wirksame Gnade
wird fortan zum großen leidenschaftlichen Thema in seinem Leben.
In
der Osternacht des Jahres 387 empfing Augustinus mit seinem Sohn
Adeodatus und seinem Freund Alypius aus der Hand des Mailänder Bischofs
Ambrosius das Sakrament der Taufe.
Von
seiner Lebensgefährtin, die ihn 16 Jahre geliebt und begleitet hat,
trennt er sich. Er lässt auch von seiner Karriere und seinem Besitz und
kehrt im Jahr 388 nach Tagaste zurück. Dort errichtet er auf dem
väterlichen Erbe ein Kloster und beginnt mit einigen Freunden ein
klosterähnliches Leben zu führen. Vor der Überfahrt nach Afrika stirbt
seine Mutter Monika in Ostia.
Nach
jahrzehntelangem Suchen, nach vielen Irrwegen, Umwegen und Abwegen hat
Augustinus erkannt: Der Sinn des menschlichen Lebens erfüllt sich weder
in sexuellen Erlebnissen noch in einer renommierten Kariere. Allein Gott
ist die Erfüllung und Beglückung des menschlichen Herzens.
Der
weitere Lebensweg des jungen Christen Augustinus verläuft im
innerkirchlichen Bereich. Bei einem Besuch in Hippo rief das Volk beim
Gottesdienst: „Wir wollen Augustinus als Priester.“
Er
wehrte sich dagegen, aber es half nichts. 391 wurde er zum Priester
geweiht. 4 Jahre später proklamierten ihn die Gläubigen zum Bischof von
Hippo. Trotz seines durchaus bekannten „Vorlebens“ wurde er auf Grund
des Votums des Volkes Nachfolger des verstorbenen Bischofs Valerius.
Auch als Bischof lebte er mit einigen Klerikern zusammen, für die er
eine Regel schrieb. Als Bischof war Augustinus ein guter Seelsorger.
Seine Tür war für Hilfesuchende stets offen. Die Menschen fanden in ihm
einen Hirten mit einem verstehenden und mitfühlenden Herzen. Er war
geprägt von glühender Gottesliebe und aufopfernder Nächstenliebe.
Gleichzeitig entwickelte sich Augustinus zu einem eifrigen Prediger, zu
einem großen Schriftsteller und zum führenden Theologen der
nordafrikanischen Kirche. Er bekämpfte in Wort und Schrift die
zahlreichen Irrlehren seiner Zeit. Sein Bischofsamt in Hippo hat er fast
35 Jahre innegehabt. Ein Wort von ihm lautet: „Nicht den Vorsitz führen,
sondern dienen muss der Bischof.“
Die
Theologie ist ein einziges betendes Besinnen auf Gott und auf die von
Gott dem Menschen geschenkte Gnade. Augustinus war der berühmteste
Gelehrte seiner Zeit. Bis ins 13. Jahrhundert hinein, bis zu Thomas von
Aquin und Bonaventura gab es keinen Theologen, der sich ihm auch nur
annähern konnte. Seine Lehre beeinflusst die ganze Kirche bis zum
heutigen Tag.
Es
ist schon erstaunlich, dass Augustinus neben der intensiven
Seelsorgsarbeit immer noch Zeit fand oder sich Zeit nahm, um Bücher,
Aufsätze und Kommentare zu schreiben. Aus seinem großen
schriftstellerischen Werk ragen seine (um 400 niedergeschriebenen)
autobiographischen „Bekenntnisse“ (Confessiones) hervor, seine
umfangreichen theologischen Abhandlungen (15 Bücher) über die
Dreifaltigkeit (De trinitate) und die 22 Bücher über den „Gottesstaat“
(De civitate dei). Ein großer Reichtum sind seine Briefwechsel und seine
Predigten. 276 Briefe zeugen von seiner kaum erreichbaren Seelengröße.
Er versteht den Geist zu öffnen, zu trösten, aufzurichten und die Wege
Gottes im Leben des Menschen aufzuzeigen. Circa tausend Predigten können
wir heute noch nachlesen. Sie enthalten seine ganze Theologie. Seine
Predigten sind nicht zu hoch oder die Köpfe hinweg, eher einfach, aber
nie banal, vulgär. Er verkürzt das Wort Gottes auch nicht auf das, was
ankommt oder der eigenen Eitelkeit schmeichelt.
Augustinus starb am 28. August 430 nach Christus, als die Vandalen unter
ihrem König Geiserich Hippo belagerten.
Seit
dem 8. Jahrhundert hat Augustinus seine letzte Ruhestätte in Pavia
gefunden. Dorthin sind seine sterblichen Überreste durch den
Langobardenkönig Luitprant aus Afrika überführt worden.
Der
Orden der Augustiner-Eremiten führt sich auf Augustinus zurück.
Augustinus wird als Kirchenlehrer meistens mit einem Herzen dargestellt,
das von einem Pfeil durchbohrt wird.
Ein
großer Verehrer des heiligen Augustinus war Papst Benedikt XVI.
In
einer Predigt hat er einmal gesagt: „Wenn ich die Schriften des
heiligen Augustinus lese, habe ich nicht den Eindruck, dass es sich um
einen Mann handelt, der vor mehr als 1600 Jahren gestorben ist, sondern
ich spüre ihn wie einen Menschen von heute: einen Freund, einen
Zeitgenossen, der…mit seinem frischen und aktuellen Glauben zu uns
spricht.“ – Es ist der Glaube, an den durch die Jahrhunderte hindurch
lebendigen Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist; der die Unruhe des
Herzens kennt und der Mensch geworden ist, um diesem Herzen durch seinen
Heiligen Geist Ruhe zu schenken in der Liebe des Vaters."
Zum Schluss noch einige spirituell ganz
tiefe Gebete bzw. Aussprüche des Heiligen.
Ganz
berühmt, oft zitiert und unübertroffen schön ist ein Satz am Anfang
seiner „Bekenntnisse“: „Du selbst willst es so: Wir sollen dich loben
aus fröhlichem Herzen. Denn du hast uns auf dich hin geschaffen und
unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
Dieses kurze Gebet lässt etwas ahnen von der Tiefe seines Herzens und
von seinem Verlangen, Gott, den Urgrund und das Ziel allen Lebens, mit
ganzer Hingabe zu suchen und ihm in Freude aufrichtig zu dienen.
In
den „Bekenntnissen“ ist auch folgendes Gebet zu finden:
„Spät habe ich dich geliebt, du
Schönheit, so alt und so neu, spät habe ich dich geliebt. – Wie konnte
das geschehen: Du warst in mir, doch ich war außer mir, und dort draußen
suchte ich dich… Du warst mit mir, dich war nicht mit dir. – Du hast
mich gerufen, und laut gerufen und meine Taubheit bezwungen. Du
erstrahltest, und dein Glanz hat meine Blindheit verjagt. Du hast deinen
Duft ausgeströmt, und ich habe ihn eingeatmet, und lechze nun nach dir.
Ich habe dich gekostet und hungere und dürste nach dir. Du hast mich
anrührt, und ich entbrannte nach deinem Frieden.“
„Das unruhige Herz ist die Wurzel der
Pilgerschaft. Im Menschen lebt eine Sehnsucht, die ihn hinaustreibt aus
dem Einerlei des Alltags und aus der Enge seiner gewohnten Umgebung.
Immer lockt ihn das andere, das Fremde. Doch alles Neue, das er
unterwegs sieht und erlebt, kann ihn niemals ganz erfüllen.
Seine Sehnsucht ist größer. Im Grunde
seines Herzens sucht er ruhelos den ganz Anderen, und alle Wege, zu
denen der Mensch aufbricht, zeigen ihm an, dass sein ganzes Leben ein
Weg ist, ein Pilgerweg zu Gott.“
„Singe und wandere“, so beschreibt Augustinus seine
Glaubenserfahrung. „Gott steht am Ende der Straße.“
|