Das
Thema „WANDLUNG“ ist schon seit längerer Zeit in meinem Blickfeld und
beschäftigt mich. – Es ist ein großes, ein weites Thema mit vielen
Aspekten und Facetten. Gleichzeitig ist es auch tief, so tief wie das
Leben selbst. Und es ist klar, dass in einem Vortrag nicht alles gesagt
werden kann. Manches kann nur angedeutet und gestreift werden.
„Wandlung“
ist eine ganz wichtige Dimension unseres Lebens, ein Grundphänomen
unseres Daseins
J. H. Newman hat einmal gesagt:
„Leben heißt: sich wandeln. Vollkommen sein
heißt: sich oft und oft gewandelt haben.“
Die letzte große Verwandlung
geschieht im Sterben, im Tod.
In der Präfation beim Gottesdienst für die Verstorbenen heißt es:
„Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt,
nicht genommen.“
Wenn wir als
katholische Christen von Wandlung sprechen,
dann denken wir an die heilige Messe und das, was ganz zentral darin
geschieht, wenn der Priester während des Hochgebetes die
Einsetzungsworte Jesu spricht, die wir auch die Wandlungsworte nennen.
Von Lothar Zenetti gibt es folgendes Wort,
ein Wort, das ins Schwarze trifft und provoziert zugleich. Es trägt die
Überschrift:
„Inkonsequent“
„Frag hundert
Katholiken, was das Wichtigste ist in der Kirche.
Sie
werden antworten: Die Messe.
Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Messe.
Sie
werden antworten: Die Wandlung.
Sag
hundert Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein:
Nein, alles soll bleiben wie es ist.“
Die Pointe sitzt.
Das Wort macht betroffen. Kirche muss, wenn sie nicht erstarren und
veralten will, lebendig sein, offen, wandlungsfähig.
„Ecclesia semper
reformanda.“
So lautet ein alter Grundsatz, ein Leitwort der Kirchengeschichte.
Auch Kirche muss sich immer wieder wandeln, verändern, wenn sie
nicht stehen bleiben und hoffnungslos gestrig werden will.
„Aggiornamento“
war die Devise von Papst Johannes XXIII., als er das 2. Vatikanische
Konzil einberief.
Veränderung
löst aber auch Unbehagen aus. Veränderung bringt Unbequemlichkeit und
Umstellung mit sich. Zuviel Veränderung erzeugt Ängste. Heute hü,
morgen hott, das kann’s natürlich auch nicht sein! Der Mensch sucht auch
die Beständigkeit. Er will Verlässlichkeit.
Trotzdem:
Leben ist voller Wandlung. Die Zeit bleibt nicht stehen. Das Weltenrad
und Lebensrad dreht sich immer weiter. Manchmal hat man den Eindruck
immer schneller, immer rasanter. Ja, es sieht so aus, als sei der Wandel
das einzig Beständige.
„Panta rei“.
„Alles fließt“
lautet ein Grundwort griechischer Philosophie.
Und meine
Großmutter hat bei verschiedenen Gelegenheiten im Heimatdialekt gesagt:
„Sou wie’s is, bleibt’s net!“ –
Veränderungen,
Wandlungen:
Ja, was hat sich
nicht alles seit unseren Kindheitstagen verändert?
In der Technik, in
der Industrie, im Verkehrswesen, in der Raumfahrt, in der Medizin, in
der Wirtschaft, in den Kommunikationsmitteln oder auch nur im Büro, im
Haushalt oder auf dem Bauernhof. Neue Erfindungen: Telefon,
Waschmaschine, Staubsauger, Fernseher, Computer, Handy, Internet (und
immer ausgeklügelter und raffinierter!). Oder denken wir nur an
die dauernden Neuerscheinungen in der Mode oder bei den Autos. Oder
die Veränderungen im Berufsleben, am Arbeitsplatz. Wie viel ist
da heute im Wandel, im Umbruch durch Stelleneinsparungen,
Rationalisierung, Fusionen von Firmen und Betrieben, durch die
Globalisierung. Veränderungsbereitschaft, hohe Mobilität und
Flexibilität ist gefordert. Und oft geht es nicht ohne Umlernen,
Umschulen, zusätzliche Studien. Berufswechsel sind heute gang und gäbe.
Was hat sich alles
seit unseren Kindheitstagen verändert?
100, 1.000 Dinge,
in allen Bereichen. Was heute noch neu ist, ist morgen schon alt.
Schnelllebigkeit ist ein Kennzeichen unserer Zeit. („Wir wissen
heute nicht mehr genau, wohin wir wollen, aber dafür sind wir umso
schneller dort.“)
Das sehen wir z.
B. auch an den Reformvorschlägen in der Politik. Gesundheitsreform,
Steuer- und Arbeitsmarktreform.
Viele
Veränderungen
halten uns in Atem. Doch wie kurzlebig sind sie oft, wie schnell
überholt oder ergänzungs- und verbesserungsbedürftig.
Auch kirchlich
stehen wir in einer epochalen Wende
und vor großen Herausforderungen. „Aufbruch im Umbruch“
lautet ein Motte, unter dem gesichtet, neu gewertet, Prioritäten gesetzt
und Schwerpunkte geschaffen, Strukturen gewandelt und den veränderten
Gegebenheiten und der gegenwärtigen Situation angepasst werden sollen.
Die Frage ist:
Wie betrachte ich den Umbruchprozess? Nur unter dem Gesichtspunkt, was
geht verloren, was „funktioniert“ nicht mehr? Oder ahne ich, dass da
auch Neues wächst? Kann ich hoffen, dass sich neue, tragfähige Formen
herausbilden?
Weit gewichtiger
als äußere Veränderungen in Kirche und Gesellschaft (Außenwelt), sind
die unserer Innenwelt.
Stichwort
„Bewusstseinswandel“,
z. B. im Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft, in Bezug
auf die Sexualität, in Bezug auf den Umweltschutz (die Bewahrung der
Schöpfung) oder auch eine neue Sensibilität für Menschenrechte, obwohl
sie nach wie vor mit Füssen getreten werden.
Stichwort
„Wertewandel“.
Was gestern noch galt, gilt heut schon nicht mehr. Was gestern allen
noch heilig war, ist es heute längst nicht mehr. Was gestern Konsens
war, von allen akzeptiert, wird heute hinterfragt, gering geachtet,
belächelt, geleugnet, abgelehnt z.B. die Heilighaltung des Sonntag, oder
Tugenden wie Treue, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit.
Krasser Egoismus
scheint in heutiger Zeit und in unserer Gesellschaft salonfähiger und
anerkannter zu sein als früher.
Materieller
Ehrgeiz
scheint mehr als früher die Gefühle und das Streben breiter,
säkularisierter Bevölkerungsschichten zu bestimmen. Ein Begriff wie
„Gemeinwohl“ hat wenig Konjunktur. Jeder ist sich selbst der
Nächste. Da können die besten Gesetze, die ausgeklügelsten Reformen
nichts erreichen. Gerade hier wäre eine Wende, wäre Wandlung notwendig.
Wende und Wandlung
im Sinne von Umsinnen, Umdenken, biblisch „Metanoia“. Aus
Gedanken werden Worte, aus Worte Taten.
Noch ein ganz
anderer Aspekt zum Thema „Wandlung:
Die Veränderungen
und Wandlungen im Kreislauf des Jahres und in der Schöpfungsordnung:
Sommer
und Winter, Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Ebbe und Flut, Aussaat und
Ernte, Schatten und Licht. Aus Heute wird Morgen. Ständiger Wechsel,
Rhythmus und dauernde Wiederkehr prägen das Jahr, die Jahreszeiten und
die ganze Schöpfung. Da ist immer Bewegung, Entwicklung, Veränderung und
Wandel. Eins geht ins andere über. Eins wird vom anderen abgelöst. Auch
der längste Sommer findet seinen Herbst.
Es gilt, diesen
Rhythmus und Wandel
zu bejahen und nicht künstlich zu verhindern oder zu überspielen, wenn
man z.B. den Tag zur Nacht macht, den Sonntag zum Werktag, wenn man im
Dezember die Früchte des Sommers genießt oder sich durch allerhand
Tricks und Hilfsmitteln auf jung trimmt und versucht über sein
tatsächliches Alter hinwegzutäuschen.
Auch beim
Menschen:
Steter Wechsel, Leben im Rhythmus, dauernde Wiederkehr: Schlafen
und wachen, arbeiten und ruhen, Pflicht und Freizeit, gehen und stehen,
empfangen und geben, festhalten und loslassen, verlieren und gewinnen,
Glück und Schmerz, Freude und Leid, Lust und Qual, Zuneigung und
Abneigung.
„Alles hat seine
Zeit“,
sagt der Prediger Kohelet im 3. Kapitel.
Ein mir ganz
lieber und bedeutsamer Text. Er schildert, wie menschliches Leben sich
vollzieht. Er erinnert uns auch daran, dass wir letztlich unser Leben
nicht im Griff haben und darüber verfügen, wie wir oft meinen.
Die
gegensätzlichen Erfahrungen,
die Kohelet aufzählt, können wir weder beeinflussen, noch planen, noch
bis ins Letzte regeln oder steuern. Wir erleben oder erleiden sie
vielmehr, je nach dem. Und im Grunde können wir nur darauf reagieren.
Hinter allem
Wandel
steht die Treue und Verlässlichkeit Gottes. Und alles kommt aus seiner
Hand. Wir empfangen es von ihm.
Letztlich ist es
Gott,
der dem Menschen seine Lebenszeit schenkt, der über allem waltet und
fügt und leitet. Doch bleibt das Wirken Gottes für den Menschen oft
undurchschaubar und geheimnisvoll. Aber wem sag ich das. Das wissen Sie
so gut wie ich.
Wandlungen in der
Natur und im biologischen Bereich:
In den vergangenen
Wochen konnte man gut das Heranwachsen der Löwenzahnblumen
beobachten. Die Wiesen waren voll davon.
-
Die
Löwenzahnblumen mit ihrem kraftvollen „Gelb“.
-
Nach einer
gewissen Zeit schließen sich die Blütenblätter wieder und werden
von den grünen Knospenblättern umhüllt.
-
Dann geschieht
die Verwandlung. Die Blume erhält ein ganz neues Aussehen. Aus der
Löwenzahnblume wird die Pusteblume.
Ein anderes
Beispiel:
wilde Reben an der Klostermauer.
-
Im Winter ganz
unscheinbar, wie verdorrt, ausgetrocknet, man meint: für immer
abgestorben.
-
Dann keimt und
knospt es und fängt an zu blühen, unglaublich!
-
Kraftvolle
grüne Blätter entstehen. Die ganze Mauer ist wie in Grün gestrichen
oder eingetaucht.
-
Und im Herbst,
am allerschönsten! Ein herrliches Farbenmeer! Die Wand leuchtet und
scheint im Licht der Sonne
Andere Beispiele:
eine Landschaft, die sich wandelt, ein Garten, der Laubwald.
„Wandlung – ein
Geheimnis unseres Lebens“
Von Ernst Ginsberg
stammt folgendes Gedicht:
„Zur Nacht hat ein
Sturm alle Bäume entlaubt,
sieh sie an, die
knöchernen Besen.
Ein Narr, wer bei
diesem Anblick glaubt,
es wäre je Sommer
gewesen.
Und ein größerer
Narr, wer träumt und sinnt,
es könnte je
wieder Sommer werden.
Und grad diese
gläubige Narrheit, mein Kind,
ist die sicherste
Wahrheit auf Erden.“
Bei Propheten
Jesaja heißt es:
„Aus dem Baumstumpf wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus
seiner Wurzel bringt Frucht“ (Jes 11, 1). Eine wunderbare Verheißung,
unglaubliche Wandlung!
Oder nehmen wir
die Metamorphosen des Schmetterlings:
Ei, Raupe, Puppe, Schmetterling und wieder Ei usw...
Ein Kreislauf von
Werden und Vergehen, in dem sich unaufhörlich Umwandlungsprozesse
vollziehen.
Auch die
Entstehung unseres Planeten Erde und die Entwicklung des Kosmos, der
Fixsternwelten und Sonnensysteme ist ohne Umwandlungsprozesse nicht
denkbar.
Und der Mensch?
Auch er wandelt und entwickelt sich. Wandlung gehört zu unserem
Menschsein. Unser Körper ist in ständiger Umwandlung begriffen. Es
findet dauernder Stoffwechsel statt.
Jeder Mensch
durchschreitet verschiedene Lebensphasen.
Das zeigt schon
die äußere Lebensgeschichte.
Wir wandeln uns:
-
Vom Säugling
und Baby zum Kleinkind und Schulkind.
-
Ein riesiger
Entwicklungsschritt geschieht in der Pubertät.
-
Vom Kind zum
Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Stufe um Stufe. Keine kann
übersprungen werden. Auch wenn Jugendliche manchmal ungeduldig nach
vorne drängen.
-
Eine kritische
Situation ist noch einmal die Lebensmitte und auch der Eintritt ins
Pensionsalter. Auch das Altern ist ein Verwandlungsprozess und eine
Aufgabe.
Eines meiner
Lieblingsgedichte von Hermann Hesse bringt es wunderbar zum
Ausdruck:
„Stufen“
Wie jede Blüte
welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede
Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und
darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz
bei jedem Lebensrufe
Beriet zum
Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in
Tapferkeit und ohne Trauern
In andere, neue
Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang
wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt
und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter
Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an
einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will
nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’
um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir
heimisch einem Lebenskreise
Und traulich
eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu
Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender
Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht
auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen
jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an
uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz,
nimm Abschied und gesunde!
All diese
Entwicklungsstufen, Wandlungsschritte sind mit belebenden Sehnsüchten,
mit wohltuenden Erfahrungen, mit erfreulichen Reifungen und Weiterungen
verbunden, aber auch mit schmerzhaften Umbrüchen, kräftezehrenden
Herausforderungen und traurigen Abschieden. Mit zunehmendem Alter auch
mit einer Minderung unserer Leistungsfähigkeit, Problemen mit der
Gesundheit, Vergesslichkeit, vermehrte Müdigkeit. Wir brauchen mehr
Pausen. Wir stoßen an Grenzen.
Im Gegensatz zu
unserer äußeren Gestalt und Leiblichkeit, kann der „innere Mensch“
wachsen und reifen bis zur letzten Stunde, allerdings nicht automatisch.
Man muss mittun, sich öffnen, sich interessieren, empfänglich
sein. Das ist ja bei allem so. Gott handelt nicht ohne uns, schon gar
nicht gegen uns, sondern nur mit uns.
Wie sehr wandelt
sich ein Menschenantlitz!
Bei einer Fotoausstellung von Prominenten und Politikern konnte ich es
vor einigen Jahren einmal beobachten. Am auffälligsten war es für mich
bei Joschka Fischer. Aber man muss nur einmal das eigene Fotoalbum aus
Kindheitstagen bis heute durchblättern, um es wahrzunehmen.
Dass ein Mensch
sich aber nicht nur im Laufe seines Lebens äußerlich verändert, sondern
dass er sich auch innerlich wandeln kann, macht folgende Geschichte auf
amüsante Weise deutlich:
Zu Mark Twain kam
einmal ein Siebzehnjähriger und erklärte:
„Ich versteh mich
mit meinem Vater nicht mehr. Jeden Tag Streit. Er ist so rückständig,
hat überhaupt keinen Sinn für moderne Ideen. Was soll ich machen? Ich
lauf aus dem Haus.“
Mark Twain
antwortete: „Junger Freund, ich kann dich gut verstehen. Als ich 17
Jahre alt war, war mein Vater genauso ungebildet. Es war kein Aushalten.
Es war um Davonlaufen. Aber hab Geduld mit so alten Leuten; sie
entwickeln sich langsamer. Nach zehn Jahren, als ich 27 war, hatte er so
viel dazugelernt, dass man sich schon ganz vernünftig mit ihm
unterhalten konnte. Und was soll ich Ihnen sagen? Mit 37 war es noch
besser. Und heute, wo ich 47 bin, ob du es glaubst oder nicht, wenn ich
keinen Rat weiß, dann frag ich meinen alten Vater. So können die sich
ändern!“
Verwandlung
geschieht meistens ohne unser Zutun.
Jedenfalls ist es
etwas Prozeßhaftes. Es ist eher ein „Lassen“, geschehen lassen,
wirken lassen, sich entwickeln oder entfalten lassen, wachsen und reifen
und nicht so sehr ein Tun oder Machen, Leisten, Regeln oder
Organisieren.
Damit
unterscheidet sich auch Verwandlung von Veränderung.
Bei
beidem wird etwas anders. Aber Veränderung ist aktiver, ein Entschluss
geht voraus, ein Wille steht dahinter, ein Handlungsimpuls, während
Verwandlung passiver ist, sanfter, leiser, unmerklicher und sich mehr
auf einen Vorgang bezieht. - Ich kann einen anderen Menschen
nicht verändern, aber die Liebe zu ihm kann ihn verwandeln. - Ein
Kleid kann ich verändern, aber verdorrtes Land verwandelt sich nach
Regen in einen Garten.
Ich kann mich
beruflich verändern. Ich möchte bei mir manches ändern. „Das kann
nicht so bleiben“ sagen wir. „da muss sich was ändern.“
Da ist
immer ein Wollen, ein Machen, manchmal sogar etwas Gewaltsames dabei,
Kurskorrektur, konkrete Maßnamen, ein Handlungskatalog, ein Konzept,
Lösungsvorschläge. Bei Veränderung im Sinne von Umstrukturierung
ist kaum Platz für das Geheimnis des Lebens. Und das Menschliche bleibt
oft auf der Strecke oder kommt zu kurz.
Ohne Verwandlung
kein Wachsen und Reifen!
Das Leben würde
stehen bleiben, bzw. es wäre kein Leben mehr.
Denken wir nur
an die Umwandlungsprozesse, die jeden Augenblick in unserem Körper
stattfinden, wenn wir atmen oder Nahrung aufnehmen. Da vollziehen sich
ganz komplizierte chemische und physikalische Vorgänge. Auch die
Verdauung und andere körperliche, biologische Vorgänge haben mit
Verwandlung zu tun.
Welch komplizierte
Vorgänge
vollziehen sich z. B. auch wenn wir ein Bild in uns aufnehmen oder ein
Wort hören und mit der Hand oder mit den Füßen entsprechend reagieren!
Oder wenn wir aufgrund von etwas Gesehenem oder Gehörtem oder
Geschehenem, von etwas Erlebtem emotional bewegt sind und gefühlsmäßig
reagieren mit Traurigkeit oder Freude, Lachen oder Weinen, Entsetzen
oder Ermutigung, Angst oder Vertrauen, Trübsal oder Trost, Ruhe oder
Unruhe...
Wir wissen auch
wie sich unserer Gefühle und Leidenschaften verwandeln können: Hass in
Liebe, Streit in Frieden, Ablehnung in Wohlwollen, Angst in Vertrauen,
Verzagtheit in Mut, Traurigkeit in Freude, Ohnmacht in Stärke, Stolz in
Demut, Geizen in Teilen, Gieren in Schenken, Grobheit in Zärtlichkeit,
Verkrampfung in Gelöstheit, Anspannung in Entspannung, Unruhe in Ruhe,
Unangenehmes in Wohltuendes, Dunkelheit in Licht. Und natürlich auch
umgekehrt! - Hier befinden wir uns in der wunderbaren Welt der Seele. Da
können wir nur staunen.
Jede echte
Begegnung
wandelt mich, wenn ich mich im Innern von ihr treffen und berühren
lasse.
Immer wenn ich
mich im wörtlichen oder übertragenen Sinn auf-breche, mich auf den Weg
mache, mich öffne, Neuem begegne, mich damit befasse, auseinandersetze,
es aufnehme, es mir gleichsam einverleibe, geschieht Verwandlung.
Auch das
geistliche und religiöse Leben
eines Menschen entfaltet sich durch viele Wandlungen hindurch. Denken
wir nur an unsere Vorstellung von Gott, unser Gottesbild. Es ist
enorm, wie sich das wandeln kann. Und das hat Auswirkungen. Mit dem
Gottesbild wandelt sich unser Beten. Ein gewandeltes Gottesbild kann den
Menschen ganz neu prägen. Ein gewandeltes Gottesbild schlägt sich unter
Umständen auch auf den Umgang untereinander nieder. Das
zwischenmenschliche Klima wandelt sich: statt Herrschaft und
Machtausübung Geschwisterlichkeit, Solidarität, Gemeinschaft.
Frieda Duensing,
die Mitbegründerin der Zentrale für Jugendfürsorge in Berlin, beschreibt
in ihrem Tagebuch Stationen der Gotteserfahrung:
1917, unter dem
Eindruck des Krieges schreibt sie:
„... ich war eine
Gläubige, hatte einen Himmel, ein Jenseits. Ich habe nichts mehr davon.
Es ist von mir abgefallen wie dürres Laub. Zuerst war`s mir wie ein
wirklicher Schmerz. Jetzt aber bin ich froh, dass ich dieses ganze
Theater los bin. Weg damit!“
Doch nur ein Jahr
später notiert sie:
„Ich bin krank
geworden an der Lunge, habe die Stürme und Greuel des Krieges erlebt,
bin arm an Kräften des Körpers und des Geistes, und doch: Gott näher als
je! Der Glaube an ihn als das einzig Wirkliche für meine Seele wächst
und ist unerschütterlich.“
Gerade an
Grenzsituationen
kann sich das Gottesbild und das Bewusstsein für Gott wandeln. Gerade an
Grenzsituationen zeigt sich die Oberflächlichkeit oder die Verwurzelung
im Glauben und wie es mit dem Gottvertrauen bestellt ist.
Manche suchen auf
verschiedenen spirituellen Wegen
nach Wandlung und bemühen sich um Verwandlung und strengen sich
krampfhaft an. Nichts dagegen. Aber ich finde, es ist mehr das
Leben als unser Bemühen und Tun, es ist das Leben, das uns verwandelt
und seine Spuren hinterlässt, wenn man sich ihm stellt.
Es wandelt einen
um so mehr, je feinfühliger einer ist für Gehörtes und Gesehenes, spürig
für Erlebtes, offen für das, was ist und geschieht, sensibel für das,
was einem widerfährt im Guten und im Bösen. Wir müssen gar nicht
suchen: Was verwandelt mich? Und Verwandlung erzwingen wollen.
Achtsam sein, aufmerksam, sensibel sein in den verschiedensten
Situationen und Wechselfällen des Lebens. Bewusst wahrnehmen.
Von Martin Luther
stammt folgendes Wort:
„Dieses Leben ist nicht Frömmigkeit, sondern Frommwerden; nicht eine
Gesundheit, sondern ein Gesundwerden; nicht Ruhe, sondern eine Übung.
Wir sind`s noch nicht, wir werden`s aber; es ist noch nicht getan und
geschehen, es ist aber in Gang und in Schwang. Es ist noch nicht das
Ende, aber es ist der Weg; es glüht und glänzt noch nicht, aber alles
fügt sich.“
In der
Einzelbesinnung können wir überlegen, hinschauen und uns fragen: Wo habe
ich in meinem Leben „Verwandlung“ erfahren? Wodurch? Wo stehe ich
eventuell Verwandlung auch im Weg? Wo wehre ich mich gegen Veränderung?
Könnte es sein, dass ich damit auch Verwandlung nicht zulasse?
Wenn ich in mein
Leben schaue und mich frage:
Was hat mich innerlich am meisten verwandelt, dann muss
ich sagen: es waren nicht die Situationen und Zeiten, wo es mir gut
ging, wo alles glatt lief, sondern die schweren Zeiten, die
harten, wo ich etwas durchzustehen hatte oder aushalten musste, die
Krisenzeiten.
Es waren nicht so
sehr die beglückenden Erlebnisse, die mich weiterbrachten, wachsen und
reifen ließen, sondern Widerstände, wo etwas quer kam, mir
zusetzte, zu schaffen machte, wo Erwartungen durchkreuzt wurden, Wochen
der Krankheit z.B., wo man sich nicht mehr auf die eigenen Kräfte
verlassen kann, sondern angewiesen ist auf andere, sich ohnmächtig und
hilflos fühlt, sich ausgeliefert vorkommt. Das wahrnehmen und,
wenn es unabänderlich ist, annehmen. So geschieht Verwandlung.
Das gilt
auch für die Erfahrung von zwischenmenschlichen Verletzungen,
Verwundungen, Kränkungen, Enttäuschungen, Bitterkeiten,
Verlusterfahrungen.
All das
wahrnehmen, nicht verdrängen. Schatten und Dunkelheiten ans Licht kommen
lassen. Wo gibt es Unerlöstes? Wo ist Unversöhntes in mir? Wo bin ich
uneins mit mir? Wo bin ich unheil, gekränkt, „krank“? Spüren, was
bei mir der Heilung bedarf.
Die Psychologie
sagt:
„Nur was angenommen ist kann sich wandeln.
Eine Frau erzählt:
„Jahrelang war ich neurotisch. Ich war ängstlich und depressiv und
selbstsüchtig. Und jeder sagte immer wieder, ich soll mich ändern. Und
jeder sagte immer wieder, wie neurotisch ich sei. – Und sie waren mir
zuwider. Und ich pflichtete ihnen doch bei. Und ich wollte mich ändern.
Aber ich brachte es nicht fertig, so sehr ich mich auch bemühte.
Was mich am
meisten schmerzte war, dass mein bester Freund mir auch immer wieder
sagte, wie neurotisch ich sei. Auch er wiederholte immer wieder, ich
sollte mich ändern. – Und ich pflichtete ihm bei. Aber zuwider wurde er
mir nicht. Das brachte ich nicht fertig. Ich fühlte mich so machtlos und
gefangen.
Dann sagte er mir
eines Tages: „Ändere dich nicht. Bleib, wie du bist. Es ist wirklich
nicht wichtig, ob du dich änderst oder nicht. Ich liebe dich so, wie du
bist. So ist es nun mal.“
Diese Worte
klangen wie Musik in meinen Ohren: „Ändere dich nicht, ändere dich
nicht…Ich liebe dich.“
Und ich entspannte
mich. Und ich wurde lebendig. Und Wunder über Wunder: ich änderte mich!
Jetzt weiß ich,
dass ich mich nicht wirklich ändern konnte, bis ich jemanden fand, der
mich liebte, ob ich mich nun änderte oder nicht. Ich glaube, dass auch
Gott mich auf diese Weise liebt und zu mir steht.
Weiß ich
eigentlich tief in meinem Innern, dass ich angenommen bin, ganz,
gründlich? Vorbehaltlos und grenzenlos geliebt von meinem Gott?
Innere Verwandlung
der Gefühle und Einstellungen, innere Heilung kann lange dauern. Man
muss sich dem Wirken Gottes öffnen und seinem Heiligen Geist Raum
geben. Man muss darum beten. Man muss alles Gott
anheimstellen. Man muss sich unter den Regenbogen seiner Güte und
seines Erbarmens stellen. Man muss seine Liebe ganz tief in sich
aufnehmen. Die Liebe Gottes ist wie die Sonne, die nach und nach den
Eisberg abschmilzt.
In einem Lied von
Gerhard Tersteegen heißt es:
„Du durchdringest
alles, lass dein schönes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die
zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten lass
mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“
Jesus sagt:
„Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was
verwundet ist.“
„Nur was
angenommen ist, kann sich wandeln.“
Das gilt gerade
auch für das Leid. Viele klagen und fragen: Warum? Warum? Es kann helfen
zu fragen: Wozu? Was will da Gott von mir. Und wie werde ich mit dem
Leid fertig, so dass es mich nicht fertig macht?
In Irland gibt es ein Wort, das ganz tief aus dem Glauben kommt.
Es lautet: „Nothing happens without a purpose“ = „Nichts geschieht
ohne Sinn.“ Alles ist für etwas gut, auch wenn man`s jetzt
noch nicht erkennt und einsieht und sich dagegen wehrt und hadert.
Gott schreibt auch
auf krummen Zeilen gerade. Und schließt er eine Tür, so öffnet er ein
Fenster.
Eine Geschichte
von Adalbert Balling erzählt:
Eines Tages lief
einem Bauern das einzige Pferd fort und kam nicht mehr zurück. Da hatten
die Nachbarn Mitleid mit dem Bauern und sagten: „Du Ärmster! Dein Pferd
ist weggelaufen – welch ein Unglück!“
Der Landmann
antwortete: „Wer sagt denn, dass dies ein Unglück ist?“ – Und
tatsächlich kehrte nach einigen Tagen das Pferd zurück und brachte ein
Wildpferd mit.
Jetzt sagten die
Nachbarn: „Erst läuft dir das Pferd weg, dann bringt es noch ein zweites
mit! Was hast du bloß für ein Glück!“ Der Bauer schüttelte den Kopf:
„Wer weiß, ob das Glück bedeutet?“
Das Wildpferd
wurde vom ältesten Sohn des Bauern eingeritten. Dabei stürzte er und
brach sich ein Bein. Die Nachbarn eilten herbei und sagten: „Welch ein
Unglück!“
Aber der Landmann
gab zur Antwort: „Wer will wissen, ob das ein Unglück ist?“
Kurz darauf kamen
die Soldaten des Königs und zogen alle jungen Männer des Dorfes für den
Kriegsdienst ein. Den ältesten Sohn des Bauern ließen sie zurück – mit
seinem gebrochenen Bein.
Da riefen die
Nachbarn: „Was für ein Glück. Dein Sohn wurde nicht eingezogen!“
Die Geschichte
zeigt nicht nur, wie eng Glück und Unglück beisammen liegen. (Wer weiß
schon immer sofort, ob ein Unglück nicht doch ein Glück ist!) Die
Geschichte zeigt auch, wie schnell sich die Dinge ändern und die
Situationen sich wandeln können.
In der Bibel
ist Verwandlung ein klassisches Thema:
z. B.:
-
Elija
(am Karmel auf dem Höhepunkt seines Triumphes, dann in der Wüste am
Boden zerstört, dann die Gotteserfahrung am Berg Horeb mit neuem
Auftrag und Sendung)
-
Emmausjünger
(deprimiert und hoffnungslos, dann erfüllt von neuem Mut und froher
Zuversicht)
-
Thomas,
(Zweifel, Glaube, Anbetung)
-
Die Apostel:
Aus den Verängstigten und Eingeschüchterten werden mutige Zeugen der
Wahrheit, die mit Freimut auftreten und unerschrocken ihren Glauben
bekennen.
-
aus Saulus
wird durch das Damaskusereignis ein Paulus.
-
Hochzeit von
Kana: Verwandlung von Wasser in Wein (Leere, Fülle Überfülle)
-
Tabor: Jesus
wird vor den Augen dreier Apostel verwandelt.
-
Heilungserzählungen, z.B. blutflüssige Frau, Bartimäus, der
Gelähmte, der Taubstumme…
-
Auferweckungserzählungen: Die Erweckung des Tochter des Jairus, des
Jüngling von Nain, Lazarus.
Die radikalste und
einschneidendste Wandlung geschieht im Tod. Für uns Christen hat der Tod
allerdings nicht das letzte Wort. Der Tod ist nicht Ende, sondern Wende,
nicht Schlusspunkt, sondern alles verheißender Doppelpunkt, nicht
endgültiges Aus und Vorbei, sondern Durchgang zu neuem und ewigem Leben.
Auferstehung
ist die Verwandlung schlechthin. Da verwandelt Gott den Tod in das
Leben, die Dunkelheit ins Licht, Angst in Vertrauen, das Grab in den Ort
der Engel.
Weihnachten,
Ostern, Pfingsten
sind je auf eigene Weise Feste der Verwandlung. Die Menschwerdung
Gottes vergöttlicht unser Leben. Die Auferstehung verwandelt
das, was in uns erstarrt und erstorben ist, zu neuem Leben. Und der
heilige Geist führt fort und vollendet an Pfingsten die Verwandlung,
die an Ostern in uns begonnen hat.
Viele andere
Feste des Kirchenjahres
könnte man ebenfalls als Feste der Verwandlung feiern, vor allem die
Heiligenfeste, die uns jeweils auf neue Weise zeigen, wie
Menschen von Gottes Ruf und Gottes Geist umgestaltet und verwandelt
werden.
Ein Wort
verwandelt ein Leben, z.B. bei Maria von Magdala („Maria“ – „Rabbuni“),
bei Augustinus („Nimm und lies!“) Franziskus (in Portiunkula beim Hören
des Evangeliums)
Verwandlung hat
immer mit Loslassen zu tun.
Die
selbstherrlichen Wege verlassen
und deinen Weg
gehen
o Jesus,
und das mit aller
Hingabe.
Die eigenmächtigen
Gedanken aufgeben
und deine Gedanken
denken,
o Jesus,
und das mit aller
Hingabe
Die ichbezogenen
Ziele loslassen
und dein Ziel
verfolgen,
o Jesus,
und das mit aller
Hingabe
(nach Anton
Rotzetter)
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