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Wandlung - ein Geheimnis des Lebens
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Das Thema „WANDLUNG“ ist schon seit längerer Zeit in meinem Blickfeld und beschäftigt mich. – Es ist ein großes, ein weites Thema mit vielen Aspekten und Facetten. Gleichzeitig ist es auch tief, so tief wie das Leben selbst. Und es ist klar, dass in einem Vortrag nicht alles gesagt werden kann. Manches kann nur angedeutet und gestreift werden.
„Wandlung“ ist eine ganz wichtige Dimension unseres Lebens, ein Grundphänomen unseres Daseins
J. H. Newman hat einmal gesagt: „Leben heißt: sich wandeln. Vollkommen sein heißt: sich oft und oft gewandelt haben.“
Die letzte große Verwandlung geschieht im Sterben, im Tod. In der Präfation beim Gottesdienst für die Verstorbenen heißt es: „Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen.“
Wenn wir als katholische Christen von Wandlung sprechen, dann denken wir an die heilige Messe und das, was ganz zentral darin geschieht, wenn der Priester während des Hochgebetes die Einsetzungsworte Jesu spricht, die wir auch die Wandlungsworte nennen.
Von Lothar Zenetti gibt es folgendes Wort, ein Wort, das ins Schwarze trifft und provoziert zugleich. Es trägt die Überschrift:
„Inkonsequent“ „Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Kirche. Sie werden antworten: Die Messe. Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Messe. Sie werden antworten: Die Wandlung. Sag hundert Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche die Wandlung ist. Sie werden empört sein: Nein, alles soll bleiben wie es ist.“
Die Pointe sitzt. Das Wort macht betroffen. Kirche muss, wenn sie nicht erstarren und veralten will, lebendig sein, offen, wandlungsfähig.
„Ecclesia semper reformanda.“ So lautet ein alter Grundsatz, ein Leitwort der Kirchengeschichte. Auch Kirche muss sich immer wieder wandeln, verändern, wenn sie nicht stehen bleiben und hoffnungslos gestrig werden will. „Aggiornamento“ war die Devise von Papst Johannes XXIII., als er das 2. Vatikanische Konzil einberief. Veränderung löst aber auch Unbehagen aus. Veränderung bringt Unbequemlichkeit und Umstellung mit sich. Zuviel Veränderung erzeugt Ängste. Heute hü, morgen hott, das kann’s natürlich auch nicht sein! Der Mensch sucht auch die Beständigkeit. Er will Verlässlichkeit. Trotzdem: Leben ist voller Wandlung. Die Zeit bleibt nicht stehen. Das Weltenrad und Lebensrad dreht sich immer weiter. Manchmal hat man den Eindruck immer schneller, immer rasanter. Ja, es sieht so aus, als sei der Wandel das einzig Beständige.
„Panta rei“. „Alles fließt“ lautet ein Grundwort griechischer Philosophie. Und meine Großmutter hat bei verschiedenen Gelegenheiten im Heimatdialekt gesagt: „Sou wie’s is, bleibt’s net!“ –
Veränderungen, Wandlungen: Ja, was hat sich nicht alles seit unseren Kindheitstagen verändert? In der Technik, in der Industrie, im Verkehrswesen, in der Raumfahrt, in der Medizin, in der Wirtschaft, in den Kommunikationsmitteln oder auch nur im Büro, im Haushalt oder auf dem Bauernhof. Neue Erfindungen: Telefon, Waschmaschine, Staubsauger, Fernseher, Computer, Handy, Internet (und immer ausgeklügelter und raffinierter!). Oder denken wir nur an die dauernden Neuerscheinungen in der Mode oder bei den Autos. Oder die Veränderungen im Berufsleben, am Arbeitsplatz. Wie viel ist da heute im Wandel, im Umbruch durch Stelleneinsparungen, Rationalisierung, Fusionen von Firmen und Betrieben, durch die Globalisierung. Veränderungsbereitschaft, hohe Mobilität und Flexibilität ist gefordert. Und oft geht es nicht ohne Umlernen, Umschulen, zusätzliche Studien. Berufswechsel sind heute gang und gäbe.
Was hat sich alles seit unseren Kindheitstagen verändert? 100, 1.000 Dinge, in allen Bereichen. Was heute noch neu ist, ist morgen schon alt. Schnelllebigkeit ist ein Kennzeichen unserer Zeit. („Wir wissen heute nicht mehr genau, wohin wir wollen, aber dafür sind wir umso schneller dort.“)
Das sehen wir z. B. auch an den Reformvorschlägen in der Politik. Gesundheitsreform, Steuer- und Arbeitsmarktreform. Viele Veränderungen halten uns in Atem. Doch wie kurzlebig sind sie oft, wie schnell überholt oder ergänzungs- und verbesserungsbedürftig. Auch kirchlich stehen wir in einer epochalen Wende und vor großen Herausforderungen. „Aufbruch im Umbruch“ lautet ein Motte, unter dem gesichtet, neu gewertet, Prioritäten gesetzt und Schwerpunkte geschaffen, Strukturen gewandelt und den veränderten Gegebenheiten und der gegenwärtigen Situation angepasst werden sollen. Die Frage ist: Wie betrachte ich den Umbruchprozess? Nur unter dem Gesichtspunkt, was geht verloren, was „funktioniert“ nicht mehr? Oder ahne ich, dass da auch Neues wächst? Kann ich hoffen, dass sich neue, tragfähige Formen herausbilden?
Weit gewichtiger als äußere Veränderungen in Kirche und Gesellschaft (Außenwelt), sind die unserer Innenwelt. Stichwort „Bewusstseinswandel“, z. B. im Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft, in Bezug auf die Sexualität, in Bezug auf den Umweltschutz (die Bewahrung der Schöpfung) oder auch eine neue Sensibilität für Menschenrechte, obwohl sie nach wie vor mit Füssen getreten werden. Stichwort „Wertewandel“. Was gestern noch galt, gilt heut schon nicht mehr. Was gestern allen noch heilig war, ist es heute längst nicht mehr. Was gestern Konsens war, von allen akzeptiert, wird heute hinterfragt, gering geachtet, belächelt, geleugnet, abgelehnt z.B. die Heilighaltung des Sonntag, oder Tugenden wie Treue, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit. Krasser Egoismus scheint in heutiger Zeit und in unserer Gesellschaft salonfähiger und anerkannter zu sein als früher. Materieller Ehrgeiz scheint mehr als früher die Gefühle und das Streben breiter, säkularisierter Bevölkerungsschichten zu bestimmen. Ein Begriff wie „Gemeinwohl“ hat wenig Konjunktur. Jeder ist sich selbst der Nächste. Da können die besten Gesetze, die ausgeklügelsten Reformen nichts erreichen. Gerade hier wäre eine Wende, wäre Wandlung notwendig.
Wende und Wandlung im Sinne von Umsinnen, Umdenken, biblisch „Metanoia“. Aus Gedanken werden Worte, aus Worte Taten.
Noch ein ganz anderer Aspekt zum Thema „Wandlung: Die Veränderungen und Wandlungen im Kreislauf des Jahres und in der Schöpfungsordnung: Sommer und Winter, Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Ebbe und Flut, Aussaat und Ernte, Schatten und Licht. Aus Heute wird Morgen. Ständiger Wechsel, Rhythmus und dauernde Wiederkehr prägen das Jahr, die Jahreszeiten und die ganze Schöpfung. Da ist immer Bewegung, Entwicklung, Veränderung und Wandel. Eins geht ins andere über. Eins wird vom anderen abgelöst. Auch der längste Sommer findet seinen Herbst.
Es gilt, diesen Rhythmus und Wandel zu bejahen und nicht künstlich zu verhindern oder zu überspielen, wenn man z.B. den Tag zur Nacht macht, den Sonntag zum Werktag, wenn man im Dezember die Früchte des Sommers genießt oder sich durch allerhand Tricks und Hilfsmitteln auf jung trimmt und versucht über sein tatsächliches Alter hinwegzutäuschen.
Auch beim Menschen: Steter Wechsel, Leben im Rhythmus, dauernde Wiederkehr: Schlafen und wachen, arbeiten und ruhen, Pflicht und Freizeit, gehen und stehen, empfangen und geben, festhalten und loslassen, verlieren und gewinnen, Glück und Schmerz, Freude und Leid, Lust und Qual, Zuneigung und Abneigung.
„Alles hat seine Zeit“, sagt der Prediger Kohelet im 3. Kapitel. Ein mir ganz lieber und bedeutsamer Text. Er schildert, wie menschliches Leben sich vollzieht. Er erinnert uns auch daran, dass wir letztlich unser Leben nicht im Griff haben und darüber verfügen, wie wir oft meinen. Die gegensätzlichen Erfahrungen, die Kohelet aufzählt, können wir weder beeinflussen, noch planen, noch bis ins Letzte regeln oder steuern. Wir erleben oder erleiden sie vielmehr, je nach dem. Und im Grunde können wir nur darauf reagieren.
Hinter allem Wandel steht die Treue und Verlässlichkeit Gottes. Und alles kommt aus seiner Hand. Wir empfangen es von ihm. Letztlich ist es Gott, der dem Menschen seine Lebenszeit schenkt, der über allem waltet und fügt und leitet. Doch bleibt das Wirken Gottes für den Menschen oft undurchschaubar und geheimnisvoll. Aber wem sag ich das. Das wissen Sie so gut wie ich.
Wandlungen in der Natur und im biologischen Bereich: In den vergangenen Wochen konnte man gut das Heranwachsen der Löwenzahnblumen beobachten. Die Wiesen waren voll davon.
Ein anderes Beispiel: wilde Reben an der Klostermauer.
Andere Beispiele: eine Landschaft, die sich wandelt, ein Garten, der Laubwald.
„Wandlung – ein Geheimnis unseres Lebens“ Von Ernst Ginsberg stammt folgendes Gedicht: „Zur Nacht hat ein Sturm alle Bäume entlaubt, sieh sie an, die knöchernen Besen. Ein Narr, wer bei diesem Anblick glaubt, es wäre je Sommer gewesen. Und ein größerer Narr, wer träumt und sinnt, es könnte je wieder Sommer werden. Und grad diese gläubige Narrheit, mein Kind, ist die sicherste Wahrheit auf Erden.“
Bei Propheten Jesaja heißt es: „Aus dem Baumstumpf wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seiner Wurzel bringt Frucht“ (Jes 11,1). Eine wunderbare Verheißung, unglaubliche Wandlung!
Oder nehmen wir die Metamorphosen des Schmetterlings: Ei, Raupe, Puppe, Schmetterling und wieder Ei usw... Ein Kreislauf von Werden und Vergehen, in dem sich unaufhörlich Umwandlungsprozesse vollziehen.
Auch die Entstehung unseres Planeten Erde und die Entwicklung des Kosmos, der Fixsternwelten und Sonnensysteme ist ohne Umwandlungsprozesse nicht denkbar.
Und der Mensch? Auch er wandelt und entwickelt sich. Wandlung gehört zu unserem Menschsein. Unser Körper ist in ständiger Umwandlung begriffen. Es findet dauernder Stoffwechsel statt. Jeder Mensch durchschreitet verschiedene Lebensphasen. Das zeigt schon die äußere Lebensgeschichte. Wir wandeln uns:
Eines meiner Lieblingsgedichte von Hermann Hesse bringt es wunderbar zum Ausdruck:
„Stufen“ Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe Beriet zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andere, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen, Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegensenden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
All diese Entwicklungsstufen, Wandlungsschritte sind mit belebenden Sehnsüchten, mit wohltuenden Erfahrungen, mit erfreulichen Reifungen und Weiterungen verbunden, aber auch mit schmerzhaften Umbrüchen, kräftezehrenden Herausforderungen und traurigen Abschieden. Mit zunehmendem Alter auch mit einer Minderung unserer Leistungsfähigkeit, Problemen mit der Gesundheit, Vergesslichkeit, vermehrte Müdigkeit. Wir brauchen mehr Pausen. Wir stoßen an Grenzen. Im Gegensatz zu unserer äußeren Gestalt und Leiblichkeit, kann der „innere Mensch“ wachsen und reifen bis zur letzten Stunde, allerdings nicht automatisch. Man muss mittun, sich öffnen, sich interessieren, empfänglich sein. Das ist ja bei allem so. Gott handelt nicht ohne uns, schon gar nicht gegen uns, sondern nur mit uns.
Wie sehr wandelt sich ein Menschenantlitz! Bei einer Fotoausstellung von Prominenten und Politikern konnte ich es vor einigen Jahren einmal beobachten. Am auffälligsten war es für mich bei Joschka Fischer. Aber man muss nur einmal das eigene Fotoalbum aus Kindheitstagen bis heute durchblättern, um es wahrzunehmen. Dass ein Mensch sich aber nicht nur im Laufe seines Lebens äußerlich verändert, sondern dass er sich auch innerlich wandeln kann, macht folgende Geschichte auf amüsante Weise deutlich:
Zu Mark Twain kam einmal ein Siebzehnjähriger und erklärte: „Ich versteh mich mit meinem Vater nicht mehr. Jeden Tag Streit. Er ist so rückständig, hat überhaupt keinen Sinn für moderne Ideen. Was soll ich machen? Ich lauf aus dem Haus.“ Mark Twain antwortete: „Junger Freund, ich kann dich gut verstehen. Als ich 17 Jahre alt war, war mein Vater genauso ungebildet. Es war kein Aushalten. Es war um Davonlaufen. Aber hab Geduld mit so alten Leuten; sie entwickeln sich langsamer. Nach zehn Jahren, als ich 27 war, hatte er so viel dazugelernt, dass man sich schon ganz vernünftig mit ihm unterhalten konnte. Und was soll ich Ihnen sagen? Mit 37 war es noch besser. Und heute, wo ich 47 bin, ob du es glaubst oder nicht, wenn ich keinen Rat weiß, dann frag ich meinen alten Vater. So können die sich ändern!“
Verwandlung geschieht meistens ohne unser Zutun. Jedenfalls ist es etwas Prozeßhaftes. Es ist eher ein „Lassen“, geschehen lassen, wirken lassen, sich entwickeln oder entfalten lassen, wachsen und reifen und nicht so sehr ein Tun oder Machen, Leisten, Regeln oder Organisieren.
Damit unterscheidet sich auch Verwandlung von Veränderung. Bei beidem wird etwas anders. Aber Veränderung ist aktiver, ein Entschluss geht voraus, ein Wille steht dahinter, ein Handlungsimpuls, während Verwandlung passiver ist, sanfter, leiser, unmerklicher und sich mehr auf einen Vorgang bezieht. - Ich kann einen anderen Menschen nicht verändern, aber die Liebe zu ihm kann ihn verwandeln. - Ein Kleid kann ich verändern, aber verdorrtes Land verwandelt sich nach Regen in einen Garten. Ich kann mich beruflich verändern. Ich möchte bei mir manches ändern. „Das kann nicht so bleiben“ sagen wir. „da muss sich was ändern.“ Da ist immer ein Wollen, ein Machen, manchmal sogar etwas Gewaltsames dabei, Kurskorrektur, konkrete Maßnamen, ein Handlungskatalog, ein Konzept, Lösungsvorschläge. Bei Veränderung im Sinne von Umstrukturierung ist kaum Platz für das Geheimnis des Lebens. Und das Menschliche bleibt oft auf der Strecke oder kommt zu kurz.
Ohne Verwandlung kein Wachsen und Reifen! Das Leben würde stehen bleiben, bzw. es wäre kein Leben mehr.
Denken wir nur an die Umwandlungsprozesse, die jeden Augenblick in unserem Körper stattfinden, wenn wir atmen oder Nahrung aufnehmen. Da vollziehen sich ganz komplizierte chemische und physikalische Vorgänge. Auch die Verdauung und andere körperliche, biologische Vorgänge haben mit Verwandlung zu tun.
Welch komplizierte Vorgänge vollziehen sich z. B. auch wenn wir ein Bild in uns aufnehmen oder ein Wort hören und mit der Hand oder mit den Füßen entsprechend reagieren! Oder wenn wir aufgrund von etwas Gesehenem oder Gehörtem oder Geschehenem, von etwas Erlebtem emotional bewegt sind und gefühlsmäßig reagieren mit Traurigkeit oder Freude, Lachen oder Weinen, Entsetzen oder Ermutigung, Angst oder Vertrauen, Trübsal oder Trost, Ruhe oder Unruhe... Wir wissen auch wie sich unserer Gefühle und Leidenschaften verwandeln können: Hass in Liebe, Streit in Frieden, Ablehnung in Wohlwollen, Angst in Vertrauen, Verzagtheit in Mut, Traurigkeit in Freude, Ohnmacht in Stärke, Stolz in Demut, Geizen in Teilen, Gieren in Schenken, Grobheit in Zärtlichkeit, Verkrampfung in Gelöstheit, Anspannung in Entspannung, Unruhe in Ruhe, Unangenehmes in Wohltuendes, Dunkelheit in Licht. Und natürlich auch umgekehrt! - Hier befinden wir uns in der wunderbaren Welt der Seele. Da können wir nur staunen.
Jede echte Begegnung wandelt mich, wenn ich mich im Innern von ihr treffen und berühren lasse. Immer wenn ich mich im wörtlichen oder übertragenen Sinn aufbreche, mich auf den Weg mache, mich öffne, Neuem begegne, mich damit befasse, auseinandersetze, es aufnehme, es mir gleichsam einverleibe, geschieht Verwandlung.
Auch das geistliche und religiöse Leben eines Menschen entfaltet sich durch viele Wandlungen hindurch. Denken wir nur an unsere Vorstellung von Gott, unser Gottesbild. Es ist enorm, wie sich das wandeln kann. Und das hat Auswirkungen. Mit dem Gottesbild wandelt sich unser Beten. Ein gewandeltes Gottesbild kann den Menschen ganz neu prägen. Ein gewandeltes Gottesbild schlägt sich unter Umständen auch auf den Umgang untereinander nieder. Das zwischenmenschliche Klima wandelt sich: statt Herrschaft und Machtausübung Geschwisterlichkeit, Solidarität, Gemeinschaft.
Frieda Duensing, die Mitbegründerin der Zentrale für Jugendfürsorge in Berlin, beschreibt in ihrem Tagebuch Stationen der Gotteserfahrung:
1917, unter dem Eindruck des Krieges schreibt sie: „... ich war eine Gläubige, hatte einen Himmel, ein Jenseits. Ich habe nichts mehr davon. Es ist von mir abgefallen wie dürres Laub. Zuerst war`s mir wie ein wirklicher Schmerz. Jetzt aber bin ich froh, dass ich dieses ganze Theater los bin. Weg damit!“ Doch nur ein Jahr später notiert sie: „Ich bin krank geworden an der Lunge, habe die Stürme und Greuel des Krieges erlebt, bin arm an Kräften des Körpers und des Geistes, und doch: Gott näher als je! Der Glaube an ihn als das einzig Wirkliche für meine Seele wächst und ist unerschütterlich.“
Gerade an Grenzsituationen kann sich das Gottesbild und das Bewusstsein für Gott wandeln. Gerade an Grenzsituationen zeigt sich die Oberflächlichkeit oder die Verwurzelung im Glauben und wie es mit dem Gottvertrauen bestellt ist.
Manche suchen auf verschiedenen spirituellen Wegen nach Wandlung und bemühen sich um Verwandlung und strengen sich krampfhaft an. Nichts dagegen. Aber ich finde, es ist mehr das Leben als unser Bemühen und Tun, es ist das Leben, das uns verwandelt und seine Spuren hinterlässt, wenn man sich ihm stellt.
Es wandelt einen um so mehr, je feinfühliger einer ist für Gehörtes und Gesehenes, spürig für Erlebtes, offen für das, was ist und geschieht, sensibel für das, was einem widerfährt im Guten und im Bösen. Wir müssen gar nicht suchen: Was verwandelt mich? Und Verwandlung erzwingen wollen. Achtsam sein, aufmerksam, sensibel sein in den verschiedensten Situationen und Wechselfällen des Lebens. Bewusst wahrnehmen.
Von Martin Luther stammt folgendes Wort: „Dieses Leben ist nicht Frömmigkeit, sondern Frommwerden; nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden; nicht Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind`s noch nicht, wir werden`s aber; es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber in Gang und in Schwang. Es ist noch nicht das Ende, aber es ist der Weg; es glüht und glänzt noch nicht, aber alles fügt sich.“
In der Einzelbesinnung können wir überlegen, hinschauen und uns fragen: Wo habe ich in meinem Leben „Verwandlung“ erfahren? Wodurch? Wo stehe ich eventuell Verwandlung auch im Weg? Wo wehre ich mich gegen Veränderung? Könnte es sein, dass ich damit auch Verwandlung nicht zulasse?
Wenn ich in mein Leben schaue und mich frage: Was hat mich innerlich am meisten verwandelt, dann muss ich sagen: es waren nicht die Situationen und Zeiten, wo es mir gut ging, wo alles glatt lief, sondern die schweren Zeiten, die harten, wo ich etwas durchzustehen hatte oder aushalten musste, die Krisenzeiten.
Es waren nicht so sehr die beglückenden Erlebnisse, die mich weiterbrachten, wachsen und reifen ließen, sondern Widerstände, wo etwas quer kam, mir zusetzte, zu schaffen machte, wo Erwartungen durchkreuzt wurden, Wochen der Krankheit z.B., wo man sich nicht mehr auf die eigenen Kräfte verlassen kann, sondern angewiesen ist auf andere, sich ohnmächtig und hilflos fühlt, sich ausgeliefert vorkommt. Das wahrnehmen und, wenn es unabänderlich ist, annehmen. So geschieht Verwandlung.
Das gilt auch für die Erfahrung von zwischenmenschlichen Verletzungen, Verwundungen, Kränkungen, Enttäuschungen, Bitterkeiten, Verlusterfahrungen. All das wahrnehmen, nicht verdrängen. Schatten und Dunkelheiten ans Licht kommen lassen. Wo gibt es Unerlöstes? Wo ist Unversöhntes in mir? Wo bin ich uneins mit mir? Wo bin ich unheil, gekränkt, „krank“? Spüren, was bei mir der Heilung bedarf.
Die Psychologie sagt: „Nur was angenommen ist kann sich wandeln.
Eine Frau erzählt: „Jahrelang war ich neurotisch. Ich war ängstlich und depressiv und selbstsüchtig. Und jeder sagte immer wieder, ich soll mich ändern. Und jeder sagte immer wieder, wie neurotisch ich sei. – Und sie waren mir zuwider. Und ich pflichtete ihnen doch bei. Und ich wollte mich ändern. Aber ich brachte es nicht fertig, so sehr ich mich auch bemühte. Was mich am meisten schmerzte war, dass mein bester Freund mir auch immer wieder sagte, wie neurotisch ich sei. Auch er wiederholte immer wieder, ich sollte mich ändern. – Und ich pflichtete ihm bei. Aber zuwider wurde er mir nicht. Das brachte ich nicht fertig. Ich fühlte mich so machtlos und gefangen. Dann sagte er mir eines Tages: „Ändere dich nicht. Bleib, wie du bist. Es ist wirklich nicht wichtig, ob du dich änderst oder nicht. Ich liebe dich so, wie du bist. So ist es nun mal.“ Diese Worte klangen wie Musik in meinen Ohren: „Ändere dich nicht, ändere dich nicht…Ich liebe dich.“ Und ich entspannte mich. Und ich wurde lebendig. Und Wunder über Wunder: ich änderte mich! Jetzt weiß ich, dass ich mich nicht wirklich ändern konnte, bis ich jemanden fand, der mich liebte, ob ich mich nun änderte oder nicht. Ich glaube, dass auch Gott mich auf diese Weise liebt und zu mir steht.
Weiß ich eigentlich tief in meinem Innern, dass ich angenommen bin, ganz, gründlich? Vorbehaltlos und grenzenlos geliebt von meinem Gott?
Innere Verwandlung der Gefühle und Einstellungen, innere Heilung kann lange dauern. Man muss sich dem Wirken Gottes öffnen und seinem Heiligen Geist Raum geben. Man muss darum beten. Man muss alles Gott anheimstellen. Man muss sich unter den Regenbogen seiner Güte und seines Erbarmens stellen. Man muss seine Liebe ganz tief in sich aufnehmen. Die Liebe Gottes ist wie die Sonne, die nach und nach den Eisberg abschmilzt.
In einem Lied von Gerhard Tersteegen heißt es: „Du durchdringest alles, lass dein schönes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“ Jesus sagt: „Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist.“
„Nur was angenommen ist, kann sich wandeln.“
Das gilt gerade
auch für das Leid. Viele klagen und fragen: Warum? Warum? Es kann helfen
zu fragen: Wozu? Was will da Gott von mir. Und wie werde ich mit dem
Leid fertig, so dass es mich nicht fertig macht? Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade. Und schließt er eine Tür, so öffnet er ein Fenster.
Eine Geschichte von Adalbert Balling erzählt: Eines Tages lief einem Bauern das einzige Pferd fort und kam nicht mehr zurück. Da hatten die Nachbarn Mitleid mit dem Bauern und sagten: „Du Ärmster! Dein Pferd ist weggelaufen – welch ein Unglück!“ Der Landmann antwortete: „Wer sagt denn, dass dies ein Unglück ist?“ – Und tatsächlich kehrte nach einigen Tagen das Pferd zurück und brachte ein Wildpferd mit. Jetzt sagten die Nachbarn: „Erst läuft dir das Pferd weg, dann bringt es noch ein zweites mit! Was hast du bloß für ein Glück!“ Der Bauer schüttelte den Kopf: „Wer weiß, ob das Glück bedeutet?“ Das Wildpferd wurde vom ältesten Sohn des Bauern eingeritten. Dabei stürzte er und brach sich ein Bein. Die Nachbarn eilten herbei und sagten: „Welch ein Unglück!“ Aber der Landmann gab zur Antwort: „Wer will wissen, ob das ein Unglück ist?“ Kurz darauf kamen die Soldaten des Königs und zogen alle jungen Männer des Dorfes für den Kriegsdienst ein. Den ältesten Sohn des Bauern ließen sie zurück – mit seinem gebrochenen Bein. Da riefen die Nachbarn: „Was für ein Glück. Dein Sohn wurde nicht eingezogen!“
Die Geschichte zeigt nicht nur, wie eng Glück und Unglück beisammen liegen. (Wer weiß schon immer sofort, ob ein Unglück nicht doch ein Glück ist!) Die Geschichte zeigt auch, wie schnell sich die Dinge ändern und die Situationen sich wandeln können.
In der Bibel ist Verwandlung ein klassisches Thema: z. B.:
Die radikalste und einschneidendste Wandlung geschieht im Tod. Für uns Christen hat der Tod allerdings nicht das letzte Wort. Der Tod ist nicht Ende, sondern Wende, nicht Schlusspunkt, sondern alles verheißender Doppelpunkt, nicht endgültiges Aus und Vorbei, sondern Durchgang zu neuem und ewigem Leben.
Auferstehung ist die Verwandlung schlechthin. Da verwandelt Gott den Tod in das Leben, die Dunkelheit ins Licht, Angst in Vertrauen, das Grab in den Ort der Engel.
Weihnachten, Ostern, Pfingsten sind je auf eigene Weise Feste der Verwandlung. Die Menschwerdung Gottes vergöttlicht unser Leben. Die Auferstehung verwandelt das, was in uns erstarrt und erstorben ist, zu neuem Leben. Und der heilige Geist führt fort und vollendet an Pfingsten die Verwandlung, die an Ostern in uns begonnen hat.
Viele andere Feste des Kirchenjahres könnte man ebenfalls als Feste der Verwandlung feiern, vor allem die Heiligenfeste, die uns jeweils auf neue Weise zeigen, wie Menschen von Gottes Ruf und Gottes Geist umgestaltet und verwandelt werden.
Ein Wort verwandelt ein Leben, z.B. bei Maria von Magdala („Maria“ – „Rabbuni“), bei Augustinus („Nimm und lies!“) Franziskus (in Portiunkula beim Hören des Evangeliums)
Verwandlung hat immer mit Loslassen zu tun.
Die selbstherrlichen Wege verlassen und deinen Weg gehen o Jesus, und das mit aller Hingabe.
Die eigenmächtigen Gedanken aufgeben und deine Gedanken denken, o Jesus, und das mit aller Hingabe
Die ichbezogenen Ziele loslassen und dein Ziel verfolgen, o Jesus, und das mit aller Hingabe (nach Anton Rotzetter) |
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