Von
italienischen Soldaten wird erzählt, sie seien an der Front gelegen und
hätten auf das Signal zum Angriff gewartet.
Plötzlich reißt der Oberst sein Gewehr hoch, springt über die Brustwehr,
rennt nach vorn mit dem Ruf „Avanti! Avanti!“- während seine
Leute in sicherer Deckung hocken und elektrisiert von so viel Heldenmut
mit leuchtenden Augen in die Hände klatschen: „bravo! bravo! bravissimo!“
Ist es
mit unserer Einstellung zu den Heiligen nicht ähnlich?
Wir
feiern ihre Feste und unsere Namenstage. Wir bewundern ihr Leben,
klatschen Beifall aus sicherer Deckung und vergessen dabei, selbst
aufzuspringen und ans Werk zu gehen.
Oder
meinen wir vielleicht, Heiligkeit sei nur etwas für religiöse Genies?
Eine Spezialaufgabe für eine unerreichbare Elite? Nein, Heiligkeit ist
jeder Manns und jeder Frau Sache.
Ida F.
Görres sagt:
„Jede Heiligkeit ist neu, wie jedes Menschenantlitz neu ist.“
Damit ist
eine Absage an jede langweilige Frömmigkeit erteilt.
Es gibt
so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.
Wir haben
in den Heiligen Leitbilder, aber wir brauchen uns nicht sklavisch daran
zu halten.
Wir
müssen uns nicht nach starren Regeln und Maßbildern modeln.
Es gibt
keine Zwangsjacke der Heiligkeit.
Wir
sollen in unserer Art, nach unserer Begabung, entsprechend unseren
Fähigkeiten und in unserer Zeit, an unserem Platz, an den Gott uns
gestellt hat, die Heiligkeit Gottes annehmen und sie einbringen in
Kirche und Welt.
„Jede Heiligkeit ist neu!“
Und darum
sind die Heiligen, wenn man sich näher auf sie einlässt, keine
langweiligen Kopien oder einförmigen Serienprodukte. Sie sind allesamt
erfrischende Originale.
Jeder
Heilige ist sozusagen ein einmaliges, unwiederholbares Kunstwerk, in dem
sich göttliche Gnade und menschliche Freiheit vereinen.
Die „Heiligen verehren“ heißt nicht, die Geschöpfe in Konkurrenz mit dem
Schöpfer bringen. Ihr Leben war erfüllt mit großer Leidenschaft für Gott
und seine Sache. Sie waren, jeder in seiner Art, ganz und gar auf Gott
bezogen und nur von ihm her sind sie zu verstehen.
Die
Heiligen sind nichts aus sich selbst, alles aber aus Gnade.
Gerade
deswegen kommt Jesus nicht zu kurz, wenn wir Lieder und Gebete, Kerzen
und Blumen, Zeichen und Orte auch für sie, besonders für die Mutter
Jesu, übrig haben. Das alles ist ja letzten Endes seinetwegen. Echtes
Marienlob und echtes Lob der Heiligen ist letztlich Gotteslob.
Wir
dürfen nicht bei den Heiligen stehen bleiben. Zuerst und zuletzt muss es
immer um Gott gehen. Auch den Heiligen ging es ja ganz um Gott.
Wo
allerdings die Heiligen in rechter Weise verehrt werden, wie es die
Kirche vorsieht, ohne Übertreibung und Entgleisung, ohne Einseitigkeit
und Fanatismus, - wir brauchen aber auch nicht ängstlich, sparsam und
karg sein - hat der Glaube an Jesus Christus noch nie Schaden gelitten!
Übrigens:
Zu den Heiligen beten wir nur. Gott allein beten wir an!
Wir
müssen aber nicht zu den Heiligen beten. Man muss nicht zu ihren
Heiligtümern pilgern. Man muss nicht in Lourdes, Fatima, Assisi und Rom
gewesen sein, um in den Himmel kommen zu können.
Man kann
auch daheim beten. Und man kann direkt mit dem Vater im Himmel sprechen,
wie Jesus es getan und uns gelehrt hat.
Wir
brauchen die Heiligen nicht als Zwischenschaltung, oder als „Vitamin B“,
die Gott gnädig stimmen oder bei ihm für „gut Wetter“ sorgen.
Andererseits ist es auch nicht unsinnig, sie als Helfer, als Fürsprecher
anzurufen. Sie sind ja unsere Brüder und Schwestern, lediglich durch den
dünnen Schleier des Todes von uns getrennt. Unser Heil ist ihnen nicht
gleichgültig. In ihrer Liebe stehen sie für uns ein.
Besonders
zu Maria dürfen und sollen wir ein inniges Verhältnis pflegen, dürfen in
ihr eine Helferin, Trösterin, Mittlerin und Fürsprecherin sehen.
Schon die
heilige Schrift schildert sie uns ja nicht nur als eine große Glaubende, die
ihr Ja spricht und es durchhält, sondern auch als eine Frau, die Not und
Mangel wahrnimmt und alle Hebel in Bewegung setzt, um Abhilfe zu
schaffen.
Beachten
wir nur, was für eine Rolle Maria bei der Hochzeit zu Kana spielt.
Sie merkt
die Verlegenheit des Brautpaares. Sie erkennt ihre Notlage. Sie nimmt
die Ausweglosigkeit wahr. Sie zeigt Umsicht und Feingefühl. Sie ist es
sodann, die ihren Sohn auf die prekäre Situation aufmerksam macht. Sie
möchte helfen und sagt ihre Sorge ihm weiter.
Die
Hochzeit von Kana offenbart uns das mütterliche, vermittelnde Eingreifen
Marias.
Und sie
zeigt uns, was Maria bei ihrem Sohn vermag.
Diskret macht sie Jesus auf die Verlegenheit des Brautpaares aufmerksam:
„Sie haben keinen Wein mehr.“
Und Maria
beweist Mut. Sie lässt sich auch durch ein scheinbar abweisendes Wort
Jesu nicht beirren. Sie schenkt ihm trotz allem Vertrauen. Sie kennt
ihren Sohn. Sie wendet sich den Dienern zu und ermuntert auch sie zum
Vertrauen: „Was er euch sagt, das tut!“ Sie weiß sich schon
erhört.
Wir sehen
hier Maria auf der Seite der Menschen, die in Not sind. Wir sehen sie
auf unserer Seite.
Wir
sehen, dass es ihr nicht gleichgültig ist, wie es den Menschen geht.
Wir
sehen, wie sehr ihr daran liegt, dass die Menschen glücklich und froh
sind und miteinander feiern können.
Und noch
etwas: Maria hält sich nicht heraus.
Sie
mischt sich ein. Sie kümmert sich. Sie nimmt Anteil am Geschick der
Menschen.
Die Sorge
der Brautleute ist auch ihre Sorge.
Sie setzt
sich ein. Sie sorgt dafür, dass den Brautleuten aus der Patsche geholfen
wird und ihnen eine große Blamage erspart bleibt. Auf ihre Vermittlung
hin geschieht das Wunder.
Dürfen
wir nicht hoffen und glauben, dass sie, die sich in ihrem Erdenleben als
Helferin und Retterin in Not gezeigt hat, dass sie jetzt im Himmel auch
auf Seiten der menschlichen Not ist?
Oder
meinen wir, nach ihrer Aufnahme in den Himmel habe Maria aufgehört, für
die Menschen, die von vielerlei Not bedrängt sind, in mütterlicher Liebe
einzutreten?
Soll
Maria ihre Solidarität mit den Menschen, wie sie bei der Hochzeit von
Kana gezeigt hat, aufgegeben oder verloren haben?
Jetzt
kann sie doch erst recht menschliche Not sehen, Elend wahrnehmen,
mitfühlen, raten und helfend zur Seite stehen.
Sie nimmt
doch jetzt nicht weniger Anteil! Sie ist doch jetzt nicht weniger
mächtig, aus Nöten und Gefahren zu erretten!
Ja, jetzt
kann sie es doch viel mehr, viel besser, viel umfassender!
Therese
von Lisieux hat gesagt:
„Ich
werde im Himmel nicht untätig sein. Ja, ich werde Rosen regnen lassen
über die Menschen.“
Es gibt
keinen Grund und auch keinen theologischen Vorbehalt, der dagegen
sprechen würde oder es uns gar verwehren könnte, in den Heiligen
Fürsprecher und Helfer bei Gott zu sehen.
Wir
dürfen mit gutem Grund und - wie wir gesehen haben - auch mit biblischer
Begründung die Fürbitte und Hilfe Mariens und der Heiligen anflehen. Sie
können uns nicht nur Vorbild und Leitbild sein, an dem wir immer wieder
Maß nehmen und an deren Leben wir unser Leben ausrichten, sondern auch
Fürsprecher und Helfer in unseren Sorgen und Anliegen, in Nöten und
Gefahren.
Ein
persisches Märchen schildert, wie Kinder in Persien am Abend den Himmel
und die Sterne betrachten.
Die
Sterne sehen sie aber nicht nach unserer naturwissenschaftlichen
Vorstellungsweise, sondern als Löcher in einem dunklen Tuch hinter dem
der feurige Himmel leuchtet. Die Sterne sind „Gucklöcher“ hinein
in die himmlische Glut.
Dieses
Bild lässt sich auch auf die Heiligen übertragen.
Die
Heiligen sind wie die Sterngucklöcher im Himmelstuch.
Ob klein
oder groß, ob geschichtlich oder psychologisch nah oder weit von uns
entfernt: jeder dieser Heiligen ist ein Stern am herrlichen Himmel
Gottes. In jedem von ihnen leuchtet und flammt das eine göttliche Feuer,
die Heiligkeit Gottes, auf. Und je näher man ihnen kommt, desto mehr
entdeckt man ihre Leucht- und Strahlkraft.
Heilige
sind Menschen, die im Lichte Gottes stehen. Sie sind groß, weil Gott
Großes an ihnen getan hat und sie Großes an sich tun ließen. Sie sind
groß, weil Gott sie beschenkt hat und sie sich beschenken ließen.
Alles
Licht, das wir an ihnen bewundern, ist nicht eigenes Licht, sondern von
Gott gewirktes, von Gott ausgehendes Licht.
In der
Heiligenpräfation heißt es:
„Gott krönt in den Heiligen das Werk seiner Gnade.“
Das ist
die eine Seite: Gottes Handeln.
Die
andere Seite: Der Mensch muss sich öffnen für Gottes Wirken.
Er muss
dem Heil schaffenden Handeln Gottes Raum geben.
Er muss
bereit sein, sich umfassen, sich durchdringen, sich ergreifen zu lassen
von Gott, sich tragen und führen zu lassen von Gott. Er muss bereit
sein, mit allen Fasern des Herzens Gott und sein Reich in sich Macht
gewinnen zu lassen.
Heiligung
vollzieht sich dort, wo ein Mensch sich in seinem Denken, seinem Wollen
und in seinem Tun bis in die feinsten Verästelungen hinein leiten und
bestimmen lässt von Gott und seinem Heiligen Geist.
Übrigens:
Sie wissen ja, dass wir nicht nur im Laufe des Kirchenjahres die
Gedenktage und Feste der Heiligen feiern, der Frauen und Männer, die
heiliggesprochen worden sind oder - wie wir auch sagen - zur Ehre der
Altäre erhoben wurden.
Wir
kennen und feiern ja auch das Fest Allerheiligen, das Fest der vielen
unbekannten, namenlosen Heiligen, deren Leben in keinem Heiligenbuch
beschrieben ist, über deren Leben nie ein Tonbild erstellt oder ein Film
gedreht wurde und deren Namen in keinem Namenstagskalender vorkommen.
Es sind
unzählige - Gott allein weiß wie viele - die zwar nie offiziell
heiliggesprochen worden sind, die aber dennoch das Ziel ihres Lebens
erreicht haben und in der Anschauung Gottes leben.
Sie sind
nicht als Märtyrer gestorben und haben keinen Orden gegründet. Von ihrem
Leben werden keine Wunder und Erscheinungen berichtet. Sie haben keine
komplizierten Werke der Frömmigkeit vollbracht. Sie haben keine
Schlagzeilen gemacht und nicht für Aufsehen gesorgt. Sie haben nach
besten Kräften geglaubt, gehofft, geliebt. Sie haben sich bemüht, Gutes
zu tun und tapfer und treu ihr nicht immer leichtes Schicksal zu
meistern. Es sind die „Heiligen des Alltags“. Und sie leben auch
heute noch mitten unter uns.
Heiligwerden ist nicht nur etwas für religiöse Genies, keine
Spezialaufgabe für eine unerreichbare Elite. Wir alle sind zur
Heiligkeit berufen. Heiligkeit ist jedermanns Sache. Sie hat nichts zu
tun mit Heldentum. Sie besteht nicht in akrobatischen
Frömmigkeitsübungen und asketischen Klimmzügen.
Das Wesen
der Heiligkeit besteht in der Liebe.
Wenn wir
das gelten lassen und ernstnehmen, dann bekommt das blasse und
unattraktive Wort „Heiligkeit“ Farbe und die Sache selbst wird
leuchtend, anziehend und erstrebenswert.
Jede Zeit
hat ihre Heiligen, auch unsere Zeit, Menschen mit Leidenschaft für Gott,
Menschen, die ganz in der Liebe Gottes stehen.
Übrigens,
Paulus spricht die Adressaten seiner Briefe, also die Mitglieder der
christlichen Gemeinden oft und wie selbstverständlich als „Heilige"
an. Und die lassen es sich gefallen. Ja, sie sind stolz auf diesen
Titel.
Stellen
Sie sich vor, ich würde Sie als „Heilige von .... ansprechen? Wie würde
das bei Ihnen ankommen? Das käme Ihnen doch sicher komisch und ungewohnt
vor und wahrscheinlich würden Sie sich dagegen wehren. Zum Heiligsein,
würden wir protestierend einwenden, ist es noch weit hin. Da fehlt noch
viel.
Wir
wissen aber, dass beispielsweise die Christen von Korinth beileibe keine
Tugendbolde waren und keine Ausbünde der Frömmigkeit. Ihr Leben war
längst nicht in allen Punkten einwandfrei und vorbildlich. Es gab
Parteiungen und Streitereien.
Für den
Apostel sind die Korinther trotzdem „Heilige“, und zwar deshalb,
weil sie in der Taufe in die Lebensgemeinschaft mit Christus
hineingenommen wurden. Sie sind „Heilige“, weil sie „Kinder
Gottes“ sind.
„Heiligsein“,
das bedeutet für die heilige Schrift: durch die Gnade in Verbindung mit Gott
stehen, Anteil haben am göttlichen Leben. „Heiligkeit“ so
verstanden ist Geschenk Gottes.
Freilich
dieses Geschenk, grundgelegt in der Taufe und immer wieder genährt durch
das Hören auf das Wort Gottes und den Empfang der Sakramente, ist auch
Aufgabe und Verpflichtung. Die Teilnahme am göttlichen Leben erfordert
eine gottgefällige Lebensgestaltung.
Deshalb
ermahnt Paulus seine Gemeinden immer wieder, sich ihrer Würde, ihrer
Erwählung, ihrer Gotteskindschaft bewusst zu sein. Er wird nicht müde,
ihnen zuzurufen: Werdet, was ihr seid! Ihr seid von Gott Geheiligte! Ihr
habt Anteil am göttlichen Leben und damit an der Heiligkeit Gottes
selbst! Werdet, was ihr seid! Seid heilig, denn auch euer Gott ist
heilig!
Heiligwerden ist so das Lebensprogramm eines jeden Christen.
Es ist
nicht nur etwas für religiöse Genies, keine Spezialaufgabe für eine
unerreichbare Elite. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen.
Das Wesen
der Heiligkeit aber besteht, wie schon gesagt, in der Liebe!
Ein
Heiliger ist ein Mensch, der in der Nachfolge Christi die Liebe lebt.
Wo immer
es in dieser Welt Liebe gibt und Menschen Liebe üben; wo immer Menschen
verzeihen, sich versöhnen, Frieden schließen; wo immer Menschen einander
die Treue halten, einander Freude schenken und auf das Gute bedacht
sind; wo immer Güte, Geduld und Erbarmen herrschen: überall da wird
mitten in einer zerrissen und friedlosen Welt die Heiligkeit Gottes
sichtbar und spürbar, gelebt von Menschen, die erfüllt sind und sich
antreiben lassen vom Geist Gottes.
Auf einem
Abreißkalender habe ich am Fest Allerheiligen vor ein paar Jahren
folgenden Spruch gefunden:
„Ein
Heiliger, das ist ein leerer Krug, den du, Gott, mit Gnade füllst und
der überläuft von deiner Liebe.“
Die
Heiligen verehren heißt: den Glauben an die Macht der Gnade Gottes
bezeugen.
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