Spielen
die Heiligen in ihrem Leben eine Rolle?
Bedeuten
Ihnen die Heiligen etwas?
Würden
wir jetzt hier eine kleine Umfrage machen, kämen sicher verschiedene
Antworten:
Jemand
ist vielleicht ein großer Marienverehrer. Jemand anders betet vielleicht
oft zum heiligen Antonius. Wieder ein anderer hat eine gute Beziehung zu
seinem Namenspatron. Oder er hält viel von der heiligen Hildegard von Bingen.
Oder Elisabeth von Thüringen, die große Heilige der Nächstenliebe, ist
jemandem ein Vorbild. Ein anderer ist begeistert von Franziskus und der franziskanischen Spiritualität. Oder fühlt sich angezogen von Therese
von Lisieux und ihrer Geistigkeit.
Bei dem
Wort „heilig“ oder „Heiliger“ denken vielleicht aber auch
einige an seltsam, an verschroben, muffig, rückständig, an Kitsch und
märchenhafte Heiligenlegenden. Und so ein „komischer Heiliger“
möchte man auf keinen Fall sein.
HEILIGENVEREHRUNG HEUTE?
Ich kam
einmal mit einer Frau ins Gespräch. Sie hatte gerade ihren 70.
Geburtstag gefeiert. Sie erzählte mir sichtlich betroffen und ein Stück
weit auch verärgert, was ihr passiert ist.
Sie
wollte der Frau ihres Enkelsohnes für deren neue Wohnung ein Marienbild
schenken. Die junge Frau lehnte ab. Sie sagte, dafür habe sie keinen
Platz in der Wohnung. Außerdem könne sie mit Maria sowieso nicht viel
anfangen. Sie bete zu Gott und für sie sei allein Jesus wichtig.
Die
Oma fragt mich: „Was sagen Sie dazu? Gibt es
denn so etwas, dass jemand an Gott glaubt und betet, aber nichts von
der Mutter Gottes hält, dass für jemand Jesus wichtig ist, aber nichts
für Maria, die Mutter Jesu übrig hat und mit ihr nichts anfangen kann?“
Ein
anderes Beispiel: In einer Schwesterngemeinschaft wird morgens gemeinsam
die Laudes, das kirchliche Morgenlob, gesungen. Anschließend ist es bei
ihnen Brauch, dass sie noch ein paar andere Gebete anfügen. Neben dem „Engel des Herrn“ sprechen sie auswendig das bekannte Mariengebet:
„O meine Gebieterin, o meine Mutter...“
Nun ist
eine junge Schwester aus dem Mutterhaus zu dieser Gemeinschaft
dazugekommen. Bei einem Hauskapitel, wo verschiedene Dinge besprochen
wurden, machte sie den Vorschlag, das Gebet zu streichen. Sie sagte, sie
könne das Gebet nicht nachvollziehen. Sie könne sich nur Gott
darbringen? Eine tägliche Weihe an Maria käme für sie nicht in Frage.
Bei der Profess habe sie sich ein für allemal Jesus anvertraut und sich
ihm geweiht. Außerdem, sagt sie, täte sie sich auch schwer mitzusingen
„Gut, Blut und Leben will ich dir geben, alles, was immer ich hab,
was ich bin.“ Jesus wolle sie ihre Hingabe zeigen. Ihm wolle sie
allein gehören. Allein Gott sei mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und
mit ganzer Kraft zu lieben. Nicht wahr, so steht es doch in der Bibel?
Zwei
Beispiele: Keines davon erfunden. Beides ist mir selbst zu Ohren
gekommen.
Neulich
fragte mich jemand: Kann man nicht ein guter Christ sein, ohne zu den
Heiligen zu beten und sie zu verehren?
Kann es
nicht lästig sein oder zur Resignation führen, wenn ich als
Durchschnittschrist ständig die Heiligen als Musterchristen vor Augen
gestellt bekomme und aufgefordert werde, ihrem Beispiel nachzueifern?
Ein Durchschnittschüler will ja auch nicht immer mit dem Musterschüler
einer Klasse verglichen werden. Zu groß sind die Unterschiede.
Stehen
die Heiligen nicht unerreichbar über uns? Wer ist schon im Religiösen
und in der Tugend so „spitze“ wie sie es waren? Können wir bringen, was
sie gebracht haben? Ist es nicht deprimierend, immer wieder den Abstand
zu spüren und das Gefühl zu haben, das nie zu schaffen und immer wieder
hinter dem Ideal zurückzubleiben?
Jemand
anders äußerte sich in einem Gespräch einmal so:
Heilige
als Vorbilder: ja! Da kann ich noch mit, aber als Fürsprecher oder
Mittler: da hört es bei mir auf. Wir haben doch einen Fürsprecher beim
Vater: Jesus. Mir genügt das. Da brauche ich nicht noch die Heiligen mit
ihren verschiedenen Ressorts und Zuständigkeiten: den einen für
Halskrankheiten, den andern für verlorene Sachen, wieder einen anderen
bei Liebeskummer und noch einen für eine gute Sterbestunde, einen für
die Bergleute, für die Bauern, werdende Mütter oder die Feuerwehr.
Außerdem,
beten wir nicht im Gloria der heiligen Messe: „Du allein bist der Heilige“?
Wie
können wir dann auch noch Menschen als „Heilige“ bezeichnen?
Widerspricht sich das nicht? Stellt das nicht jede Heiligenverehrung in
Frage? Das sind ernste Einwände.
Nun, so
können wir fragen:
Tun wir
nicht richtig, wenn wir die Heiligen und an ihrer Spitze Maria loben,
preisen, sie ehren und zu ihnen beten?
Tun wir
nicht richtig, wenn wir ihnen und allen voran Maria unseren Dank und
unsere Liebe zeigen?
Tun wir
falsch, wenn wir den Heiligen - und da besonders wieder Maria - ein
kindlich, gläubiges Vertrauen entgegenbringen?
Wenden
wir uns an die falsche Adresse, wenn wir mit unseren Bitten und Sorgen,
mit unseren Nöten und Anliegen zu den Heiligen kommen, zu den Aposteln
Petrus und Paulus z.B., zum heiligen Antonius, Wendelinus, Rochus, Judas
Thaddäus oder den heiligen 14 Nothelfern...?
Und ist
es abwegig, wenn wir in Maria, der Mutter des Erlösers, eine Hilfe der
Christen, die Trösterin der Betrübten, eine Zuflucht der Sünder oder die
Mutter des guten Rates sehen?
Ist es
denn verkehrt, ein Bild der Gottesmutter oder ein anderes Heiligenbild
in der Wohnung zu haben?
Oder
nehmen wir Jesus etwas weg, wenn wir in Lied und Gebet auch seine Mutter
oder die heiligen Apostel, Märtyrer, Bekenner, Kirchenlehrer, die
Heiligen der Nächstenliebe oder unsere Namenspatrone grüßen, zu ihnen
rufen, ihnen unsere Bitten sagen und sie um ihre Fürsprache anrufen?
Sollen
und dürfen die Heiligen keinen Platz haben in unserem christlichen
Leben?
1972 traf der bekannte Hagiograph Walter Nigg in einem Vortrag die
schockierende Behauptung: „Die Heiligen
verlassen die Kirche.“
In der
Tat: es scheint so zu sein, dass viele Christen - auch Katholiken -
keine Beziehung mehr zu den Heiligen finden und sich mit
Heiligenverehrung schwer tun.
Die
Heiligen sind für sie weit weggerückt. Viele können nichts mehr damit
anfangen.
Gehören
die Heiligen schon bald zum alten Eisen?
Droht
Heiligenverehrung eine Angelegenheit alter Frauen und weltabgeschiedener
Klöster zu werden?
Woran
liegt es, wenn heute die Heiligen verblassen, wenn ihre Verehrung
nachlässt?
Woran
liegt es, wenn sich immer mehr schwer tun damit und keinen rechten
Zugang dazu finden?
Liegt er
verschüttet unter einem Wust von frommem, traditionellem Überschwang?
Erfolgt
jetzt der Pendelschlag von einer übertriebenen Heiligenverehrung ins
andere Extrem, in den Minimalismus oder gar in die völlige Abstinenz?
Oder ist
es auch im katholischen Raum die Entdeckung der Bibel, ist es das Licht
des Wortes Gottes, das alle Leuchten der Kirchengeschichte überstrahlt
und verblassen lässt?
Oder ist
es einfach die Gottferne der modernen Zeit, die überall dort, wo ein
Berg zum Ewigen aufragt, mit Psychologie und Soziologie ihn abzutragen
versucht?
Oder ist
es unsere eigene Gottferne, die uns jene Frauen und Männer, die die
Liebe lebten und die Nähe Gottes suchten, auf Abstand halten lässt?
Oder ist
es, wie manche meinen, Christus selbst, der nun stärker in den
Mittelpunkt rückt und damit die Heiligen, die angeblich bisher den Blick
auf ihn verstellt haben, in den Hintergrund drängt?
Oder ist
es eine abstrakt gewordene Theologie, der das konkrete Leben durch die
Finger rinnt?
Was
sollen wir sagen, wenn sogar Theologen befürchten, durch Maria und die
Verehrung der Heiligen werde die einzigartige Stellung Jesu angetastet
oder geschmälert?
Wen
wundert es, dass bei solchem Denken und bei solcher Einstellung
liebgewordene Andachtsformen schwinden und seit Kindheit vertraute
Lieder nicht mehr gesungen und von der nachfolgenden Generation bald
nicht mehr gekonnt werden?
Gewiss,
wir müssen es zugeben: Es gab und gibt in der Heiligenverehrung neben
vielen guten auch manche ungesunde Züge, Entgleisungen und
Übertreibungen.
Nicht
selten mengte sich Glaube mit Aberglaube, kindliche Liebe mit kindischer
Schwärmerei, Kunst mit Kitsch. Nicht selten verwischten die Grenzen.
Oft wurde
auch das Leben der Heiligen hinterher zu kräftig und bunt ausgemalt mit
Wundern und Erscheinungen, mit asketischen Spitzenleistungen und
spektakulären Taten, so dass oft, weil zu dick aufgetragen wurde, nicht
mehr zu erkennen war, dass die Heiligen Menschen aus Fleisch und Blut
waren und gar nicht aus so ganz anderem Holz geschnitzt wie wir.
Wenigstens für Außenstehende konnte es gelegentlich auch so aussehen,
als stelle man, wenn es um Maria und ihre Verehrung ging, das Geschöpf
über den Schöpfer.
In
frommem Überschwang wurde die Magd Gottes fast zur Halbgöttin erhoben.
Selbst die amtliche Kirche musste manchmal eingreifen, um die Dinge
richtig zu stellen und die ärgsten Auswüchse zu beseitigen.
Als
Therese von Lisieux zur Kirchenlehrerin erhoben wurde, da habe ich mich
mit ihr und ihrem Leben befasst und bin auf eine interessante Aussage
von ihr gestoßen, die sie wenige Wochen vor ihrem Tod gemacht hat. Sie
hat sich da über ihre Beziehung zu Maria geäußert. Es ist eine Aussage,
die man, wenn man Therese von Lisieux nur oberflächlich kennt, gar nicht
von ihr erwarten würde. Sie sagt:
„Wie
gerne wäre ich Priester gewesen, um über die selige Jungfrau zu
predigen! Ich hätte vor allem gesagt, wie wenig wir eigentlich von ihrem
Leben wissen. Man dürfte nicht unwahrscheinliche Sachen über sie
erzählen. Damit eine Predigt über die selige Jungfrau Frucht trägt,
müsste sie ihr wirkliches Leben aufzeigen, wie das Evangelium es
durchblicken lässt. Man zeigt uns die selige Jungfrau unerreichbar. Man
müsste sie nachahmbar zeigen... Man müsste sagen, dass sie wie wir aus
dem Glauben gelebt hat. Man müsste so reden, dass die Menschen sie
lieben können. Wenn man bei einer Predigt über die Mutter Gottes von
Anfang bis zum Ende gezwungen wird, vor Staunen nach Luft zu schnappen,
lauter Ach und Oh!, dann hat man bald genug, und das führt weder zur
Liebe noch zur Nachahmung. Wer weiß, ob nicht manche Seele zuletzt sogar
bis zu einer Art Entfremdung von einem derart überlegenen Geschöpf
getrieben wird?“
Therese von Lisieux hielt nichts davon,
die Heiligen - hier Maria - hochzustilisieren, in unerreichbare Ferne zu
rücken. Sie wollte eine Beziehung des Vertrauens, der Nähe, der Liebe.
Doch wie
lange Zeit und wie oft wurde ihr eigenes Leben lieblich und verkitscht
dargestellt. Die erste Ausgabe ihrer Selbstbiographie, die „Geschichte einer Seele“ wurde von Mitschwestern retuschiert,
geglättet, so überarbeitet, dass sie dem Klischee einer heiligmäßigen
Ordensfrau entsprach: sanft, demütig, gottesfürchtig, der herrschenden
Frömmigkeit angepasst. Erst Ende der 50er Jahre hat man das übermalte
Antlitz der Heiligen freizulegen versucht und ihre Selbstbiographie
erschien unzensiert.
Das alles
wird nicht bestritten. Aber dürfen wir deshalb das Kind mit dem Bad
ausschütten? Die Heiligen links liegen lassen? Sie in die Ecke stellen?
Wäre es
nicht ein großer Verlust, wenn wir unseren Lebensweg auf Gott hin bauen
müssten ohne das „lebendige Buch“ der Heiligen, ohne den Kompass, also
die Orientierungshilfe ihres Lebens aus Gott und mit Gott und im Dasein
für die Menschen?
Einige
Jahr nach seiner Behauptung: „Die Heiligen verlassen die Kirche“,
hat Walter Nigg ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: „Die
Heiligen kommen wieder.“
Sie
kommen wieder in die Kirchenräume, die mancherorts vom Bildersturm kahl
und leer gefegt wurden. Sie kommen wieder in den bekannten „Porträts
engagierter Christen“. Sie werden in Predigtreihen neu entdeckt. In
Musicals stehen sie wieder auf. Eine Flut von Biographien stellt sie uns
vor. Denken Sie nur an Hildegard von Bingen, Elisabeth von Thüringen.
Theresa von Avila, Franz von Assisi, aber auch Therese von Lisieux oder
Edith Stein, Maximilian Kolbe, Alfred Delp…
Brauchen
wir und braucht vor allem die Jugend nicht Richtbilder und Leitbilder,
auf die wir schauen können, an deren Leben wir unser Leben ausrichten
und orientieren können? Von denen wir, ohne stur zu imitieren, lernen
und abgucken können, wie Leben nach dem Willen Gottes, Leben aus dem
Glauben, Leben in der Nachfolge Christi möglich ist und gelingen kann.
Walter Nigg sagt:
„Das Fehlen des Leitbildes
ist eine schwere geistige Not unserer Zeit. Anstelle der Leitbilder sind
die Idole getreten, deren ausdruckslose Gesichter uns aus den
Illustrierten stupid entgegenschauen. Die Entwurzelung des heutigen
Menschen, die Nichtbewältigung der einfachsten Probleme... sind Folgen
der Ablösung der Leitbilder durch die Idole. Denn im echten Leitbild
sind wegweisende Kräfte beschlossen.“
Ideen, Systeme, Sätze, Meinungen und
abstrakte Wahrheiten sind gut und schön. Die gibt es genug. Aber können
sie jemanden überzeugen, geschweige denn begeistern.
„Exempla trahunt“
heißt ein lateinisches Sprichwort. Zu Deutsch: „Beispiele reißen mit“.
Prägen und formen, packen und begeistern,
anstecken und entzünden tut das Greifbare, Sichtbare, Lebendige und
Leibhaftige.
Vorbilder sind es, die imponieren, große
Gestalten faszinieren. Beispiele ziehen an. Nur die gelebte christliche
Existenz macht Eindruck. Nur Ergriffene ergreifen.
Wir brauchen Richtbilder und Leitbilder,
zu denen wir aufschauen können, an deren Leben wir unser Leben
ausrichten und orientieren können, die uns zeigen, wie man und dass man
den Glauben, die Hoffnung, die Liebe intensiv leben kann.
Wir brauchen - mit einem Wort - die
Heiligen als konkrete Gestalten des Glaubens, als lebendige Beispiele,
die uns anspornen und ermutigen, genauso bewusst, genauso intensiv,
genauso entschieden christlich zu leben.
Wir brauchen die Heiligen, die uns zeigen
- an deren Leben wir ablesen können, wie sehr der Mensch zur Vollendung
gelangt, der es wagt, sich ganz auf Gott einzulassen, auf sein Wort zu
hören, nach seinem Willen zu fragen und den Spuren des Evangeliums zu
folgen.
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