Am 1. März 2020 verstarb 95-jährig in Managua, der Hauptstadt
von Nicaragua, Ernesto Cardenal, einer der bekanntesten Vertreter der
lateinamerikanischen Befreiungstheologie.
Cardenal
war Priester, Mystiker, ehemaliger Trappist, Dichter, Politiker und
Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Eine
außergewöhnliche Gestalt, die mich in meiner Jugend und auch später noch
berührt, zum Teil auch fasziniert und meine Spiritualität mit seinen
kosmisch mystischen Texten beeinflusst hat.
In den
Nachrufen auf Ernesto Cardenal wurden meistens sein früheres
revolutionäres Pathos, seine Verknüpfung von Sozialismus und Christentum
thematisiert. Er hielt Marxismus und Christentum für vereinbar. Ende der
siebziger Jahre wurde er vom Papst Johannes Paul II. von seinen
priesterlichen Aufgaben suspendiert, weil er in der neuen Regierung –
nach dem Fall des diktatorischen Samoza-Regime – ein Ministeramt
übernommen hatte. In den letzten Jahren war Cardenal von Alter und
Krankheit gezeichnet. Papst Franziskus ließ Barmherzigkeit walten und
rehabilitierte im letzten Jahr (2019) Cardenal in seinem priesterlichen
Dienst.
Man mag von
Ernesto Cardenal halten, was man will, und zu ihm stehen, wie man will,
seine eigentliche Bedeutung liegt meines Erachtens auf dem Gebiet einer
sakramentalen christlichen Mystik. Für mich ist er herausragend als
Schriftsteller und Dichter. In seinen lyrischen und prosaischen Texten
mit einer reichen kraftvollen Bildsprache – den Psalmengesängen ähnlich
– hat mich so mancher Text aus seiner Feder vor Jahrzehnten schon
angesprochen und bis heute begleitet.
Im
Gedenken an Ernesto Cardenal seien zwei – in meinen Augen besonders
schöne Texte hier – ohne großen Kommentar – zitiert. Ich finde, die
Texte sprechen für sich und vermögen auch heute noch anzusprechen und zu
berühren.
Die
ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes,
und in
seiner Schrift gibt es nicht
ein
sinnloses Zeichen.
Der
Schriftzug der Meteore am Himmel,
der
Flug der Vögel in den Herbstnächten
und
der Weg der Sonne durch die Wendekreise,
die
Jahresringe im Stamm einer Zeder
und
die Schlangenlinien der Flüsse
in
einer Luftaufnahme,
alles
sind Zeichen,
die
uns Botschaften übermitteln.
Wir
müssen nur verstehen, sie zu lesen.
Und
wir selbst sind ebenfalls Zeichen Gottes.
In
jedem einzelnen von uns
ist
diese göttliche Schrift eingegraben,
unser
ganzes Sein
ist
eine Mitteilung und Botschaft Gottes.
Wir
sind hineingestellt in diese Schöpfung,
die
ganz Mitteilung ist,
als
die reinsten und schönsten Worte Gottes.
Wir
sind Gottes Ebenbild.
Gott
ist im Innersten allen Seins
und er
ist auch in uns.
Ernesto Cardenal
Der
zweite Text passt m. E. auch gut zur ersten Lesung und vor allem zum
Evangelium des 3. Fastensonntages, Lesejahr A.: Ex 17, 3 - 7 (Wasser aus
dem Felsen) und Joh 4, 5 - 42 (Begegnung Jesu mit der Samariterin am
Jakobsbrunnen). Er handelt vom unstillbaren Durst bzw. der unstillbaren
Sehnsucht in jedem Menschen, die letztlich nur Gott ganz und für immer
stillen kann.
In den
Augen aller Menschen wohnt eine unstillbarere Sehnsucht. In den Pupillen
der Menschen aller Rassen, in den Blicken der Kinder und Greise, der
Mütter und liebenden Frauen, in den Augen des Polizisten und des
Angestellten, des Abenteurers und des Mörders, des Revolutionärs und des
Diktators und in den Heiligen: in allen wohnt der gleiche Funke
unstillbaren Verlangens, das gleiche heimliche Feuer, der gleiche tiefe
Abgrund, der gleiche unendliche Durst nach Glück und Freude und Besitz
ohne Ende. – Dieser Durst, den alle Wesen spüren und in dem auch im
Gleichnis von der Samariterin am Brunnen gesprochen wird, ist die Liebe
zu Gott.
Um
dieser Liebe willen werden alle Verbrechen begangen und alle Kriege
gekämpft, ihretwegen lieben und hassen sich die Menschen. Um dieser
Liebe willen werden Berge bestiegen und die Tiefen der Meere erforscht,
für sie wird geherrscht und intrigiert, gebaut und geschrieben,
gesungen, geweint und geliebt. Alles menschliche Tun, sogar die Sünde,
ist eine Suche nach Gott, nur sucht man ihn meistens dort, wo er am
wenigsten zu finden ist.
Darum sagt der Kirchenvater Augustinus: „Suche, was du suchst, aber
nicht dort, wo du es suchst.“ – Überall suchen wir Gott, auf Festen und
Orgien und Reisen, in Kinos und Bars, und doch finden wir ihn einzig und
allein in uns selbst.
In jedem Inneren leuchtet die gleiche Flamme, brennt der gleiche
Durst. „Wie der Hirsch nach frischem Wasser, so schreit meine Seele nach
Dir, o Herr“, sagt der Psalm. Jedes Herz ist von diesem Pfeil
durchdrungen.
Ernesto Cardenal
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