ERSTE LESUNG
Gott, der Herr,
schickte den Menschen aus dem Garten von Eden weg, damit er den
Ackerboden bearbeite
Lesung
aus dem Buch Génesis
9Gott,
der Herr, rief nach Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10Er
antwortete: Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in
Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.
11Darauf
fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum
gegessen, von dem ich dir geboten habe, davon nicht zu essen?
12Adam
antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem
Baum gegeben. So habe ich gegessen.
13Gott,
der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du getan? Die Frau antwortete:
Die Schlange hat mich verführt. So habe ich gegessen.
14Da
sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du
verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch
wirst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens.
15Und
Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem
Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er trifft dich am Kopf und du triffst
ihn an der Ferse.
16Zur
Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du
schwanger werden. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Nach deinem Mann
hast du Verlangen und er wird über dich herrschen.
17Zu
Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und von dem
Baum gegessen hast, von dem ich dir geboten hatte, davon nicht zu essen,
ist der Erdboden deinetwegen verflucht. Unter Mühsal wirst du von ihm
essen alle Tage deines Lebens.
18Dornen
und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes wirst du
essen.
19Im
Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden
zurückkehrst; denn von ihm bist du genommen, Staub bist du und zum Staub
kehrst du zurück.
20Adam
gab seiner Frau den Namen Eva, Leben, denn sie wurde die Mutter aller
Lebendigen.
21Gott,
der Herr, machte Adam und seiner Frau Gewänder von Fell und bekleidete
sie damit.
22Dann
sprach Gott, der Herr: Siehe, der Mensch ist wie einer von uns geworden,
dass er Gut und Böse erkennt. Aber jetzt soll er nicht seine Hand
ausstrecken, um auch noch vom Baum des Lebens zu nehmen, davon zu essen
und ewig zu leben.
23Da
schickte Gott, der Herr, ihn aus dem Garten Eden weg, damit er den
Erdboden bearbeite, von dem er genommen war.
24Er
vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Kérubim
wohnen und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des
Lebens bewachten.
Die Erzählung, die wir
vorhin in der Lesung gehört haben, ist uns allen sehr vertraut.
Gewöhnlich wird sie als „Geschichte vom Sündenfall“ oder als
„Geschichte vom verlorenen Paradies“ bezeichnet. – Bei der
Beschäftigung mit dem Text sind mir ein paar Dinge aufgefallen und
wichtig geworden.
Erstens: Gott sucht den
Menschen.
Das erste Wort, das Gott
an den Menschen richtet, lautet: „Mensch, wo bist du?“ – Mit
diese Frage wendet sich Gott an Adam, der sich vor Gott zu verbergen
sucht.
Gott sucht den
Menschen.
Gewöhnlich sehen wir uns
selbst als Gottsucher. „Gott, du mein Gott, dich suche ich“, so
beten wir. – Sehr schön hat Augustinus die Gottsuche des Menschen in das
berühmte Wort gebracht: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet
in dir.“
Doch gleich zu Beginn der
Bibel begegnet uns eben nicht der Mensch als Gottsucher, sondern Gott
als Menschsucher.
„Mensch, wo bist du?“
Diese Frage, liebe Schwestern und Brüder, gilt nicht nur Adam und Eva,
sie gilt jedem von uns:
„Wo bist du, Helga,
Thomas, Hildegard, Rosa, Robert…? Versteck dich nicht! Lass dich von mir
finden?“
„Mensch, wo bist du?“
Welche Sehnsucht Gottes nach dem Menschen, spricht aus dieser Frage.
Von Theresia von Avila
stammt das Wort: „Niemals hat ein Mensch so sehr nach etwas
begehrt, wie Gott danach begehrt, beim Menschen zu sein.“
Augustinus bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Gottes
Sehnsucht ist der Mensch.“
Zweitens: Adam und Eva
verstecken sich.
Warum? Sie schämen sich.
Wer steht schon gerne nackt da? Wer fühlt sich schon gerne bloßgestellt?
Es gibt Situationen, da
würden wir am liebsten in den Boden versinken, so sehr schämen wir uns.
Bloß nicht gesehen werden! Weder von den anderen noch vor Gott! Ein
Verhalten, das sich bis heute nicht geändert hat.
Verbergen wir nicht
immer wieder unsere Ängste und Unsicherheiten hinter Masken zur Schau
getragener Selbstsicherheit, hinter Ausreden, hinter
Rechtfertigungsversuchen oder hinter einer Mauer des Schweigens?
Wir überlegen uns genau,
wer uns in die Karten schauen darf und wer nicht. Und wieviel zeigen wir
von uns?
Sagen Kinder ihren
Eltern, denen sie doch vertrauen sollten, immer alles? Wird nicht auch
da schon verheimlicht, abgestritten, gelogen und betrogen? Und in der
Ehe? Wo doch Offenheit, Ehrlichkeit, einvernehmliches Miteinander
und gegenseitiges Vertrauen herrschen sollte, gibt es nicht auch da
Geheimnisse?
Selbst in der Seelsorge,
z. B. in der geistlichen Begleitung, wird es so sein, dass nicht immer
alles, dass nicht die ganze Wahrheit, alle Hintergründe, Umstände und
Motive, auf den Tisch gelegt werden.
Vielleicht
geschieht es am ehesten bei der Beichte.
Vielleicht können wir da
am ehesten mit dem Versteckspielen aufhören und unsere Feigenblätter
ablegen. Denn das Sakrament der Versöhnung ist der Ort, wo wir – wie
nirgendwo sonst – der Barmherzigkeit Gottes begegnen, dem Gott, der uns
kennt, der um uns weiß – und der uns trotzdem liebt.
Gott lädt uns ein, uns von
ihm finden zu lassen gerade auch da, wo wir schuldig geworden sind. Er
ist groß im Verzeihen.
Drittens: Weiterreichen
bzw. Abschieben von Schuld.
Adam und Eva haben Gottes
Ruf „Mensch, wo bist du?“ gehört. Spätestens da wussten sie, dass
es sinnlos ist, sich weiter vor Gott zu verstecken. Gott stellte sie zur
Rede. Sie hatten getan, was ihnen verboten war. Und sie wussten es!
Doch was machen mit der
Schuld? Wohin damit?
Wir haben viele
Möglichkeiten mit Schuld umzugehen.
Sie eingestehen, sich zur
Schuld bekennen, gar nicht so einfach! Gern wird Schuld schöngeredet.
Ist doch gar nicht so schlimm. Oder verallgemeinert. Das machen
doch alle. Oder verniedlicht und verharmlost? Was ist schon
dabei?
Ein sehr beliebtes Mittel,
mit Schuld umzugehen ist: sie anderen in die Schuhe schieben. Den
schwarzen Peter weiterreichen. „Nein, ich war’s nicht! Der war’s! Die
hat doch angefangen!“ – Ein altes Spiel, weltweit verbreitet, Mann
und Frau kennen und können es, schon Kinder sind darin Meister. Schuld
sind immer die anderen.
Adam zeigt auf Eva
und gibt ihr die Schuld: „Sie gab mir davon und ich aß.“ Hätte er
ja nicht gemusst!
Eine kleine Einfügung in
diesem Zeigen auf Eva, in diesem Abwälzen der Schuld auf die Frau macht
die Sache noch perfider: „Die Frau, die DU mir beigesellt hast…“,
sie hat mich verführt! – Unversehens wird Gott selbst zum Schuldigen.
Und Eva? Sie lässt
die Schuld auch nicht auf sich sitzen. Sie schiebt sie auch weiter:
„Die Schlange war’s. Sie hat mich betrogen. Und so habe ich gegessen.“
Viertens: Die Rettung
kommt von Gott
In der Lesung steht der
Satz, den wir auch am 08. Dezember hören, am Fest der ohne Erbsünde
empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria: „Feindschaft will ich
setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren
Nachwuchs… Er wird dir den Kopf zertreten.“
Dieser Satz, liebe
Schwestern und Brüder, ist „Frohe Botschaft“. – Mitten im Unheil
weist er hin auf künftiges Heil. Mitten im Strafspruch über unsere
Stammeltern scheint Gottes Erbarmen durch. Ein Lichtschimmer dringt
herein in das Dunkel der Sünde, ein Morgenrot der Hoffnung leuchtet auf.
Gott selbst wird kommen und uns retten.
Wir Christen glauben:
Jesus ist der von Gott gesandte Retter und Heilsbringer. Er hat durch
seinen Tod am Kreuz die ursprüngliche Freundschaft zwischen Gott und
Mensch wiederhergestellt und so „der Schlange den Kopf zertreten“.
Er ist Sieger über Sünde und Tod.
Der Immanuel, der
Gott mit uns, wird geboren aus Maria, die von allem Anfang an frei war
von Sünde und Schuld. Sie ist die neue Eva. Mit ihrem Jawort hat Gott
einen neuen Anfang gesetzt.
Unheil brachte das
frevlerische Nein unserer Stammeltern gegenüber Gott. Heil brachte das
Ja der Gottesmutter.
Unheil brachte der
Ungehorsam gegenüber Gottes Ordnung und Gebot. Heil brachte der Gehorsam
und Demutssinn Marias, ihre radikale Orientierung an Gottes Wort und
Willen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Natürlich ist unsere Erde
und unsere Geschichte nicht schon wieder Paradies. Das sehen und
erfahren wir jeden Tag. Das Böse versucht immer wieder Fuß zu fassen in
unserem Herzen, in unserem Leben, im Gefüge der Menschheit.
Wir sind jedoch nicht
hilflos in den Teufelskreis hineingeboren. Wir können unterscheiden. Wir
können uns entscheiden. Wir haben ein Navi, ein moralisches
Navigationsgerät, auf das Verlass ist: das Gewissen. Wir müssen nur
darauf hören, ihm Vorrang geben und ihm folgen.
Vor allem dürfen wir
wissen: Bei Gott gibt es immer einen Weg zurück. Bei ihm ist die Tür
immer offen. Umkehr ist jederzeit möglich. Wir dürfen wissen:
Gott ist treu. Sein Erbarmen hört niemals auf. Größer als alle Schuld
ist seine Liebe.
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