EVANGELIUM
Die Leute aßen und wurden satt
+ Aus dem heiligen
Evangelium nach Markus
1In
jenen Tagen waren wieder einmal viele Menschen um Jesus versammelt. Da
sie nichts zu essen hatten, rief er die Jünger zu sich und sagte:
2Ich
habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und
haben nichts mehr zu essen.
3Wenn
ich sie hungrig nach Hause schicke, werden sie unterwegs
zusammenbrechen; denn einige von ihnen sind von weither gekommen.
4Seine
Jünger antworteten ihm: Woher soll man in dieser unbewohnten Gegend Brot
bekommen, um sie alle satt zu machen?
5Er
fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie antworteten: Sieben.
6Da
forderte er die Leute auf, sich auf den Boden zu setzen. Dann nahm er
die sieben Brote, sprach das Dankgebet, brach die Brote und gab sie
seinen Jüngern zum Verteilen; und die Jünger teilten sie an die Leute
aus.
7Sie
hatten auch noch ein paar Fische bei sich. Jesus segnete sie und ließ
auch sie austeilen.
8Die
Leute aßen und wurden satt. Dann sammelte man die übrig gebliebenen
Brotstücke ein, sieben Körbe voll.
9Es
waren etwa viertausend Menschen beisammen. Danach schickte er sie nach
Hause.
10Gleich
darauf stieg er mit seinen Jüngern ins Boot und fuhr in das Gebiet von
Dalmanuta.
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer!
Was wir soeben im Evangelium gehört haben, war schon der
zweite Bericht von einer Brotvermehrung im Markusevangelium.
Das erste Speisungswunder geschah am Westufer des Sees
Genesaret, in einem Gebiet, wo mehrheitlich Juden wohnten. Das heute
berichtete Wunder spielte sich am Ostufer ab, wo überwiegend Heiden ihr
Zuhause hatten.
Im ersten Wunder (Mk 6, 34 - 44) handelt Jesus aus
Mitleid. Denn die Menschen kommen ihm vor wie Schafe, die keinen Hirten
haben. Schafe ohne Hirten, das bedeutet: sich selbst überlassen,
unbehütet, schutzlos, orientierungslos.
Beim heutigen Wunder der Brotvermehrung handelt
Jesus aus Sorge, seine Zuhörer könnten unterwegs vor Hunger erliegen und
das heißt: aus Schwäche zusammenbrechen.
Beide Male hat Jesus die Situation seiner Zuhörer
im Blick.
Er fühlt sich in sie ein. Und dieses
Sich-in-die-Menschen-Ein-fühlen erweckt in ihm Mitleid bzw. Fürsorge.
Beide Male hat er Verständnis für die Nöte der Menschen und tut
alles, um sie zu beheben.
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Jünger fragen im heutigen Evangelium: „Woher soll
man in dieser unbewohnten Gegend Brot bekommen?“
Eine verständliche Frage in einer wüstenähnlichen Gegend.
Aber die Frage beinhaltet mehr. Sie weist über sich hinaus. Sie hat
grundsätzlichen Charakter. Woher sollen wir unser Leben, unsere
Hoffnung, unser Glück nehmen? Was gibt unserem Leben Tiefe und Weite?
Was gibt ihm Sinn und Ziel? – Jesus sagt selbst einmal – an einer
anderen Stelle: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“
Sie kennen wahrscheinlich die Geschichte von
Rainer Maria Rilke und der Bettlerin. Rilke sagte zu seiner Begleiterin:
Eigentlich müsste man ihrem Herzen schenken, nicht nur der Hand. Ein
paar Tage darauf legte er der Bettlerin eine Rose in die Hand. Diese
stand auf, küsste seine Hand und verschwand. Als seine Begleiterin Rilke
nach etwa einer Woche fragte, wovon die Bettlerin all die Tage gelebt
habe, da sie nicht an ihrem Platz saß und bettelte, da antwortete der
Dichter: „Von der Rose.“
Ja, der Mensch lebt nicht nur vom Bankkonto und
vom Kühlschrank. Er braucht mehr als Thermalbad und Fitnesscenter.
Wir alle bedürfen der Zuwendung des anderen, Verständnis,
Freundschaft, Vertrauen, Angenommensein.
Von Martin Buber stammt das Wort: „Jeder Mensch
sehnt sich nach dem Ja des Sein-Dürfens.“ Das stimmt. Wir können es
in der Begegnung mit anderen jeden Tag erleben.
Doch, liebe Schwestern und Brüder, die
Brotvermehrung hat noch eine andere Dimension: Sie ist ein Hinweis auf
die Eucharistie, in der Jesus sich selbst uns gibt.
Das wird ganz deutlich, wenn es im Evangelium
heißt, dass Jesus die Brote nimmt, das Dankgebet spricht, die Brote
bricht und sie den Jüngern zu Austeilen gibt. Das sind genau die Worte,
die Jesus auch beim letzten Abendmahl spricht und die bei jeder
Eucharistiefeier erneut gesprochen werden.
Und sehen Sie: Dieses Dankgebet – wie es im
Judentum üblich war – ist der Höhepunkt des Speisungswunder. Denn im
Danken drückt sich die Einsicht aus, dass alles, was wir haben, von Gott
kommt und Geschenk aus seiner Hand ist, ob Nahrung oder Gesundheit oder
sonst Notwendiges und das Leben überhaupt.
Das Danken lenkt den Blick auf Gott, den Geber aller
Gaben und den Ursprung von allem Guten. Eucharistie heiß Danksagung.
In der Erzählung von der Brotvermehrung heißt es
gegen Ende: „Dann sammelte man die übrig gebliebenen Brotstücke ein,
sieben Körbe voll.“ Von nur sieben Broten bleiben bei viertausend
Menschen noch sieben Körbe übrig. – Die Siebenzahl ist nicht zufällig.
Sie deutet göttliche Fülle an. So ist Gott: Er ist generös,
unwahrscheinlich großzügig und hochherzig. Sein Schenken ist immer ein
Schenken im Überfluss.
Das sehen wir auch bei der Hochzeit zu Kana: Sechs
steinerne Wasserkrüge, je 100 Liter, 600 Liter insgesamt. – „Haben
die Gäste damals den Wein ganz allein getrunken“, wurde einmal ein
Kirchenvater gefragt. Er antwortete: „Nein, wir trinken noch heute
davon.“ – Das gilt auch für die Brotvermehrung und für die große
Menge an Brot, die übrigbleibt: „Wir essen noch heute davon.“
Christus ist das Brot des Lebens, das Brot, das lebt und Leben spendet.
In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit. – Einmal sagt Jesus von sich
und seiner Sendung: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und
es in Fülle haben.“ (Joh 10, 10). Und im Johannesprolog heißt es:
„Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade über Gnade.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Ein bedenkenswerter Aspekt bei der Brotvermehrung ist
noch, dass Jesus den Jüngern die Brotstücke, nachdem er das Dankgebet
darüber gesprochen hat, zum Austeilen gibt.
Er macht nicht alles selbst. Er delegiert. Er bezieht die
Seinen mit ein. Er nimmt sie in Dienst. Die Jünger sollen mithelfen, das
Leben an die Menschen zu verteilen. – Gott will Menschen durch Menschen
nähren, aber mit einer Gabe, die von ihm kommt.
Liebe Mitchristen!
Das Teilen des Lebens und das Teilen des zum Leben
Notwendigen war ein Kennzeichen des Lebens Jesu und soll es auch sein
für alle, die ihm nachfolgen, für alle, die seinen Namen tragen. Neben
der Verkündigung des Glaubens und der Liturgie war schon in der frühen
Kirche die Diakonie ein Wesensmerkmal der christlichen Gemeinden.
Ohne Diakonie, ohne Caritas, ohne tätige,
praktische Nächstenliebe hängt sowohl die Verkündigung des Glaubens als
auch die Liturgie in der Luft. Sie entfalten ihre Wirkung, sie schlagen
sich nieder und werden glaubwürdig im konkreten Miteinander und
Füreinander im Alltag der Gemeinde, z. B. im Umsetzen, im Tun der
geistigen und leiblichen Werke der Barmherzigkeit.
Immer und für alle Christen gilt das Wort, das
Jesus am Ende des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter sagt: „Geh
hin und tu des Gleichen!“ Das heißt: Übe Liebe! Sei barmherzig! Sei
hilfsbereit! Sei gütig und geduldig! Sei nicht nachtragend! Sei bereit
zu verzeihen!
In der Bergpredigt sagt Jesus: „Seid
barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ (Lk 6,
36)
Und Paulus im Brief an die Römer: „Nehmt
einander an, wie auch Christus euch angenommen hat – zur Ehre Gottes.“
(15, 7)