In einer franziskanischen Zeitschrift las ich den Reisebericht eines
Franziskanerprovinzials.
Er
berichtet von einem Besuch bei Mitbrüdern in Brasilien.
Über
einen Rundgang durch die Stadt Sao Paulo schreibt er folgendes:
„Wir kommen an vielen Elendsvierteln
vorbei. Alle Sinne nehmen das Elend wahr. – Dann in der Stadt fahren wir
mit einem Lift in das oberste Stockwerk eines Hochhauses. Von oben sehen
wir auf die Stadt herab; wir sehen weit in die schöne Landschaft der
Umgebung; wir sehen das weite Meer. Nur die Armut, die sehen wir nicht
mehr. Von da oben sieht man darüber hinweg. Dächer verhüllen sie. – Und
plötzlich ist der Gedanke da: Du musst nur hoch genug steigen, dann
siehst du die Armut nicht mehr. Wer die Armut wahrhaben will, muss auf
dem Boden bleiben, unten. Er muss von oben herabsteigen. Armut nimmst du
nur wahr, wenn du unten bist, in Augenhöhe mit den Menschen, den
Schwestern und Brüdern.“
Vielleicht fragen Sie sich, liebe Mitchristen:
Was hat
das denn mit Weihnachten zu tun?
Ich
meine, diese schlichte Beobachtung des Franziskanerprovinzials hat sehr
viel mit der Menschwerdung Gottes zu tun, die wir an Weihnachten feiern,
mit der Bewegung Gottes zu uns Menschen.
Gott kommt in unsere Welt.
Er kommt
herunter auf Augenhöhe. Er begibt sich zu uns, auf unsere Ebene. Er
sucht unsere Nähe auf.
Im Kind
von Bethlehem wird er einer von uns, ganz solidarisch mit uns.
Er teilt
unser menschliches Leben von der Geburt bis zum Tod.
Er
durchlebt Höhen und Tiefen wie wir. Er kennt Freud und Leid wie wir.
In Jesus
wird Gott unser Bruder, in allem uns gleich.
„Sein
Leben war das eines Menschen.“
Liebe
Schwestern und Brüder!
Was das
bedeutet, dass Gott in unsere Welt kommt, in unser Leben, was das
bedeutet, dass Gott sich im Kind von Bethlehem arm und klein macht, um
uns Menschen zu begegnen, das vergessen wir oft!
Wir
vergessen allzu leicht die Tragik, die uns im Weihnachtsevangelium
überliefert wird.
Wir
übersehen die harte Wirklichkeit der verschlossenen Türen und Herzen,
die
lieblose Ungastlichkeit des Stalles, den Hass des Herodes,
die Angst
von Maria und Joseph, die Hals über Kopf fliehen müssen, über die
Grenze, Asyl suchen in einem fremden Land.
Weihnachten ist für uns heute allzu sehr ein Fest seliger Stimmung.
-
Haben wir die verängstigten Hirten nicht zu
harmlosen, idyllischen Schäfern gemacht, diese rauhen Gesellen und
armen Schlucker, die kein Ansehen hatten und keine Rechte besaßen?
-
Übersehen wir nicht vor lauer Glitzersternen,
Lichterketten, Weihnachtsmärkten, und all dem Tingeltangel in der
Vorweihnachtszeit die Härte und Dramatik, die dem
Weihnachtsgeschehen anhaftet?
-
Spüren wir vor lauter Watte und
Lametta eigentlich noch etwas vom harten Holz der Futterkrippe?
Gott in einem Futtertrog!
Der Herr des Alls ein Wickelkind!
Der
Schöpfer der Welt ein kleines winziges Stück Leben, schreiend, hilflos,
angewiesen!
„Dich wahren Gott ich finde in meinem Fleisch und Blut.“
Ist das
zu fassen?
Der Herr
der Welt – ein Kind!
Der große
Gott – ein sterblicher Mensch!
Muss es
uns da nicht die Sprache verschlagen?
Bleibt
einem da nicht der Atem stocken?
Gott
steigt herab in die Tiefe unseres menschlichen Daseins,
in die
Armut, wie sie radikaler nicht gedacht werden kann.
Seht die
Krippe! Seht das Kind!
Seht, wie
tief der Höchste sich beugt.
Seht, wie
nah Gott uns kommt!
Warum tut das Gott?
Warum nimmt er unser menschliches und
zerbrechliches Leben an?
Warum entäußert er sich seiner Allmacht,
wird niedrig und gering?
Warum kommt er aus der unendlichen Fülle,
aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit und begibt sich auf unsere Ebene?
Warum tritt er aus seinem Licht und Glanz
und wird ganz arm und ganz klein?
Gott wird ein Kind.
Allmacht wird Ohnmacht, der Allerhöchste
zum Allernächsten!
Warum?
Der
Evangelist Johannes gibt uns die Antwort: aus
Liebe!
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn sandte, damit
jeder, der an ihn glaubt nicht verloren geht, sondern das ewige Leben
hat.“
Aus
Liebe!
Aus Liebe
kommt Gott herunter!
Aus Liebe
geht er den Weg zu uns Menschen!
Und wir
können hinzufügen: unseretwegen:
„für
uns und um unseres Heiles willen ist er vom herabgestiegen und hat
Fleisch angenommen aus Maria, der Jungfrau“,
so
bekennen wir im Credo.
Der
Apostel Paulus bringt es sehr treffend zum Ausdruck:
„Er,
der reich war, wurde unseretwegen arm, um uns durch seine Armut reich zu
machen.“
Und eine
Weihnachtspräfation formuliert es so:
„Einen wunderbaren Tausch hast du
vollzogen: dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir
sterbliche Menschen empfangen in Christus dein göttliches Leben.“
O Wunder
der Weihnacht! O unfassbares Geheimnis! O unbegreifliche Liebe Gottes!
Liebe
Schwestern und Brüder!
Sagen Sie
es selbst:
Kann Gott sich radikaler ausliefern und
wehrloser machen als in einer Geburt?
Kann Gott radikaler an die Seite der
Menschen treten, besonders der Kleinen, der Hilfsbedürftigen, der
Ohnmächtigen, der Geschundenen und Leidenden?
Kann Gott den Menschen mehr ernst nehmen,
ihn mehr annehmen, ein deutlicheres Ja sagen, ihm mehr seine Liebe
zeigen?
Das
löst bei mir Fragen aus:
Wie weit
bin ich mit meine Liebe bereit zu gehen angesichts der Liebe Gottes?
Wie weit
bin ich bereit herunterzusteigen
-
von dem zum Beispiel, was ich mein
gutes Recht nenne?
-
von
meiner Unangreifbarkeit, die ich mir geschaffen habe?
-
von
meinem Stolz, den ich nicht kränken lasse?
-
von
meinem Eigensinn, an dem ich festhalte?
-
von
meiner Eitelkeit, die keiner verletzen darf?
Wie
überflüssig ist doch vor diesem Kind alles Grosstun, alles Auftrumpfen,
alles Protzen, alles Sich-Aufspielen und Eindruck schinden!
Wie
überflüssig alle Besserwisserei und alles Rechthabenwollen!
Wie
überflüssig wird vor diesem Kind der Zwang, immer top, immer spitze,
immer perfekt sein zu müssen!
Wie
überflüssig, der schlimme Zwang, immer stark sein zu müssen, nie auch
einmal schwach sein zu dürfen!
Wie
überflüssig wird vor diesem Kind alles Schielen nach Profit, Prestige
und Positionen!
Wie
überflüssig werden alle Machtkämpfe und Grabenkriege!
Wie
überflüssig aller Hass und Zank und Streit!
Wie
überflüssig Raffgier, Habsucht u. Eifersucht!
Einem
Weihnachtsbrief vor ein paar Tagen war ein Text beigelegt, der mich sehr
berührt und angesprochen hat:
„Seit
es Weihnachten gibt, musst du dich nicht immer neu vor dir beweisen und
brauchst andere nicht ständig überbieten.
Seit
es Weihnachten gibt, brauchst du dich nicht dauernd zu rechtfertigen und
musst nicht immer noch mehr Leistung bringen.
Seit
es Weihnachten gibt, brauchst du dich nicht größer darstellen und andere
klein halten, dich selbst stets ins rechte Licht rücken und andere in
den Schatten stellen.
Seit
es Weihnachten gibt, musst du dich nicht selbst retten und dich selbst
erlösen.
Denn:
Christ, der Retter ist da!"
Und ich
möchte hinzufügen:
Seit
es Weihnachten gibt, darfst du wissen: Du bist wertvoll. Du bist
liebenswert.
Ja, du
bist ganz, ganz viel wert, auch wenn Dich andere das Gegenteil spüren
lassen und wenn Du selber es kaum glauben kannst.
Du
bist geliebt seit Ewigkeit. Mit ewiger Liebe bist du geliebt!
Sogar
noch im Versagen und trotz aller Schuld!
Schau auf
die Krippe! Sieh das Kind!
Sieh die
Demut und Liebe Gottes!
Und traue
seiner Liebe! Glaube an seine Liebe!
Nimm
seine Liebe an! Nimm sie in dich auf!
Öffne
Dich! Mach Dein Herz ganz weit!
Liebe
Schwestern und Brüder!
Bleiben
wir in diesen Tagen vor der Krippe stehen!
Knien wir
staunend und anbetend nieder!
Bringen
wir alles, was uns bedrückt und quält zum Kind in der Krippe!
Legen wir
alles hinein, was uns Angst und Sorgen macht!
Geben wir
ihm auch unsere Fehler, unsere Sünden, unsere Schuld!
Gott ist
gut. Immer wieder nimmt er uns in seine Arme (wie den verlorenen Sohn).
Und er
verzeiht, wenn wir dem Bösen verfallen und schuldig geworden sind.
Gottes
Liebe ist größer als alle Schuld.
Sehen
Sie, liebe Schwestern und Brüder!
Im Kind
von Bethlehem hat Gottes Liebe gleichsam Hand und Fuß bekommen und ein
menschliches Gesicht.
Lassen
wir uns in diesen Tagen der Weihnacht
neu
ergreifen und durchdringen von der Liebe Gottes,
die in
Jesus Christus sichtbar, anschaubar geworden ist
und die
in IHM menschliche Gestalt angenommen hat!
Und
singen wir ganz innig, ganz andächtig, voll Ehrfurcht und voller
Hingabe:
„In
deine Lieb‘ versenken will ich mich ganz hinab;
mein
Herz will ich dir schenken und alles, was ich hab‘.“
„Wenn
du dich satt gesehen hast
an dem
schönen Kind in der Krippe,
geh
noch nicht fort.
Mach
erst seine Augen zu deinen Augen,
seine
Ohren zu deinen Ohren
und
seinen Mund zu deinem Mund.
Mach
seine Hände zu deinen Händen,
sein
Lächeln zu deinem Lächeln
und
seinen Gruß zu deinem Gruß.
Dann
erkennst du in jedem Menschen
deinen
Bruder, deine Schwester.
Wenn
du ihre Tränen trocknest
und
ihre Freude teilst,
dann
ist Gottes Sohn wahrhaftig geboren
und du
darfst dich freuen.“
Maria
Roos
Gottes
Liebe ruft unsere Liebe! Sein Herz ruft unser Herz! |