Diese Nacht ist uns Christen heilig.
Seltsam: Die Nacht, in der Jesus verraten wurde und in der die Eucharistie ihren
Ursprung hat, nenne wir nicht heilig, noch nicht einmal die Osternacht.
Diese Nacht: die Weih-Nacht, die Nacht, in die hinein
Jesus geboren wurde, das ist für uns die Heilige Nacht!
Diese Nacht ist eine besondere: es ist eine der längsten,
tiefsten Nächte des Jahres. - WINTERSONNENWENDE:
Jetzt werden die Tage wieder länger und die
Nächte kürzer.
Was hat die Christen bewogen, die Gottesgeburt in
dieser Nacht zu feiern? Geschieht das von ungefähr?
Gott kommt in der schwärzesten Nacht zur Welt. -
Wäre er einer von uns, wenn er diesen Tiefpunkt gescheut hätte?
Gott schaut nicht kurz bei Tageslicht herein.
Er setzt an der dunkelsten Stelle an.
Er sucht uns in der Nacht auf.
„Das Licht leuchtet in der Finsternis.“
HEILIGE NACHT! - Was verbinden wir damit?
Ein frommes Spiel der Liturgie?
Nachtromantik mit Kerzenschein und Krippenidylle?
Ist hier Nacht nur Kulisse? Oder ist sie
Erfahrung?
Wissen wir, was wirklich Nacht ist: Dunkelheit,
Undurchsichtigkeit, Kälte und Verlorenheit?
Fragen wir uns: Wo erfahre ich Nacht?
Schlaflose Nächte, die nicht zu
Ende gehen wollen, nicht nur im Alter? - Die Nacht der Einsamkeit, des
Krankseins ,die Nacht der verlorenen Lebensfreude, Hoffnungslosigkeit und
Enttäuschung, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht der Trauer
und Angst? Die Nacht des Verlustes eines lieben Menschen, der von einem
weggegangen ist oder den Gott – vielleicht viel zu früh – zu sich gerufen hat
und der doch für einen das ganze Licht des Lebens war.
Fragen wir uns: Wo tappe ich im Dunkeln?
Wo sieht’s bei mir finster aus? Oder grau in
grau.
Man lebt so vor sich hin, ohne Lichtblick?
Fragen wir uns: Kenne ich die SCHATTENSEITEN des Lebens?
Konflikte, die das Miteinander in
der Ehe, in der Familie, im Beruf überschatten. Spannungen, die Beziehungen
lähmen. Sorgen um den Arbeitsplatz. Unverständnis und Ablehnung, durch die eine
Wand der Apathie und Gleichgültigkeit entsteht.
Was machen wir mit den Nachtseiten unseres
Lebens?
Nehme ich sie wahr? Oder verdränge ich sie?
Weiche ich aus? Oder decke ich die Nachtseiten zu mit Geschäftigkeit, mit
Routine, mit Lärm, mit allerlei oberflächlichem Getue?
Weihnachten
lädt uns ein, uns den Nachtseiten und Dunkelheiten unseres Lebens zu stellen.
Gerade in sie hinein ist ER ja geboren. ER ist in den Abgründen, in den
Tiefenschichten, in den Finsternissen bei uns. „Das
Licht leuchtet in der Finsternis.“
In einer Nacht,
in dieser Nacht, hat es doch begonnen.
Mitten in dieser Nacht ist Gott selbst aus seinem
Licht und Glanz herausgetreten und zu uns gekommen.
ER hat angefangen, wo auch wir anfangen:
ganz gefährdet, ganz wehrlos, ganz arm und klein. Diese Zärtlichkeit, mit der
Gott auf uns zukommt, in der Gestalt eines Kindes, das berührt mich an
Weihnachten jedes Jahr neu. Gott, ein kleines Kind! Dieser Welt ausgeliefert -
wie jeder von uns!
ER der Schöpfer des Alls, ER der Herr der Welt,
ER die unendliche Zukunft - ER ist gekommen! ER ist einer von uns geworden,
unser Bruder.
ER durchlebt und durchleidet Höhen und Tiefen -
wie wir.
ER erfährt Freuden und Schmerzen - wie wir.
ER lässt sich vom Leid der Erde treffen und
verwunden.
ER empfindet unsere Angst und Not.
Und schließlich stirbt er unseren Tod.
Es gibt keine Nacht, die ER nicht kennt, keinen
Abgrund, der IHM nicht vertraut ist. Am Anfang der Stall - am Schluss der
Galgen.
In allem teilt ER unser menschliches Leben.
ER geht ganz in unser menschliches Leben hinein,
wo wir weinen und leiden, wo wir enttäuscht sind und verlassen, verbittert und
verzweifelt und in Schuld verstrickt.
Weihnachten heißt: Gott ist gekommen.
ER sieht nicht bloß von außen her auf unser
zerrinnendes Leben. ER schaut dem Lauf der Dinge nicht von oben herab zu.
ER selbst wird Mensch.
Das,
liebe Schwestern und Brüder, finde ich, ist das Aufregende und
Bewegende der Weihnacht: Gott selbst wird Mensch! ER erfährt das Los des
Menschen. ER nimmt auf sich unser Schicksal.
Liebe Christen!
In dieser Nacht hat es begonnen. Da hat er der ganzen Welt
und den Menschen aller Zeiten kundgetan, was er auch heute einem jeden von uns
sagt:
Ich bin da! Ich bin bei dir! Ich bin dein Leben!
Ich bin in der Düsternis deines Alltags. Willst
du nicht versuchen, sie zu ertragen?
Ich weine deine Tränen. Weine du die deinen mit
mir!
Ich bin deine Freude. Fürchte dich also nicht,
froh zu sein!
Ich bin in deiner Not. Denn ich habe sie selbst
erlitten.
Selbst wenn du die Hoffnung schon aufgegeben hast, wenn du
dir selber zum Rätsel geworden bist, wenn du die Welt nicht mehr verstehst, wenn
Missmut und Enttäuschung dir zu schaffen macht, wenn Traurigkeit dich lähmt,
wenn Ungerechtigkeit dir zusetzt, wenn du Demütigungen und Beschämungen
erduldest, wenn dir trotz gutem Willen Misstrauen entgegenschlägt und du
Ablehnung einstecken musst, dann wisse:
Ich bin da. Ich bin bei dir. Ich geh mit dir.
Glaube, dass meine Liebe unbesiegbar ist.
Wenn Freunde dich verlassen. Wenn beste Beziehungen
zerbrechen, wenn du einen lieben Menschen verloren hast, wenn du ohne Arbeit
bist, wenn Krankheit dir zu schaffen macht oder du sonst wie an Grenzen stößt,
wenn die Beschwerden des Alters auf dein Ende hinweisen, wisse:
Ich bin da. Ich bin bei dir. Ich geh mit dir.
Glaube, dass meine Liebe unbesiegbar ist.
Liebe Schwestern und Brüder!
Kann Gott mehr seine Liebe zeigen als dadurch, dass er
Mensch wird? - Kann Gott mehr seine Liebe zeigen als dadurch, dass er
selbst uns entgegenkommt, zu uns kommt und in allem uns gleich wird, außer der
Sünde? - Kann Gott mehr an unsere Seite treten und den Menschen annehmen,
kann er ein deutlicheres JA sagen zu jedem von uns als er es getan hat in
dieser Nacht, der Weihnacht, in dem Kind von Bethlehem?
Ja, es ist Liebe, nichts als Liebe, die Gott so
handeln lässt.
Aus Liebe geht Gott diesen Weg.
Darum ist diese Nacht die Heilige Nacht, weil
Gott da
- wie Karl Rahner es einmal gesagt hat – „sein
letztes, tiefstes und schönstes Wort gesprochen hat, das Wort, das er nie mehr
rückgängig machen kann, weil es Fleisch geworden ist in Jesus.“ In Ihm spricht
er zu jedem einzelnen von uns: Ich liebe dich, Mensch!
Die Liebe Gottes, liebe Christen, ist das
Geheimnis, das Wunder dieser Nacht. Die Liebe Gottes, seine Heilstat in Jesus
Christus, sein Wille uns zu erlösen, macht diese Nacht zur Heiligen Nacht.
Gott liebt uns Menschen.
Das ist der Urgrund von Weihnachten. Das ist die
Botschaft und die Freude der Heiligen Nacht. Gott liebt uns Menschen, jeden
einzelnen von uns. Er liebt mich und nimmt mich an in all meinen Grenzen und
Schwächen und Nöten.
Und was er durch seine Geburt der ganzen Welt
gesagt hat, das sagt er heute, in dieser Nacht, jedem von uns:
Ich bin da. Ich bin bei dir.
Und ich geh nicht weg von dir.
Was immer dir geschieht, durch welches Dunkel
dein Weg dich führt, welche Nächte du durchlebst und durchleidest, glaube:
Ich bin in deinem Leben. Ich bin dein Leben.
Glaube, dass meine Liebe unbesiegbar ist.
Dann ist auch für dich Weihnacht. Dann ist auch
deine Nacht Heilige Nacht. Dann lasst die Lichter scheinen, lasst hell die
Kerzen brennen. Sie haben mehr recht als alle Finsternis.
Liebe Schwestern und Brüder!
-
Preisen wir heute den gnädigen Gott!
-
Preisen wir ihn für seine Güte und Treue!
-
Preisen wir ihn für seine große Liebe!
Und danken wir ihm für das Wunder dieser hochheiligen
Nacht!
Beten wir mit den Hirten von Bethlehem den an, der
in dieser Nacht zu uns gekommen ist, in unsere Welt, in unsere Zeit, in unsere
Niedrigkeit, in unser Leben.
Und singen wir
aus dankbarem und frohem Herzen die Lieder der Weihnacht. Denn: „Christ, der Retter ist da!“ „Für uns und um unseres Heiles
willen ist er vom Himmel herabgestiegen.“
Vergessen wir aber auch
nicht - angesichts der Liebe Gottes - selber die Liebe zu üben und - angesichts
des unendlichen Erbarmens Gottes – selber gütig und barmherzig zu sein.
Liebe will Antwort. Liebe will
Gegenliebe.
„Wenn Gott uns so geliebt hat“,
sagt der Apostel Johannes, „dann müssen auch wir
einander lieben.“
Nicht mehr: Wie du mir, so ich dir,
sondern: Wie Gott mir, so ich dir! Die Alltagsform der Liebe ist die Geduld, die
Höchstform das Verzeihen.
Wo aber Güte ist und Liebe, da ist
Gott.
Wo Gott ist, da ist Freude und Frieden!
Bei
dieser Predigt verdanke ich einige Ideen, Gedanken
und Formulierungen dem Bischof von Limburg, Franz
Kamphaus
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