Eine
Gegen-Geschichte zur bekannten Pfingsterzählung geht so:
Als
der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Es war
ein strahlender Tag. Am Himmel regte sich kein Lüftchen. Die Jünger
freuten sich über das Beisammensein. Es störte sie keiner. Sie tauschten
alte Erinnerungen aus an Jesus von Nazareth. Die Fenster öffneten sie
nur gelegentlich, um ein wenig zu lüften. – In den Straßen der Stadt
tummelten sich Leute aus aller Herren Länder. Die Jünger ließen sich
dadurch nicht stören. Petrus sagte: „Liebe Freunde, inzwischen haben wir
es verkraftet, dass unser Freund Jesus nicht mehr bei uns ist. Die Juden
haben sich wieder beruhigt. Und so haben wir unsere Ruhe. Von Zeit zu
Zeit können wir uns ja noch treffen, um das Andenken an Jesus in Ehren
zu halten. Im Übrigen aber soll alles beim alten bleiben.“ – Die Jünger
trafen sich noch gelegentlich. Doch allmählich kamen immer weniger zu
den Treffen. Mit den Jahren starben sie. So ging die Sache Jesu und die
Erinnerung an ihn zu Ende.
Eine traurige Geschichte,
nicht wahr?
Gott sei
Dank war es nicht so. Pfingsten war aufregend, nicht langweilig. Da
herrschte Aufbruchstimmung, nicht Resignation. Trauer wandelte sich in
Freude, Resignation in Hoffnung, Lethargie in Begeisterung.
Pfingsten,
das ist der Umschwung von der Sammlung zur Sendung, vom Sich-Einigeln
zum Sich-Öffnen. Statt Enge Weite, statt Verzagen Wagen. Aus Angst wird
Freimut, aus Menschenfurcht erwächst Bekennermut.
Und
heute, am Pfingstfest 2019?
Sind wir
innerlich nicht näher an der traurigen Anti‑Pfingstgeschichte als an der
Erzählung der Apostelgeschichte?
Viele
leiden an der Kirche. Viele sind mutlos geworden in der Kirche. Nicht
wenige wenden sich von ihr ab. Was in den letzten Jahren geschehen ist,
aufgedeckt wurde und hochkam, ist erschütternd, beschämend und
deprimierend. Die Kirche ist in Krise geraten. Die Glaubwürdigkeit hat
schwer gelitten. Ein großer Vertrauensverlust geht damit einher.
Schmerz
und Enttäuschung ist über viele gekommen, die mit der Kirche fühlen. Es
wird viel von Reformen, von Erneuerung gesprochen. Aber was tut sich?
Ratlosigkeit, Resignation, Lähmung macht sich breit.
Ist die Kirche
– zumindest in unseren Breitengraden – nicht auf dem absteigenden Ast?
Geht nicht alles immer mehr den Bach hinunter? Ist Gottes Geist
ausgewandert aus der Gemeinschaft der Glaubenden?
Und wir,
die wir der Kirche – trotz aller Übel und Vergehen – nicht den Rücken
gekehrt haben, wir, die wir – trotz Missbrauchskrise, Machtkämpfen und
Finanzskandalen – heute Pfingsten feiern: Was gibt uns Mut? Was lässt
uns hoffen und vertrauen? Setzen wir noch auf die Kraft des Heiligen
Geistes?
Glauben wir,
dass Gottes Geist läutern, reinigen, heilen kann, dass er aus Erstarrung
befreien und aufrichten kann, dass er neu Freude am Glauben schenken und
einen neuen Anfang bewirken kann? Aus uns allein vermögen wir es nicht.
Wir müssen darum beten. Für Gott aber ist nichts unmöglich.
Im Tagesgebet der Kirche heißt es heute:
„Was deine Liebe am Anfang der Kirche bewirkt
hat, das wirke sie auch heute in den Herzen aller, die an dich glauben.“
Das Gebet
schlägt einen Bogen von damals, vom Beginn der Kirche, bis in unsere
Zeit. Haben wir den Heiligen Geist heute nicht nötiger denn je? Brauchen
wir ihn nicht dringender als je zuvor?
Doch wo beginnen? Erneuerung beginnt nicht irgendwo, nicht anderswo, auch
nicht allein bei denen da oben. Umkehr und Erneuerung, Heiligung und
Heilung beginnt bei uns und in uns selbst. – Nur Ergriffene ergreifen.
Nur von Verwandelten können Verwandlungen ausgehen.
Mir gefällt das Gebet eines chinesischen Christen.
Es
lautet: „Herr, erwecke deine Kirche und fange
bei mir an! Herr. baue deine Gemeinde und fange bei mir an! Herr, lass
Frieden überall auf Erden kommen und fange bei mir an! Herr, bring deine
Liebe und Wahrheit zu allen Menschen und fange bei mir an!“
Eine staubige Pilgerin
ist sie, die Kirche, das ist wahr.
Nicht nur
eine Kirche der Heiligen, sondern auch der Sünder.
Vieles
verdunkelt ihr Ansehen. Viel Ungutes, ja Schlimmes wirft Schatten auf
sie. Dennoch ist sie ihrem Wesen nach heilig. Und in ihrem Herzen trägt
sie unzerstörbar die Verheißung des Himmels. Denn Christus ist in ihr
gegenwärtig und der Dreifaltige wohnt in ihr. |