Evangelium
Meine Augen haben das
Heil gesehen
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Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
22Als
sich für die Eltern Jesu die Tage der vom Gesetz des Mose
vorgeschriebenen Reinigung erfüllt hatten, brachten sie das Kind nach
Jerusalem hinauf, um es dem Herrn darzustellen,
23wie
im Gesetz des Herrn geschrieben ist: Jede männliche Erstgeburt soll dem
Herrn heilig genannt werden.
24Auch
wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn
vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.
25Und
siehe, in Jerusalem lebte ein Mann namens Símeon. Dieser Mann war
gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels und der Heilige
Geist ruhte auf ihm.
26Vom
Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen,
ehe er den Christus des Herrn gesehen habe.
27Er
wurde vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern das Kind Jesus
hereinbrachten, um mit ihm zu tun, was nach dem Gesetz üblich war,
28nahm
Símeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten:
29Nun
lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.
30Denn
meine Augen haben das Heil gesehen,
31das
du vor allen Völkern bereitet hast,
32ein
Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.
Der alte Mann und
das Kind. Das Neugeborene auf den Armen des Greisen Simeon. Ein Bild,
das mich jedes Jahr neu anspricht und berührt. – Was muss das für ein
Moment für Simeon gewesen sein, als er das Kind auf seine Arme nimmt und
spürt, dass er angekommen ist am Ziel seiner Sehnsucht! Das Warten und
Hoffen hat sich gelohnt. Jetzt kann er in Frieden scheiden. –
Im rechten
Augenblick kommt Simeon ins Heiligtum. „Vom Heiligen Geist geführt“,
sagt das Evangelium. Und er erkennt – ohne den leisesten Zweifel – in
dem Kind, das ihm fremd ist, den langersehnten Heilsbringer, den
erwarteten Messias seines Volkes. Ja, er erkennt mehr. Er erkennt die
universale Bedeutung dieses Kindes: das Heil aller Völkern, das Licht
der Heiden, die Herrlichkeit Israels.
Und wie sah die
Weltgeschichte danach in Wirklichkeit aus?
Das Volk Israel in
Herrlichkeit? Damals, heute? Und die Völker im Heil? Damals, heute?
Hatte der Greise Simeon Illusionen? War er – in Alterswunschträumen –
befangen?
Wir alle sind – mit
Zukunftsprognosen überschüttet – diesen gegenüber skeptisch geworden,
egal ob es die Pandemie betrifft, den Klimawandel oder die
wirtschaftliche Entwicklung. Was soll man also mit einer solchen Vision
oder Verheißung, wie sie der Greise Simeon ins Wort fasst, anfangen?
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wir dürfen die
weiteren Aussagen des Greisen Simeon nicht übersehen. Da kommt eine
Wahrheit zum Ausdruck, die der alte Mann von sich aus niemals finden
konnte. Sie war ihm „gegeben“ worden – und damit auch uns.
„Dieser ist dazu
bestimmt, dass viele in Israel“ – gemeint sind wir alle – „durch ihn zu
Fall kommen und viele durch ihn aufgerichtet werden. Er wird ein Zeichen
sein, dem widersprochen wird.“ – Steht diese zweite Voraussage des
Simeon nicht in krassem Widerspruch zur ersten? „Licht, Heil,
Herrlichkeit?“ Ist dieser harte Kontrast erklärbar?
Ich glaube, es geht
hier um den innersten Kern des Menschseins. Und damit wohl um die
Antwort auf eine der wichtigsten Menschheitsfragen: auf die Frage nach
der Ursache so vielen Leids, so vielen Elends, so vieler Grausamkeiten
in der Welt. Manches Mal – vielleicht auch oft – unbewusst und
unbedacht, machen wir Gott dafür verantwortlich? „Wie kann Gott das
alles zulassen?“ Das ist eine der Fragen, noch vorsichtig formuliert.
Die Antwort bekommen
wir im heutigen Evangelium. Ursache ist die dem Menschen von Gott
gegebene Freiheit, seine Entscheidungsmöglichkeiten, die ihm zum Heil,
zur Herrlichkeit oder zum Fall werden kann. „Dieser ist dazu bestimmt,
dass viele durch ihn zu Fall kommen und viele durch ihn aufgerichtet
werden. Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ Das heißt: an
Christus, an seiner Person, scheiden sich die Geister und entscheiden
sich die Schicksale der Menschen. Sie haben die Freiheit, ihn abzulehnen
oder anzunehmen.
Ein großes, unerhört
großes Geschenk ist diese unsere Freiheit und gleichzeitig ein fast
unheimliches, wenn man die Folgen bedenkt. – Dennoch: An vielen Stellen
bereits im Alten Testament, aber vor allem im Neuen Testament, wird uns
gesagt, dass Gott uns liebt und uns annimmt, wie wir sind. Trotz unserer
Fehlentscheidungen, Schwächen und Armseligkeiten.
Er kennt uns und
weiß um uns. Er kennt die Abgründe unseres Herzens. Er weiß um das
Dunkle und Unerlöste in uns. Aber keine Verstrickung in Schuld ist so
tief, keine Entfremdung von ihm so radikal, dass sich nicht von SEINEM
Verzeihen eingeholt werden könnte. „Klagt uns unser Herz auch an, Gott
ist größer.“ (1. Joh 3, 20). Seine Liebe ist größer. |