Die franziskanische
Ordensfamilie feiert heute das Fest der Stigmata des heiligen Franziskus.
Im Jahr 1224 – um das
Fest Kreuzerhöhung – zwei Jahre vor seinem Tod, hielt sich Franziskus
für mehrere
Wochen in der Toskana auf dem Berg La Verna auf. Hierher
hatte er sich zu Fasten, Gebet und Meditation zurückgezogen. Eine Art
30-tägige Exerzitien.
In dieser
Gebetseinsamkeit geschah es, dass sich seinem Leib – während er ganz in
Betrachtung versunken war – die Wundmale Jesu einprägten. An seinem
Körper zeigten sich jene wunden Stellen, die Christus durch seine
Kreuzigung erlitten hatte.
Da brach nach außen
durch, was sich Franziskus schon lange, seit dem Gebet vor dem Kreuz in
San Damiano, innerlich zutiefst eingeprägt hatte.
Da soll ein Mensch die
Wundmale Jesu empfangen haben.
Die Wunden Jesu sollen an
seinem Leib sichtbar geworden sein.
Heutzutage ist das für
viele vermutlich ein fremder und sonderbarer Gedanke.
Ich will nun nicht
versuchen, dieses Phänomen zu erklären.
Letztlich bleiben die
Stigmata sowohl bei Franziskus als auch bei anderen, wie z.B. Anna
Katharina Emmerick, Therese von Konnersreuth oder Pater Pio ein
Geheimnis.
Ich möchte jedoch ein
paar Gedanken und Überlegungen mitteilen,
die vielleicht hilfreich
sein und zum Verstehen dieses Geheimnisses hinführen können. – Denn so
etwas gibt es, dass einer die Wundmale eines anderen trägt.
Ein erster Zugang
tut sich auf, wenn wir bedenken: Es gibt kein Leben ohne Wunde. Wunden
kennt jeder Mensch, körperliche und seelische Verwundungen; schuldlos
erlittene und selbst verschuldete;
Wunden bereits zugeheilt
und vernarbt, aber auch Wunden, die immer noch nicht verheilt sind,
Wunden, die immer noch bluten.
Wer tief enttäuscht,
betrogen, beleidigt oder verleumdet wurde, trägt oft lebenslang an
solchen „Wunden“.
Halten wir fest: Wer auf
Erden lebet, wer mit Menschen zusammenlebt, wer in der Kirche lebt, dem
prägt das Leben Wundmale ein und Mitmenschen fügen ihm Verwundungen zu.
Darum trug Jesus auch
Wundmale, weil er sich nicht heraushielt, sondern sich ganz hineingab in
dieses unser Leben, weil er Mensch wurde, unser Bruder.
Ein zweiter Zugang
kann sich uns auftun, wenn wir an die Liebe und Solidarität zwischen
Menschen denken, die für einander da sind.
Ich möchte das, was ich
meine, in den Satz formulieren:
„Verwunde den, den ich
liebe, und du verwundest mich!“
Füge dem, den ich liebe
Schmerzen zu, und du fügst mir Schmerzen zu! – Rede verletzend über eine
Frau, und du verletzt ihren Mann, der sie liebt! – Rede verletzend über
einen Mann, und du verletzt seine Frau, die ihn liebt! – Rede verletzend
über die Kinder oder verletze sie sogar, und du verletzt die Eltern, die
sie lieben!
Wundmale eines anderen
tragen, an den Schmerzen eines anderen mitleiden: das ist eine Frage
der Liebe! Je mehr einer liebt, desto mehr verwundet es ihn, wenn
der oder die Geliebte leidet.
„So sehr hat Gott die
Welt geliebt, dass er seinen Sohn für uns dahin gab.“
– So sehr hat Christus uns geliebt, dass er Wundmale trug, am Kreuz
verwundet wurde. – Stellvertretend, solidarisch in seiner Liebe bis zum
Äußersten, ist er für uns Menschen, die er liebt, Wunde geworden.
Hier haben wir einen
Schlüssel zum Geheimnis der Wundmale des heiligen Franziskus, die er auf dem
Berg La Verna empfangen hat.
Franziskus liebte den
leidenden Christus. Von Beginn seiner Bekehrung an war er von einer
tiefen Verehrung und Liebe zum Gekreuzigten erfüllt. Er meditierte sein
Leiden. Er versenkte sich in die Erlöserliebe Christi. Er vereinigte und
verband sich mit den Wunden der Passion.
Und so wie wir in einem
alten Lied zur Mutter Jesu rufen:
„Heilige Mutter, drück
die Wunden, die dein Sohn am Kreuz empfunden, tief in meine Seele ein“,
so bittet Franziskus Jesus:
Lass mich teilhaben an
deinem Leiden! Gib mir Anteil an deiner Liebe!
Drücke deine Wunden tief
in meine Seele, in mein Herz!
Mach mich immer mehr eins
mit dir!
Franziskus empfindet mit
Jesus in seinem Leiden. Er leidet mit.
Er wird ein Mitleidender!
Es tut ihm weh, dass Christus unschuldig leidet, aus Liebe, für uns.
Weil er, den er liebt,
verwundet ist, darum prägen sich auch ihm die Wundmale ein, darum trägt
auch er Wundmale.
Franziskus leidet, weil
er den Herrn leiden sieht, den er liebt.
Bis ins Tiefste von der
Liebe verwundet, ist er selber zur Wunde geworden.
Es ist eine Frage der
Liebe!
Wer liebt, wer als Liebender mitleidet, kann nicht anders als Wunden
tragen.
So frage ich mich: Tut es
mir weh, dass Christus verwundet ist?
Trage ich Wundmale, weil
Menschen in meiner Umgebung oder sonst wo auf der Welt, Wundmale tragen?
Es ist eine Frage der Liebe!
Ein letzter Gedanke:
Christus hätte kneifen können vor dem Kreuz und die meisten hätten
Verständnis gehabt, wenn er dem Leiden, dem Kreuz ausgewichen wäre.
„Wenn du Gottes Sohn
bist, dann steige herab vom Kreuz!“
Er hat es nicht getan. Er
ist nicht ausgewichen.
Das ist der tiefste
Beweis seiner Liebe!
Weil er uns liebt, weicht
er nicht aus, wo es heißt, mit uns oder für uns das Kreuz zu tragen.
Es ist eine Frage der
Liebe!
Damals bei Jesus, dann bei Franziskus, und schließlich bei uns, bei mir,
heute.
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