Am 30. September
1897 verstarb die heilige Theresia von Lisieux. 100 Jahre danach wurde sie -
1997 - von
Papst Johannes Paul II. zur Kirchenlehrerin erhoben.
Damit ist sie
neben Theresia von Avila und Katharina von Siena die dritte Frau, der dieser
Titel zuerkannt wurde.
Die Proklamation
zum Kirchenlehrer ist in der Kirche ein extrem seltenes Ereignis. Während es
tausende Selige und Heilige gibt, kennt die Kirche nur 33 Kirchenlehrer;
darunter Augustinus, Thomas von Aquin, Anselm von Canterbury und Bernhard von Clairveaux.
Wer ist diese Frau und was
hat sie uns zu sagen, sie, die ja keine Theologin war, die nirgendwo ein Diplom erworben hat,
die keine einzige theologische Abhandlung verfasst hat? Und die zudem in einem
Alter starb, nämlich mit 24 Jahren, wo man gewöhnlich noch nicht als besonders
weise gilt? - Dass diese junge französische Ordensfrau den Titel Kirchenlehrerin
erhielt, ist in mancher Hinsicht sensationell.
Bereits 25 Jahre
nach ihrem Tod, 1923, wurde Theresia von Lisieux von Pius XI. selig- und zwei
Jahre später heiliggesprochen. Er nannte sie „die größte Heilige der Neuzeit“
und erklärte sie auch zur Patronin der Weltmission.
Oft wurde ihr
Leben lieblich und verkitscht dargestellt. Die erste Ausgabe ihrer
Selbstbiographie, die „Geschichte einer Seele“, wurde von Mitschwestern
retuschiert, „geglättet“, also so überarbeitet, dass sie dem Klischee einer
heiligmäßigen Ordensfrau entsprach: sanft, gottesfürchtig, demütig; der
herrschenden Frömmigkeit angepasst.
Erst Ende der 50er Jahre hat man das übermalte Antlitz der Heiligen versucht, freizulegen. Ihre
Selbstbiographie erschien unzensiert und zeigte die Heilige, wie sie wirklich
war: mutig, lebendig und lebensfroh, mit dem unbedingten Willen, sich im Dienst
Gottes für die Menschen im Gebet und in der Tat einzusetzen.
Wer ist diese
heilige Theresia? - Zunächst einige Lebensdaten:
Theresia wurde
als Therese Martin 1873 in Alencon in der Normandie als jüngstes von neun
Geschwistern geboren. Als sie gerade erst vier Jahre alt war, starb ihre Mutter.
Ältere Schwestern übernahmen die Mutterrolle. Sie selbst betrachtete Weihnachten
1886 als entscheidendes Ereignis in ihrem Leben. Die 13jährige erfuhr die Gnade
einer „völligen Umkehr“ und verstand von da an die Liebe zu Christus und
zu den Menschen als die eigentliche Berufung ihres Lebens.
Bereits als 14jährige wollte
sie wie zwei ihrer großen Schwestern in den Karmel von Lisieux eintreten. Doch
viele hatten den Eindruck, dass sie nur ihren großen Schwestern nachlaufe.
Wie mutig dieses
junge Mädchen Therese war und wie sie beinahe dickköpfig den Weg ihrer Berufung
ging, zeigt die Tatsache, dass sie nicht nur beim Superior des
Karmelitinnenklosters vorsprach, sondern zum Bischof, ja sogar zum Papst
vordrang und während einer Romreise bei einer Audienz ihr Anliegen vorbrachte.
1888, mit 15
Jahren durfte sie schließlich in den Karmel eintreten. Im Karmel verlief ihr
Leben äußerlich sehr einfach. Ihr innerer Weg ging steil nach oben. Äußerlich
machte sie einen ausgeglichenen Eindruck, innerlich durchlitt sie häufig schwere
Kämpfe und seelische Leiden. Innere Prüfungen und körperliche Krankheit waren
ihr Alltag. Ihre vorbehaltlose Liebe zu Christus wurde durch schwere Leiden auf
die Probe gestellt. Sie begriff: Christusliebe muss sich in der Kreuzesnachfolge
verwirklichen. - Die heilige Schrift wurde mehr und mehr ihr einzige Lektüre.
Theresia ging
aufs Ganze, auf das Große. Sie wollte Jesus mehr lieben als er jemals geliebt
wurde. Sie wollte alle Menschen lieben, wie Jesus geliebt hat. Vor Hochmut wurde
sie durch die Erkenntnis bewahrt, dass sie selbst zu alledem völlig unfähig war
und nur durch die Kraft der zuvorkommenden Liebe Gottes überhaupt etwas tun
konnte. - Bereit mit 24 Jahren stirbt Theresia an Tuberkulose.
Worin besteht nun die
Botschaft der heiligen Theresia von Lisieux? Was hat sie uns als Kirchenlehrerin zu
sagen?
Als Therese mit
15 Jahren in den Karmel eintrat, nannte sich die Novizin „Schwester Theresia vom
Kinde Jesus“, ein Name, der für sie ein Programm war. Denn Gott beschreibt
sie immer wie einen liebenden Vater oder eine liebende, treusorgende Mutter.
Der Satz des
Propheten Jesaja war ihr besonders wichtig:
„Wie eine
Mutter ihr Kind liebkost, so will ich euch trösten. An meiner Brust will ich
euch tragen und auf meinen Knien euch wiegen.“
Theresia wollte vor Gott ein
Kind sein. „Kindsein vor Gott“, sagt sie selbst einmal, „besteht
darin, dass man sein Nichts anerkennt, alles von Gott erwartet, so wie ein
kleines Kind alles von seinem Vater erwartet und dass man sich um nichts Sorgen
macht...
Kleinsein
heißt auch, nicht die Tugenden, die man übt, sich selber zuschreiben, sich nicht
selber zu irgend etwas fähig halten, sondern anerkennen, dass der liebe Gott
diesen Schatz einem in die Hand legt.“
Freilich, solche Worte sind
missverständlich. Man könnte dahinter die Haltung völliger Passivität vermuten.
Doch „Kindsein“, wie Theresia es verstand und wie sie es gelebt hat, ihr
„kleiner Weg“, den sie gefunden hat und gegangen ist, das ist keineswegs
etwas für Zauderer oder Halbherzige. Es ist kein bequemer Weg. Es ist eine Sache
derer, die das Ganze wagen. In den Schriften Theresias klingen immer wieder die
Worte „Kühnheit, Wagnis, Verwegenheit“ auf. Nicht umsonst war ihre
Lieblingsheilige Jeanne d`Arc, das Mädchen von Orleans, die ja auch aufs Ganze
ging. Theresias „kleiner Weg der geistigen Kindheit“, war in Wirklichkeit
ein großer Weg, ein Weg unbegrenzter Liebe.
Sie sagt es selber:
„Der Weg der geistigen Kindschaft ist der Weg des Vertrauens und der gänzlichen
Hingabe.“
Theresia hat immer wieder
aufs neue diesen Weg beschrieben. Sie wird nicht müde, ihn zu empfehlen. Sie
hatte diesbezüglich ein erstaunliches Sendungsbewusstsein. Sie glaubt, dass
viele Menschen diesen Weg gehen können.
Dieser Weg bedeutet auch den
Verzicht auf alle möglichen Leistungen, auf besondere Opfer und
außergewöhnliche Anstrengungen. Viele meinen ja vor Gott solches auf sich
nehmen zu müssen. Der kleine Weg bedeutet sogar den Verzicht auf rigoroses
Streben nach peinlicher und kleinlicher Vollkommenheit.
Zum kleinen Weg
gehört es sogar, die alltäglichen Fehler und Schwächen zu akzeptieren, die
eigene Unvollkommenheit freudig und dankbar anzunehmen.
Theresia sagt:
„Ich empfinde Freude nicht nur, wenn ich für unvollkommen gehalten werde,
sondern besonders wenn ich fühle, dass ich es bin.“
Theresias Leben war nicht auf
Rosen gebettet. Sie hat viele Widerwärtigkeiten ertragen müssen. Auf lange
Strecken ihres Klosterlebens hat sie nicht nur unter Kälte gelitten, sondern vor
allem unter geistlicher Trockenheit. Sie hat sich an der täglichen Mühsal des
engen Zusammenlebens in der klausurierten Klostergemeinschaft gerieben, sie hat
die Armut des Nicht-Beten-könnens getragen. Besonders in ihren letzten Jahren
hat sie große Nöte des Glaubens, Prüfungen, Anfechtungen, Dunkelheiten, ja
Gottesfinsternis durchlitten. Glaubenskrise ist für sie kein Fremdwort. „Dann
weiß ich nicht mehr, ob es ihn gibt“, schreibt sie. Zweifel an der Existenz
Gottes plagen sie. Dazu kommt ihre schwere Krankheit, Tuberkulose, Siechtum,
Todesnot.
Vier Monate
vor ihrem Tod sagt sie: „Ich fühle, dass meine Mission beginnt: Gott
lieben zu lehren, wie ich ihn liebe und den Menschen meinen kleinen Weg zu
zeigen.“ Am letzten Tag noch konnte sie sagen: „Ich bereue es nicht, mich
der Liebe ausgeliefert zu haben.“ Ihre letzten Worte lauteten: „Mein
Gott, ich liebe dich.“
Zuvor wagt sie
die Prognose: „Nach meinem Tod werde ich Rosen regnen lassen.“ Sie
versteht das so, dass sie nach ihrem Tod nicht aufhören wird, auf Erden für die
Menschen dazusein und Gutes zu tun.
Theresia von
Lisieux wird im Unterschied zu Theresia von Avila die „kleine Theresia“
genannt. Sie würde diese Bezeichnung gern akzeptieren, denn das Besondere ihres
Lebens bestand in nichts anderem, als dass sie das ganz Kleine, das Alltägliche
und Selbstverständliche mit vollem Einsatz und ganzer Liebe getan hat.
Doch Theresia hat
von allem Getanen und Ertragenen nichts sich selbst angerechnet, geschweige denn
vor Gott auf Verdienste gepocht. Sie sagt vielmehr: „Wir müssen alle
guten Werke, die überhaupt in unseren Kräften stehen verwirklichen - aus Liebe
zu Gott. Aber es ist nötig, wenn wir alles getan haben, was wir glaubten tun zu
müssen, dass wir uns dann als unnütze Knechte bekennen, zugleich hoffend, dass
Gott uns aus Gnade geben wird, wessen wir bedürfen.“ Und sie fügt hinzu:
„Das ist der kleine Weg der Kindheit.“
Nicht Leistung, nicht Begabung und Wissen machen den Menschen vollkommen,
sondern Hingabe an Gott und den Menschen. Liebe ist das Entscheidende, alles
andere ist Beiwerk.
„Suchen
wir niemals das, was in den Augen der Menschen groß erscheint... Alles Tun, auch
das geringste und verborgenste, ist, sofern es in Liebe getan wird, kostbar und
groß in den Augen Gottes."
Das also ist die
Botschaft der Therese von Lisieux, die Botschaft des kleinen Weges zur Heiligkeit. Es
ist ein Weg für jedermann, jede Frau, nicht billig, aber einfach.
Mit Theresias
Worten: „Die Heiligkeit besteht nicht in diesen oder jenen Übungen und
Leistungen; sie besteht in einer Bereitschaft des Herzens, die uns klein und
demütig werden lässt in den Armen Gottes, wissend um unsere Schwäche und bis zur
Verwegenheit vertrauend auf seine Vatergüte.“
Das ist ein
Programm auch für unsere Zeit und jeden der sein Christsein ernst nimmt.