Zum Fest der Aufnahme Mariens in den
Himmel, das wir vorgestern gefeiert haben, hat uns die Liturgie als
Festtagsevangelium die Begegnung Marias mit Elisabeth dargeboten.
Der Evangelist Lukas hat uns diese
wunderschöne Erzählung überliefert. Wir haben sie soeben noch einmal
gehört.
Die Begegnung der beiden Frauen gipfelt
im Magnifikat, dem Lobpreis Marias, den die Kirche allabendlich in der
Vesper, dem kirchlichen Abendlob, betet bzw. singt.
Um herauszustellen, dass Marias ganze
Person – und nicht nur ihre Seele – in die Herrlichkeit Gottes einging,
betont das Festgeheimnis, dass sie „mit Leib und Seele“ in den
Himmel aufgenommen wurde.
Leibhaftig ist bei Lukas die Begegnung
zwischen Maria und Elisabeth geschildert. Wir sehen, wie Maria mit
eiligen Schritten die Gebirgshöhen überwindet. Sie tritt ins Haus des
Zacharias.
Und dann rücken die Körper der
schwangeren Frauen in den Mittelpunkt des Interesses:
Elisabeth spürt bei der herzlichen
Begrüßung und liebevollen Umarmung, wie das Kind in ihrem Bauch hüpft.
Und, vom heiligen Geist erfüllt, sieht
sie in diesem Hüpfen ein Zeichen, ein Zeichen dafür, dass Maria von Gott
gesegnet ist.
Und nicht nur sie, mit ihr ist auch das
Kind in ihrem Leib gesegnet. Und sie erkennt in Maria und spricht es
aus, die „Mutter meines Herrn“, also die Mutter Gottes.
Dann preist Elisabeth Maria selig:
„Selig bist du, weil du geglaubt hast,
dass sich erfüllt, was der Herr dir sagen ließ.“
Liebe Wallfahrer und Wallfahrerinnen,
der Lobpreis, den Maria bei dieser
Begegnung anstimmt, das Magnifikat, hat viele Anklänge an das Alte
Testament, besonders an das Lied der Hanna, der Mutter Samuels, und an
die Psalmen.
Zuerst spricht Maria ihre eigene
Situation an. Sie jubelt über Gott. Sie frohlockt. Denn der, dessen Name
heilig ist, hat Großes an ihr gewirkt. Er hat auf sie geschaut, die
niedrige Magd, und sie, dieses einfache Mädchen aus Nazareth, erwählt
zur Mutter seines Sohnes.
Und Maria ahnt und sagt voraus: „Selig
werden mich preisen alle Geschlechter.“ Und in der Tat, liebe
Schwestern und Brüder, durch viele Generationen, vom Anfang der Kirche
bis in unsere Tage,
ist das Marienlob immer wieder erklungen
und nie verstummt. So auch hier am Gnadenort in Zell, wie wir es
vorgestern, am großen Wallfahrtstag, ganz eindrücklich erlebt haben.
Dann nimmt Maria im Magnifikat Gottes
Handeln in den Blick, Gottes Handeln an Israel, an allen Völkern und der
ganzen Welt.
Dieses Handeln Gottes wird ganz
eigenartig beschrieben.
Man könnte es politisch in der Weise
deuten, dass die Machtverhältnisse in dieser Welt einfach umgekehrt
werden, gleichsam auf den Kopf gestellt.
Das klingt geradezu revolutionär:
Die Gewaltherrscher werden vom Thron
gestürzt. Herrschen werden die bisher Unterdrückten. Die bisher Mangel
litten und gehungert haben, sie können aus dem Vollen schöpfen, sie
haben Güter in Fülle.
Die Reichen aber werden arm, sie stehen
da mit leeren Händen.
Aber so als Umsturz, als Umkehr der
Verhältnisse, sind die Aussagen sicher nicht gemeint. Denn das wäre
erneut Unterdrückung und Machtmissbrauch nur mit anderen Vorzeichen.
Auch die Geschichte und unsere eigene
Erfahrung zeigen, dass Unterdrückung und Machtmissbrauch nie aufgehört
haben und auch heute noch vielerorts Triumphe feiern.
Diese revolutionär klingenden Aussagen
hören sich anders an und sprechen anders zu uns, wenn wir dabei nicht
nur auf andere und nicht nur auf die da oben blicken, sondern wenn wir
sie auf uns beziehen. Denn jeder Mensch, auch wir, sind gemeint.
Die Überschrift über den Schluss des
Magnifikats, des Lobpreises der Gottesmutter, ist die Barmherzigkeit
Gottes, die keine Grenzen kennt. Dann ist es ein Werk seiner
Barmherzigkeit, dass er den Hochmut in unserem Herzen zerstreut, dass er
die Gewaltigen, die „Götter“, die wir auf den inneren Thron gesetzt
haben, stürzt, dass er unseren Lebenshunger stillt und uns zeigt, wie
leer, wie nichtig angehäufter Reichtum ist.
Gegen Ende des Magnifikats heißt es:
„Angenommen hat
er (Gott) sich Israels, seines Knechtes.“
Auch das darf nicht auf Israel
eingegrenzt werden. Denn Israel steht für die Menschheit. Der ganzen
Menschheit zeigt Gott sich gnädig und barmherzig. „Angenommen hat der
Herr sich Israels.“ Angenommen hat der Herr sich unser. Unser hat er
sich erbarmt. Uns hat er in Jesus sein Licht, seinen Frieden, Erlösung
und Heil geschenkt.
Angenommen sein, sich bestätigt wissen in
diesem Dasein – nicht nur als berechtigt, sondern als bedingungslos
geliebt –, das ist, liebe Schwestern und Brüder, die tiefste Sehnsucht
unseres Herzens. Sie wird in Gott Erfüllung finden, wenn wir – wie Maria
– offen sind für das, was Gott uns sagt, wenn wir – wie Maria – auf Gott
hören, ihn ernst nehmen in unserem Leben, wenn wir glaubend, hoffend und
liebend die Wege gehen, die seine Wege sind.
Dann wird Gott Großes auch an uns tun und
uns einst – wie Maria – für immer aufnehmen in sein Licht und seinen
Frieden.
„Bitte für uns, heilige Gottesmutter,
dass wir würdig werden der Verheißungen Christi!“
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