Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer!
Viele Menschen versuchen heute, die
eigene Familiengeschichte zu erhellen. Sie betreiben Ahnenforschung. Sie fahren
in die Orte, wo ihre Vorfahren wohnten. Sie suchen nach Straße, Haus und Hof.
Sie wollen sehen, wo ihre Vorfahren gelebt haben.
Mit Eifer und Sorgfalt forschen sie in
Familienchroniken und Archiven nach Lebensdaten ihrer Vorfahren oder beauftragen
sogar Fachleute mit der Suche.
Neben Neugier und Freude am Verfolgen
der verschiedenen Spuren bewegt diese Spurensucher vielleicht auch die Frage:
Woher komme ich? Wem verdanke ich mich? Wer hat mich geprägt?
Im Evangelium,
liebe Schwestern und Brüder, haben wir viele, zumeist fremd und seltsam
klingende Namen gehört, den Stammbaum Jesu. Dieser Stammbaum sieht auf den
ersten Blick aus wie eine gelungene „Spurensuche“ in der Vergangenheit.
Eine beeindruckende Ahnenreihe wird uns da präsentiert, eine Geschlechterfolge,
die bis zu Abraham zurückreicht.
Mir ist aufgefallen: Die Liste der
Vorfahren Jesu ist ganz kunstvoll aufgebaut: 3 x 14 Generationen. Vierzehn ist
die Verdoppelung der heiligen Zahl Sieben. Das zeigt: Es geht gar nicht
so sehr um historische Fakten. Es geht um eine heilige, um eine Heilsgeschichte.
Sehen Sie:
Der Stammbaum am Anfang des Matthäusevangeliums will gar nicht ein Beitrag zur
Ahnenforschung sein. Er will vielmehr eine theologische Aussage über Jesus
machen, dass ER nämlich der seit David und Abraham Verheißene ist, dass in IHM,
der aus Maria geboren wurde, die Geschichte Israels ihr Ziel erreicht hat, dass
ER der Christus ist, der Messias, der lang ersehnte Heiland der Welt.
Zugegeben, liebe Schwestern und Brüder!
Wenn man den Stammbaum Jesu liest oder
hört kann er wie eine Schlaftablette wirken, äußerst langweilig. Wenn man
aber mit dem Alten Testament ein wenig vertraut ist, wenn man die Geschichten
kennt, die mit diesen Namen verbunden sind, wenn man um die Hintergründe und
Zusammenhänge weiß, dann ist der Stammbaum Jesu sehr interessant,
teilweise sogar brisant und vor allem aufschlussreich, dann zeigt er uns
Gott als den Herrn der Geschichte, Gott, als Hirt seines Volkes, der führt und
leitet, Gott, der treu ist durch viele Generationen und alles zu einem guten
Ziel bringt trotz aller Abwege, Irrwege und Treulosigkeiten einzelner und des
Volkes.
Liebe Schwestern und Brüder,
noch etwas fällt auf:
Der Stammbaum
zeigt Jesus und Maria hineinverwoben in eine äußerst menschliche Geschichte mit
allen Höhen und Tiefen, mit ihren hellen und dunklen Seiten. In der
Ahnengeschichte Jesu findet sich alles, was menschenmöglich ist: Brutalität
und Gemeinheit, Mord und Glaubensabfall, aber auch treues Festhalten an Gott,
gläubige Zuversicht und großherziges Handeln.
Auffallend ist, dass wir in diesem
Stammbaum Jesu nicht nur Heilige finden. Da sind auch eine Reihe dunkler
Namen, Namen von Menschen, die sich in Schuld verstrickt haben, Sünder,
Verbrecher, Abtrünnige.
Da begegnet David, der
König, Psalmendichter und Harfenspieler, der aber auch ein Ehebrecher war.
Rehabeam, der Blutsauger seines Volkes. Da ist Ahab,
der sich von Gott lossagte, dem Baalskult anhing, Götzendienst trieb. Da
begegnet einem die ganze chronique scandaleuse der Könige Israels. Nichts wird
verschwiegen, nichts schön geredet, nichts glatt gebügelt.
Am Ende aber steht Maria, die „Rose
ohne Dornen“ und Christus, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt
hinwegnimmt.
Das zeigt:
Gott weiß alles zum Guten zu lenken.
Alles
untersteht ihm. Auch das Böse kann er in seinen Heilsplan einbauen. Auch das
Dunkle kann er für seine Absichten und Ziele dienstbar machen.
Sie wissen selbst, liebe Schwestern und Brüder,
Gottes Wege sind manchmal sehr
geheimnisvoll, aber sie sind immer sinnvoll. – Oft merken wir es erst hinterher,
im Nachhinein. Gott vermag auch auf krummen Zeilen gerade zu schreiben.
Er zieht die Menschen zu sich, auch wenn sie ihr Heil und ihr Glück oft
anderswo und fern von ihm suchen.
Gottes Weisheit, seine
Allmacht und Liebe steht über der Treulosigkeit des Menschen. Ja, Gott
kann selbst die Sünde zum Heil verwenden und in Segen umwandeln.
Im Exultet der Osternacht wird die
Sünde Adams „glückliche Schuld“ genannt, „felix culpa“:
„O
glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“
Liebe Schwestern und Brüder!
Dass im Stammbaum Jesu auch Menschen
vorkommen, die ziemlich schlimm in Sünde und Schuld verstrickt waren, das macht
aus ihm in meinen Augen einen Stammbaum der Gnade, der Gnade Gottes, die sich
der Sünder annimmt, einer Gnade, die nicht auf menschlicher Größe und
Leistung aufbaut, sondern auf göttlichem Erbarmen, auf seiner verzeihender
Liebe. Gottes Allmacht siegt in unserer Ohnmacht.
Das wird noch einmal deutlich,
liebe
Schwestern und Brüder,
wenn wir auf die Frauen schauen, die in dem Stammbaum genannt werden. Vier sind
es und am Schluss Maria.
Aber die vier sind nicht Frauen wie
Sara, Rebekka, Lea und Rachel. Es sind nicht die hoch geachteten und ehrwürdigen
Stamm-Mütter Israels.
Nein, im Stammbaum Jesu werden vier
andere Frauen genannt: die blutschänderische Tamar, die Hure
Rahab, die Moabiterin (Ausländerin) Rut und – nicht
namentlich genannt – die „Frau des Urija“, also Bathseba.
Frauen, mit denen man keinen Staat
machen kann und die in einem Stammbaum nicht gerade eine Zierde sind, beileibe
keine Vorzeige-Frauen.
Aber auch hier zeigt
sich, liebe Schwestern und Brüder: Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Bei
ihm gelten andere Maßstäbe. Er erwählt oft das Schwache. Und Letzte können bei
ihm Erste sein. Er kommt zum Ziel, auch wenn er nicht auf der Siegerstraße
fährt, sondern Umwege und Abwege mit einbezieht.
Der Messias kommt.
Ich möchte fast sagen: Er kommt trotz der Sündhaftigkeit so vieler. Er kommt
trotz der Treulosigkeit Israels. Der Messias kommt. Ja, er ist gekommen,
um zu suchen, was verloren war und um zu heilen, was verwundet ist. Er ist
gekommen in Jesus Christus, nicht um zu verderben, sondern um zu retten, nicht
um zu richten, sondern um aufzurichten und zu trösten, um uns zu erlösen und zu
befreien aus Schuld und Sünde, aus Not und Tod.
Der Stammbaum Jesu, liebe Schwestern und Brüder,
macht deutlich:
Gott
knüpft den Faden, den abgerissenen Heilsfaden, immer wieder neu. Gott
vergisst seine Zusage nicht. Er steht zu seinen Verheißungen trotz vielfältiger
Untreue der Menschen. Immer wieder streckt er seine Hand aus. Immer wieder
bietet er seinen Bund an. Gottes Huld und Treue währt durch alle Geschlechter.
Durch alle Umwege und alle Verweigerung der Menschen weiß er dem Heil den Weg zu
bahnen. Bis sich die Verheißung erfüllt und Christus erscheint, das Licht und
das Heil der Welt, der „IMMANUEL“ – „GOTT MIT UNS“
Gott ist mächtig, Gott ist gut.
Gut ist alles, was er tut. Gott kann unseren Irrtum wandeln in Erleuchtung. Er
kann uns vorwärts führen selbst dort, wo wir meinen, Rückschritte zu machen.
Gott führt und leitet.
Das
macht mich froh. Das gibt mir Zuversicht.
Das
macht mir Mut, in allem und trotz allem.
Gott führt und leitet.
Das
gilt auch heute. Das gilt auch uns.
Wir
wollen stets daran denken, liebe Schwestern und Brüder, dass es in dieser Welt
eine große segnende Kraft gibt und dass Gott Wege und Möglichkeiten hat, wo wir
keine mehr haben.
Also: Habt Mut, liebe Schwestern und
Brüder! Habt Vertrauen! Gott ist da. Immer. Ein Gott für uns. Ein Gott, der uns
liebt. Ein Gott, der zu uns steht. Er will auch uns sein Heil schenken, seine
Gnade und seinen Segen.
So können wir – wie Maria und mit Maria
- voll Vertrauen unseren Weg gehen. Wir sind in Gottes Hand. Bei ihm ist nichts
unmöglich. Er vermag alles. Seine Vorsehung und Liebe waltet über unserm Leben.
Ein Mitbruder von mir hat gern und oft gesagt:
„Der liebe Gott macht keine Fehler.“ Ja, nichts geschieht letztlich ohne
Sinn. Alles ist für etwas gut. Sogar Prüfungen und Krisen, Kreuz und Leid.
Der Apostel Paulus sagt es so:
„Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Guten.“
(Röm 8, 28)
Und von Alfred Delp stammt das Wort:
„Wir können dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben
haben, sondern weil Gott es mit uns lebt.
(Alfred Delp)
Lasst uns dem Leben trauen, liebe
Schwestern, in der Gewissheit der Gegenwart Gottes!
Lasst uns dem Leben trauen im Glauben
an seine Güte und Treue!
Lasst uns
dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben
haben, sondern weil Gott es mit uns lebt.
„Gott ist mit uns, am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an
jedem neuen Tag.“
(D. Bonhoeffer)