Es war um Allerheiligen.
Martin ging mit seiner Mutter einkaufen. Auf dem Weg zum Markt kamen sie
an einer großen Kirche vorbei. Martin schaute an der Kirche hoch und
sagte: „Mutti, guck mal, die großen Fenster sind ja ganz schön
schmutzig, die sehen ja gar nicht schön aus.“ – Die Mutter sagte
nichts, sondern nahm Martin an der Hand und ging mit ihm in die Kirche
hinein. Hier waren die Fenster, die von außen ganz grau und schmutzig
aussahen, plötzlich bunt und leuchteten in den hellsten Farben. Da
staunte Martin. Und er schaute die Fenster genau an.
Vorne war ein auffallend
schönes Fenster, durch das gerade voll die Sonne schien, ein Fenster mit
zwei hell leuchtenden Heiligenfiguren. Martin fragte: „Mutti, wer ist
das?“ – „Das sind Heilige“ sagte die Mutter. „Da links,
den kennst du. Das ist dein Namenspatron.“ „O, ja“ erwiderte
Martin, „der Soldat auf dem Pferd, der seinen Mantel mit einem
Bettler teilt.“ „Und daneben“ sagte die Mutter, „die Frau
mit dem Krug und dem Korb, das ist die hl. Elisabeth, eine ungarische Königstochter und Fürstin auf der
Wartburg in Thüringen. Sie hat auf Reichtum und Luxus verzichtet und
sich ganz um Arme und Kranke gekümmert.“
Ein paar Tage später
hatte die Klasse Religionsunterricht. Plötzlich fragte der Lehrer: „Wer von euch kann mir sagen, was ein Heiliger ist?“
– Da war großes
Schweigen in der Klasse.
Nur Martin zeigte auf und
sagte: „Ich weiß es. Ein Heiliger, das ist ein Mensch, durch den die
Sonne scheint.“
Ist das nicht eine
wunderbare Antwort auf die Frage, wer oder was ein Heiliger ist? – Ja,
Heilige sind Menschen – durchscheinend und transparent – wie
Kirchenfenster.
Sie sind durchsichtig für
das Licht, das von Gott kommt.
Heilige sind Menschen,
durch die Licht fällt. Ein schönes Bild, finde ich, einfach,
verständlich und aussagekräftig.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Heute, am Fest
Allerheiligen, da gedenkt die Kirche der vielen, vielen Menschen, die in
ihrem Leben auf ganz unterschiedliche Weise etwas vom Licht Gottes in
ihrem Leben durchscheinen ließen, Menschen, die in ihrer Umgebung Licht
Gottes zum Aufleuchten gebracht haben. Sie können uns darin Vorbilder
und leuchtende Beispiele sein.
Liebe Mitchristen!
Neben den „großen“ und
bekannten Heiligen, deren Gedenktage im Kalender stehen und deren Feste
wir im Laufe des Kirchenjahres feiern, denken wir heute besonders auch
an die vielen „kleinen“, unscheinbaren und unbekannten Heiligen, die nie
zur Ehre der Altäre erhoben wurden.
An „Allerheiligen“ feiern wir – wie der Name schon sagt – alle Heiligen, auch
diejenigen, die nie heiliggesprochen wurden, die aber dennoch das Ziel
ihres Lebens erreicht haben und von denen wir glauben, dass sie im Licht
Gottes leben.
Sie sind nicht als
Märtyrer gestorben und haben keinen Orden gegründet. Von ihrem Leben
werden keine Wunder und Erscheinungen berichtet. Sie haben keine
komplizierten Werke der Frömmigkeit vollbracht. Spektakuläre Taten oder
fulminante Predigten sind von ihnen nicht überliefert. Sie haben in
ihrem ganz gewöhnlichen Alltag mit seinen Höhen und Tiefen nach besten
Kräften geglaubt, gehofft und geliebt.
Johannes XXIII. hat
einmal gesagt: „Man kann mit einem Hirtenstab an der Hand heilig
werden, aber ebenso mit einem Besen.“ Das stimmt! Und ich möchte
hinzufügen: Ebenso beim Stallmisten und auf der Pflegestation, im
Großraumbüro und beim Homeoffice, auf der Baustelle und im Nähzimmer…
als Professor und als Handwerker, als Banker und als Hausfrau, als
Ehegatte und als Singles…in Gesundheit und Krankheit…
Liebe Mitchristen!
Solche „Werktagsheiligen“ – leben auch heute mitten unter uns, vielleicht
in der gleichen Straße, im selben Stadtviertel, in der gleichen
Kirchengemeinde. Sie machen keine Schlagzeilen. Sie sorgen nicht für
Aufsehen. Sie stehen nicht im Rampenlicht. Man hört von ihnen nichts in
den Nachrichten. Aber es gibt sie – Gott sei Dank – in großer Zahl.
Wir alle kennen solche
Menschen, die verborgen wirken, Gutes tun, tapfer und geduldig ihr nicht
immer leichtes Schicksal meistern, Menschen, die freigebig, großherzig
und hilfsbereit sind, Menschen, die einerseits aus einer echten und
tiefen Gottverbundenheit leben und andererseits mit beiden Beinen im
Leben und fest auf der Erde stehen. Gott zugewandt und gleichzeitig den
Menschen nahe.
Ich bin froh und dankbar,
dass ich solchen „zeitgenössischen Heiligen“ immer wieder
begegne. Und ich habe Hochachtung vor ihnen. Solche Menschen machen mir
Mut. Und manchmal denke ich: „Da kannst Du Dir eine Scheibe
abschneiden!“
Wie sähe die Welt aus,
wenn es sie nicht gäbe? Menschen, die im Stillen andere mittragen im
Gebet, die ohne viel Aufhebens da sind, wenn sie gebraucht werden, die
trösten und aufrichten, wo Traurigkeit herrscht, die Licht bringen, wo
Dunkel um sich greift, die zu Mühen und Opfern bereit sind, wo andere
gleichgültig sind und nur sich selber kennen, Menschen, die versuchen,
jeden Tag nach Gottes Wort und Jesu Vorbild zu leben.
Diese „Heiligen des
Alltags“ sind Menschen wie wir alle, Leute aus Fleisch und Blut. Sie
kennen Siege und Niederlagen, Lichtblicke und Tiefpunkte, Sehnsüchte und
Ängste. Sie erfahren Anerkennung und Anfeindung. Sie haben Stärken und
Schwächen. Aber es sind Menschen, Frauen und Männer, Junge und Alte,
durch die die Sonne strahlt, Menschen, transparent und durchscheinend
für Gottes Güte und Liebe, Menschen, die ihre Umgebung und damit unsere
Welt – die so kalt und aggressiv ist, voll Gewalt und Intrigen,
beherrscht von Geld und Lügen – ein wenig heller, ein wenig wärmer und
ein wenig freundlicher machen, so dass man ein bisschen besser –
menschlicher 0– darin leben kann.
Für diese „Heiligen“
möchte ich heute Gott danken. Dabei denke ich sowohl an Lebende als auch
bereits Verstorbene.
Sie sind für mich wie
kostbare Kirchenfenster, die hell und in allen Farben aufstrahlen, weil
Gottes Liebe – wie eine Sonne – durch sie hindurchscheint, um zu
erwärmen und zu erleuchten.
Übrigens: Sind wir dazu
nicht alle berufen? Ist das nicht unser aller Auftrag? Licht Gottes
durch uns hindurchfallen und durch uns hindurchscheinen zu lassen - in
unsere Welt.
Gottes Licht: Seine
Menschenfreundlichkeit, Seine Liebe, Seine Barmherzigkeit
– durch unsere Worte, durch unser Tun, durch unseren Umgang miteinander,
durch unser alltägliches Leben. Ja, Christsein heißt Licht sein.