In einem Friseursalon vor ein paar Wochen. Eine
langjährige Kundin kommt zum Haarschneiden. Zur gewohnten Routine gehört
jedes Mal dieselbe Haarkünstlerin und immer derselbe Stuhl. Doch diesmal
nicht. Die Dame setzt sich spontan auf den nächsten Stuhl. Warum weiß
sie selbst nicht.
Die Dame sitzt also auf einem anderen Stuhl, wird
aber von der gleichen Friseuse wie immer bedient. Plötzlich ist ein
Knirschen zu hören, es tut einen Schlag und direkt auf den frei
gebliebenen Stuhl kracht ein Ventilator, der sich mitsamt den Dübeln von
der Decke gelöst hat.
Der Schreck im Friseursalon ist groß. Die erste
Reaktion der Friseuse. „Hui, da haben wir aber Glück gehabt!“ –
Ganz anders unsere Dame. Sie ist überzeugte Christin, katholisch. Sie
betet, geht in die Kirche und ist aktiv in der Pfarrgemeinde. Für sie
ist es nicht „blinder Zufall“, der sie vor Schlimmem bewahrt hat,
auch nicht nur „Glück“ oder gar „Schwein gehabt“. Sie
sagt: „Da hatte ich aber einen guten Schutzengel“.
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Frau sieht hinter ihrem Bewahrt- und
Behütet-worden-Sein letztlich Gott am Werk. Und sie hat Recht. Ich bin
überzeugt:
Die Macht Gottes ist viel öfter im Spiel als wir ahnen.
Wie oft haben wir selbst schon im Straßenverkehr, in Krankheit und
Unglück, wenn es noch einmal glimpflich abging oder wir ungeschoren und
mit heiler Haut davonkamen, wie oft haben wir da selbst schon gesagt:
„Da hatte ich aber einen guten Schutzengel?“ Vielleicht nicht nur
einen, sondern gleich zwei!
Ein bekannter Autoaufkleber mahnt allerdings auch:
„Fahr nicht schneller als dein Schutzengel fliegen kann!“ Das heißt:
Pass Du auch selbst auf! Fahr nicht zu rasant und zu riskant! Sonst ist
dein Schutzengel machtlos.
Liebe Wallfahrer und Wallfahrerinnen,
Sie alle kennen wahrscheinlich die Operette von Franz
Lehar „Der Zarewitsch“, das Wolgalied. Darin heißt es: „Du hast im
Himmel viel Engel bei dir. Schick doch einen davon auch zu mir.“
Wünschen wir das nicht alle – wie jener einsame Soldat am
Wolgastrand – einen Engel an unserer Seite, einen, der auf uns aufpasst,
der uns birgt und hält, behütet und beschützt?
Als Kinder haben viele von uns beten gelernt: „Abends,
will ich schlafen gehen, vierzehn Engel um mich stehen...“ Dann
werden die Engelpaare aufgezählt, die das Menschenkind im Schlaf mit
Schutz umgeben.
Unser katholischer Glaube sagt uns – und von klein
auf haben wir es wahrscheinlich so gelernt – dass jeder Mensch einen
Schutzengel hat, der ihn führt und begleitet, der ihn aufmerksam macht
für das Gute und ihn warnt vor dem Bösen. Es gilt aber auch auf ihn zu
hören, seine Weisungen wahrzunehmen und der inneren Stimme und dem
Gewissen zu folgen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Der Glaube an Schutzengel ist grundgelegt in der Heiligen
Schrift. Ganz oft, an vielen Stellen kommen sie vor.
In der Lesung aus dem Buch Exodus haben wir
gehört, wie Gott sagt: „Ich werde einen Engel schicken, der dir
vorausgeht. Er soll dich auf dem Weg schützen.“
Auch der junge Tobias (siehe Buch Tobit) erfährt
Gottes Schutz, seinen Rat und seine Hilfe, und zwar in Raphael, der ihn
auf seiner Reise begleitet und sich später als Bote Gottes zu erkennen
gibt.
Im Psalm 91 – wir haben Verse davon als Antwort
auf die Lesung gesungen – da stehen die wunderbaren Sätze: „Gott
befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen
dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“
Felix Mendelsohn-Bartholdy hat dazu eine wunderschöne
Melodie komponiert.
Als Petrus aus dem Kerker befreit wird, erkennt er
dankbar:
„Jetzt weiß ich, dass der Herr seinen Engel gesandt
und mich der Hand des Herodes entrissen hat.“ (Apg 12, 11)
Und Jesus selbst? Er spricht ganz
selbstverständlich von Engeln. Ihre Existenz ist für ihn gar keine
Frage. Nach seinem 40-tägigen Fasten in der Wüste und den überstandenen
Versuchungen sind es Engel, die bei ihm sind und ihm dienen. Auch am
Ölberg in seiner Todesangst stärkt ihn ein Engel.
Heute im Evangelium, das Eigentext dieses
Gedenktages ist, da sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Hütet euch davor,
einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im
Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“
Mit den „Kleinen“ sind nicht nur die Kinder
gemeint, sondern alle Schwachen, auch die wirtschaftlich und sozial
Niedrigstehenden, alle einfachen und bedeutungslosen Menschen. – Diese
Menschen werden oft geringgeschätzt, übersehen und benachteiligt. Doch
genau davor warnt Jesus, indem er auf die Würde gerade dieser Menschen
hinweist. Gott kennt und ehrt jeden von ihnen. „Ihre Engel sehen
stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Ein Mann sagt zu seiner Frau: „Du bist für mich ein
Engel“. Sie nimmt das Kompliment lächelnd entgegen. Sie weiß ja am
besten, wann und wo sie bei vielen Gelegenheiten für ihren Mann da ist
und stillschweigend, aufmerksam und zuvorkommend kleine Dienste tut.
„Du bist ein Engel“ haben wir vielleicht
auch schon mal zu jemandem gesagt, und damit ausdrücken wollen: „Du
bist wunderbar. Wenn ich dich nicht hätte! Danke für deine
Hilfsbereitschaft! Danke für deine Güte und Freundlichkeit!“
Liebe Mitchristen!
Wir alle brauchen Menschen, die es gut mit uns meinen,
die uns begleiten und um unser Wohlergehen besorgt sind. Solche Menschen
geben uns Kraft und Vertrauen. Solche Menschen helfen uns über manche
Schwierigkeiten hinweg. Solche Menschen haben wir einiges, vielleicht
auch viel zu verdanken.
„Du bist ein Engel“, hat das auch schon mal
jemand zu uns gesagt, zu mir, zu Ihnen? – Sehen Sie: Engel müssen keine
Flügel haben. Wir alle können Engel sein, wenn wir für Gott und seinen
Ruf offen sind und uns in seinem Sinne für unsere Mitmenschen
engagieren, besonders für jene, die der Hilfe bedürfen.
Und wenn wir sie mehr wahrnehmen würden und besser
erkennen in unserem Umfeld Tag für Tag, die Engel, die uns begegnen, den
Schutzengel, der uns begleitet und behütet – und nicht nur denken
„Zufall“ oder „Glück gehabt“ – ich bin sicher: Dann gäbe es mehr Freude
in unserem Leben und vor allem auch mehr Dankbarkeit.
Engel sind Boten Gottes und seine stillen Helfer. In
ihnen drückt sich Gottes Sorge um uns Menschen aus. „Gott ist mit uns
am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Ich wünsch dir einen Engel,
der in guten und schwierigen Zeiten
an deiner Seite ist,
der deinen Schlaf bewacht
und dich durch den Tag begleitet.
Ich wünsch dir einen Engel,
der dich stärkt und schützt,
der dich tröstet und dir Mut macht,
der dir beisteht mit seiner heilenden Kraft
als Zeichen der Liebe und Nähe Gottes.
Ich wünsch dir einen Engel,
der dir in den Menschen begegnet,
die dir gut sind und sich um dich sorgen,
und der hilft,
für andere zum Engel zu werden.
Gisela Baltes