Die berühmte Sängerin, Schauspielerin
und Autorin Hildegard Knef (1925 – 2002) erzählt eine interessante
Geschichte, die sie von ihren amerikanischen Freunden gehört hat: Es
soll einen inzwischen ausgestorbenen kleinen Indianerstamm gegeben
haben, dessen Religion auf einem einzigen Satz beruhte. Die Mitglieder
dieses Stammes glaubten, dass sie nach ihrem Tod gefragt würden: „Wie
viel Menschen waren glücklich, dass du gelebt hast?“ – Mit dieser
einfachen und klaren Frage im Hinterkopf konnten sie leben. An ihr
versuchten sie ihr ganzes Verhalten auszurichten.
Hildegard Knef ist sehr beeindruckt von
dieser kleinen Geschichte und lässt sich dadurch zu einem ihrer letzten
Chansons inspirieren: „Wer war froh, dass es dich gab?“ – In ihrem
markanten Sprechgesang stellt sie fest, dass für uns alle – ob wir
wollen oder nicht – der Tag kommen wird, an dem wir vor „einem“
Rechenschaft ablegen müssen. Dieser „eine“, den sie nicht näher
beschreibt, lässt sich nicht austricksen oder belügen. Er zwingt uns
unerbittlich zu einer ehrlichen Lebensbilanz. Insgesamt sechzehn Mal
wiederholt sie seine eindringliche Aufforderung: „Gib mir Antwort!“
Der Rückblick wird, so Knef, allerdings
nicht schmeichelhaft für uns ausfallen. In düsteren Bildern zeichnet sie
unser Geschick: brennende Scheiterhaufen; Worte, die nicht stimmen;
Visionen, die Furcht einflößen; traurige Gesichter unserer Lieben;
Eitelkeit als Motor unseres Handelns und Gebete im falschen Dom.
Der Songtext suggeriert, dass nicht
viele sich über unser Leben freuen können. Und er endet mit dem
ernüchternden Fazit: „Was du hinterlässt, war nur ein schales Fest. Du
bestehst ihn nicht, den großen Abschlusstest.“
Das Bild von einem „großen
Abschlusstest“, von einem letzten Gericht, gehört auch zur Botschaft der
neutestamentlichen Verkündigung.
Und gerade im Monat November werden wir
oft daran erinnert: wenn wir auf den Friedhöfen oder in den
Allerseelen-Gottesdiensten an unsere Verstorbenen denken; wenn durch
verschiedene Feiertage am Ende des Kirchenjahres der Gedanke an unseren
eigenen Tod stärker als sonst ins Bewusstsein rückt.
Aber der „eine“, vor dem wir unser Leben
verantworten werden, hat für uns einen Namen. Wir kennen seine
Lebensgeschichte. Wir haben seine treffenden Worte und seine
einleuchtenden Beispielerzählungen im Ohr. Wir wissen, wie er sich den
Menschen zugewandt, wie er sie aufgerichtet und in seine Gemeinschaft
geholt hat.
Und wir hoffen, dass uns in ihm die
„richtende Liebe Gottes“ (Medard Kehl) begegnet, dass er einmal zu uns
sagen wird: Abschlusstest bestanden!
Als niemand meinen Hunger nach
Aufmerksamkeit und Wertschätzung gespürt hat; als ich kraftlos,
ausgetrocknet, ohne Sinn und Ziel war; als ich mich mit meinen Ansichten
wie ein Fremder unter Freunden gefühlt habe; als ich von meinen Kollegen
bloßgestellt wurde; als mich die Gleichgültigkeit der anderen verletzt
und krank gemacht hat; als ich in meinen Terminen und Verpflichtungen
gefangen war – da war ich richtig froh, dass es dich gab; dass du mir
gezeigt hast, wie wichtig ich dir bin; dass du mich nicht mit Floskeln
abgespeist hast, sondern mir einen neue Perspektive für mein Leben
eröffnen konntest; dass du mir ein einfühlsamer Zuhörer warst; dass du
mich aus meinem Hamsterrad befreit hast (nach Mt 25, 31 - 40).
Mit dieser Hoffnung auf einen
bestandenen Abschlusstest am Ende unseres Lebens könnten wir uns
vornehmen, jetzt schon – wenn sich die Gelegenheit bietet – anderen zu
sagen: „Ich bin froh, dass es dich gibt.“
(Kurz-Predigt von
Wolfgang Raible, in: Anzeiger für die Seelsorge, Zeitschrift für
Pastoral und Gemeindepraxis, 11/2021, Seite 30) |