„Wahrlich…das ist jener Mann, der durch sein Werk und
seine Lehre die Kirche Christi stützen und erhalten wird.“
Diese Prophezeiung
hat – laut Thomas von Celano – einer der bedeutendsten Päpste des
Mittelalters
ausgesprochen, nämlich Innozenz III., und zwar im Blick auf
den heutigen Tagesheiligen, Franz von Assisi.
Dieser war mit seinen
ersten zwölf Gefährten nach Rom gezogen, um die neue Lebensweise der
noch jungen Brüderschaft vom Papst bestätigen zu lassen.
In der Nacht zuvor
hatte der Papst einen Traum:
Er sah einen „armen
Mann, unscheinbar und verachtet“ wie er die Lateranbasilika, die
einzustürzen drohte, allein mit der Kraft seiner Schultern stützte und
aufrecht hielt und sie so vor dem Einsturz bewahrte.
Der Maler Giotto
hat diese Traumszene in der Oberkirche der Basilika sehr eindrucksvoll
ins Bild gebracht:
Innozenz III. liegt da schlafend in einem prächtigen Himmelsbett. Bekleidet ist er mit
den Pontifikalgewändern und der Tiara auf seinem Haupt, den Insignien
seiner geistlichen und weltlichen Macht.
Auf der anderen Seite des
Bildes ist Franziskus zu sehen in seinem einfachen, härenen
Ordensgewand. Mit seiner rechten Schulter stützt er die wankende
päpstliche Basilika.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Selten wurde der
Gegensatz von Vision und Realität so auf den Punkt gebracht. Selten
wurde das Auseinandertriften von religiösen Idealen auf der einen Seite
und Prunkentfaltung und Machtstreben auf der anderen Seite so deutlich
dargestellt.
Am nächsten Tag gewährte
der Papst Franziskus, worum er ihn bat. Er segnete ihn und seine Brüder
und gab ihnen die Erlaubnis zu predigen.
Liebe Mitchristen!
Aus dem armen,
bescheidenen und verachteten Mann, den der Papst ihm Traum sah, aus dem
„Poverello“, dem „kleinen Armen“ von Assisi, ist eine der
beeindruckendsten und einflussreichsten Gestalten der abendländischen
Geschichte geworden und eine der wichtigsten und größten
Heiligengestalten des Christentums
Und auffallend:
über die Jahrhunderte bis heute geht von Franziskus eine große
Strahlkraft aus, eine ungeheure Faszination.
Das Time Magazine
hat Franziskus 1993 in die Liste der Top Ten der „greatest people oft
second millenium“, den zehn bedeutendsten Menschen des zweiten
Jahrtausends, aufgenommen.
Walter Nigg
bezeichnet Franziskus als „den Heiligen unserer Tage – von
überraschender Aktualität“. – Waltraud Herbstritt nennt ihn
„das große Heimweh vieler Christen – und Nichtchristen“. – Romano Guardini sieht in ihm
„einen Mann, dessen einzigartiges
Charisma es ist, an Christus zu erinnern“. – Papst Pius XI.
hat Franziskus sogar einen „zweiten Christus“ genannt, weil in
ihm, wie in niemand sonst, symbolhaft Christus aufstrahlte und das
Geheimnis Jesu lebendig wurde.
Bereits Thomas von
Celano schreibt: „Jesus trug er im Herzen, führte ihn im Munde,
hatte ihn in den Ohren, trug ihn in den Augen, in den Händen, in seinem
ganzen Wesen.“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Vielleicht ist das der
eigentliche Grund der Faszination und Ausstrahlungskraft, die von diesem
Heiligen ausgeht: seine innige Beziehung und Gleichgestaltung mit Jesus
Christus.
Franziskus wollte ja in
allem ganz Christus ähnlich werden:
In der Verkündigung der
Froh-Botschaft, in der Liebe, im Leiden und in der Armut. Mit der Liebe
zur Armut verband sich bei ihm die Liebe zu den Armen, in denen er
Christus sah.
Zwei Jahre vor seinem Tod
empfing er in der Einsamkeit der Berge von La Verna die Wundmale Jesu
und wurde so dem Gekreuzigten noch ähnlicher.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Es ist interessant, dass
die Frage nach der Faszination dieses Heiligen schon seine Zeitgenossen
umtrieb.
In den Fioretti,
einer Legendensammlung aus dem 14. Jahrhundert, wird berichtet, wie
Bruder Masseo, einer der ersten Gefährten, ganz direkt Franziskus fragt:
„Warum verlangt jedermann dich zu sehen? Warum hört jeder auf dich
und gehorcht dir? Du bist nicht schön von Angesicht, du bist nicht reich
an Weisheit, noch von edler Herkunft. Wie kommt es also, dass alle Welt
dir nachläuft?“
Die Antwort,
die Franziskus gibt, ist sehr aufschlussreich.
In ihr erhalten wir einen
wichtigen Schlüssel zum Phänomen des heiligen Franziskus. Im Kern geht es
dabei um die radikale Umkehrung der herrschenden Konventionen und
Machtverhältnisse, wie sie sich ja bereits im Traum von Papst Innozenz
gezeigt hat und wie sie in der bildhaften Umsetzung dieses Traumes durch
Giotto überdeutlich sichtbar wurde.
Franziskus war
überzeugt,
dass Gott gerade ihn zum Vorbild und Lehrer erwählt hat, ihn, den
Kleinen und Armen, den Unansehnlichen und Schwachen, und zwar „um die
Welt zu beschämen mit ihrem Stolz und Adel, ihrer Stärke, Schönheit und
Weisheit.“ Und weiter: „Auf dass wir erkennen, dass alle Kraft
und alles Gute uns aus der Hand Gottes zufließen und nicht Irdischem
entstammen und damit niemand sich rühme vor seinem Angesicht“.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Zum ersten Mal in der
Geschichte hat ein Papst den Namen des heiligen Franziskus angenommen und ihn
damit zur persönlichen Leitfigur und zum Patron seines Pontifikates
erwählt.
Diesen Heiligen, der uns
in seiner radikalen Art, das Evangelium zu leben, zugleich fasziniert
und erschreckt und uns dadurch auch anfragt und herausfordert. Und uns
doch immer wieder hoffen lässt, dass Träume zu Visionen und Visionen zu
Wirklichkeiten werden können.
Am Ende seines Lebens
gab Franziskus seinen Minderbrüdern ein bedenkenswertes Wort mit auf
den Weg: „Ich habe das Meinige getan. Was euer
ist, möge euch Christus lehren.“
Ja, möge Christus
uns sagen und zeigen, was unser ist, im ausdauernden Schauen auf ihn, im
intensiven Hören auf sein Wort, im Leben aus seinem Geist, im Nacheifern
seines Beispiels, im Handeln nach seinen Weisungen – wie Franziskus es
uns auf faszinierende Weise vorgelebt hat.
Mögen wir
– wie dieser kleine große Heilige aus Assisi – immer wieder in der
Stille, im Schweigen, in der Betrachtung und im geistlichen Austausch
miteinander die oft leisen Impulse Gottes, seine Winke und Fingerzeige,
erspüren und vernehmen und dann – so gut wir können – versuchen, in die
Tat umsetzen. Leben nach dem Evangelium. Leben wie Jesu gelebt hat.
Christus in seiner Armut und Demut nachfolgen.
Für Franziskus
hieß das konkret – und das tut es auch für uns: Bruder sein, solidarisch
sein, dankbar sein, die Schöpfung achten und lieben, teilen lernen, sich
einfühlen und mitfühlen, Verzicht auf Macht und allen überflüssigen
Ballast.
Dann
gilt auch für uns die Seligpreisung aus dem Sonnengesang: „Selig, die sich finden in seinem heiligsten Willen.“