Es gibt ein Märchen mit
dem Titel „Hans im Glück“.
Wer es liest, glaubt
zunächst, der Titel sei ironisch gemeint: Was nämlich mit Hans in diesem
Märchen geschieht, würden wir nicht Glück, sondern eher Pech nennen.
Als Lohn für sieben Jahre
treue Dienste hat Hans einen großen Klumpen Gold bekommen. Auf dem Weg
nach Hause aber schwätzt ein Reiter ihm das Gold ab und gibt Hans zum
Tausch sein Pferd. Es dauert nicht lange und Hans hat bei einem Bauern
das Pferd für eine Kuh eingehandelt. Bei einem Müller tauscht er die Kuh
gegen ein Schwein und das Schwein schließlich gegen eine Gans. Ein
Scherenschleifer listet ihm die Gans gegen einen Wetzstein ab. Hans
schleppt sich mit dem schweren Stein ab. Und als er schwitzend und müde
an einem Bach rastet, fällt ihm dieser auf Nimmerwiedersehen ins Wasser.
– Die Erzählung schließt mit dem Satz: „Mit leichtem Herzen und frei von
aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seinem Meister war.“
Dieser Satz offenbart
etwas Merkwürdiges. Äußerlich gesehen macht Hans nämlich jedes Mal einen
schlechteren Tausch. Sein Besitz wird von mal zu mal weniger und
wertloser, bis er nichts mehr in Händen hat.
Andererseits wird Hans von
mal zu mal fröhlicher. Im Grunde empfindet er seinen Besitz als Last und
fragt sich, warum er sich damit abschleppen soll. Je mehr sich Hans
seines Eigentums entledigt – oder dessen entledigt wird – desto mehr
tritt zutage, dass seine Fröhlichkeit, seine Freiheit und sein Glück auf
ganz anderen Fundamenten ruhen als auf Besitz, Leistung und Erfolg.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Sie fragen sich sicher,
was mich bewegt, dieses Märchen zu erzählen. Ganz einfach: Mir scheint,
dass Hans im Glück einen großen Bruder hat: Franz von Assisi, dessen
Fest wir heute feiern.
Die entscheidende
Loslösung, das radikale Abwerfen und Hinter-sich-lassen von Geld und
Besitz, der Verzicht auf Hab und Gut geschieht bei Franziskus in der
Gerichtsszene im bischöflichen Palast. Wie kommt es dazu? Was geht
voraus?
Als Franziskus einmal in
dem halb zerfallenen Kirchlein San Damiano um Sinn und Auftrag für sein
Leben betete, da hört er vom Kreuz herab die Stimme: „Siehst du
nicht, wie mein Haus zerfällt? Geh, bau es wieder
auf!“
– Franziskus versteht das wörtlich und macht sich an die Restauration
der Kapelle. In der Stadt bettelt er Geld dafür. Dort belächelt man ihn,
man bewirft ihn mit Steinen und Kot. „Il pazzo“ rufen ihm die Kinder
nach, „Narr“.
Sein Vater, der reiche
Kaufmann, ist in dieser Zeit geschäftlich unterwegs. So holt Franz einen
Ballen Stoff aus dem Lager, reitet damit nach Foligno, verkauft dort
Pferd und Tuchballen für den Wiederaufbau von San Damiano. Das hat
fatale Folgen: Der Vater gerät bei seiner Rückkehr in maßlosen Zorn.
Bisher hat er das merkwürdige Verhalten des Sohnes toleriert. Nun aber
reißt ihm der Geduldsfaden. Er will den Erlös für Tuch und Geld zurück.
Vergebens versucht er ihn zur Vernunft zu bringen. Er sperrt ihn im
eigenen Haus in ein Verließ ein. Doch die Mutter hat Mitleid und lässt
den Sohn wieder frei.
Nun ruft der Vater das
Stadtgericht von Assisi an. Doch den weltlichen Richtern ist dieser
Familienkonflikt zu heikel. Sie erklären sich für nicht zuständig. So
findet schließlich die Verhandlung am 5. April 1207 im Saal des
bischöflichen Palais statt. Unerbittlich verlangt der Vater sein Geld
zurück und steigert sich in maßlosem Zorn.
Die Gerichtsverhandlung
endet sensationell: Franz legt alle Kleider ab und sagt: „Hört es
alle. Bis jetzt nannte ich Pietro Bernadone meinen Vater. Aber da ich
nun den Vorsatz habe, dem Herrn zu dienen, gebe ich ihm das Geld zurück,
um das er sich so aufregt, dazu alle Kleider. Von jetzt an will ich nur
sagen: „Vater unser, der du bist im Himmel, nicht mehr Vater Pietro
Bernadone.“
Der Bischof nimmt Franz
unter seinen Mantel. Der Vater erhebt sich, voll Schmerz und Wut nimmt
er Kleider und Geld an sich und geht. – Und Franziskus? Nachdem er eine
Art Kutte mit Kapuze zum Anziehen bekommen hat, verlässt er singend und
frohgemut die Stadt. Er hat sich ganz aus der väterlichen Autorität und
allen weltlichen Bindungen gelöst und die Freiheit der Kinder Gottes
gefunden.
Mir fällt auf: Singend und
frohgemut verlässt er die Stadt.
Meines Erachtens ist diese
Freude und Freiheit nur zu erklären, weil sein Leben im Ewigen, in Gott
Verankerung gefunden hat. Er will ja nur noch sagen: „Vater unser im
Himmel“.
Und dieses
Sich-Fest-Machen in Gott, dieses Sich-Ganz-Verlassen auf Gott, das
bewirkt, dass er nicht mehr gierig und ängstlich klammern und festhalten
muss, sondern dass er loslassen, geben und schenken kann. Franziskus ist
der Mensch, der alles wegschenken kann, weil er selbst alles als
Geschenk betrachtet.
Wie ein Kind steht er mit
staunenden Augen und offenem Herzen der Welt gegenüber – und das ist nur
möglich, weil er an der unsichtbaren Hand des ewigen und gütigen Vaters
geht und sich darin geborgen weiß. Sein Leben atmet den Geist der
Freiheit von Unabhängigkeit, weil er sich allein von einem abhängig weiß
– von Gott.
Und das ist die Lektion,
die wir Menschen von heute wieder lernen müssen: Durch die Bindung an
Gott verliert der Mensch keineswegs seine Freiheit, sondern er gewinnt –
wie Franziskus – eine ganz neue Freiheit.
Durch die Bindung an Gott
verliert der Mensch keineswegs die Welt aus den Augen, sondern er
gewinnt – wie Franziskus – ein ganz neues Verhältnis zur Welt.
Die Bindung an Gott macht
den Menschen keineswegs untauglich für die Welt, er gewinnt – wie
Franziskus – vielmehr einen scharfen Blick für das Wesentliche und
Unwesentlich, für das Wahre und das Falsche.
Einzig in Gott – das zeigt
uns das Leben des heiligen Franziskus – sind Freiheit, Freude und Würde
des Menschen fest verankert.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Vor 841 Jahren wurde
Franziskus geboren. Fast 800 Jahre ist er schon tot. – Doch immer noch
ist er lebendig. Immer noch geht von ihm eine große Strahlkraft aus.
Immer noch begeistert er die Menschen und ist für viele Vorbild und
Leitbild – der Mann, auf den sich zahlreiche Schwestern und Brüder als
ihren Ordensgründer und Ordensvater berufen.
Die Kraft seines Lebens
nach dem Evangelium wollen wir erbitten. Von seinem Gottvertrauen wollen
wir uns anstecken und vom Feuer seiner Christusliebe uns entzünden
lassen. Denn nur Ergriffene ergreifen. Und in mir muss brennen, was ich
anderen entzünden will. |