Ich liebe die Heiligen. Es sind keine
langweiligen Kopien, sondern allesamt Originale, lebendige Kommentare
zum Evangelium.
Ich freue mich, dass es darunter große
Frauen und Männer gibt, aber auch ganz einfache und schlichte Menschen,
Könige und Päpste, aber auch Ungelehrte und Bettler.
Längst nicht alle sind ernst und traurig.
Manch einer ist bekannt für seinen Humor und seine Freude.
Es gibt sogar Selige und Heilige, denen
ich persönlich begegnet bin. Beim Katholikentag in Freiburg 1978 saß ich
z.B. mit Mutter Teresa am Frühstückstisch. Und Karol Wojtyla, dem
späteren Johannes Paul II. bin ich 1971 bei der Seligsprechung von
Maximilian Kolbe im Petersdom begegnet.
Zu der Schar der Heiligen, die mir
besonders nahe sind gehört Pius X, mein Namenspatron und unser
Ordensvater, Franz von Assisi, aber auch Fidelis von Sigmaringen. Er ist
nicht nur der erste Märtyrer des Kapuzinerordens, sondern auch ein
Heiliger unseres Landes und des Erzbistums Freiburg.
Schon als Kind habe ich mit Fidelis Bekanntschaft gemacht. In der
Grundschule haben wir das Lied gelernt: „O
Sankt Fidelis, Gottesmann…“
Von 1964 bis 1966 war ich auf dem
Fideliskolleg, der Klosterschule der Kapuziner in Zell und anschließend
auf dem Fideliskolleg in Bensheim.
Ich erinnere mich noch gut, wie wir im
Noviziat von Stühlingen aus einmal einen Tagesausflug nach Sigmaringen
machten und dabei verschiedene Stätten des heiligen Fidelis besuchten.
1578 hat Fidelis als zweitjüngstes von
sechs Kindern das Licht der Welt erblickt. Markus Roy – so hieß Fidelis
mit bürgerlichem Namen – war der Sohn des Adlerwirts, der auch Ratsherr
und zuletzt Bürgermeister war. Die Mutter stammte aus Tübingen, war
evangelisch, wurde aber bei der Eheschließung katholisch.
Sehr bald wurde die Begabung des jungen
Markus erkannt. So durfte er die Lateinschule in Sigmaringen besuchen
und dann das Jesuitenkolleg in Freiburg. Anschließend studierte er in
Freiburg Philosophie und Rechtswissenschaften.
Dann gibt es eine Unterbrechung,
sozusagen eine Auszeit in seiner Lebensgeschichte. Ab 1604 begleitete er
eine Gruppe junger Adliger fünf Jahre lang auf deren ausgedehnten Reisen
durch Deutschland, Frankreich, Oberitalien und einige spanische
Provinzen. So lernte er fließend französisch und italienisch sprechen.
Nach seiner Rückkehr konnte Markus Roy in
Freiburg nicht weiterstudieren. Die Pest war in der Stadt ausgebrochen.
Die Universität war nach Villingen verlegt. Dort promovierte er am 7.
Mai 1611 – also vor genau 400 Jahren – zum Doktor beider Rechte.
Inzwischen war er immerhin 33 Jahre alt.
Nun startete er seine berufliche
Laufbahn. Er ließ sich als Jurist in Ensisheim im Elsass nieder.
Ensisheim war damals Hauptstadt der österreichischen Vorlande. Dort
arbeitete er am obersten Gerichtshof als Advokat. Eine glänzende
Karriere lag vor ihm. Aber schon nach einem Jahr quittiert er seinen
Dienst. Die Praxis der Rechtssprechung widerte ihn an. Er war bitter
enttäuscht von der Gewissenlosigkeit seiner Kollegen. Korruption,
Bestechung, schlimme Fehlurteile waren an der Tagesordnung.
Markus Roy war unbestechlich. Er hatte vielmehr ein Herz für die Armen.
Er gab ihnen unentgeltlich Rechtsbeistand. Schon nach kurzer Zeit nannte
man ihn „Advokat der Armen“.
Liebe Schwestern und Brüder!
Dieser Zug bei Markus Roy fasziniert mich. Hier ist er für mich ein
Vorbild. Und ich meine, er kann es für uns alle sein. Hier sehen wir
auch, dass Heiligkeit nicht nur in Frömmigkeit besteht, sondern dass
dazu auch das rechte Tun gehört, der Einsatz für Menschen in Not, nicht
zuletzt auch das Eintreten für die Schwachen und Entrechteten. Heute
nennt man das „Option für die Armen“. Markus Roy hat nicht nur
davon gesprochen, er hat sie gelebt. Und das macht ihn glaubwürdig.
Aber es waren nicht nur die Übel in der
Rechtsprechung, die Markus veranlassten, seine Anwaltsrobe an den Nagel
zu hängen, da war auch ein inneres Unruhigsein, eine Sehnsucht nach
etwas anderem, nach mehr, nach Sinn, nach erfülltem Leben.
Da tat er einen ungeheuer mutigen
Schritt. Er klopfte bei den Kapuzinern in Freiburg an und bat um
Aufnahme.
Die Kapuziner waren damals eine junge
Reformbewegung innerhalb der franziskanischen Familie. Markus Roy war
begeistert vom Ideal der franziskanischen Armut, das von den Kapuzinern
wieder in ursprünglicher Strenge gelebt wurde. Er war angetan von ihrem
Eifer im Gebet. Besonders beeindruckt hat ihn aber der Heroismus der
Kapuziner in der Pestzeit, ihr furchloser Einsatz bei der Pflege der
Pestkranken. Manch einer opferte sein Leben.
Bei der Einkleidung bekam Markus Roy den
Ordensnamen Fidelis, das heißt der Treue. Der Novizenmeister sagte zu ihm:
„Esto fidelis usque ad mortem…“, ein Wort aus der Offenbarung des
Johannes: „Sei getreu bis in den Tod und ich werde dir die Krone des
Lebens geben“ (Offb. 2, 10).
Dieses Bibelwort wurde für Fidelis
richtungweisend, ja zum Lebensprogramm. Lebenslange Treue,
Beharrlichkeit von Tag zu Tag, Ausdauer, Geduld.
Ich bin überzeugt, liebe Schwestern und
Brüder, dass es diese Werte auch heute gibt. Gott sei Dank! Aber wir
müssen sie auch immer wieder lernen und einüben.
Es sind nicht die großen Ereignisse, die
Megaevents, es ist auch nicht das Sich Vergnügen, Spaßhaben oder Geld
scheffeln, was das Leben ausmacht, sondern Liebe und Treue im
alltäglichen Leben. Treue im Kleinen ist etwas Großes.
Im Noviziat finden wir Fidelis beim
Hausputz, im Garten und in der Küche. Der brilliante Advokat schält
Kartoffeln.
Nach Ablauf der Probezeit legte er die
feierlichen Gelübde ab. In den kommenden Jahren wirkte er als Pater in
der Schweiz, im Elsass und in Vorarlberg. Es ist die Zeit des
dreißigjährigen Krieges, mit viel Not und schrecklichem Elend.
Ungerechtigkeit und Gewalt prägen den Alltag der Menschen.
Fidelis verteidigte die Rechte der Armen.
Er kümmerte sich um Typhus- und Pestkranke in den Spitälern. An vielen
Orten finden wir ihn auch als wortgewandten und wortgewaltigen Prediger.
Seine Tätigkeit machte lange, Kräfte verzehrende Wanderungen durch
Schnee, Regen und Kälte notwendig.
In Altdorf sagte ein Zuhörer zu ihm:
„Herr Pater, wenn Ihr hier gute Suppen essen wollt, dann müsst ihr
anders predigen.“ Fidelis erwiderte ihm: „Was kümmern mich eure
Suppen. Nicht der Suppen wegen predige ich, sondern ich sage das, was
mein Gewissen mir sagt.“ Die Wahrheit, ob gelegen oder ungelegen.
1621 wurde Fidelis Guardian des
Kapuzinerklosters in Feldkirch. Im selben Jahr besetzten die Habsburger
Teile der heutigen Schweiz. Sofort begann man auch unter dem Schutz
österreichischer Waffen mit der Remissionierung bzw. Rekatholisierung
der protestantischen Eidgenossen.
In Rom war man auf den exzellenten
Prediger Pater Fidelis aufmerksam geworden und übertrug ihm die Leitung
dieses Unternehmens. Eine äußerst heikle Aufgabe. In dieser Zeit tobten
unerbittliche, verbissene Kämpfe, Hass und Streit zwischen den
Konfessionen. Die Mission des Fidelis im protestantischen Graubünden, im
Prättigau und Engadin war extrem gefährlich. Man sah in ihm einen
Helfershelfer der österreichischen Besatzungsmacht, auch wenn er selbst
gegen jeden Zwang und gegen jede Gewaltanwendung war, vielmehr werben
und überzeugen wollte. Die Atmosphäre war schrecklich aufgeheizt. Nicht
immer wusste er, was ihn erwartete, wenn er auf die Kanzel stieg.
Fidelis ahnte seinen Martyrertod voraus:
„Fidelis, bald eine Speise der Würmer“, so unterzeichnete er
seine letzten Briefe.
Am 24. April 1622 wurde Fidelis in
Seewies/Graubünden trotz militärischem Schutz von calvinistischen Bauern
erschlagen. Man hatte ihn vor einem Hinterhalt gewarnt. Trotzdem ging er
hin. Den Vorspruch zur Predigt konnte er noch sagen, ein Wort aus dem
Epheserbrief: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (4, 5). Da
entstand ein Tumult – Schüsse krachten. Fidelis stieg von der Kanzel und
verließ die Kirche durch die Sakristei. Er suchte zu entkommen. Da
verstauchte sich sein Begleiter, ein österreichischer Hauptmann, beim
Sprung über die Friedhofsmauer den Fuß. Man kam nur noch mühsam voran
und wurde schließlich eingeholt. Vor die Entscheidung gestellt, dem
katholischen Glauben abzuschwören oder zu sterben, machte Fidelis ein
letztes Mal seinem Namen Ehre: „Ich bin hierher gekommen“,
entgegnete er seinen Verfolgern, „um euch zum wahren Glauben
zurückzuführen.“ Da stürzten sie sich voll Wut und Fanatismus auf
ihn und ermordeten ihn bestialisch.
Später wurde der Leichnam exhumiert. Auf
dem Weg ins Tal kam es wohl zu einer Auseinandersetzung zwischen den
Gefolgsleuten des Bischofs von Chur und den Kapuzinern aus Feldkirch.
Jedenfalls ist seither der Leib in der Krypta der Kathedrale von Chur
beigesetzt, das Haupt aber befindet sich in einem Schrein in der
Kapuzinerkirche von Feldkirch. Hundert Jahre später wurde Fidelis von
Sigmaringen heiliggesprochen.
In Sigmaringen steht das Elternhaus von
Fidelis. In der Fideliskapelle im Elternhaus befindet sich die schlichte
Kanzel aus Seewies, wo Fidelis seine letzte Predigt gehalten hat. In der
Stadtpfarrkirche von Sigmaringen wird die Wiege des Heiligen aufbewahrt.
Und heute noch werden nach der Taufe die Kinder in die Fideliswiege
gelegt.
Für mich viel wichtiger als alle
Reliquien und Erinnerungsstücke ist die Tapferkeit, die
Unerschrockenheit, der Bekennermut des heiligen Fidelis. Flagge zeigen, Farbe
bekennen, nicht fanatisch, nicht fundamentalistisch, nicht aggressiv,
aber offensiv, Christsein aus Überzeugung, Christsein mit Leidenschaft,
Mut zum Zeugnis in einer Gesellschaft, die immer mehr entchristlicht,
nicht nur entkirchlicht, sondern entchristlicht, das wünsche ich mir und
uns.
Wichtig ist mir auch der Name Fidelis.
Fidelis, der Treue. Ich wünsche uns Christen, ob evangelisch oder
katholisch, und ich wünsche es Ihnen, den Christgläubigen von St.
Fidelis in Offenburg, dass wir die Erfahrung machen: „Gott ist treu“.
(1 Kor 1, 9) und dass wir dieser Treue glauben, ihr vertrauen und, so gut
wir können, die Treue Gottes erwidern. Gottes Treue ruft unsere Treue.
Gottes Liebe ruft unsere Liebe.
Gebet des heiligen Fidelis:
Gütigster Jesus, bewahre mich davor, dass ich je einen Menschen, und mag
er mich noch so hassen und verfolgen, verachte, geringschätze, ihn
herabsetze oder mich von ihm abwende. Lass in mir niemals Hass oder auch
nur eine bittere Empfindung gegen ihn aufkommen und lass nicht zu, dass
ich an seiner Besserung zweifle, solange er lebt.
|