„Es ist im Grunde immer eine
kleine und einfache Wahrheit, die ich zu sagen habe: wie man es anfangen kann,
an der Hand des Herrn zu leben.“
An der Hand des
Herrn zu leben, sich seiner Vorsehung anzuvertrauen, sich von ihm führen lassen,
sich IHM anheimstellen und überlassen. Das ist m. E. der rote Faden im Leben
von Edith Stein, gleichsam eine
Überschrift über ihr Leben, eine Art Leitwort,
das auch in ihren Schriften immer wieder anklingt und aufscheint.
Man muss
anfangen, an der Hand des Herrn zu leben.
Dabei erkannte
Edith Stein in ihren jungen Jahren gar nicht die Hand des Herrn. Erst später
erkennt und bekennt sie, dass Gott es ist, der durch Licht und Dunkel leitet.
Mit 13 / 14 gibt sie den jüdischen Glauben auf, sagt sich ganz bewusst los
davon, bekennt sich selber als Atheistin. Von wegen Konvertitin, Karmelitin,
Mystikerin oder gar Märtyrerin.
Als hochbegabte
Studentin hat sie große Pläne. Sie träumt von einer wissenschaftlichen Karriere,
von bedeutendem gesellschaftlichem Einfluss. Und in der Tat: zunächst geht’s
in diese Richtung, steil nach oben.
Abitur,
Staatsexamen als Lehrerin, Promotion in Philosophie, Assistentin des berühmten
Philosophen Edmund Husserl, schließlich Schriftstellerin, Übersetzerin,
vielgefragte Rednerin, Vortragsreisen im In- und Ausland. Dann Seminarlehrerin
in Speyer und Dozentin in Münster.
Edith Stein
träumte auch von einer glücklichen Ehe. Und sie hatte auch freundschaftliche
Beziehungen.
In einem ihrer
Werke fasst sie die Sehnsucht des Menschen in folgende Worte – und wir dürfen in
diesen Sätzen ihr eigens Sehnen spüren:
„Der Mensch verlangt nach dem
immer neuen Beschenkt werden..., um das ausschöpfen zu können, was der
Augenblick zugleich gibt und nimmt. Was ihm Fülle gibt, will er nicht lassen,
und er möchte ohne Ende und ohne Grenze sein, um es ganz und ohne Ende zu
besitzen. Freude ohne Ende, Glück ohne Schatten, Liebe ohne Grenzen, höchst
gesteigertes Leben ohne Erschlaffen, kraftvollste Tat, die zugleich vollendete
Ruhe und Gelöstheit von allen Spannungen ist.“
Im Grunde wurde
in Edith Steins Leben nichts so, wie sie es sich erhofft hatte. Ihr Leben kam
auf eine ganz andere Spur. Begegnungen, Lebenserfahrungen, die Lektüre der
Schriften Theresas von Avila, besonders aber ihre leidenschaftliche Suche nach
der Wahrheit, die sie mehr als alles antrieb, lassen sie - im Grunde gar nicht
gewollt oder erwartet – einen neuen Zugang zur Religion finden und führen sie
schließlich zum katholischen Glauben, zu Gott, der alles zum Guten lenkt.
Im Nachhinein
wurde ihr klar:
„Was nicht in meinem Plan lag,
das hat in Gottes Plan gelegen. Lebendiger wird in mir die Überzeugung, dass es
– von Gott her gesehen – keinen Zufall gibt, dass mein ganzes Leben bis in alle
Einzelheiten im Plan der göttlichen Vorsehung vorgezeichnet und vor Gottes
allsehendem Auge ein vollendeter Sinnzusammenhang ist. Dann beginne ich mich auf
das Licht der Glorie zu freuen, in dem auch mir dieser Sinnzusammenhang
entschleiert werden soll.“
Edith Steins Weg führte durch tiefe
Dunkelheiten hindurch. Sie kannte Scheitern. Und manchmal war sie der
Verzweiflung nahe. Ihre erstrebte Professur an einer deutschen Universität wurde
ihr wegen ihre Geschlechtes und ihrer jüdischen Abstammung hartnäckig
verweigert.
Das Jahr 1933
setzt ihrem Wirken ein Ende. Edith Stein muss ihrer beruflichen Tätigkeit
aufgeben. Und doch: wie sagt der Apostel Paulus: „Denen, die Gott lieben
gereicht alles zum Guten.“ Sie findet Aufnahme in den Kölner Karmel. 1938
legt sie als Schwester Benedicta vom Kreuz die ewigen Gelübde ab. Sie ist 47 Jahre alt
und erkennt, wie die Hand des Herrn sie durch all die bewegten Jahre geführt und
ans Ziel gebracht hat. Sie hat ihr Glück gefunden. Totale Hingabe an Gott, dem
Geist des Gebet viel Raum geben, in schwesterliche Liebe einander zugetan sein
und Gemeinschaft erfahren, weiter philosophisch-theologisch arbeiten können,
besonders an der Kreuzeswissenschaft und Kreuzesmystik, die sie in bedeutenden
Schriften niederlegt, das füllte und erfüllte jetzt ihr Leben. Gott nahm ihr
vieles, aber er gab ihr mehr: Geborgenheit im Glauben, Freude an Gott, tiefe
innere Ruhe und Gelassenheit.
Doch ihr Weg
„an der Hand des Herrn“ war noch nicht zu Ende. Edith Stein war sich als
Jüdin über ihre Situation klar. Mit dem unbestechlichen Blick einer Prophetin
sah sie ihre Zukunft voraus und ging unbeirrt ihren Weg.
Um die Schwestern im Karmel zu Köln
nicht zu gefährden ging sie über die holländische Grenze in den Karmel von Echt.
Aber auch dort gab es für sie keine Sicherheit.
Am 2.
August 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester Rosa, zu der sie sagte:
„Komm, wir gehen für unser Volk“, von der Gestapo abgeholt und zunächst ins
Sammellager Westerbork gebracht. Dort ging sie nach Augenzeugenberichten wie ein
Engel unter den verzweifelten Frauen und Kindern umher, sprach den Menschen
Trost und Mut zu, half, wo sie konnte und nutzte die Zeit zum Gebet.
„Konnte bisher herrlich beten.“
Ihre
Gelassenheit und ihr Gottvertrauen gepaart mit großer Hilfsbereitschaft machten
auf die Menschen tiefen Eindruck.
Nach kurzem
Aufenthalt ging der Transport nach Auschwitz, wo sie am 9. August in den
dortigen Gaskammern starb.
In der Rückschau
zeigt sich „der vollendete Sinnzusammenhang“ ihres Lebens. Gott erfüllte
ihre Wünsche auf eine neue Weise. Statt zu gesellschaftlichem Einfluss gelangte
sie zur Heiligkeit, statt Professorin einer deutschen Universität wurde sie
Patronin Europas. Bis heute hat sie mehr Bedeutung als sie hätte erhoffen
können. Und über all ihre Vorstellungen hinaus fand auch ihre Liebe Erfüllung.
„Es ist im Grunde immer eine
kleine und einfache Wahrheit, die ich zu sagen habe: wie man es anfangen kann,
an der Hand des Herrn zu leben.“
Bis zum Ende
ging sie selber ihren Weg „an der Hand des Herrn“.
Ein Gebet von Edith Stein lautet:
„Lass blind
mich, Herr, die Wege gehen, die Deine sind. Will deine Führung nicht verstehn,
bin ja dein Kind!
Bist, Vater der
Weisheit, auch Vater mir.
Führst durch
Nacht du auch, führst doch zu dir!
Herr, lass
geschehen, was du willst: Ich bin bereit!
Auch wenn du nie
mein Sehnen stillst in dieser Zeit.
Bist ja der Herr
der Zeit: das Wann ist dein. Dein ew‘ges Jetzt, einst wird es mein!
Mach alles wahr,
wie du es planst in deinem Rat.
Wenn still du
dann zum Opfer mahnst, hilf auch zur Tat! Lass übersehn mich ganz mein kleines
Ich,
dass ich, mir
selber tot, nur leb für dich.“