Von manchen Menschen sagt man, sie seien
ihrer Zeit weit voraus gewesen. Auf Birgitta von Schweden trifft
dies
ohne Zweifel zu. Sie lebte im 14. Jahrhundert, aber ihre
Lebensgeschichte könnte sich genauso gut im 20./21. Jahrhundert
abgespielt haben.
Eine Frau aus besten Kreisen, glücklich
verheiratet, entschließt sich, nachdem die Kinder ihre eigenen Wege
gehen, zusammen mit ihrem Mann auf Reisen zu gehen. Nach dem Tod des
Mannes lässt sie sich im Ausland nieder. Durch ihre Veröffentlichungen
übt sie einen starken Einfluss auf Kirche und Politik aus.
Ohne Zweifel eine ungewöhnliche Frau.
Aber das ist nicht alles.
Wir dürfen nicht verschweigen,
dass sie Mutter von acht Kindern war, vier Söhne und vier Töchter. Das
war damals nicht außergewöhnlich. Sie hat sich um die Erziehung ihrer
Kinder gekümmert, obwohl sie auf Grund ihrer Stellung am königlichen Hof
immer unter Zeitdruck stand. Sie teilt dieses Schicksal mit allen
berufstätigen Müttern. – Mit ihrem Mann legte sie Wert auf ein
harmonisches Familienleben, auf gemeinsame Mahlzeiten und gemeinsames
Beten. Das religiöse Tun im Hause Birgittas war von tiefer Innerlichkeit
geprägt. Man war im guten Sinn fromm.
Dies lässt sich auch am Reiseziel
ablesen, zu dem sich das Grafenpaar nach dem Tod des jüngsten Sohnes auf
den Weg machte: Santiago de Compostela. Es war eine Pilgerfahrt. Wer
solche Wallfahrten unternahm, hatte nicht selten Grund, für Verfehlungen
zu büßen. Birgitta und ihr Mann hatten andere Gründe. – Sie wollten Gott
danken, danken für ihr gemeinsames Leben, danken für ihre Kinder. Sie
wollten Gott bitten für ihren verstorbenen Sohn und sich selbst auf die
Ewigkeit vorbereiten.
Wir dürfen auch nicht verschweigen,
dass sich das religiöse Leben von Birgitta nach dem Tod ihres Mannes
steigerte. Häufig hatte sie Visionen. Schon als neunjähriges Kind sah
sie nach einer Predigt, die sie tief erschüttert hat, Christus. Der
leidende Heiland sprach zu ihr. Er gab ihr Aufträge. Er veranlasste sie,
einen Orden zu gründen. Das erste Kloster des Ordens entstand zu
Vadstena in Schweden. Ihre Tochter Katharina wurde dort Äbtissin.
Birgitta trat nicht ins Kloster ein. Ihre Aufgabe sah sie in der Welt.
Sie ging nach Rom. An den Gräbern der Apostelfürsten wurde sie zur
unerbittlichen Mahnerin. Sie geißelte die Missstände der damaligen
Kirche. Sie rief die Päpste, die damals in Avignon residierten, auf,
nach Rom zurückzukehren. Man nahm die offenen Briefe Birgittas ernst,
vor allem ihren Ruf zu einer inneren Erneuerung der Kirche.
Noch etwas dürfen wir nicht
verschweigen. Immer hatte sie eine offene Hand für die Armen. Als
Schlossherrin lud sie fast täglich Arme zu Tisch. Die Armen von Rom
erkannten in der schwedischen Gräfin sehr rasch eine treue Helferin.
Birgitta war nicht nur ihrer Zeit voraus.
Sie ist auch unserer Zeit voraus, denn ihr ganzes Leben richtete sie hin
auf Christus und seine Kirche. Nichts bewegte sie tiefer als die
Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Sie war nicht auf der Suche nach Glück,
sondern auf der Suche nach dem Willen Gottes.
Von daher kam ihr Ja zu einer christlich
gelebten Ehe. Von daher kam ihr Ja zu ihren Kindern. Von daher konnte
sie den Tod ihres Sohnes und ihres Mannes annehmen. Von daher kam ihre
Bereitschaft, den Armen zu helfen. Von daher kam ihr Mut, die
Verantwortlichen in der Kirche zur Ordnung zu rufen.
Die Worte der Lesung – aus dem
Brief des heiligen Apostels Paulus an die Galater – sind der heiligen
Birgitta aus dem Herzen gesprochen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt
worden. So lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal
2, 19 - 20) |